Das Reich des Ästhetischen.
Wir leben in einer Welt, in der alles, was erscheint, danach ruft, einer Bestimmung zugedacht zu werden. Was diesen Ruf nicht beantwortet, zerfällt in zwei Klassen - das Unerhebliche und das Rätselhafte. Die letztere bildet das Reich des Ästhetischen.
Die Menschen sind verschieden. Diese erfinden ständig neue Bestimmungen. Jene sehen lauter Unerhebliches, das ihnen nicht einmal erscheint. Und andere schließlich bemerken überall Rätsel. Sie werden nie einen Nenner finden.
- Rohentwurf
- Zwischenbericht
- Wie das Ästhetische in die Welt gekommen ist.
1. Ästhetische Splitter (Rohentwurf)
Wer eine Plattform anlegt und Auseinandersetzung anzetteln will, muß in Vorleistung gehen und Stoff anbieten. Ich habe mich entschlossen, etwas aus meinen Sudelbüchern vorzulegen. Die aphoristische Form hat ihren eignen Reiz, aber nicht jeder ist ein Nietzsche oder Lichtenberg, und so habe ich meine Geistesblitze thematisch – von oben nach unten – sortiert; zunächst, um mich bei künftiger Bearbeitung selber darin zurechtzufinden, aber so fällt es mir auch leichter, sie fremden Blicken preiszugeben. Jetzt kann man sie so lesen, als ob sie in einem diskursiven Zusammenhang stünden, und das muß für fehlende sprachliche Grazie entschädigen. Entstanden sind sie zwischen 1998 und 2002, hier habe ich sie stilistisch leicht geglättet, um sie lesbar zu machen. ‚Veröffentlicht’ sind sie an dieser Stelle ja noch nicht, es bleibt hier en famille; das bitte ich den kritischen Leser zu bedenken.
Motto:
"Das Schönste, das wir erleben können, ist das
Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und
Wissenschaft steht."
Albert Einstein
Register:
0. Thema
1. Vollkommenheit ist die ästhetische Idee schlechthin. (Darum ist die Ethik eine Tochter der Ästhetik)
2. [Definitionen]
3. Kant-Zit.; das Bild ‚zeigt’ mehr, als drauf zu sehen ist; Platos Ideenlehre!
4. Dieses Mehr ist „Ausdruck“ (sofern er nicht wiederholbar ist!)
5. Ästhetisch betrachtet, „sehen die Dinge so aus, als ob“ sie eine Bedeutung an-und-für-sich-selbst beanspruchen wollten. (Das Ding an sich ist das Ding, wie es ästhetisch erscheint.)
6. „Stoff und Form“
7. ‚Das Schöne ist ein Bild der Transzendenz’
8. Das Ästhetische bildet sich aus als Gegensatz des Ökonomischen
9. Das Ästhetische steht im Gegensatz zum Diskursiven (=’Ökonomie der Vorstellung’)
10. Das Ökonomische ist die Ent-Fremdung der Welt: „Entzauberung“; Kunst ist ihre „Verfremdung“
11. Das Positive=das Bestimmte=das Zweckmäßige; Kunstwerk: das „als-unbestimmt“-Bestimmte
12. Schönheit ist ‚Freiheit in der Erscheinung’
13. Auch in China und Japan gibt es eine „ästhetische“ Kunst!
14. ‚Sinnlich’= reproduzierbar. Das Symbol ist ein „Bild“, aber kein Abbild; Sprache - Spiel, prozessierendes System...
15. [Sprache, Symbolsystem]
16. Erlebens-Strom; Figur-Grund: das „Erhebliche“; ‚Figur’ist Störung des ‚Grundes’
17. Die Sprache konstituiert ein „Zwischenreich“ des Gewöhnlichen, Geläufigen
18. Nur was fremd ist, kann „bedeutend“ sein;
19. Schönheit, klassisch: Teilhabe an der kosmischen Harmonie; romantisch-modern: „ästhetisch-erheblich“ ist nur noch das, was der universellen Zweckhaftigkeit „ent-springt“; Kant, das Erhabene
20. Zweckmäßig „ohne Zweck“ ist doch auch „mäßig“, d. h. einem Maß zu-gedacht; das modern-„Schöne“ ist demesuré
21. Vollkommene Form - vollendete Gestalt - erfüllter ohne Zweck?!
22. das Erhabene
23. Kosmetik kommt von Kosmos
24. [Oskar Becker, „die Abenteuerlichkeit des Künstlers...“]
25. [Was dem Kunstbetrachter als eine Frage vorkommt, hat der Künstler für eine Antwort gehalten]
26. ethisch-ästhetische Urteile sind „prädeliberativ“
27. Die Welt kann als „Eine“ nur bestimmt-unbestimmt angeschaut werden: als Rätsel!
28. [Ästhetik / Sinnlichkeit]
29. Das wirkliche Denken ist intuitiv; das diskursive Denken ist sekundär, hat sich in der Arbeitsgesellschaft als das „zweckmäßigere“ nach vorn geschoben. (Am Ende der Arbeitsgesellschaft tritt das anschauliche Denken wieder hervor: „Ästhetik“)
30. „Existenzialien“ passen nicht in den „Begriff“, sondern nur ins Bild; sind nicht „gegeben“, sondern Problem.
31. [Gottfried Sempers Ästhetik]
32. [M.’s Bilder] Was nicht die Frage Was soll das bedeuten? aufwirft, ist keine Kunst
33. [Kant] Das Schöne; das Erhabene
34. [Schelling] dto.
35. Das Ästhetische ist eine männliche Dimension der Welt
36. Ehre und Anstand sind ästhetische Größen
37. Ausstellung "100 Jahre Kunst in Deutschland", 1999
Das Thema:
Mein kritischer Verstand belehrt mich, daß es etwelchen Sinn in der Welt nicht gibt: daß aller Sinn nur eine selbstgemachte Fiktion ist. Und doch begegnen mir Dinge, die sich mir, indem ich sie bloß wahrnehme, als an-und-für-sich-sinnhaft aufherrschen; ohne daß ich ihren Sinn aber erfassen kann.
- Dieses Phänomen nenne ich das Ästhetische.
(‚Das
Ästhetische’ sind solche Bedeutungskomplexe, die im diskursiven Text nicht zu
erfassen sind und darum durch Sinnbilder angedeutet werden müssen, wenn sie überhaupt
‚bezeichnet’ werden sollen.)
Richard Hamann,
"Ästhetik", Leipzig & Berlin 21919:
S. 18: "...daß es nicht darauf ankommt,
ob der Anblick, der sich bietet, von einem Kunstwerke oder aus der Natur
stammt, auch nicht, ob er Wirklichkeit oder Bild ist, sondern auf den geistigen
Zusammenhang, in dem er auftritt." [sollte besser heißen: ‚der
Zusammenhang, aus dem er heraustritt’!
S. 21: "...wie können [ästhet.
Wahrnehmungen] isoliert, um ihre Erkenntnis und praktische Bedeutung, um ihren
Orientierungswert gebracht, doch noch Bedeutung haben?"
(Hamanns Schlüsselbegriff: "die
Eigenbedeutsamkeit der Wahrnehmung" {Gadamer polemisiert dagegen: Wahrheit
& Methode})
Bedingt /unbedingt:
‚Eigenbedeutsamkeit’ ist ein ästhetischer
Sinngehalt: ein Sinn, der nicht von einem Andern (mit dem ich mich ‚verständigen’
wollte) "gemeint" wird, sondern der gewissermaßen "sich selber
meint" (und auf mein Verstehen pfeift). Er unterscheidet sich ergo von
allen andern Sinngehalten, denen ich begegnen kann:
1) ich denke ihn mir nicht objektiviert (=
dem Reich des Idealen zugewiesen), sondern versinnlicht, "vergegenständlicht",
verkörpert: ‚erscheint als er selbst’.
2) ich denke ihn mir nicht vergesellschaftet mit anderen Sinngehalten: für-sich-seiend, un"vermittelt", ohne alle "Wechselbestimmung" durch die (gedachte) Totalität "des" Sinns.
2) ich denke ihn mir nicht vergesellschaftet mit anderen Sinngehalten: für-sich-seiend, un"vermittelt", ohne alle "Wechselbestimmung" durch die (gedachte) Totalität "des" Sinns.
"Eigenbedeutsamkeit" heißt
Immanenz; Mittelbarkeit ist Bedingtheit, Fremd-Bestimmtheit. Das ästhetische
Erlebnis ist die Anschauung der Immanenz als einem Unbedingten - als ein Bild
der Freiheit.
Nota: Ästhetische Aufmerksamkeit ist die
"Naturform" der Aufmerksamkeit überhaupt. Sie unterscheidet uns von
der Wachsamkeit der Tiere - gegen Gefahren und für Nahrungsmittel: Die stammt
aus der Notdurft. Ästhetische Wachsamkeit ist die nicht-verursachte, die nicht-bedingte
Wachsamkeit, ist das selbstvergessene Absehen des Geistes auf den frei gewählten
Gegenstand unabhängig von dessen Nährwert. Insofern ist, gattungsgeschichtlich
gesehen, das Ästhetische allerdings die spezifische Quelle des "Dings an
sich".
- Ästhetische Wahrnehmung unterscheidet
sich phänomenal von andern Arten des Wahrnehmens dadurch, daß hier das
Zur-Kenntnis-Nehmen von Sinnesdaten "uno actu" zusammenfällt mit
deren Bewertung; während beim ‚verständigen’ Wahrnehmen die Sinnesdaten zunächst
in Hinblick auf Begriffe (=vorgegebene Bedeutungskomplexe) geordnet, und erst
danach einem Urteil unterzogen werden. Das ästhetische Wahrnehmen erscheint
insofern als primitiv, mindestens naiv, gegenüber dem sachlichen Verstehen von ‚Etwas’.
Aber das ist eine optische Täuschung. Für den Verstand (cognitio) liegt die ‚Wertigkeit’ in der relatio des jeweils Wahrgenommenen mit anderen, früher
Wahrgenommenen; und muß also, qua Reflexion, erst erdacht werden: nachträglich.
Fürs ästhetische Wahrnehmen liegt der ‚Wert’ dagegen in der qualitas des Wahrgenommenen - und die
"zeigt sich" als solche. (Wenn Max Scheler sagt, "Wertnehmung
geht der Wahrnehmung voran", dann heißt das nur, daß sich die ästhetische
Wahrnehmungsweise apriori "immer schon" ins verständige Wahrnehmen
eingeschlichen hat - welches aposteriori kommt und allenfalls versuchen kann,
erstere kritisch zu exorzisieren.) Insofern ist ästhetisches Wahrnehmen nicht ‚primitiv’,
sondern ‚fundierend’; wenn auch nicht in jeglicher Hinsicht brauchbar.
1.
Platos „vollkommene Körper“ (Timaios)...
Vollkommenheit ist eine ästhetische Kategorie.
Was denn sonst?
Funktionalität mißt sich an einem jeweiligen Zweck. Wie ‚genau’ etwas funktionieren muß, ist eine Frage des Zwecks: Im wirklichen Leben reichen Grade des Ungefähr. Funktionalität hat ihr Maß außer sich. Was aber die Zwecke taugen, läßt sich nicht funktional bestimmen.
In der Logik gibt es richtig und falsch. Ihr Maß ist immanent: das richtige Verfahren, die formale Richtigkeit. Das Falsche ist nicht unvollkommen, sondern nicht-richtig. Was die Resultate jedoch selber ‚wert’ sind, ist keine Frage der Logik.
Vollkommenheit ist eine ästhetische Kategorie.
Was denn sonst?
Funktionalität mißt sich an einem jeweiligen Zweck. Wie ‚genau’ etwas funktionieren muß, ist eine Frage des Zwecks: Im wirklichen Leben reichen Grade des Ungefähr. Funktionalität hat ihr Maß außer sich. Was aber die Zwecke taugen, läßt sich nicht funktional bestimmen.
In der Logik gibt es richtig und falsch. Ihr Maß ist immanent: das richtige Verfahren, die formale Richtigkeit. Das Falsche ist nicht unvollkommen, sondern nicht-richtig. Was die Resultate jedoch selber ‚wert’ sind, ist keine Frage der Logik.
Vollkommenheit hat kein Maß außer ihr, aber
auch nicht in sich: sie hat kein Maß. Man könnte sagen, sie ist Maß. Ist sie
aber nicht. Denn dazu müßte sie bestimmt werden können, kann sie aber nicht
(denn wäre sie durch etwas, dann wär
sie nicht vollkommen). Sie ist keine Vorstellung, sondern eine Idee, qualitas qualitatium. Ihre Bestimmtheit ist eben, daß sie unbestimmbar ist;
ihr Wesen ist, daß sie fehlt. Sie ist
die ästhetische Idee schlechthin. Sie ist die Suche nach der ‚guten Figur’. Ist
sie gefunden, erweist sie sich nach längerer Betrachtung (sic) als
unvollkommen.
Die Idee der Vollkommenheit hat die Ethik
aus der Ästhetik geborgt; Vollkommenheit des Handelns ohne Absicht auf einen
Zweck; ‚Zweckmäßigkeit ohne Zweck’. (In der philosophischen Schulsprache wurde
die Idee der Vollkommenheit zum ‚Begriff’ des Absoluten substantifiziert; so
als ob es ‚sei’: Kant, De mundo
sensibilis atque intelligibilis... Bei Fichte: das logisch Absolute ist „vollständige
Wechselwirkung“.)
Und umgekehrt ist der Grund des Ästhetischen
ein ethischer: Etwas erscheint vollkommen, wenn es so ist, wie es sein soll.
(So läßt sich ein jedes Ding unter ästhetischem Gesichtspunkt betrachten: als
ob es so sei, wie es sein soll; wobei der Ursprung des Sollens ein Rätsel
bleibt.)
Der spezifisch ästhetische Name der
Vollkommenheit ist Schönheit. Das Schöne ist Bild des Vollkommenen. Paradox:
als dieses Bild ist es nur eines; ist
bestimmt; also unvollkommen: Bestimmung des Unbestimmbaren.
2. Definition
Kunst ist ein historisches Phänomen: Nicht-Arbeit.
Das Ästhetische: eine Erlebensweise; trans-ökonomisch.Poesie: die spezifische Qualität dieser Erlebensweise.
3.
Ich fahre in der Mark Brandenburg über
Land. Den ganzen Nachmittag war der Himmel bedeckt. Jetzt reißt an zwei, drei
Stellen die Wolkendecke auf und die untergehende Sonne guckt durch. Auf
braun-blau-schwarzem Grund ein paar Lichtflecken zwischen Gelblich-fahl und
Purpurrot. Das sieht aus, „als habe es was zu bedeuten“. - Bedeutung heißt in
Europa seit der Aufklärung: Zweck. ‚Zweckmäßig ohne Zweck' ist die aufgeklärte
Formel für Bedeutung ohne Bedeutung. Ein romantisches Paradox.
Klaus Glund / pixelio.de
Klaus Glund / pixelio.de
a) Das „Feld“ des Ästhetischen ist „konstituiert“ durch ein
Problem: nämlich „daß in unserer Einbildungskraft ein Bestreben zum
Fortschritte ins Unendliche, in unserer Vernunft aber ein Anspruch auf absolute
Totalität als einer reellen Idee liegt.“ Kant, Kritik der Urteilskraft in Werke (ed. Weischedel) Bd. X, S. 172
...daß nämlich auf dem ‚Bild’ „mehr zu
sehen“ ist, als es abbildet. Daß außer den (zahllosen) identifizier-, meß- und
mitteilbaren Merkmalen „am“ Bild (=den digitalisierbaren Punkten auf dem
Bild-schirm, Pixels) noch etwas „Anderes“ „erscheint“; also daß „am“ Sinnlichen
ein nicht-sinnlicher Überschuß „wahrnehmbar“ wird; nämlich (s)eine Bedeutung
(alias Das Transzendente). -
Namentlich die Gute Gestalt „sieht so aus,
als ob sie uns was sagen will“, das mehr
ist als nur ihr sachlicher Grund; etwa das Blattwerk der Pflanze; die aerodynamische
Form des Vogels; die Rundung des Bachkiesels... Mehr ist als Zweckform und
Ursache.
Das war schon
immer so. Aber es ist noch nicht immer aufgefallen. Sobald es aber auffiel
(den alten Griechen nämlich), nannte man es „das Schöne“ und setzte es sogleich
in ein logisch-genetisches Verhältnis zum Wahren; systematisch bei Plato/Plotin.
Übrigens nicht zuerst das Kunstschöne - bei Plato ausdrücklich nicht: Sein
Urbild des Schönen ist der schöne Knabe. Aber wiederum nicht, sofern er Natur (‚Werden’)
ist, sondern sofern er an der Idee (‚Sein’) „teilhat“*. So in der Reflexion. Für
Plato war der Knabe Inbild des Erotischen: ein außerästhetisches Motiv -
diesseits der Reflexion. Oder ist das Erotische selber der „Stoff“ des Ästhetischen?!
(In Platos - nachträglicher - Reflexion ist Eros der Drang zum Wahren und zum
Schönen; welches beides dasselbe ist.)
Die früheste „ästhetische Absicht“ glauben
wir nicht in den Menschendarstellungen zu erkennen (Venus von Willendorf),
sondern in Tierdarstellungen: Lascaux, Altamira. Ein Hinweis darauf, daß „das
Kunstschöne vor dem Naturschönen da war“? (Die bloße „Natur“ - Landschaft und
Stilleben (nature morte - die zwar „tot“, aber nicht „natürlich“ ist) - wird
erst sehr spät, im 16. Jahrhundert in Holland, zum Gegenstand der Kunst.) - Ist
aber Stilisierung allein schon „ästhetisch“**? (Dann auch bei der Venus von
Willendorf!) Auf jeden Fall hebt sie ‚am’ Gegenstand dasjenige hervor, was
seine (rituelle, mythische, logische, bedürfnismäßige) Bedeutung ausmacht! Ja,
aber nicht, dass ‚an’ den Dingen noch eine ‚Bedeutung’ haftet, macht das Ästhetische
aus, sondern daß sie als solche nicht
abgebildet, nicht ‚dingfest’ gemacht werden kann! Also daß man sie nicht
bestimmen kann. Zum Beispiel für die sexuelle Brauchbarkeit von Platos Knaben
ist deren Schönheit ganz unerheblich; für den Sex sind Frauen ohnehin ‚brauchbarer’;
daß er Knaben bevorzugt, mag selbst schon ein ästhetisches Motiv haben. Sonst müßte
er ja den „Grund“ des Schönen nicht erst im Jenseits suchen...
*) Das Wirkliche, „die Erscheinung“ heißt
bei Plato das Werden, die mindere,
unvollständige Seinsweise; Sein ist (ewige Form=) Idee - das, was „in Wahrheit“
ist; und das, was ‚das Werdende’ werden soll:
das, was es „bedeutet“.
**) Stilisierung = Entindividualisierung = ‚Wiederholbarkeit’;
äußerste Stilisierung: das ‚Zeichen für...’;
das allenthalben fungible ‚Bild von...’;
das ökonomisierte; d. h.: entästhetisierte, anästhetisierte Bild.
b) Erst seit wir uns ein Bild
von der Natur machen, können wir darin „mehr sehen“, als wirklich zu sehen ist;
daß also im Anblick der Natur etwas ‚erscheint’, was ‚hinter’ die Natur
hinausreicht. Daß sie ‚etwas bedeutet’. Sonst wäre die Natur nicht ‚schön’.
(Dem modernen Durchschnittsbetrachter
erscheint die abstrakte, geometrische Kunst des Neolithikums - Balearen,
Sardinien – ‚dürftiger’ als die paläolithische ‚Kunst’ in Lascaux usw. Der
springende Punkt ist aber: Hier ist die ästhetische
Absicht rein zu erkennen! Die Tierdarstellungen in den Höhlen sind ‚realistisch’,
weil sie einem bestimmten (magischen) Zweck zugeordnet waren... [oder doch
nicht? und was ist mit der neolithischen Kunst?])
[Übrigens: Nirgends in der paläolithischen
Kunst - weder die „Venus“-Figürchen noch die Tiere von Lascaux und Altamira -
erscheint „die Natur“ irgendwie bedrohlich; ganz im Gegenteil - wenn auch ein
bißchen rätselhaft. Ganz anders dagegen die schreckenden neolithischen
Steinplastiken auf den Balearen, Sardinien (Malta?); die stellen Menschen
dar(?); nach der Sedentarisierung!]
Def.: ‚Das Ästhetische’ ist eine sinnliche Qualität ‚an’ den Erscheinungen,
die „so aussieht, als ob“ sie (‚symbolisch’) ‚für’ eine andere, unsinnliche
Qualität derselben (!) stünde (‚darauf verwiese’), die als solche selber nicht
‚erscheinen’ kann.
Der Rätselcharakter des Ästhetischen:
Unsinnliche Qualitäten ‚gibt es’ in Wirklichkeit sowieso nicht. ‚Wirklich’ ist
nur das, was - irgendwie: in zweiter, dritter, vierter Instanz („Vermittlung“)
- operationalisierbar ist; das heißt „durch Praxis“ aus dem Stadium unsinnlicher
‚Latenz’ (dynamis: „Idee“) ins
Stadium sinnlicher ‚Aktualität’ (energeia:
„Werden“) überführt werden kann: „Man kann was damit anfangen“ (‚damit umgehen’,
sagt das Arschloch). - Bei den prima facie ästhetischen Qualitäten der Dinge
ist es eben zunächst („anschaulich“) unklar (cf. Erotik: Ausdruckswert, Sexualcharakter),
ob sie sich nicht am Ende wohl doch noch als „operationalisierbrar“, nämlich
irgendwie nutzbar erweisen, oder nicht. Das „rein-Ästhetische“ ist das, was
sich bis zum Schluß der „menschlichen Praxis“ als inkommensurabel behauptet und
dennoch weiterhin „über sich hinaus weist“; das, was ‚es’ nur als Erlebnis ‚gibt’. Es ist eben „schön“. [‚Erwiesen’ wird es
pragmatisch, qua Reduktion: ‚das, was übrigbleibt, wenn alles Brauchbare
abgezogen ist’.]
c) Umgekehrt: Was sich in der Erotik als am Ende nicht auf die Sexualfunktion rückführbar behauptet, ist „das Ästhetische“ daran. - Ja, aber wo die Grenze? Ist „Sexualfunktion“=Fortpflanzung? Oder ist die Sequenz Erregung-kleiner Tod-Erholung ein „Sinnliches, das auf ein Unsinnliches verweist“? Ist der Orgasmus die Grundform des „Ästhetischen“? Das „Erlebnis“, theoria, contemplatio, „Betrachtung“ schlechthin? Orientalische (indische, hinterindische) Kulturen scheinen dieser Auffassung zuzuneigen (Budulbudur, Angkor Vat usw.). Sie haben aber auch keine ‚autonome’ Kunst entwickelt. Analog: Weder Dionysos noch Aphrodite haben in der Bildenden Kunst der Griechen einen festen Platz: die orgasmischen Kulte waren ‚aktual’ und privat (=das, was an ihnen orgasmisch war; der kômos war öffentlich).
d) Wenn aber das Erleben selber zum Zweck wird (Unterhaltungsindustrie)?! Hört es auf, ‚ästhetisch’ zu sei, weil es mitteilbar ist? Dann wäre alle darstellende Kunst anästhetisch, auch alle musikalische Darbietung. „Ästhetisch“ ist (ggf.) das Erlebnis beim Endverbraucher; privat, singulär; als solches nicht kommunizierbar. Ästhetisch ist nicht der Datensatz (Notation, CD), sondern die erklingende Musik.
c) Umgekehrt: Was sich in der Erotik als am Ende nicht auf die Sexualfunktion rückführbar behauptet, ist „das Ästhetische“ daran. - Ja, aber wo die Grenze? Ist „Sexualfunktion“=Fortpflanzung? Oder ist die Sequenz Erregung-kleiner Tod-Erholung ein „Sinnliches, das auf ein Unsinnliches verweist“? Ist der Orgasmus die Grundform des „Ästhetischen“? Das „Erlebnis“, theoria, contemplatio, „Betrachtung“ schlechthin? Orientalische (indische, hinterindische) Kulturen scheinen dieser Auffassung zuzuneigen (Budulbudur, Angkor Vat usw.). Sie haben aber auch keine ‚autonome’ Kunst entwickelt. Analog: Weder Dionysos noch Aphrodite haben in der Bildenden Kunst der Griechen einen festen Platz: die orgasmischen Kulte waren ‚aktual’ und privat (=das, was an ihnen orgasmisch war; der kômos war öffentlich).
d) Wenn aber das Erleben selber zum Zweck wird (Unterhaltungsindustrie)?! Hört es auf, ‚ästhetisch’ zu sei, weil es mitteilbar ist? Dann wäre alle darstellende Kunst anästhetisch, auch alle musikalische Darbietung. „Ästhetisch“ ist (ggf.) das Erlebnis beim Endverbraucher; privat, singulär; als solches nicht kommunizierbar. Ästhetisch ist nicht der Datensatz (Notation, CD), sondern die erklingende Musik.
4.
a) Das Mehr, das das Bild ‚zeigt’, heißt [bei B. Croce] Ausdruck; nämlich sofern das ‚Bild’ auf seinen ‚überschießenden’ Bedeutungsgehalt nicht ‚verweist’ wie ein Zeichen, das für ein Anderes einsteht; sondern „es stellt ihn selber dar“. Er ist „auf unsichtbare Art sichtbar“. Aber nur so ist es überhaupt sichtbar, als „Rätsel“. [Was auf verschiedene Weisen, d. h. wiederholbar dargestellt wurde, ist ipso facto bestimmt. Das ‚Zeichen’ ist darum ein solches, weil es mehrere Individuis be/zeichnen kann. Das ästhetische ‚Bild’ (welches „mehr zeigt“) ist aber nicht ein Bild, sondern dieses Bild.]
[Nota. Adolf Portmann formuliert in der Biologie einen Gegensatz von Ausdrucks- und Erhaltungsprinzip.]
b) Die sogenannte Ausdruckskunst steht dazu im Gegensatz. Dort ist das ‚Gemeinte’ tatsächlich ein anderes als das Bild, das für es einsteht, und könnte, wenn man wollte, auch in ein andern Medium „gezeigt“ werden; welches Medium gewählt wird, ist willkürlich - und darum ist Ausdruckskunst Kitsch*: sie könnte auch unterbleiben, aber sie wurde bezweckt : Man merkt die Absicht und man ist verstimmt; die Ausdruckskunst drückt hauptsächlich die Absicht aus, Eindruck zu machen.
[Bei B. Croce ist ‚Schönheit’ der („gelungene“)
‚Ausdruck’ einer ‚Intuition’... Sprache ist darum eo ipso „Kunst“; wenn auch in
minderer oder größerer „Quantität“...]
*) in aller Regel; es sei denn, es kommt noch
was hinzu, was unbezweckt „mit unterlaufen“ ist und ihm darum eine authentisch ästhetische
Qualität gibt. - Ob Kitsch oder nicht, ist darum „auch“ eine Bildungsfrage,
weil der ästhetisch Erfahrene eher merkt, ob ein Ausdrucksmittel willkürlich
gewählt wurde - weil er es schon anderswo gesehen hat, oder weil er denselben ‚Gehalt’
schon in anderer Darstellung (womöglich in diskursiver) kennen gelernt hat. Was
er als faulen Trick durchschaut, kommt dem ästhetisch Unerfahrenen authentisch
vor. Der Autor wußte vielleicht selber nicht, daß es ein fauler Trick war. Das
nennt man dann nicht Kitsch, sondern „naive Kunst“. (Die industriell gefertigt „naive“
Kunst aus Kroatien ist (war) darum Kitsch; denn sie tun's - taten's - ja, weil sie's wußten.)
c) „Reproduktion ist Kitsch“... Das wäre, wenn die Reproduktion
die Sache wiederholte, welche im Bild „gemeint“ ist. Dann wäre sie ‚Zeichen’.
(Dazu eignet sich aber nicht jedes Bild; z. B. Heiligenbildchen). Der
Kunstdruck usw. wiederholt aber das Bild selbst. D. h. dieses Bild ‚gibt es’ nun mehrmals.
5.
Ästhetisch betrachtet (unterm Gesichtspunkt
des Schönen) sehen die Dinge so aus, als ob sie, über ihren
logisch-operationellen Verweisungszusammenhang mit den andern Dingen der Welt
hinaus, eine eigene Bedeutung an und für sich selber in Anspruch nehmen
wollten; also ohne Verweisung auf Anderes; ohne (durch anderes) bezeichnet
werden zu können. Indes, de singularibus
non est scientia. Ästhetisch steht ein jedes nur für sich, es kann darüber
nichts gesagt werden - man kann es lediglich ‚betrachten’. Anders gesagt, das
Ding-an-sich ist (s)ein ästhetischer Schein; oder, nur das, was „an“ dem Ding
als ästhetisch erscheint, ist „an sich“. (Das Ding an sich ist das Ding, wie es
ästhetisch erscheint; oder: An sich ist das Ding nur in ästhetischer Hinsicht;
in jeder andern ist es immer für
irgend ein anderes.- Die einzigen Qualitäten, die dem Ding ‚an sich’ zukommen,
sind die ästhetischen; freilich auch nur, sofern sie wahrgenommen werden. - Für
uns ist das Ansich nur als ein ästhetischer Schein...) Man kann sagen, ästhetisch
gesehen, ist das Ding über-bestimmt; singularisiert: bis zur Unbestimmtheit
bestimmt, da aus dem Zusammenhang ausgeschieden.
(Bestimmung = Lokalisierung im allgemeinen Verweisungsgeflecht des Sprachspiels)
In der ästhetischen Betrachtung erscheint aber der ästhetische Schein als Schein; insofern ist Kunst (als spezifisch ästhetische Praxis) „immer kritisch“; aber im transzendentalphilosophischen Sinn, nicht im politischen. Will sagen, sie ist ironisch, aber nicht satirisch. - Aller positiven Metaphysik ist das Ästhetische daher ein Ärgernis; weshalb sie es zu naturalisieren oder zu logifizieren sucht - oder beides zugleich, wie bei Hegel.
(Bestimmung = Lokalisierung im allgemeinen Verweisungsgeflecht des Sprachspiels)
In der ästhetischen Betrachtung erscheint aber der ästhetische Schein als Schein; insofern ist Kunst (als spezifisch ästhetische Praxis) „immer kritisch“; aber im transzendentalphilosophischen Sinn, nicht im politischen. Will sagen, sie ist ironisch, aber nicht satirisch. - Aller positiven Metaphysik ist das Ästhetische daher ein Ärgernis; weshalb sie es zu naturalisieren oder zu logifizieren sucht - oder beides zugleich, wie bei Hegel.
Nota. Ästhetisch wahrgenommen werden nicht die
Sinnenreize, sondern ihre Gestaltqualität; werden nicht perzipiert, sondern
konzipiert. Das Ästhetische ist keine sachliche Eigenschaft, sondern eine
Erlebensqualität.
6.
Ende des 19. Jahrhunderts gab's unter
deutschen Malern (d.h. Kritikern) den Streit von Sinnhubern und Formhubern.
Vorausgesetzt war: daß das Sinnhafte eo ipso im Sujet, Gegenstand, Motiv des
Kunstwerks angesiedelt sei: dem ‚Stoff’; alles andere sei ‚bloße Form’ und eo
ipso ohne Sinn. Aber daß ‚das Formale’ als die ästhetische Seite des Werks
selber dessen „Sinn“ ausmachen könne, kam nicht in den... Sinn. Der Witz ist
der: In der Geschichte der Kunst erleben wir, trivial gesprochen, eine stetige
Verschiebung der Gewichtung vom Motivischen zum Ästhetischen. Die ‚Bedeutung’
steht zu Anfang (Lascaux, Altamira) im Mittelpunkt des Interesses der
Kunstmacher; und wenn sie über bildnerische Tricks verfügen, die ihnen
erlauben, eine bestimmte „Wirkung“ beim Betrachter um so sicherer zu erzeugen,
so ist es Wirkung in Hinblick auf den außerästhetischen Zweck des Werks; bis
hin zum mittelalterlichen Heiligenbild. Der heutige Betrachter wird darin einen
„ästehtischen Reiz“ erkennen; aber so war er seinerzeit nicht gemeint: sondern
eben als Wirkungsverstärker. Die Herauslösung des ästhetischen Gesichtspunkts -
sei's Schönheit, sei's Erhabenheit - aus dem Geflecht sozialer Zwecke geschieht
erst in der Renaissance (Vasari), und macht die Entstehung von Kunst in specie
aus.
7.
‚Das Schöne ist ein Bild der Transzendenz.’
- Aber das Schöne ‚gibt es’ nicht; sondern nur viele Bilder, die erscheinen. Daß
‚es’ sich immer nicht festhalten läßt, sondern ewig neu gefunden werden muß,
ist eine Chiffre dafür, daß das Transzendente kein Positum ist, sondern... das
Gefühl eines Mangels. Nämlich das Gefühl, daß Stoffwechsel und Fortpflanzung „nicht
alles gewesen sein kann“. Daß das Leben sich nicht selbst genügt, sondern daß ‚etwas
da sein muß, das es wert ist, um seinetwillen das Leben zu führen’. Also daß das Leben seinen ‚Sinn’ (sensus = Richtung) außer sich findet. Ein Gefühl, bien sûr, das
sich erst einstellt, nachdem die Notdurft befriedigt war. - Das ästhetische
Erleben ist ‚gegeben’; mal so, mal so. In ihm ‚erscheint’ das Ungenügen an der
Immanenz des Daseins. In ihm erscheint der Anspruch eines Plus ultra. (Das
Wesen, das Absolute, der Sinn usw.)
8.
Das Ästhetische (‚Schöne’) ist der
Gegensatz zum Ökonomischen (‚Nützlichen’); d. h. es entwickelt sich als ein solcher. Es ist aber nicht der „bestimmte“
Gegensatz, sondern es ist vielmehr der Gegensatz des Unbestimmten zum
Bestimmten; des zu-nichts-Brauchbaren gegen das, womit sich ‚was anfangen läßt’.
Ein dynamischer Gegensatz. Nämlich nur in dem Maß, da das Bestimmte, bzw. das
Noch-zu-Bestimmende im wirklichen Erleben (historisch) einen Vorrang erhält (nämlich
in der Geschichte der Arbeitsgesellschaft) vor „all dem Andern“, wird aus der ‚bloßen’
Differenz der beiden eine spezifische;
wird aus der Masse des (ökonomisch) Indifferenten, ‚Zwecklosen’, dasjenige
Zwecklose ‚auserlesen’, das (ironisch!) so scheint, als ob es dennoch „einen
Zweck hat“ - als dessen counterfeit,
Konterfei, Parodie. Polemisch wird das Ästhetische erst, wenn und weil das Ökonomische
Überhand nahm. Das Ästhetische ist „das polemisch Nicht-Positive“. Anders: das
Bestimmt-Unbestimmte (Adorno). Das prägnant-Unbestimmte. ‚Bestimmt’ ist etwas
durch die Eigenschaft, die es mir bei der Verfolgung meiner Zwecke ‚zeigt’; nämlich
der Grad, in dem es sie fördert oder hindert. ‚Vollkommen bestimmt’ ist Etwas
dann, wenn es im (idealen) System aller möglichen Zwecke immer wieder nur auf
ein und dieselbe Weise ‚begegnet’ - nicht nur meistens; ab und zu; mal so mal
so... In einer schon weitgehend auf die ‚normalen’ Zwecke hin ausgelegten Welt
haben alle ‚normalen’ Dinge ihren Platz. Die Welt selbst ist zweckmäßig
eingerichtet, und ipso facto sind die Dinge, die in ihr vorkommen, bestimmt -
und bestimmen ihrerseit die ‚Welt’: „Wechselbestimmung“ findet statt immer nur
unter der Prämisse der Zwecke als des allgemeinen Tertium - dies das Wahre am
Pragmatismus. Aber es ist ein historisch Wahres; bloß! Es ist das Wahre der bürgerlichen
Gesellschaftsform. In ihr ist das Bestimmte das Normale; nämlich das Gewöhnliche.
Triviale. Selbstverständliche. Und daher Langweilige. Noch langweiliger ist höchstens
der indifferente Stoff, der erst der Bestimmung harrt: das
Noch-nicht-Bestimmte, das womöglich noch nicht einmal ‚zur Bestimmung bestimmt’
ist. Sobald es zur Bestimmung vorgesehen ist - vorbereitet zum Eingang in den
Arbeitsprozeß -, gewinnt es Relief: als Hindernis = Negative Bestimmung.
Praktische Umbestimmung = Arbeit; Produktion. „Ent“bestimmung durch Verzehr;
Konsum. Folgt: Mangel. Mangel an diesem
ist: bestimmter Mangel; Mangel bestimmt durch ‚dieses’. Bürgerlicher Alltag.
Banalität des Geschäfts.
Dem gegenüber bietet das
Unbestimmte-weil-nicht-Bestimmbare, das Zur-Bestimmung-nicht-Bestimmbare Prägnanz.
„Sensation“. Die Sensation ist das Ästhetische: Was das eine auf Griechisch,
ist die andre in Latein. Die Frage ist, ob die Sensation hält; vorhält; hält,
was sie verspricht... Denn nur, was die Erwartung der Bestimmbarkeit weckt,
kann dieselbe enttäuschen und als
Enttäuschung wahrgenommen werden. (Was gar nicht erst so aussieht, als könne es
zu Zwecken in ein Verhältnis treten, wird überhaupt nicht bemerkt.) Nur so ist
das Unbestimmte prägnant; nämlich als
unbestimmt. Allerdings wird am Ende der Arbeitsgesellschaft das Bestimmte
allenthalben erwartet. Da kann jede ungestalte Kacke momentan Sensation machen.
Wie der Beuys, so der Zladko. Und jede Obszönität in der Talkshow. Aber sie
enttäuscht die Erwartung, denn sie ist bestimmt… als Kacke.
Wäre der Gang der Geschichte der von einer verzweckten Welt in eine unverzweckte gewesen, wäre an ihrem Ende das Bestimmte das Prägnante; die Sensation; das Ästhetische. So ist es aber nicht gewesen. Historisch ist es, wie es ist. Am Anfang war das Chaos, in das ein Kosmos allmählich hineingebildet werden mußte. Den Booten, die sich der Küste bei Pästum näherten, sprang die gefügte Bestimmtheit des dorischen Tempels ins Auge: Der war die Prägnanz, die ungestalte Landschaft ringsum war Brache. (Dem Schiffsreisenden geht es, nach Stunden, Tagen eintönigen Meeres, noch heute so. Allerdings macht uns die Bucht von Neapel - mit Vesuv, Capri, Ischia - heut mehr Sensation als die Stadt.) - Übrigens ist der Gang der Vorgeschichte andersrum gegangen: Aus der Bestimmtheit des Regenwalds in die Unbestimmtheit der offenen Baumsavanne; aus der Nische in die Welt. Der gegenwärtige Übergang aus der Arbeitswelt in die [...?!] erinnert daran. Das Unbestimmte wird wieder prägnant und lockt; „Ästhetisierung der Welt“ wird das genannt...
[Ökonomisierung-Gebrauch-Bestimmung-Verwertung-Verwerktäglichung-Veralltäglichung-Banalisierung...
Verfremdung-Betrachtung-Entwertung-Enteignung-Ästhetik...]
9.
Das Ästhetische steht eo ipso in Gegensatz zum diskursiven Denken - insofern jenes Ökonomie der Vorstellung ist; nämlich als Produktion von bezweckten Ergebnissen (‚Schlüssen’) aus vorliegendem Stoff (‚Gründen’), und zwar sparsam: die Gründe müssen zureichen, aber man bemüht davon nicht mehr als nötig; beides zusammen: das Argument muß zwingend sein. Denn das bedeutet: jederzeit reproduzierbar.
Sieht man ab zuerst auf die Zwecke der
Vorstellung, ergibt sich das Bild der Teleologie. Sieht man dagegen ab auf die
hinreichenden Gründe, ergibt sich das Bild der Kausalität - beide sind Vorder-
und Rückseite desselben Vorstellungskomplexes, der sich, d. h. den wir
Rationalität nennen. In jedem Fall geht es um das Hervorbringen, Ableiten oder
Konstruieren der Vorstellungsgehalte; nicht, wie im ästhetischen Erleben, um
wahr&wertnehmen uno actu. Darum kann man es, anders als jenes, wollen - und muß es wollen, weil es „nicht von alleine kommt“.
10.
„Entfremdung“ - Die Entzauberung der Welt
sei (nach Max Weber) Charakter der Moderne, alias bürgerliche Gesellschaft:
Rationalisierung, Funktionalisierung; Fungibilisierung, „Aneignung“. - Es ist nämlich
so, daß sich der Mensch nicht „zu Hause“ fühlt in einer Welt, die nicht fremd,
sondern „seine eigne“ ist! Die Besonderheit in der Gattungsgeschichte von Homo,
der Kick, der die Hominisation ‚in Gang gesetzt’ hat, war sein Austritt aus dem
vertrauten Urwald in die fremde Baumsavanne Ostafrikas: aus der Umwelt-Nische in die Welt. Die fremde
Welt ist wesentlich reizend! Je
weiter die (‚ökonomische’) Arbeit die ‚Welt’ immer weiter zur bloßen Umwelt
fungibilisiert, banalisiert hat, umso mehr muáte die (`„sthetische') Kunst an
deren Fremdheit erinnern. Eibl-Eibesfeld mutmaßt, die weltweite (!) ästhetische
Vorliebe für den Landschaftsgarten
(von Claude Lorrain bis Japan) sei ‚nichts anderes’ als eine genetisch eingeprägte
Erinnerung an die ostafrikanische Baumsavanne vor 2 Mio. Jahren...
Das Ästhetische (zweckmäßig ohne Zweck) ist
also der bestimmte Gegensatz des Ökonomischen (zweckmäßig mit Zweck). Es ist
derjenige ‚Teil’ (‚Dimension’) der Welt, der nicht-angeeignet ist; nicht
beherrscht (quantitativ); nicht beherrschbar (qualitativ). -
Das Nicht-Beherrschte ‚zerfällt’ in einen
Teil, der „so angesehen wird, als ob“ er eines Tages beherrscht sein wird (und
ergo virtuell schon bestimmt ist), und einen andern Teil, der so erscheint, als
werde er nie beherrscht und nie bestimmt sein: als in bestimmter Weise
unbestimmt; und eo ipso als Rätsel. Dieser Gegensatz ist nicht ursprünglich.
Ursprünglich ist die ‚Welt’ nur eine.
- Nota:
Die Welt (wereld: dort, wo die
Menschen sind) ist eher da als die „Umwelt“! Der Mensch ist nicht nur das
einzige Lebewesen, das „Welt hat“, sondern auch das einzige, das ‚von Natur’ keine Umwelt hat (hat Pleßner übersehen).
Nämlich seit er seinen heimischen Regenwald verlassen und in die offene Savanne
„übergelaufen“ ist und eine vagante Lebensweise angenommen hat: Die Savanne ist
ihm keine „Umwelt“, ist keine „Nische“ [er hat sich ihr nicht durch ‚natürliche
Zuchtwahl’ evolutiv angepaßt], sondern der Weg
zwischen den möglichen Nischen; Zwischenraum, in dem er sich immer nur vorübergehend
niederläßt, aber nicht einrichtet! In ihr bleibt er immer „fremd“, aber in
unbestimmter Weise, weil er den bestimmenden Gegensatz „Zuhause“ (noch) gar
nicht (mehr) kennt. [Erste (?) Fixpunkte: die rituell genutzten und bemalten Höhlen!
Auch erste „Kunst“: Ästhetik jenseits
der alltäglichen ‚Welt’...] -
Eine ‚Umwelt’, in die er ‚hineinpaßt’, weil er hinein gehört, muß er sich erst selber schaffen: Seßhaftigkeit, Ackerbau, Arbeit! Retour à la case départ: Dort, wo er arbeitet, ist die Welt bestimmt, oder immerhin bestimmbar. Was jenseits der Arbeit („Praxis“) liegt, läßt sich allenfalls betrachten („Theorie!); welches die ästhetische Anschauungweise ist. -
Die Vorstellung des positivistischen
Jahrhunderts: den Raum der Arbeit ausdehnen, bis er mit den Grenzen der Welt
zusammenfällt; „Entzauberung“, sagt Max Weber. Die Welt aneigenen: Zu meiner Umwelt fungibilisieren; „bestimmen“.
(DDR!)
Und was
nicht-bestimmbar ist, läßt sich nicht ex ante definieren, sondern nur ex post praktisch erweisen, negativ: indem
man das Bestimmen versucht und daran scheitert. Was das Ästhetische sei, „zeigt sich“... Zuerst war die Welt nur
unbestimmt. Ihren Rätselcharakter gewinnt sie mit fortschreitender Bestimmung -
als der widerständige Rest, caput mortuum; und der wird eo ipso immer
bestimmter - als unbestimmt; d. h.
als Rätsel...
11.
11.
Das Kunstwerk sei das „Bestimmt-Unbestimmte“ (Adorno, Ästhetische Theorie, S. 113)... Richtiger: das als-unbestimmt Bestimmte; ein Negativum als Positives. [Bestimmtheit ist das Genügen in der Immanenz; Bestimmen=in-der-Immanenz-genügen-machen = Arbeit; vgl. 5.] In diesem ‚als-unbestimmt-bestimmt’-Sein gewinnt das Un- eine polemische Wendung: und wird zum Anti-Bestimmten; was nur einen Sinn hat, wenn oder sobald die allgemeine Erwartung herrscht, daß „eigentlich“ Alles bestimmt sein müsse. Also sobald die positiven Wissenschaften begonnen haben, das alltägliche Weltbild der Menschen zu prägen. ‚Das Ästhetische’ ist kein Fundamentalfakt des Menschlichen, sondern wird es(!).
Hier daran zu erinnern: Das ‚Bestimmte’ ist
das Zweckmäßige! Die Welt kann dann positiv
erscheinen, wenn allgemein die Erwartung habituell geworden ist, daß alles seinen Zweck hat. Und das ist „der
Fall“ erst in der bürgerlichen Gesellschaft. [Berkeley leitet die Schönheit
ausdrücklich aus der Nützlichkeit ab.] Etwas Besonderes - nämlich was man vom
Regelfall unterscheiden kann - ist der Anschein einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck
ebenfalls erst in dieser; weshalb - quod erat demonstrandum - eine thematische
Beschäftigung mit Ästhetik (und das Wort selbst) erst mit dem Sieg der bürgerlichen
Gesellschaft beginnt...
12.
12.
„Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung“; Schiller. Soll heißen,
die Erscheinung ist durch nichts anderes ‚bestimmt’ als durch ‚das, was’ in ihr
erscheint. ‚Das dem Was adäquate Wie’, oder ‚Einheit von Form und Stoff’ (=was
sonst gar nichts heißen kann; und übrigens auch nur dann einen Sinn hat, wenn „Stoff“
etwas Gemeintes ist, eine intentio,
eine Absicht; und eo ipso eine Handlung zu ihrem ‚Grund’ hat: nämlich
erscheinen will). - Also: was ‚sich-selbst
zur Darstellung bringt so-wie-es-ist’ - in einem Medium zwar, doch ohne Rücksicht
auf ein Drittes (namentlich nicht auf einen äußeren Zweck) - das nennen wir schön. Die freie Darstellung ‚seiner
selbst’ ist darum insbesondere nicht: Arbeit [denn die geschieht
um-jemandes-willen...]
Darum stört beispielsweise beim
Koloratur-Gesang (oder bei Bach) nicht die „Künstlichkeit“ als solche, denn
Kunst ist eben nicht ‚natürlich’; sondern der Eindruck der Mühsal - wenn man nämlich
die Anstrengung (und die jahrelange Übung=Arbeit) hört; denn da erscheint nicht
Freiheit, sondern Fremd-Bestimmung. - Die besondere Schönheit von Knabenstimmen:
der Eindruck der Leichtigkeit, der selbst die affigen Manierismen einer
Bach-Motette erträglich macht. Und der es macht, daß der Ausdruck nicht gewollt
klingt (und also kitschig): weshalb sie allein nicht nur die schwülstigen
Bach-Texte, sondern selbst deutsche Volkslieder singen können, ohne daß einem
dabei schlecht wird...
13.
[Exkurs]: Außer im Abendland ist es auch in
Japan und China zu einer spezifisch ästhetischen Kunst gekommen! (Pierre de touche: Landschaftsmalerei und
Stilleben!) ‚Zweckmäßig ohne Zweck’?! [Allerdings bleibt die Malerei immer (?)
mit der Schrift verbunden; Kalligraphie!]
Für Japan kann man sagen: analoge
Entwicklung von Feudalität zu bürgerlicher Gesellschaft... Aber nicht für
China! Überhaupt ist die japanische Kultur nur zu verstehen durch den „apriorischen“
Einfluß Chinas! Wäre die Analogie zur bürgerlichen ‚Zweckmäßigkeit ohne Zweck’
die Oberherrschaft des Taoismus? „Schönheit eines jeden Dings“ als Abbild der „All-Harmonie
des Einen und Ganzen“? [Arbeitsgesellschaft ist die chinesische Zivilisation
aber sicher noch mehr als die japanische! Tao ist die Bauernphantasie von ‚der
Natur’ als Landwirt; Ökonom; Haushälter]
Immerhin gibt es schon im vor-abendländischen,
aber „betrachtenden“ (‚okularen’) Griechenland ein spezifisches (ausdrückliches,
reflektiertes, problematisches...) Interesse für ‚das Schöne’ - ggf., d. h. bei
Plato, sogar gegen die ‚Kunst’! Ästhetische
Anschauung der Griechen: Schönheit als Abzeichen für [seinen] Platz (méthexis) in der kosmischen Ordnung...
(Aber keine Landschaften oder natures
mortes; „das Schöne“ ist menschliches Privileg; Platos ‚Sokrates’ redet von
menschlichen (Knaben-) Körpern und von... Vasen etc.)
[But what about die - nach Gf. Yorck
- ebenfalls ‚okularen’ Inder? Gibt es dort - bei den Hindus - eine
nicht-kultische und - bei den Moslems - eine nicht-illustrative Kunst rein „schönheitshalber“?
Ist die Antwort darauf evtl. Geschmacks-Sache?!]
[Nota.
Bei Kant ist die Ornamentik (Islam!) der Inbegriff der "freien" Schönheit:
pulchritudo vaga. Was aber ‚Gegenstände
abbildet’, nennt er gebundene (gefangene) Schönheit. Gadamer mutmaßt, das sei
ein Kniff, um später zur Definition der Kunst das "Genie"
herbeiziehen zu können ("müssen").]
14.
Sinnlich = in Raum und Zeit = endlich; was ‚für’
die Sinne ‚dargestellt’ ist: Sehen, Hören, Befühlen, Riechen, Schmecken. Was für
die Sinne dargestellt ist, läßt sich durch die Sinne darstellen: abbilden; d.
h. eingrenzen und bezeichnen: durch eine Zeichnung bestimmen. Kriterium des
Sinnlichen ist seine Reproduzierbarkeit. [Analog: ‚bewußt’ ist das, was ich in
meinem Gedächtnis wiederfinden= reproduzieren kann; was dort fürs Bw. dargestellt war...] Ist das
pragmatische Kriterium aber auch das logische „Wesen“? Immerhin ist das
pragmatische Kriterium historisch „früher da“ als das logische Wesen: Erst das,
was sich beim Versuch der Reproduktion der sinnlichen Darstellung ‚verweigert’,
erscheint als - das Ästhetische; nämlich
ein übersinnliches Mehr. [s. 1.]
Das Symbol ist ein Bild, aber kein Abbild.
Das Abbild zeigt „das, was“ es abbildet. Das Symbol „zeigt“ etwas Anderes als „es
selbst“: das, was es bedeutet; nämlich
das, worauf es (wem?!), unabhängig von seinen zufälligen Formvarianten, „eigentlich
ankommt“ (z. B.: wozu man es verwenden kann). Ließe die „Bedeutung“ sich abbilden, bräuchte man sie nicht zu
symbolisieren.
Durch das Symbol wird die übersinnliche Bedeutung dem Ding angeheftet. Durch dessen regelmäßigen Gebrauch im Sprachspiel wird die Zusammengehörigkeit von Ding-Symbol-Bedeutung gewohnheitsmäßig verfestigt; wird der prozessierende Verweisungszusammenhang mit den andern symbolisch-bedeutsamen Dingen bewährt. Schließlich gewinnen, qua Symbolisierung, die Bedeutungen der Dinge „Wirklichkeit“ vor den Dingen selbst - und die Welt als Inbegriff der Bedeutungen gewinnt Realität vor der dinglichen Welt; was Kant dann den „dialektischen Schein“ nennt...
Durch das Symbol wird die übersinnliche Bedeutung dem Ding angeheftet. Durch dessen regelmäßigen Gebrauch im Sprachspiel wird die Zusammengehörigkeit von Ding-Symbol-Bedeutung gewohnheitsmäßig verfestigt; wird der prozessierende Verweisungszusammenhang mit den andern symbolisch-bedeutsamen Dingen bewährt. Schließlich gewinnen, qua Symbolisierung, die Bedeutungen der Dinge „Wirklichkeit“ vor den Dingen selbst - und die Welt als Inbegriff der Bedeutungen gewinnt Realität vor der dinglichen Welt; was Kant dann den „dialektischen Schein“ nennt...
Das Wort (Klangbild) ist ein Symbol. Die
Sprache ist ein System von Symbolen; System im Vollzug, indem sie gebraucht
wird in der Sprachgemeinschaft; „Sprachspiel“; diachronisch. Es läßt sich aber
als System darstellen, synchronisch: als kodifizierter Verweisungszusammenhang.
Doch jeweils nur als endlicher
Verweisungszusammenhang: Lexikon, Grammatik, „Logik“. Das Wort „bezeichnet“,
benennt ein Ding als „das, was“ es ist; aber das Ding kann selber Symbol sein:
etwas „bedeuten“, das sich seinerseits nicht „endlich darstellen“ läßt;
Gedankending, „Begriff“. - Das gilt für das System der Sprache selbst: Es „sieht
so aus, als ob“ es Alles umfaßt. „Die
Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, Tractatus [5.6] [aber was heißt hier „bedeuten“? Bezeichnen? „Darstellen“?
„Sein“?] Die Besonderheit dieses Systems ist, daß es - historisch und logisch!
- unbegrenzt erweiterbar ist. Es ist Bild der Welt. In der Welt sind nicht nur die Dinge,
die die Wörter benennen, sondern auch ihre... (und andere) Bedeutungen! Die Sprache ist ein (historisch je) endliches Symbol für
ein „unendliches“ Ding. Nicht nur können immer neue Wörter eingefügt werden; es
können auch neue Sätze gebildet werden, in denen die Wörter neu verwendet, „umgewidmet“,
d. h. umgedeutet werden. Denn sie sind Symbole, Bilder, keine Abbilder. - Und sie können auch sinnwidrig verwendet
werden: „uneigentliches“ Sprechen z. B. Man kann die Wörter regelwidrig
verwenden: das „Spiel“ stören. Sprach-Spielverderber.
15.
Wir leben in zwei Welten; der Welt der
Tatsachen und der Welt der Bedeutungen. Die Bedeutung ist die Art und Weise, in
der die Dinge uns „vorkommen“. Dinge, die nichts bedeuten, nehmen wir gar nicht
erst wahr. Allerdings weiß man nicht immer, was sie zu bedeuten haben. Dann
werden sie als Frage bedeutsam, auf einer Skala zwischen Gefahr und Versuchung.
Nur in der Reflexion kann man von der Art ihrer Gegebenheit absehen und sich
denken, daß „es“ sie vielleicht auch unabhängig von ihrer Bedeutung „geben“ könnte.
Freilich - vorstellen, was das dann bedeuten soll, kann ich mir schon nicht
mehr. Der Philosoph sagt es so: Von einem Ding an sich könne man nichts wissen.
Wir kamen nämlich alle auf eine Welt, die
von den Generationen vor uns längst ausgedeutet wurde. Alle Dinge haben schon
ihre Namen, und die klingen so, als sagten sie etwas über deren Wesen. Sie sind
nicht bloße Zeichen für dieses oder das, sondern sie weisen uns auch an, wie
man sie verwenden soll: denn sie gehören zu einer Sprache. In deren lebendigem
Zusammenhang bedeuten sie sich
gegenseitig. Sie zeigen uns an - nein, nicht was die Dinge sind, sondern was
man aus ihnen machen kann. Nicht die Sprache selbst, aber Sprachlichkeit ist
dem Menschen angeboren - als eine faktische Bedingung seiner Art der „Wahr“-Nehmung.
Denn er hat „von Natur“ (und das heißt hier: erworben im Laufe seiner
selbst-gemachten Gattungsgeschichte) zwei Regionen im Gehirn, die für ihr
Sprachvermögen zuständig sind; eine - die vordere - für die technische
Verfertigung von Wörtern und Sätzen mit Kehlkopf und Mund, und die zweite,
hintere, für die Vorstellung. Die sprachliche Repräsentation der Welt ist nicht
etwas, das dem Kind im Laufe seiner Entwicklung quasi von außen beigebracht
wird. Umgekehrt; ihm würde vielmehr etwas fehlen, wenn ihm (wie etwa bei
Taubgeborenen) die entwicklungsgeschichtlich vorgesehenen Wörter nicht
mitgeteilt würden, auf die es seine Sprachfähigkeit abgesehen hat. Nicht dieser
oder jener Sinn, aber die Sinnhaftigkeit der Welt ist ein Apriori der
Wahrnehmung selbst. Der logische Schein, der der Welt durch unsere primäre
Sprachfähigkeit zugedacht wird,
strahlt in den vorsprachlichen Raum zurück. Die Experimente über
Gestaltwahrnehmung haben gezeigt, dass unser Gehirn die elementarsten
Sinndeutungen (oben/unten, größer/ kleiner, vorn/hinten u.v.m.) noch vor allem
Eingreifen des Bewußtseins vornimmt; als Erbe unserer Stammesgeschichte. Raum
und Zeit und das meiste, das in Kants Kategorientafeln vorkommt, gehören zu
jenen neunundneunzig Prozent, von denen die Evolutionäre Erkenntnistheorie
spricht.
Der aufrechte Gang hat den Horizont des Menschen erweitert. Er gewann Überblick, er wurde mobiler. Und die Dinge selbst bekamen eine neue Dimension: Sie waren zuhanden, seit er seine Hände erheben konnte. Damit sie aber auch vorhanden werden konnten, nämlich für die Vorstellung; als der Inhalt einer Welt, in der sie und durch sie eine Bedeutung haben - damit sie Gegenstände werden konnten, mußte etwas hinzu kommen. Intelligenz heißt, dem Wortsinn nach, nicht nur Überblick, sondern Durchblick. Woher kommt die Gewohnheit, an und in allem, was der Wahrnehmung begegnet, einen Sinn zu erwarten? Was, genauer gesagt, unterscheidet die Sprache der Menschen von den Kommunikationssystemen anderer Lebewesen?
Zunächst und offenkundig ist Sprache ein
Medium der Mitteilung. Informationen werden von einem Individuum in das andere übertragen.
Mit hörbaren Klängen, sichtbaren Bewegungen, riechbaren Aromen, Druck und Stoß.
Auch die Übergabe eines Gens von einem Organismus an den andern ist Mitteilung.
Insofern hat alles, was lebt, irgendwie „Sprache“. Die eine ist reichhaltiger,
die andere dürftiger.
Sprache ist aber auch Ausdruck - sagen wir
vorsichtig: von inneren Zuständen. Besser, von inneren „Bewegungen“; denn was
nach außen drückt, ‚steht’ ja wohl nicht. Nur ein bewegtes Erleben will „sich
ausdrücken“. Was aber reguliert, bestimmt, prägt oder erregt das Erleben? Es handelt sich „letzten Endes“ um neuronale
Vorgänge. Ganz prosaisch gesagt: um elektrische Ströme zwischen den Zellen des
Gehirns. Welche Meldungen bis dorthin gelangen, wird zunächst einmal vom
sensorischen Apparat des Individuums ausgesucht und vorsortiert. Dann wird es über
die Nervenbahnen an die Gehirnregionen weitergeleitet, zu denen sie „gehören“.
Dort wird dann alles zu einem Bild zusammengesetzt.
Irgendein inneres Bild macht sich jedes Wirbeltier - denn es verfügt über einen Knoten, in dem die Nervenstränge zusammenlaufen, eine Art Gehirn, und sei es noch so rudimentär. Die Zecke unterscheidet nur hell und dunkel und warm und kalt. Dunkel heißt: Hab Acht, etwas nähert sich. Warm heißt: Es ist ein Tier. Sie springt, sticht und saugt sich fest. Das ist der Sinn ihres Lebens: eine einfache Folge von Reizen und Reaktionen. Dafür braucht sie kein Bild - und kein Gehirn. Für die Zecke „gibt es“ nur Hell und Dunkel und Warm und Kalt, aber keine Welt (und nichtmal eine Umwelt). Das Leben der Wirbeltiere ist komplexer. Viele verschiedene Reize rufen nach vielen verschiedenen Reaktionen. Die müssen integriert werden, damit sie einander nicht durchkreuzen. Diese Abstimmung leistet das Gehirn. Die Erfahrung aller vergangenen Generationen hat ihm ein Interpretationsmuster eingeprägt. Das ist seine Welt. Es „hat“ sie; allerdings weiß es nichts davon. (Und darum ist sie nicht ‚Welt’, sondern Umwelt.)
Und je umfassender die
Integrationsleistungen, die das Nervenzentrum zu erbringen hat, um so reicher
die Welt. Wir gelangen zu einer Tautologie: Je komplexer das Gehirn, um so weiter
die Welt. Je weiter die Welt, umso komplexer das Gehirn. Doch tautologisch ist
das nur, wenn man es wiederum - statisch betrachtet. Vom Australopithecus bis
zum Homo sapiens hat sich das Gehirnvolumen mehr als verdreifacht (von ca. 260
ccm auf ca. 900 ccm), und die Anzahl seiner Zellen hat sich dabei exponentiell
vermehrt. Eine völlig neue innere Struktur hat sich gebildet, Regionen sind
entstanden, die es bei keinem anderen Lebewesen gibt. Und darunter die Quelle
all unseren Hochmuts: der Neocortex, die sprichwörtlichen kleinen grauen
Zellen. Mehr Hirn eröffnet mehr Welt, mehr Welt fordert mehr Hirn. Das ist
keine Tautologie, sondern eine (dynamische) Wechselwirkung. Die Besonderheit
der menschlichen Sprache ist nur, daß sie die neuralen Vorgänge im Gehirn nicht
nur (medial) ausdrückt, sondern auch (symbolisch) abbildet. Wir haben nicht nur
ein Bild von der Welt, sondern wir wissen es auch; und wir wissen, welches. Wir
können es uns im eigentlichen Sinn, nämlich mit Absicht und mit Freiheit,
vor/stellen. Reflexion ist nicht - nach dem anschaulichen Einbilden - sozusagen
der zweite Arbeitsgang des Denkens. Sie ist seine zweite, die erste überall
verdoppelnde Dimension.
Bedeutung ist „nichts anderes als die Verwendung eines Worts im Sprachspiel“. - Vertrautheit bedeutet für eine Intelligenz, deren ‚Weltgewärtigkeit’ durch Sprachsymbole vermittelt ist, daß eine Sache im Sprachspiel „ihren Platz hat“; er ist ihr so „angestammt“ wie die Sprache dem Individuum. Sofern aber das Sprachspiel dynamisch ist, System in processu, ist jede Vertrautheit relativ; nämlich relativ zur Vetrautheit von allem andern.
Die Welt als Verweisungszusammenhang im
Sprachspiel ist das Gewöhnliche; das selbstverständlich-Geläufige, dessen
Zugang „uns durch seine Alltäglichkeit verstellt“ ist: Redundanz, wo es doch
eigentlich ‚das Wichtigste’ wäre! Sie ist Grund.
Tiefpunkt [Flachfleck]: die Hilfsverben sein
und haben, die gewohnheitsmäßig wie
Kopula verwendet werden; so daß, ‚was wesentlich zu einander gehört, nur zufällig
auf einander bezogen’ erscheint; „das Rohe [Vulgäre] schlechthin“, nach Marx
[ad Wagner]. Doch je seltener eine Figur im Sprachspiel vorkommt, je mehr sie „an
seinem Rand“, an seiner Grenze (zum Absurden) vorkommt, umso ‚bedeutender’ (informativer)
wird sie wiederum; in Sonderheit das ‚uneigentliche’ Sprechen: Metaphorik und
Ironie; die ‚Grenze’ selbst ist das Paradox.
Indes - die Gegebenheit im Sprachspiel,
durch das Sprachspiel, ist eine sekundäre Gegebenheitsweise. Eben Vermittlung.
Darum ist die Vertrautheit Schein. Das uneigentliche Sprechen ‚sieht darauf ab’,
diesen Schein zu zerstreuen. Die sprachlich vermittelte Welt ist nicht der
Rohstoff (materia prima) unserer Wahrnehmung.
Also: Die Sprache der Menschen
unterscheidet sich von den ‚Sprachen’ aller anderen Lebenwesen dadurch, daß sie
nicht nur je einzelne ‚Informationen’ übermittelt, sondern sich in ihr zugleich
ein Bild von der Welt mitteilt; als Meta-‚Information’ vom einen an den andern
weitergegeben werden kann, und auch von einer Generation an die nächste; so daß
[jenes] nicht individuell und sterblich, sondern kollektiv und „lebendig“ ist:
nämlich von einem jeden Individuum bereichert; und eben das ist Kultur in
specie.
16.
Das Elementardatum unserer Gewärtigkeit
(Gewahrseins, Zur-Welt-Seins...) ist weder die Vorstellung (im Symbolsystem: „Denken“)
noch die Wahrnehmung („Sinnlichkeit“). Beide werden erst nachträglich in der Reflexion (=durch das „Eintreten“ der
sprachlichen Repräsentation!) von einander geschieden. Und schon gar nicht so,
daß „erst“ die sinnliche Wahrnehmung „da“ wäre und „dann“ die Vorstellung „hinzukommt“.
Sondern zuerst ist immer Erleben „da“. „Erlebnis“ wäre schon zu viel gesagt:
zunächst einmal ein „Strom“ in einem „Feld“, aus dem gelegentlich Einzelnes „herausragt“,
weil es Aufmerksamkeit erregt - oder
es erregt Aufmerksamkeit, weil es „irgendwie“ herausragt, wie die Figur aus
ihrem Grund. [„auffällig“: vgl. A. Gehlen, Anthropologische
Forschung, S. 119] Was aber ist es,
das einzelne Momente auszeichnet in
(zeitlich) dem „Strom“ oder (räumlich) dem „Feld“? Schon das Feld selbst ist konstituiert von einem wie auch immer
geringen Grad von Aufmerksamkeit, und wenn sich ein Moment abzeichnet, dann immer, wenn und weil sich die
Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat. Ja, aber warum? Weil sie Qualitäten (Washeiten)
„erkennt“, die sie von Anderm unterscheiden kann; weil sie nicht so sind, wie
(all) das Andere; also eine Information
unterscheidet von einer (relativen) Nicht-Information, Redundanz. Ein
Hier-jetzt-nicht-Erwartetes von einem Sowie-so-schon-Dagewesenem. [Insofern ist
Neuheit doch eine ästhetische Qualität! cf. Burke] Und später dann wird auf das
So-Ausgezeichnete geachtet, ob, wann und wo man es wieder erkennt. Jetzt wird
es erwartet, und wenn ‚es’ sich nicht wieder ‚ereignet’, dann ist das die Information. Also alles ‚Neue’
ist informativ, und eo ipso interessant. Also das Erlebnis ist die unmittelbare
Gegebenheitsweise dessen, was ‚einem unbeteiligten Beobachter’ als Ereignis vorkommt - und also auch der
Reflexion, in der ‚ich’ ‚mich’ anschaue, ‚als ob’ ich ein Anderer wäre.
..."Wahrgenommen" wird immer nur eine Figur in einem Grund. - Die Figur ist immer eine Störung des Grundes. D. h. nur als Störung "ist" sie Figur. Figur und Grund ‚verhalten’ sich nicht "dialektisch": Sie "bedingen" einander nicht! Zwar "gibt es" keine Figur ohne Grund, aber es gibt einen Grund ohne Figur. Nur "ist" er dann kein Grund. Aber er ist auch nicht Nichts. Er ist... "Strom", unausgezeichnet, unbeachtet. Er "ist", aber er bedeutet nichts. Erst wenn er als "das, was" er "ist" - nämlich nichts Bedeutendes - gestört wird, wird er etwas. (Das Auge "sieht" eine ungeordnete Fläche, aber es "nimmt" sie nicht "wahr"; es kann darauf nicht verharren; es "flackert", sucht nach einem "Anhalts-Punkt"; und wenn es keinen findet, halluziniert es ihn in die Fläche hinein - und "widmet" sie ipso facto zu einem Grund "um".)
- Die Erwartung eines Sinns im Meer des
Sinnlosen; die Erwartung einer Figur im wüst-Unbestimmten ist so tief in unsere
mentale Dispostiton eingeprägt, daß gewisse optische Texturen - von Kandinski über
Mondrian bis Pollock - ihre ästhetische Kraft gerade aus dem Verstoß gegen die
Erwartung, aus ihrer Enttäuschung gewinnen.
... Erlebnis
ist immer singulär und eo ipso qualitativ. (Quanta „erscheinen“ erst im Vergleich;
also in der Reflexion auf anderes. Aber ‚Figur im Grund’ ist keine Relation,
sondern ein Komplex (datum uno actu);
erst die Reflexion „erkennt“, daß der Grund auch ‚allein’ da wäre, wenn...;
setzt also beide in Beziehung.)
17.
Erst die Sprache scheidet sinnfällig von bedeutend: indem sie ein mittleres Feld konstituiert, in welchem
Bedeutung dem phänomenal (sinnfällig) Gegebenen qua Symbol (Begriff) apriori
angeheftet, zugedacht,‚zugerechnet’ ist. Reflexion, als die reguläre Einordnung
der ‚Erscheinung’ ins ‚System’, ist im Sprachspiel habituell geworden. Und
ebenso die Scheidung von Ich und Welt: insofern nämlich das Ich als einziges
nicht apriori in symbolischer Form „gegeben“ ist, sondern andauernd zuerst
erlebt und nur à contrecoeur ‚symbolisiert’
wird; darum auch keine apriori gegebene Bedeutung ‚hat’! Es gehört nicht zu diesem Zwischenreich,
Mittelfeld, „Halbwelt“ des Sprachspiels. [‚Der Grund des Systems kommt in ihm
nicht vor.’] Ich ‚erlebt’ immer nur eine gewohnheitsmäßig schon-bedeutende
Welt. Aber weil und soweit es nicht selber dazugehört,
erlebt es auch mehr als diese! Die Zugehörigkeit zum Sprachspiel ist eben eine
relative: Vertraut ist, was oft darin vorkommt („fester Platz“); aber was zu
oft darin vorkommt, verliert seinen „Platz“, ist ‚überall und nirgends’ und
wird so unbedeutend. „Recht eigentlich“ bedeutend ist vielmehr das, was bislang
noch nicht darin ‚vorgekommen’ war; es wird zum Erlebnis par excellence (durch
die Sprache: ohne sie wäre es bloß
Erlebnis); zum bedeutenden Erlebnis...
Und als solches konstituiert es das Reich
des Ästhetischen. Mit der Sprache läßt es sich nur uneigentlich darstellen -
Metapher, Ironie, Paradox.
18.
Damit etwas „etwas bedeuten“ [=damit darauf
reflektiert werden] kann, muß es erst fremd geworden sein. Denn die bloße Erscheinung erscheint, und damit [ist
es] gut. - Was oder wie die ‚Sache’ gewesen sein mag, bevor sie bedeutend/fremd
geworden ist, ist eine ebenso sinnlose Frage wie die nach dem Ding an sich. In
der Geschichte von h. sapiens hat es das nie gegeben; nämlich sofern er sapiens
ist. Im übrigen „gibt es“ in der Lebenswelt der Tiere mindestens ebenso viel,
das sie ‚noch nicht kennen’, wie das, was sie kennen. [Aber sie ‚nehmen’ es
nicht als dieses ‚wahr’, sondern nur
als etwas. {nichtmal!}]
Die Idee einer schlechthin vertrauten, selbstverständlichen Wirklichkeit ist
eine Utopie der Arbeitsgesellschaft! Keine verlockende, à vrai dire. Sie wäre nämlich
die anästhetische, unästhetische Welt und sähe etwa so aus die weiland die DDR.
[!]
Verfremdung ist das Wesen
der Kunst: das alltäglich-selbstverständlich-Banale anders-machen; vulgo
Ironie. (Darum kann nicht jeder Staat sich eine Staatskunst leisten; aber die
es können, brauchen sie nicht.)
19.
I. Schönheit wäre, nach Plotin-Platon, die Teilhabe der Dinge am
All-Einen, méthexis; Grade der Schönheit
= Grade der Teilhabe. Renaissance (Marsilio Ficino; Leone Ebreo); Klassik!
Ein Ding ästhetisch betrachten: es so
betrachten, daß hinter seiner
so-und-so-Bestimmtheit sein „Anteil“ an der unendlich-zu-bestimmenden-Unbestimmtheit
„ersichtlich“ wird; immerhin für die, die sehen
können. Daher der Appell-Charakter des Schönen (vgl.
Ficino: kálos von káleo, ich rufe an): es „fordert“ zu
(weiterem, aber endlosen) Bestimmen „heraus“. - Und das nennt man poetisch.
Moderne, Romantik: Eine Zeit, die sich das
All-Eine nicht länger als heil
(=harmonisch) vorstellen kann, sondern nur noch zerrissen, als sinnloses, disparates Chaos, wird die „Teilhabe“ der
Dinge daran nicht länger „schön“ nennen wollen! Und eben diese Sicht der Dinge
und der Welt wird von nun an „die ästhetische“ (die poetische) sein.
II. ...Schönheit ist ein terminus technicus für das ästhetisch-Erhebliche.
Ästhetisch-erheblich ist dasjenige, das am Erlebten „übrig bleibt“, „übersteht“,
nachdem die Reflexion die Wahrnehmung aus dem Erlebensstrom herausgesondert
hat; und in ihr „nicht aufgeht“. Also sich nicht identifizieren, (von anderen)
isolieren, fixieren, bezeichnen (!) und messen, will sagen: bestimmen läßt. ‚Das
Ästhetisch-Erhebliche’ ist eo ipso als
das Nicht-Bestimmbare bestimmt: Es ‚bedeutet’ (schlechthin) ‚mehr’, als es ‚zeigt’.
[gg. Quassologe Wolfgang Welsch: das Ästhetische ist gerade das, was nicht „wahrgenommen“
wird!]
- Sobald aber die Reflexion („Bewusstsein“)
im täglichen Leben habituell geworden ist; nämlich in der Arbeitsgesellschaft:
die Reflexion auf die Zweckmäßigkeit des im Erleben „Gegebenen“ (das selber ein
Reflexionsdatum ist), wird immer Mehr als
überständig auffallen; „zweckmäßig ohne Zweck“, wie Kants geniale Definition
heißt, ergibt erst dann einen Sinn, wenn die Zweckmäßigkeit der Welt zu einer
Art transzendentaler Prämisse der „Erkenntnis“ geworden ist (das auch bei
Kant!). Wenn Zweckmäßigkeit selbst zur auszeichnenden Qualität des Wirklichen
geworden ist.
...also kommts drauf an, was jeweils als ästhetisch-erheblich wahrgenommen wird. Wo Chaos,
Zwecklosigkeit und gar Gefährdung des Lebens als die (gewöhnliche) Norm des Daseienden („Werden“, von Elea bis
Plato) gelten, erscheinen Regel, Ordnung und Gerichtetheit als ausgezeichnete
Seinsweisen; als das insbesonders-gelten-Sollende vor dem faktisch-Selbstverständlichen.
Darum das in der Renaissance wieder aufgegriffene Schöne (vorher bestand daran,
cf. Vasari, kein Interesse mehr!) als Harmonie aufgefaßt wird. Nämlich wenn der Künstler als Repräsentant und Vorkämpfer
seiner Zeit spricht. Wird, umgekehrt,
Ordnung und Zweckmäßigkeit zum selbstverständlichen Charakter des Seienden ad
nauseam, dann kehrt sich (in der Romantik) das Verhältnis um. Ästhetisch-ausgezeichnet
ist dann das Absurde, Komische, Bizarre: Baudelaire zitiert ausdrücklich E.T.A.
Hoffmann und Poe. [Umkehrung: Hier erscheint die bürgerliche Ordnung als ein
falscher Schein; wahr(er) wäre die Unordnung - gedacht als ästhetisch freier
Wille.]
III. Das Schöne hört auf, Inbegriff des Ästhetischen zu sein in dem
Maß, wie die Lebenswelt der Menschen immer mehr selbst nach ästhetischen
Gesichtspunkten modelliert, entworfen, designed
ist: Städte, Industrie... Denn nun wird immer mehr das nicht ‚zweckmäßig’-Gestaltete
zum ästhetisch Auffälligen. - Das Schöne ist zunächst der konventionelle Name für
das ästhetisch-Ausgezeichnete (‚Erhebliche’). In einer wilden, gegen
menschliche Zwecke und die ihnen gemäße Form gleichgültigen Umwelt – „Werden“,
später ‚Natur’ genannt - ist das nach den
Gesetzen der Harmonie (als einem ‚höheren’, kosmischen Zweck!) Gestaltete dasjenige, das sich in ästhetischer
Hinsicht auszeichnet vor gestaltlosem
Rest. (Antike, orientalische, mittelalterliche Gärten: geometrisch.)
- Das Verhältnis des Schönen zum Nicht-Schönen
ist nicht ein Gegensatz (etwa „das Hässliche“), sondern ist der Unterschied von
Figur und Grund (anderfalls könnte der Unterschied nicht graduell und relativ
ausfallen). Das Nicht-Schöne ist das in ästhetischer Hinsicht Unausgezeichnete,
Unerhebliche, das den Sinnen allzu Vertraute, das Gewöhnliche, Unbedeutende,
Langweilige (das man jetzt auch das „Flache“ nennt! Ob wohl vor Mitte des 18.
Jahrhunderts das Wort seicht je in ästhetischer Bedeutung gebraucht
wurde?). Das Wohlgeformte (=zweckmäßig
mit oder ohne Zweck) - als der lebensweltliche Regelfall - wirkt mit dem
Siegeszug der bürgerlichen ... buchstäblich an-ästhetisch! (cf. Allgegenwart von Design!) Wenn nun die (bürgerliche)
Normalwelt (=die Stadt!) erwartungsgemäß hie nach praktischen Zwecken, da nach
zwecklos-zweckmäßigen Regeln der Harmonie (französicher Garten) eingerichtet
ist, dann wird das Bizarre, Schaurige, Zweckfremde, Wilde, Disproportionierte eben zum ästhetisch Ausgezeichneten: das
Nicht-Gewöhnliche. „Können wir nicht wagen zu behaupten, daß sie einen guten
Teil ihrer Schönheit gerade einem Mangel an Proportion verdanke?“ sagt Edmund
Burke über die Rose... Zuerst Ablösung des französischen Gartens durch den englischen Claude-Lorrain-Garten; Wörlitz!
Romantik; und schließlich wird auch
das Häßliche „ästhetisch angesehen“ (Rosenkranz).
IV. ‚Form ist geronnene Tätigkeit.’
Recte: Absichtsvolle Tätigkeit, die ihren
Zweck erreicht, zeitigt jedesmal bestimmte Form. Je mehr aber die (bürgerliche)
Lebenswelt (die Stadt) mit Dingen angefüllt ist, die aus absichtsvoller Tätigkeit
stammen (Arbeitsprodukte=Waren), kann es nicht ausbleiben, daß auch die anderen
Dinge, die nicht aus Arbeit stammen, sondern „von Natur aus (‚in der Natur’) da“
sind, so angeschaut werden, als ob sie aus ‚absichtsvoller Tätigkeit’ stammten;
also als ob ihre Form nicht eine zufällige, sondern eine beabsichtigte sei; als
ob „die Natur“ ein Arbeiter sei! Das nennt Kant dann „zweckmäßig ohne Zweck“.
(Im Mittelalter galt ‚Natur’ noch als das
schlechthin Formlose, Ungestalte - Wilde
(nicht den Theologen vielleicht, aber den Lebenden; dagegen die Stadt Abbild des ‚himmlischen
Jerusalem’; vid. romanische Kathedrale, Stadtgründungen im 12. Jahrhundert;
Kloster-Gärten). - In der Renaissance erscheint sie als das ‚zu-Gestaltende’;
Stadtplanung! Schloß-Parks (Villa D'Este/ Tivoli, 1549)! - Rationalismus: ‚französischer Garten’ gegen die rohe Natur. - Mit der Aufklärung werden
dann Kant & Co. nicht müde, sich immer wieder an der „wunderbaren Zweckmäßigkeit“
zu ergötzen, nach der „die Natur“ angeblich sich selbst „eingerichtet“ hätte
(englischer Garten als ‚die Natur, wie sie sein sollte’; Kants „Zweckmäßigkeit
ohne Zweck“ par excellence. - Was nach anderthalb Jahrhunderten Darwinismus, da
die Evolutionslehre in den Bestand des Volksvorurteils eingegangen ist, keiner
mehr recht „nachvollziehen“ kann...) Wenn aber in einer Naturform eine Absicht
prima facie nicht zu erkennen war, dann machte das ihren Rätselcharakter aus - ihren ästhetischen Reiz!
Den Anblick des aufgepeitschten Meeres
findet Kant bezeichnenderweise weder „schön“ (verborgen zweckmäßig) noch „erhaben“
(jenseits allen Maßes), sondern bloß... „grässlich“! [KU/WW X, S. 166; man müsse sein „Gemüt schon mit mancherlei Ideen
angefüllt haben“, um dem Anblick was abzugewinnen.] Aber schon ein paar Jahre
später - mit der Romantik, Anbruch der Moderne
- hat man (=die Avantgarde, nicht der Vulgus) es dann satt, allenthalben von
Zweckmäßigkeit (als dem Philistrium par excellence) umgeben zu sein, und ergötzt
sich gerade an den Dingen, die nicht aus absichtsvoller Tätigkeit
hervorgegangen sind - und nennt sie „Natur“, mit einer Emphase, die der Vokabel
nie zuvor beigelegt worden ist.
[vgl.
22]
V. Mit der Renaissance wurde das Schöne zum Prinzip der - ipso
facto verselbständigten - Kunst; womit das
Ästhetische in einem spezifischen Sinn allererst konstituiert wird; während in der Antike das Schöne nicht vor allem
der Kunst (bloß „Nachahmung“, bei Plato), sondern dem Kosmos (nicht Werden,
sondern Sein=Bild) selbst zugesprochen wird. Aber wie in der Antike wird das
Quale des Schönen in der kosmischen
Harmonie gesehen. In der Antike ‚leuchtete’ in den schönen Gegenständen
(den höchsten: den Knabenkörpern) die Wahrheit der Ideen in die (wilde) Welt
der Erscheinungen (des Werdens) ‚hinab’. Die Errungenschaft der Renaissance ist
die Erwartung, die Gesetze der kosmischen Harmonie in die Welt des Werdens
durch Kunst hineinarbeiten zu können - überall dort, wo sie noch wild und roh
ist. Wild und roh wie die Menschen selbst: Das Mittelalter waren die „Flegeljahre“
des Abendlands, nach Egon Friedell. Bestimmung der Kunst - und der
humanistischen Bildung überhaupt - ist darum unter anderm, wenn nicht vor
allem, die Milderung, Verfeinerung
der Sitten. Der Renaissancemensch
selbst ist ein Wüstling, aber die Giangaleazzos betrachten sich auch nicht als
ihr eigenes Ideal! Der Fürst sucht seine Rechfertigung als Förderer der Künste:
Medici/Florenz, D'Este/Ferrara; es folgt der Aufstieg des Phänotyps des cortigiano: Tasso! (nördlich der Alpen
zum Geheimen Hofrat und seinen Kanzlisten aufgeklärt). Seit Rousseau gelten
dann die „milden“ Sitten wiederum als gezwungen, geziert und falsch. Erst jetzt
kann die zusätzliche Milde, Süße, Harmonie, Glätte, Gefälligkeit des Schönen als
übermäßig empfunden werden. Erst in einer verweichlichten, harmonisierten,
konventionellen, gemäßigten und geschniegelten bürgerlichen Welt kann das Schöne
zuviel des Guten bieten: nämlich
Kitsch. Die sentimentale, kitschige Kunst ist eine solche, die den ehedem
rohen, inzwischen domestizierten und gebildeten
Menschen mit sich selbst in „Harmonie“, nämlich Selbstgefallen versetzt - statt
ihn über seine „Befindlichkeit“ hinweg zu reißen. (Sind Tiepolos Fresken „an
sich“ nicht Kitsch? In einem Land, das eben einen dreißigjährigen Bürgerkrieg
hinter sich gebracht hat, nicht. Aber das Zeug an den Wänden und Decken des
Berliner Doms ist es gewiß, und nicht bloß wegen der minderen Ausführung. -
Seit den siebziger Jahren galt als Inbegriff des anästhetisch-Flachen, Öden, Häßlichen
der Soziale Wohnungsbau der 50er, 60er Jahre - und seine grausige Überbietung:
der Plattenbau der DDR. Aber nach dem Krieg, in der Trümmerwüste des zerbombten
Berlin, wo uns von der ganzen rauchgeschwärzten Bizarrerie buchstäblich die Augen
weh taten, da haben wir alle die quadratisch-praktisch-gute Freundlichkeit der Interbau ('58) mit ihrem neuen
Hansaviertel richtig schön gefunden. Es war eben eine nüchterne und keine
romantische Zeit.)
VI. Summa: „Das Schöne
der Natur betrifft die Form des Gegenstandes, die in der Begrenzung besteht;
das Erhabene ist dagegen auch an einem formlosen Gegenstande zu finden, sofern
die Unbegrenztheit an ihm, oder durch dessen Veranlassung, vorgestellt und doch
Totalität derselben hinzugedacht wird: so daß das Schöne für die Darstellung
eines unbestimmten Verstandesbegriffs, das Erhabene aber eines dergleichen
Vernunftbegriffs genommen zu werden scheint.“ KU, WW X, S. 165; vgl. S. 172
(Verstand: theoretisches Vermögen, Vernunft: praktisches Vermögen; so daß
nach Kant weniger ‚das Schöne’, sondern vielmehr ‚das Erhabene’ einen
unmittelbaren Bezug zum Freiheitsbegriff/Sittengesetz hat.)
- In der Geschichte hat sich ‚das Feld des Ästhetischen’
vom Schönen hin zum Erhabenen verschoben; vgl. Wolfgang Kauder-Welsch...
- vgl. 30 !
20.
Allerdings ist die Formulierung zweckmäßig ohne Zweck genial, wenn auch
nicht entfernt so paradoxal gemeint, wie sie klingt. Aber - sie bezeichnet eben
nur das Schöne. Als allgemeine
Um-schreibung des Ästhetisch-Ausgezeichneten reicht sie vielleicht doch nicht.
Denn zweckmäßig ist eben immer auch - mäßig; will sagen, einem Maß zugeordnet,
von dem ja immer noch zu erwarten ist, daß es prinzipiell erfüllt werden könnte
(vulgo Ideal). - In der modernen
Kunst wird dagegen anscheinend auf das „Maß“ gerade insofern Bezug genommen,
als es absichtsvoll, d. h. polemisch verfehlt wird...
21.
Vollendung ist der
Meta-Zweck, Zweck der Zwecke; ist aber ein ‚lebenspraktisches’ Motiv, kein ästhetisches:
‚vollkommen’ in Hinblick auf welchen Zweck?! Stammt aus der praktischen
Erfahrung der „Unvollkommenheit“ der Welt (für meine Zwecke), oder meiner
(ebenfalls für meine Zwecke). Selber ein nicht-ästhetisches Motiv! - Oder?
Kommt drauf an, welche Zwecke... (Zirkel.)
(Bei den Griechen sei, nach Graf Yorck,
Opsis der ‚Zweck’: anschauliche
Vollendung!)
Die vollkommene Form ist die vollendete
Gestalt: das Inbild der Zweckmäßigkeit ohne Zweck. Die unter allen Formen
vollkommenste Form ist die Kugel; als vollständige Symmetrie =
restlos-eindeutig-einfach bestimmt in allen ihren ‚Orten’. Wechselwirkung
=System; das Ruhende - Weibliche. (Die Gerade: Kreis mit unendlichem Radius,
nach Cusanus!)
Die schöne
Form ist die Kurve als ‚Modus’ der Kugelgestalt (=’vollendete Kurve’) - aber
erst in Verbindung mit ihrem Gegensatz; also das Vollendete vereinigt mit dem
Unvollendeten, als vollendet dargestellt... (=das Bestimmt-Unbestimmte...) In
den schönen Formen finden wir allenthalben eine Verbindung (harmonisch oder
polemisch) von Kurve und Winkel - letzterer als das Inbild des ‚Unvollendet-Offenen’;
des Dynamischen - als Gestalt: das Dreieck - das Männliche.
(Bei Plato: Inbegriff des Schönen - der
Knabenkörper, Verbindung von (w)
Kurve und (m) Winkel.)
Der rechte
Winkel als eine Art terminus medius. Der vollendete
rechte Winkel: der Würfel; Parodie der Kugel, realistische Konzession an die
Gesetze der Statik!
(In der Moderne ist die ‚innerästhetische’
Spannung von ‚Kugel’ und ‚Winkel’ übergegangen
in den Gegensatz von harmonisch (=zweckmäßig) ästhetisierter Lebenswelt (Design = die Stadt; die funktionale
Stadt = eine Kugel!) und
polemisch-disharmonischer `Kunst'; Bohème; ‚das Schiefe’: „Ecken und Kanten“
als ästhetisch-moralisches Qualifikativum!)
22.
Das Erhabene
1. bei Kant: kommt nur "am Rande"
in der Ästhetik vor, als eigentlich ‚nicht recht dazugehörend’;
2. bei Schelling: steht gleichberechtigt
neben dem Schönen3. bei Adorno: (unter der Chiffre ‚Aura’): tritt an die Stelle des Schönen (Wolfgang Kauder-Welsch dixit)
1:2:3= von der Klassik: zur Romantik: zur
Moderne
Im übrigen sind das Erhabene und das
Triviale das gemeinsame Feld von Kitsch und Ironie.
23.
Kosmetik kommt, nach Gottfried Semper, von
Kosmos; im Sinn von ‚rechter Anordnung’. Für die „okularen“ Griechen (Gf.
Yorck) war die plastische Ordnung die ‚sichtbare Gestalt’ des Wahren-Schönen-Guten...
24.
Oskar Becker, Von der Abenteuerlichkeit des Künstlers...[Alexander-Verlag, Berlin
1994]
[hat das Verdienst, das Wesen der ‚Kunst’
nicht aus dem Werk zu bestimmen, sondern aus dem Künstlertum!]
a)
Der Künstler sei die ‚eigentlichste’ Gestaltung des Menschen - weil er jederzeit vom Mißlingen bedroht ist. (‚Der
Mensch’ ist bei Becker, wie bei allen Heideggerianern, der bürgerliche Mensch;
ist auch richtig, insofern dieser in jenem endlich „seine Bestimmung gefunden“
hat.)
b)
Das Ästhetische ist darum die geheimnisvollste Region des Geistes, weil darin
sein (absurder) Symbolismus am unmittelbarsten, nämlich anschaulich erscheint:
Daß die Dinge, außer dem, wie sie erscheinen, auch noch Etwas bedeuten sollen (tiens: so ‚fast wörtlich’ bei Lotze, Ästhetik, §§ 5-7! Daß allerdings diese
vorgängige Annahme auf der Sprachlichkeit unseres Bewußtseins beruht, steht bei
ihm natürlich nicht.); so daß „eigentlich“ das Ding nur ein Zeichen für seine Bedeutung ist: ‚Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis’ - à supposer: für das Unvergängliche,
welches es „bedeutet“ (Faust II, Schluß). Wobei sich die Frage einschleicht: Wer hat die Dinge „bedeutet“?! -
Das ästhetische Erleben hat die Eigentümlichkeit, daß die „Erscheinungen“ unmittelbar als bedeutsam ‚erlebt’ werden; nämlich die einen als „bedeutsamer“ als die andern - das, was herkömmlich Schönheit genannt wurde. (Es ist die Frage „Was soll das bedeuten?“, die das Werk zu einem Kunstwerk macht.)
Das ästhetische Erleben hat die Eigentümlichkeit, daß die „Erscheinungen“ unmittelbar als bedeutsam ‚erlebt’ werden; nämlich die einen als „bedeutsamer“ als die andern - das, was herkömmlich Schönheit genannt wurde. (Es ist die Frage „Was soll das bedeuten?“, die das Werk zu einem Kunstwerk macht.)
(Das ästhetisch-Bedeutsame wurde so lange
als schön bezeichnet, um nicht zu
sagen: „definiert“
{Allein das Schöne wurde so lange als ästhetisch-bedeutsam empfunden…}, als allgemein die Erwartung herrschte, das ästhetische Erleben habe eine Aufgabe zu erfüllen: nämlich Erscheinung und Bedeutung (anschaulich!) „zur Übereinstimmung zu bringen“; „Einheit von Form und Inhalt“, wie das völlig bedeutungsleer bei Hegel ausgedrückt ist. Hingegen wird seit der Romantik zunehmend „hingenommen“, wenn die Erscheinung („Stoff“) ihre Bedeutung („Idee“) verfehlt (desavouiert: Ironie) und beide unvereint neben einander stehen bleiben. Seit zugegeben wird, daß auch der Zwiespalt ästhetisch bedeutsam ist, ja bedeutsamer gar als die Harmonie, hört ‚das Schöne’ auf, „Maß und Substanz“ des Ästhetischen zu sein. (Rosenkranz, Ästhetik des Häßlichen: rein phänomenale Registratur, aber er erkennt, daß eben nicht allein das Schöne Inhalt der Ästhetik ist.)
{Allein das Schöne wurde so lange als ästhetisch-bedeutsam empfunden…}, als allgemein die Erwartung herrschte, das ästhetische Erleben habe eine Aufgabe zu erfüllen: nämlich Erscheinung und Bedeutung (anschaulich!) „zur Übereinstimmung zu bringen“; „Einheit von Form und Inhalt“, wie das völlig bedeutungsleer bei Hegel ausgedrückt ist. Hingegen wird seit der Romantik zunehmend „hingenommen“, wenn die Erscheinung („Stoff“) ihre Bedeutung („Idee“) verfehlt (desavouiert: Ironie) und beide unvereint neben einander stehen bleiben. Seit zugegeben wird, daß auch der Zwiespalt ästhetisch bedeutsam ist, ja bedeutsamer gar als die Harmonie, hört ‚das Schöne’ auf, „Maß und Substanz“ des Ästhetischen zu sein. (Rosenkranz, Ästhetik des Häßlichen: rein phänomenale Registratur, aber er erkennt, daß eben nicht allein das Schöne Inhalt der Ästhetik ist.)
Seither kann eingesehen werden: Nicht das Häßliche
sei der Gegensatz des Schönen, sondern das Langweilige, das Bedeutsame vs. das
Triviale. (ders. Becker, Baudelaire, S. 31)
25.
Es gibt einen fundamentalen Unterschied
zwischen dem Künstler und dem Kunstbetrachter: Was jenem als eine Frage „begegnet“,
war diesem als eine Antwort vorgekommen. Das sind nicht nur „zwei Seiten“
desselben ‚ästhetischen Subjekts’ (gg. Oskar Becker). Es ist eben nicht „die
Kunst“ das Distinguo zwischen dem ‚ästhetischen und dem weniger-ästhetischen
Menschen; sondern die Künstler unterscheiden sich von den Andern. Bei Becker: ‚...ob
es gelingt’; nämlich hie ‚das Werk’, da die ‚Rezeption’: beide ‚jederzeit vom
Scheitern bedroht...’ Aber der Künstler muß
in anderer Weise das Mißlingen riskieren als der ‚Kunstgenießer’. Daß Becker
auf der Seite des Kunstrezipienten nicht anders als von „Genuß“ reden kann,
verrät ihn übrigens...
26.
(Ästhetik als besondere Disziplin entsteht
bei Kant, als er sich wundert, daß ästhetische Aussagen die Form des Urteils
haben, ohne doch Gründe zu kennen; und trotzdem gelten. Er wundert sich aber nur
deshalb, weil er das diskursive Urteilen „aus Gründen“ für die eigentliche,
ursprüngliche, echte, wesentliche [...] Art des Urteilens hält. Tatsächlich ist
es umgekehrt. Das Urteilen aus Gründen ist eine späte Form – nämlich der
Reflexion. Denn ästhetische Urteile sind nicht solche über die ‚Gegebenheit’
(oder nicht) von Merkmalen, sondern
sind Qualitäts-Aussagen; „Wertnehmungen“, mit Scheler zu reden, von ‚ganzen
Gestalten’. Und in diesem Punkt sind ästhetische und ethische Urteile nicht
verschieden! Das glaubt Kant nur, weil er die moralischen Urteile „aus dem
Begriff“ stammen läßt; was wiederum aus dem Vorurteil stammt, daß er die „praktische“
Vernunft als ein selbständiges Vermögen neben die „theoretische“ Vernunft
stellt (mit der „Urteilskraft“ quasi als Bindeglied); statt, wie richtig bei
Fichte, das theoretische Vermögen aus dem praktischen herzuleiten; wo dann
Ethik, Ästhetik und „Betrachtung“ (theoría)
nicht neben-, sondern durch einander begrndet erscheinen; cf.Fichte, Über Geist und Buchstab…; von „prädeliberativem
Willen“ sprechen die Schulphilosophen, vgl. II. Fichte-Kongreß (bei Meiner.)
(Das Staunen ist nach Aristoleles der
Anfang der Philosophie. - Der Anfang des Ästhetik als besonderer
philosophischer Disziplin ist bei Kant das Staunen darüber, daß die ästhetische
‚Wertnehmung’ der Form nach ein Urteil
ist - ohne doch Gründe zu nennen und zu kennen! Erst als das diskursive, ‚aus
Gründen schlussfolgernde“, d.h. die ‚Kausalität’ logifizierende Denken das
vorherrschende geworden war, konnte er sich so wundern...)
Ästhetisches ‚Denken’ ist eben ein solches,
in dem das Urteilen zugleich mit dem Wahrnehmen selbst uno actu geschieht: „Wertnehmung",
wie Scheler das nennt. Und insofern sind Ethik und Ästhetik „eins“, nach
Wittgenstein. Genetisch ist freilich diese Art des ‚Denkens’ (welches kein „Deliberieren“
alias Reflektieren ist!), das frühere.
Also nicht darüber hätte Kant sich wundern sollen, sondern darüber, daß... das
diskursive Denken schließlich das vorherrschende werden konnte.
27.
Ich ist unendliches Bestimmen (seines
Andern und ipso facto seiner ‚selbst’; Setzen &
Entgegensetzen=Reflektieren) [Ich/Welt: ein Fall von ‚Figur im Grund’; Ich ist ‚Störung’;
nämlich dynamis, „Streben“, „Trieb“.]
[s. 6.]
Die Welt/Wirklichkeit ist, als Wirkungsfeld
des Ich, das Unendlich-Bestimmbare;
und insofern ein Paradox. Bestimmen ist Fixieren und ipso facto Verendlichen
(Definieren heißt Eingrenzen). Wird das Wirkliche angeschaut nicht, als was es
empirisch erscheint: unendliche Folge einzelner Bestimmbarer (freilich nur
durch den Kraftakt von Reflexion/Abstraktion aus dem „Erlebnisstrom“ heraus
gerissen); sondern angeschaut als ein Etwas, das selber sein soll - dann kann es nur als ein (noch) Unbestimmtes bestimmt werden; das Bestimmt-Unbestimmte, das heißt
immer: ein Rätsel. [s. WL 1801, SW
II, S.110]
Oder hen
kai pân, das All-Eine, apeirón,
das Unbegrenzte, óntos ón - das Sein,
der Sinn der Welt, An-sich, das Wesen, die Substanz, das Absolute, das
Unendliche, meinswejen selbst „die Gottheit“; in jedem Fall: das Transzendente;
jenseits von Raum und Zeit...
Das Transzendentale (diesseits von Raum und
Zeit) übrigens auch, inverso: Unendliches Bestimmen = unendliches
Selbst-Bestimmen = unendliche (Selbst-) Bestimmbarkeit; wiederum - ein Rätsel!
Das Transzendete und das Transzendentale
sind die jeweils hintere und vordere Grenze der ‚Welt’ - soweit diese „der Fall
ist“; nämlich ‚endlich’, in Raum und Zeit. Lebenspraktisch
sind jedoch die Geltungen in der ‚Welt’;
sofern „ich“ nämlich in ihr handeln muß. Das Transzendentale und das
Transzendente sind „eins“.
(Wenn aber das Unendliche das Absolute, das Endliche dagegen immer ein so und so Bedingtes sein soll - dann ist jenes lediglich Horizont, aber nicht: ein anderer Kontinent. Wie kann es selbst irgend bestimmend werden? Es ist schlechterdings unbestimmt; nicht einmal ein Sein-Sollendes, sondern offener Raum; aber selbst der nicht an sich, sondern nur für ein „Streben“. Es ist das, was jenseits der Grenze läge - sofern nur einer da ist, der sie überschreiten will. Transzendenz setzt eine Bewegung voraus. Sonst „gibt es“ nicht einmal - eine Grenze! Transzendenz „gibt es“ nur actu - im Moment des Überschreitens; aber danach schon nicht mehr: Wo ich angekommen bin, ist immer Diesseits.)
Das Transzendent-Transzendentale: das, um dessentwillen die Welt da ist = ihr Sinn. (etymologisch: ‚Richtung
auf...’). Das Ästhetische, als etwas, das in der Welt erscheint, „erscheint“ so
als eine offene Tür nach „dort“...
28.
Die Verwandtschaft zwischen Ästhetik und
Sinnlichkeit (aisthesis) ist nicht
nur etymologisch, sondern sachlich. Es ist nämlich die Besonderheit des
menschlichen Hirns, daß es die Sinneswahrnehmungen von vorn herein ausstattet
mit einem Surplus jenseits-ihrer, welches sie bedeuten sollen: Es wird eine Erwartung geweckt! (Insofern ist das Neue doch eine ästhetische Qualität!)
Beim Schmerz ist das offenkundig, daß er auf „mehr“ verweist, als er selbst „ist“,
ebenso bei der Lust. Allerdings jeweils immer nur bis zu einem jeweiligen Höhepunkt
- wo dann das Bewußtsein aussetzt: Ab da sind Schmerz und Lust anästhetisch. -
Evident auch bei den Freuden und Ärgernissen des Gaumens, in der Spanne
zwischen Hunger und Sättigung. (siehe auch 31.: Gottfried Sempers Protoästhetik...)
Die Griechen haben ihren Tonarten je bestimmte
Empfindungsqualitäten zuschrieben, bis heute immer wieder, gestritten wird
nicht, ob, sondern ob eher diese oder
eher jene... Was ist daran kulturspezifisch?
So die Wirkungen der Farben aufs Gemüt.
Aber den Eskimo wird das Grün anders stimmen als den Amazonasindianer; ebenso
das Weiß. Schon wenn sie zu Hause sind. Aber wie erst, wenn sie in der Fremde
sind! Generell wird das Licht anders „wirken“ in der afrikanischen Wüste als im
tropischen Regenwald, und anders am Polarkreis. Nicht zu reden von Wärme und Kälte...
Sofern solche sinnlichen Gemüts-Wirkungen
stammesgeschichtlich überkommen sind, unterscheiden sie sich aber nicht
prinzipiell von kulturspezifischer Tradition; sie sind nur eben seit unermeßlich
längerer Zeit seligiert - bereits durch „Zuchtwahl“, nicht erst durch „Erziehung“:
kif-kif...
Mit dem Ästhetischen i. e. S. haben sie
immer dies gemein: Ihre „Wirkungen“ sind unmittelbar - d. h. nicht erst durch „Praxis“
zu vermitteln; das Werten geschieht uno actu mit dem Gewahren. Daß eine je
stammesgeschichtliche oder kulturelle Auslese dahintersteht, ist für das
Individuum unerheblich und ließe sich erst durch rather sophisticated
wissenschaftliche Reflexion erweisen.
29.
Die „Aktualität ästhetischen Denkens“ (verböser
Hohlkopf Wolfgang Welsch dixit [Reclam]) ‚beruht darauf’, daß am Ende der
industriellen Zivilisation - als der Vollendung der Arbeitsgesellschaft -
wieder „ins Auge springt“, daß das wirkliche Denken (das ‚produktive’, nach Max
Wertheimer, auch nach Max Adler) nicht in Begriffen, sondern in Bildern, intuitiv ‚geschieht’ (durch „Eingebung“,
nach Max Weber); das diskursive Denken kommt nur hinterher, als ein Verfahren
der Prüfung der Ergebnisse des intuitiven Denkens. Da jene aber notwendig in
Hinblick nicht auf die Wahrheit,
sondern auf die Tauglichkeit der Denkprodukte ist, muß sie in der
Arbeitgesellschaft als das eigentliche Denken erscheinen. „Messen, zählen, wägen“
- schon Plato in Politeia, 602d (hier
direkt gegen Dichter und Maler); ebd. 525ff; „Meßkunst und Rechenkunst“: Protagoras, 356e/357a. Über das Verhältnis
vom Was des Wissens zu seiner Modalität im Medium: Michael Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit,
[Suhrkamp 1991]. Wissen, das dazu da ist, ausgetauscht („kommuniziert“) zu
werden, muß analytisch, digital und diskursiv sein.
Adorno: „Kommunikation ist die Anpassung
des Geistes an die Nützlichkeit.“ Ästh.
Th., S.115. Logik, Diskursivität sind nicht die Verfahren des Denkens,
sondern die Verfahren seiner Prüfung; zunächst in Hinblick auf seine Nützlichkeit,
indeed. Aber da sie historisch nun einmal entwickelt wurden, mußten sie
prinzipiell auch in den Dienst anderer
Hin- und Absichten zu stellen sein; in den Dienst „des Ästhetischen“
etwa?...
- Steht aber das Wissen nunmehr „immer weniger“ unterm apriorischen Diktat der Zweck-Mäßigkeit (weil die Zwecke nicht mehr vorausgesetzt sind), dann... steht es auch nicht länger im Dienst der Arbeit. Das selbst-prüfende, kritische, reflektierende Denken erscheint réduit à proportion congrue; nicht „überflüssig“ geworden, aber dorthin gestellt, wohin es gehört: hinter das produktive Denken.
30.
Es gibt ‚Gehalte’ des Erlebens, die -
jedenfalls innerhalb derselben Kultur - einem jeden bekannt sind und über die
er darum mit jedem andern sprechen kann, sofern sie sich über deren Benennung
einigen. Sofern sie sie also gemeinsam ‚bezeichnen’ können; ohne daß nur einer
von ihnen imstande wöre, den exakten Ort anzugeben, den sie im beweglichen
System („Sprachspiel“) all der andern ‚gültigen’ Namen einnehmen - weil sie
anscheinend gar nicht darinnen
liegen, sondern irgendwo an seiner Grenze. Das sind, mit einem altertümlichen
Wort zu reden, Existenzialien, die dem je individuellen Leben gewissermaßen als
vorausgesetzt begegnen („Urphänomene“, nach Goethe); wie z. B. Liebe,
Leidenschaft, Freiheit, Sinn, Verzweiflung, Schönheit, Glück, Ehre und Anstand.
(Übrigens auch Komik und... Wissen.) Ein jeder für sich ‚weiß, was gemeint ist’;
nur sobald er es einem andern erklären soll, dann geht es ihm wie Augustinus
mit der Zeit: Er kann es nicht sagen. Und je kritischer der Geist, der im öffentlichen
Diskurs waltet, umso mehr neigen die ‚existenziellen’ Begriffe dazu, aus dem
aktiven Wortschatz ganz zu schwinden.
Daß sie sich seit drei Jahrtausenden - seit
das Definieren begonnen hat - der Definition widersetzen, zeigt an, daß sie zur
Exposition in diskursiver Wissenschaft nicht taugen. Sie können allenfalls in
Bildern gezeigt und in Mythen erzählt werden, denn sie sind uns nie positiv
gegeben, sondern immer als Problem. Wir ‚haben’ sie nicht, sondern wir ‚meinen’
sie nur. Das ist dann auch eine Form von Wissen (oder ‚Gewärtigkeit’), aber
eben nicht Wissenschaft, sondern Kunst. Die Kunst „erscheint, als hätte sie gelöst,
was am Dasein Rätsel ist“, steht bei Th. Adorno. Sie ist nicht das Leben, und
sie ‚dient’ ihm auch nicht wie die Wissenschaften. Sondern sie stellt es dar -
als sein Anderes, an dem es ‚sich selbst erkennt’. Ob nämlich ihre Verheißung
nur eine Täuschung ist, sei selber ein Rätsel, fügte Adorno hinzu. Sie ist eine
Lüge, nach Picasso, an der die Wahrheit deutlich wird. Das immerhin hat die
Kunst mit der Wissenschaft gemein: daß sie das Andere des Lebens ist. „Wissenschaft
ist Kunst, aber Kunst ist nicht Wissenschaft“, fand der ungarische Musiker Sándor
Végh. Und wenn das Leben ‚bestimmt’ werden sollte (was es aber nicht nötig
hat), so wäre es nur zu bestimmen als das Andere dieses Anderen.
Bislang: Das Leben ist Arbeit [s. 4., Schluß]: bestimmt als Bestimmen. Aneignung der Welt, Ökonomie, Begreifen.
Ist nun die Arbeitsgesellschaft am Ende? Je weniger ‚bestimmt’ die Welt nun
ist, umso weniger erscheint der irreduzible
Rest als unbestimmt! Umso weniger rätselhaft erscheint die Welt - nämlich
was „an ihrer Grenze liegt“. Weniger rätselhaft - weniger ‚ästhetisch’? Ein
Zeitalter der Neuen Anästhetik? (Schwätzer W. Welsch)
Oder auch: Was dem „System“ zu Grunde
liegt, kommt im System nicht vor. Von „darinnen“ kann man sich seiner nur so
eben noch „erinnern“ (anámnesis),
eigentlich: eräußern. Und zwar nicht so, als ob es einmal ‚da’ gewesen wäre und
dann verloren ging, sondern wie wenn es wohl präsent, aber doch nicht gegeben ist. „Es“ hat dich mehr, als du „es“
hast; méthexis. Es ist das, worauf alles
Andere deutet; sozusagen „die Bedeutung selbst“, vulgo Sinn des Lebens - worum
es nämlich „allem Wissen zu tun ist“, welcher Modalität es auch sei. Da es den
Begriffen zu Grunde liegt, kann es unter dieselben nicht gefaßt werden. Man
kann es nur in Bildern „sehen lassen“ oder Geschichten davon erzählen. Das ist
auch ein ‚Wissen von...’, aber ein anschauliches.
Daß der Alltag, alias Werktag und
materieller Verkehr der Menschen, in der „postindustriellen“ („Medien“-)
Gesellschaft „remythisiert“, also neu „verzaubert“ würde - glaubt das jemand im
Ernst? Nein, der Alltag schrumpft, nimmt weniger Platz ein im Leben, er wird
weniger. Und mit ihm schrumpft die Erwachsenheit der Menschen. Wogegen der Sinn des Lebens bedeutender wird, nämlich
unmittelbarer bedeutend. Das tägliche Leben wird unalltäglicher. Nicht, daß die
Figuren, in denen vom Sinn des Lebens erzählt wird, unästhetischer würden. Nur
wird ihre anschauliche Gegebenheitsweise nicht mehr in aggressivem Gegensatz
stehen zum diskursiven Verstand; weil der jetzt weiß, wo er hin gehört und
wohin nicht.
[Pädagogik ist Kunst und nicht
Wissenschaft. Sie ist eine ästhetische Praxis und wo sie glückt, rechtfertigt
sie sich aktual - hier und jetzt und anschaulich. Dabei ist sie nicht „das
Leben“. Denn das, was sie in ihren Bildern zeigt und in ihren Mythen erzählt,
ist nicht das Leben selbst, sondern - sein Anderes; ein Rätsel, an dem es
kenntlich wird. Dies Rätsel hat die Pädagogik den Menschen zu vergewärtigen,
solange sie in dem Alter sind, wo sie dafür noch Muße haben und das Rätsel noch
lockt. Denn hinterher ist es zu spät.]
Der Grund des Lebens ist problematisch:
eine (unendliche) Aufgabe - nämlich eine, die sich dadurch „auszeichnet“, daß
sie nie gelöst ist; „bestimmbar“ nur als Rätsel. - Geführt werden kann das
Leben immer nur „so, als ob“ das Rätsel allbereits gelöst sei. Von diesem
Als-ob gibt die Kunst uns ein Bild: „Schönheit“. Die moderne Kunst, als ‚die zu
ihrer Bestimmung gelangte’, zeigt zugleich, daß ihre Lösungen Schein sind. Je positiver das Zeitalter, umso problematischer („subversiv“, „kritisch“)
seine Kunst: 19. Jahrhundert! Mit der Romantik kommt „das Schöne“ in Verruf – als
etwas, das die Kunst zu entlarven habe. - Am Ende des 20. Jahrhunderts scheint
- mit der „Postmoderne“ - die Kunst diesen ihren positiven Widerpart verloren
zu haben: Weder „Das Rätsel ist gelöst“, noch wird die „schöne“ Lösung
denunziert; sondern: Je m'en fous,
anything goes! Es gibt gar keine Rätsel für die, denen eh' alles wurscht
ist. - Daß nicht alles wurscht ist, kann mittlerweile nur die Kunst zeigen.
Oder auch, das Leben läßt sich nur ästhetisch rechtfertigen.
31.
Gottfried Semper, Über die formelle Gesetzmäßigkeit des Schmuckes und dessen Bedeutung
als Kunstsymbol, [Vortrag 1856; Bln. 1987]:
Verdienst: Entgegen der ‚reinen’, formalen Ästhetik verweist er darauf, daß
im ästhetischen Erleben Bedeutungen
(Schemata) wirksam sind, die selber infra-ästhetisch [protoästhetisch] sind:
1.
die Richtung der Massen: Schwerkraft, „Druck von oben nach unten“
2.
Richtung des organischen Wachstums: „Drang von unten nach oben“
3.
die (horizontale) Gerichtetheit des animalischen Lebens: „von hinten nach vorn“
- als Schema des Willens (!)
Diese drei Bedeutungen werden in den
(plastischen) Formen symbolisiert.
Als viertes Element fügt er hinzu (im
Kunstwerk), daß das Ganze „sich-selbst-symbolisieren“(!!!) muß: „Inhaltsangemessenheit“
(S. 31) [ganz anderes Register]
- In der Malerei (von der er nicht redet)
kommt noch die Farbe hinzu: zunächst hell-dunkel als „Schema“ von Licht und
Finsternis. Eine große dunkle Fläche über einer kleinen hellen „drückt“; aber
eine große helle Fläche über einer kleinen dunklen ‚aktualisiert’ das Schema
von Himmel und Boden... Im Gemälde kommen durch Linien und hell-dunkle Flächen
weitere ‚Bewegungen’ hinzu, die Richtungen ‚bedeuten’...
Es ist gut, weil er so die ästhetischen Erwägungen
aus dem Bann des „Schönen“ befreit - immer so, als sei das Schöne „vor“ den
Dingen „da“, in denen es allererst „erscheint“... stattdessen: das Schöne sei „die
Lösung eines artistischen Problems“ (S.41)! Was sich modern so fortführen läßt:
Das ästhetisch-Bedeutende muß nicht „schön“ sein; weil das artistische Problem
nicht unbedingt gelöst, sondern u. U.
im Kunstwerk erst als solches dargestellt werden muß. (Was aber macht ein
Problem zu einem „artistischen“? Doch wieder die Ästhetik?)
- Für die Musik ist damit nichts gewonnen.
Aber es läßt sich dort fortführen. ‚Historisch’ herrscht in der Musik eine
doppelte Spannung: die zwischen Lied und Tanz, und die zwischen Ausdruck und
Schönheit. Beide kreuzen sich in der Spannung von Melodie und Rhythmus
(=Spannung & Entspannung). Auch sie repräsentiert also „Schemata“ aus dem täglichen
Leben. Aber der Witz ist: auch sie, nämlich weil und sofern sie Kunst ist, repräsentiert
sie - nämlich außerhalb desselben, in einem besonderen Medium, das eben Kunst
ist und nicht... Leben (=Arbeit). Kunst ist Kunst, weil und so weit sie die
Bedeutungen des „wirklichen Lebens“ aus dessen „Funktionszusammenhängen“
herauslöst und für-sich symbolisiert. Je mehr
sie sie herauslöst (identifiziert, verselbständigt), umso mehr ist sie Kunst; und je mehr
diese Bedeutungen problematisch sind, umso moderner
ist die Kunst...
Oder - je moderner die Kunst, um so mehr
wird sie die (identifizierten) Bedeutungen als problematisch darstellen. Denn
die Kunst als Ganze ist selber wiederum ein Symbol - für den Sinn im Unterschied zum Sein; und je
mehr man den zu „fassen“ kriegt, umso - problematischer wird er. Darum ist
Kunst eo ipso ironisch.
- Die Bildung der ‚Kunst’ zu einem
besonderen [‚Lebensbereich’?] [‚Dimension’?] ist ein Erzeugnis der (westlichen)
Moderne (Renaissance). - Indes: Die „Verselbständigung“
der Kunst ‚besteht’ in nichts anderem,
als daß sie zu einem Problem wird: „Was ist überhaupt Kunst?“!
a) Das Schöne ist die Lösung eines
artistischen Problems; b) das artistische Problem: Was ist Kunst? c) Das Schöne
ist die Antwort auf die Frage: Was ist Kunst. d) Das Schöne ist das, was durch
Kunst entstand; Kunst ist, was Schönes schafft; das Naturschöne ist das, was so
aussieht, als ob ein Künstler es erschaffen hätte... Wodurch aber wird ein
Problem zu einem „artistischen“? Dadurch, daß ein Künstler es sich stellt! Nämlich
die Frage: Was ist das Schöne? - Ein Existenzialist avant la lettre.
Atemberaubend. - Aber in meinen Worten kann ich es so sagen: Das Schöne „ist“
nur als Problem, und wer es sich „zum Beruf macht“, ist ein Künstler.
- Genauer besehen ist aber auch die ‚Verselbständigung’
der Kunst ‚nichts anderes’ als die Herausbildung des Künstlers zu einem
besondern Phänotyp („Existenzweise“) - wiederum seit der Renaissance. Daß aber
Kunst zum Problem wird, ‚setzt sich
zusammen’ a) aus der ‚Verselbständigung’ des Künstlers; und b) dem Vordringen
des „ästhetischen Erlebens“ auf Kosten des ökonomischen Bedürfnisses (d. h.
Fortschritt der ‚Freiheit’). - Beides gehört in der „ästhetischen Theorie“
gesondert betrachtet; um sich hernach (evtl.) als „zwei Seiten derselben
Medaille“ zu erweisen, nämlich ‚Wachstum und (ipso facto) Selbstüberwindung der
Arbeitsgesellschaft’; Eingreifen des Überflusses ins Reich der Notwendigkeit.
- Kunst ist die reine Form der Tätigkeit: Tätigkeit aus Freiheit.
32.
[M.’s Bilder]
Man geht an ein Kunstwerk heran mit der
Erwartung „Es soll etwas bedeuten“. Es ist überhaupt erst diese Erwartung, die
das Objekt als Kunstwerk definiert. Nämlich die Frage: Was soll es bedeuten? Nur indem es sich diese Frage verdient, wird
es Kunst: Es „sieht nach was aus“. Aber nach was?! Als Kunst bewährt es sich,
indem sich die Antwort des Werks (die „Lösung des Rätsels“) als Schein erweist:
zweckmäßig ohne Zweck. (Analogie: ein
Kind steht vor einer unbekannten, komplizierten Maschine. Es fragt: „Wozu taugt
sie?“ - ...: - „Ach so.“ Aber dann fragt es: „Wie funktioniert das?“ Ein
wirklich theoretisches=‚anschauliches’ Interesse! Denn es will die Maschine
nicht handhaben, sondern „einsehen“. - Der Erwachsene würde fragen: „Wo muß man
da draufdrücken?“ [Rätselcharakter des Computers!]
- Ist die Frage, bevor sie noch gestellt
werden konnte, schon beantwortet (weil er flach auf der Hand liegt: Überdeutlichkeit,
Trivialprägnanz), dann handelt es sich um Kitsch und/oder Agitprop. (Nicht nur: „Agitprop ist Kitsch“, sondern auch:
„Kitsch ist (vorpolitischer) Agitprop“; Agitprop ist politischer Kitsch, Kitsch
ist unpolitischer Agitprop = die „immer schon“ gegebene Antwort auf die Frage
nach dem Sinn des Lebens.)
- Bei M.’s Bildern geht es dem Betrachter
(d. h. mir) gelegentlich/oft so, als solle er 1) zu der Frage verleitet werden „Und
was soll das bedeuten?“, um ihm 2) ein bißchen zu unmittelbar mitzuteilen: „Ätsch
- nur Spießer fragen so!“ - Das ist gelegentlich nicht überflüssig. Aber um
einen Stil zu begründen, ist es zu dünn; d. h. auf die Dauer: eitel.
- Ich glaube, M. traut sich einfach nicht,
eine Landschaft zu malen, die „einfach nur schön“ ist. Etwa, weil sie („heute“)
nicht („mehr“) zu der Frage berechtigt: „Was soll das bedeuten?“!!! Obwohl es
sicher eine unbegründete Furcht ist; denn so, wie er malt, sind seine Bilder ja
nicht bloß Abbildung.
33.
Kants Satz vom Schönen als einer „Zweckmäßigkeit
ohne Zweck“ ist nur dreiviertel-genial. Denn auch die „teleologische“
Urteilskraft schaut „die Natur“ lediglich „so an, als ob“ sie zweckmäßig wäre.
Das Schöne ist also: ein Urteil über die ‚Naturgemäßheit' („Idealität“?!) der
Erscheinung; tatsächlich stellt er das Naturschöne über das Kunstschöne;
wenngleich es freilich nur mittels letzterem wahrgenommen wird... KU
A/178: „Die Natur war schön, wenn sie zugleich als Kunst aussah [d. h. so, als
ob sie von einem absichtsvollen Demiurgen gemacht worden wäre]; und die Kunst
kann nur schön genannt werden, wenn wir uns bewußt sind, sie sei Kunst, und sie
uns doch als Natur aussieht.“ [Es ist wirklich ganz platt: Die gemeinsame Prämisse
der teleologischen und der ästhetischen Urteilskraft ist die aufgeklärte
Philisteranschauung von der „wunderbar zweckmäßigen Einrichtung der Welt“! Das
Schöne ist so ein „Wohlgefallen“ an der Anschauung der Harmonia praestabilita,
die sich ihres Namens schämt! Plotin a tergo. Oder Berkeley?! [Eigentlich ist hier schon „das Schöne“
die „Angemessenheit an den Begriff“, wie bei Hegel; KU A/XXVI -???!]]
Bei ihm ist das Schöne rein subjektiv
bestimmt (nach Baumgartens Verwendung des Worts ästhetisch): durch „Wohlgefallen“,
„Lust“ (statt „Unlust“); allerdings: Wohlgefallen „ohne Interesse“; was „ohne
Begriff [!] allgemein gefällt“ (KU
A/32) (durch den Zusatz „allgemein“ doch ein objektives Moment hineingebracht).
[vgl. 8/IV]
Einbruch in die altvertraute Harmonie-Ästhetik
durch den Begriff des Erhabenen:
KU B/75f (§ 23): „Das Schöne der Natur
betrifft die Form des Gegenstands, die in der Begrenzung besteht; das Erhabene
ist dagegen auch an einem formlosen Gegenstande zu finden, sofern
Unbegrenztheit an ihm, oder durch dessen Veranlassung, vorgestellt und doch
Totalität derselben hinzugedacht wird: so daß das Schöne für die Darstellung
eines unbestimmten Verstandesbegriffs, das Erhabene aber [für] eines
dergleichen [=unbestimmten] Vernunftbegriffs genommen zu werden scheint. Also
ist das Wohlgefallen dort mit der Vorstellung der Qualität, hier aber der
Quantität verbunden. Auch ist das letztere der Art nach von dem ersteren
Wohlgefallen gar sehr unterschieden: indem dieses (das Schöne) directe ein Gefühl
der Beförderung des Lebens bei sich führt, und daher mit Reizen und einer
spielenden Einbildungskraft vereinbar ist; jenes aber (das Gefühle des Erhabenen)
eine Lust ist, welche nur indirecte entspringt, nämlich so, daß sie durch das
Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte und darauf sogleich
folgenden desto stärkern Ergießung derselben erzeugt wird, mithin als Rührung
kein Spiel, sondern Ernst in der Beschäftigung der Einbildungskraft zu sein
scheint. Daher es auch mit Reizen unvereinbar ist; und, indem das Gemüt von dem
Gegenstande nicht bloß angezogen, sondern wechselweise auch immer wieder abgestoßen
wird, das Wohlgefallen am Erhabenen nicht wowohl positive / Lust als vielmehr
Bewunderung oder Achtung enthält, d. i. negative Lust genannt zu werden
verdient.“
Beim Erhabenen liegt der Akzent also auf
Widerspruch, Hemmung und Spannung; nicht auf Harmonie, Einklang, Übereinstimmung.
Es ist, im Gegenteil, die Inkommensurabilität des Maßlosen [Pleonasmus]. Es ist
etwas, das die Einbildungskraft überrascht, weil es sie übersteigt. Es ist
etwas, das nicht erwartet wird. Aber das Schöne: Mit seiner Zweckmäßigkeit wird
„gerechnet“. Das Erhabene öffnet das Tor zum modernen Kunstverständnis; nämlich
zur Ironie, deren Feld die Unangemessenheit der Erscheinung an die Idee ist.
34.
Schelling, System des transzendentalen Idealismus [1801?], [WW, Suhrkamp] I/S.
687ff, § 2:
„Das Kunstwerk reflektiert uns die Identität
der bewußten und der bewußtlosen Tätigkeit. Aber der Gegensatz beider ist ein
unendlicher, und er wird aufgehoben ohne alles Zutun der Freiheit. Der
Grundcharakter der Kunstwerks ist also [?] eine bewußtlose Unendlichkeit
(Synthesis von Natur und Freiheit). Der Künstler scheint in seinem Werk außer
dem, was er mit offenbarer Absicht darein gelegt hat, instinktmäßig gleichsam
eine Unendlichkeit dargestellt zu haben, welche ganz zu entwickeln kein
endlicher Verstand fähig ist. ...[Bsp. griech. Mythologie] -/... So ist es mit jedem wahren Kunstwerk,
indem jedes, als ob eine Unendlichkeit von Absichten darin wäre, einer
unendlichen Auslegung fähig ist, wobei man doch nie sagen kann, ob diese
Unendlichkeit im Künstler selbst gelegen habe, oder aber bloß im Kunstwerk
liege. ... Jede ästhetische Produktion geht aus vom Gefühl eines unendlichen
Widerspruchs... Jede ästhetisch Produktion geht aus von einer an sich
unendlichen Trennung der beiden Tätigkeiten [bewußte und unbewußte], welche in
jedem freien Produzieren getrennt sind. Da nun aber diese beiden Tätigkeiten im
Produkt als vereinigt dargestellt werden sollen [?], so wird durch dasselbe ein
Unendliches endlich dargestellt. Aber das Unendliche endlich dargestellt ist
Schönheit. Der Grundcharakter jedes Kunstwerks ... ist also die Schönheit, und
ohne Schönheit ist kein Kunstwerk. Denn ob es gleich erhabene Kunstwerke gibt,
und Schönheit und Erhabenheit in gewisser Rücksicht sich entgegengesetzt sind,
indem eine Naturszene z. B. schön sein kann, ohne deshalb erhaben zu sein, und
umgekehrt, so ist doch der Gegensatz /- zwischen Schönheit und Erhabenheit ein
solcher, der nur in Ansehung des Objekts, nicht aber in Ansehung des Subjekts
der Anschauung stattfindet, indem der Unterschied des schönen und erhabenen
Kunstwerks nur darauf beruht, daß, wo Schönheit ist, der unendliche Widerspruch
im Objekt selbst aufgehoben ist, anstatt daß, wo Erhabenheit ist, der
Widerspruch nicht im Objekt selbst vereinigt, sondern nur bis zu einer Höhe
gesteigert ist, bei welcher er in der Anschauung unwillkürlich sich aufhebt,
welches alsdann ebensoviel ist, als ob er im Objekt aufgehoben wäre. Es läßt
sich auch sehr leicht zeigen, daß die Erhabenheit auf demselben Widerspruch
beruht, indem immer, wenn ein Objekt erhaben genannt wird, durch die bewußtlose
Tätigkeit eine Größe [?] aufgenommen wird, welche in die bewußte aufzunehmen
unmöglich ist, wodurch denn das Ich mit sich selbst in einen Streit versetzt
wird, welcher nur in der ästhetischen Anschauung enden kann, welche beide Tätigkeiten
in unerwartete Harmonie setzt, nur daß die Anschauung, welche hier nicht im Künstler,
sondern im anschauenden Subjekt selbst liegt, völlig unwillkürlich ist, indem
das Erhabene (ganz anders als das bloß Abenteuerliche, was der Einbildungskraft
gleichfalls einen Widerspruch vorhält, welchen aber aufzulösen nicht der Mühe
wert ist) alle Kräfte des Gemüts in Bewegung setzt, um den die ganze
intellektuelle Existenz bedrohenden Widerspruch aufzulösen.“
[Das ist das übliche Schellingsche
Wortgeklingel, bei dem man sich gar nichts denken, sondern lediglich was „ahnden“
soll. Bemerkenswert aber die Tendenz;
das Schöne wird gewissermaßen entthront als das ästhetische Proprium, es
bekommt einen Bruder zur Seite, und es wird ihm nichtmal mehr ausdrücklich die
Erstgeburt zugebilligt. Höchst bezeichnend jedoch: eben dieser Passus ist in
seinem Handexemplar gestrichen und durch die Seichtigkeit ersetzt: „Das
wahrhaft und absolut Schöne ist immer auch erhaben, das Erhabene (wenn dies
wahrhaft) [der Wixer!] ist auch schön.“
- In der späteren Philosophie der Kunst
finden sich derlei Extravaganzen nicht mehr.]
35.
Das Ästhetische ist eine männliche
Dimension der Welt; das heißt, eine der Dimensionen, die die heimatliche Umwelt
zur Welt weitet. (Ökonomie - Bedürfnis,
Homöostase - ist die weibliche Dimension.)
36.
Ehre und Anstand sind ästhetische
Kategorien.
37.
Ausstellung "100 Jahre Kunst in
Deutschland" (Berlin, Neue Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof, Altes
Museum, 1999):
- Offenbar waren mit dem Ende der Klassischen
Moderne die Möglichkeiten der malerischen Formensprache im Wesentlichen
ausgeschöpft. Nach neuer Sachlichkeit und Mondrian & Co. kam eigentlich
nichts Nennenswertes mehr. Von den Neuesten sehen allenfalls [einige] Sachen
von Anselm Kiefer und Yves Klein nach was aus. Beuys und Baselitz sind, wie
erwartet, Scheiße.
- Auffällig bereits bei den Expressionisten
der Verfall bei der Darstellung des Menschen. Ganz schlimmes Beispiel: Nolde.
(Ausnahme: A. Macke; der schematisiert die menschl. Figur ebenso wie die
Landschaft.) Auch E. L. Kirchner. - Während sie die Sachen in Form und Farbe
zerlegen und abstrahieren, werden die Menschen hingeschludert und... ja,
nichtmal karikiert, sondern geschmiert - als ob sie's einfach nicht gekonnt hätten.
Ziemlich verblüffend: A. v. Jawlenski (angeblich "zurück zu russ.
Ikonen"; tatsächlich zurück zur Kinderkritzelei.)
- Vermutung: Die Malerei war erschöpft.
"Weiter" kann es nur noch mit Collage & Montage
("Objekte") gehn.
- Die [dt.] Maler nach der klass. Moderne sind
(alle) Sinn- und (!) Stoffhuber: "Schau her, ich will was bedeuten!"
Ja aber was denn bloß? "Werd ich dir doch nicht auf die Nase binden, ich
bin doch schließlich Kunst! Gib dir gefälligst 'n bissel Mühe, du bornierter Zivilist."
[am Abend des letzten Besuchs (Hamburger
Bahnhof)]
2. Zwischenbericht
Brief über Ästhetik
Im Sommer 2002 hatte ich die Gelegenheit, die in meinen Sudelbüchern angesammelten „Ästhetischen Splitter“ zu einem Zwischenergebnis zu bringen. Ich war im Gespräch mit einem autoritativen Kunsthistoriker, der mich beim Projekt eines Landschulheims musisch-ästhetischer Prägung in Fürstlich Drehna als Kurator unterstützte, und anläßlich eines Lichtbildvortrags im Schloß Branitz habe ich die folgende Zusammenfassung versucht. Er hat über die vielen Wörter gestaunt, wird aber verstanden haben, daß sie mehr zur Selbstverständigung bestimmt waren als zum Ausbau eines Standorts. Der beigefügte Vorspann stammt aus denselben Tagen; Variation zum Thema…
Vorspann. Eine Sache ‚bestimmen’ heißt: ihren Platz in einem Wirkungszusammenhang ausfindig machen. Daß sie in einem Wirkungszusammenhang steht, ist a priori vorausgesetzt. Dieses Apriori erscheint als ein logisches; ist aber ein historisches. Cf. Habermas: die Leistungen des transzendentalen Subjekts sind ein Erwerb der Gattungsgeschichte. Die ‚Idee’ eines Wirk-Zusammenhangs (Animismus) kommt auf, sobald die ‚Menschen’ (Hominiden) ihre ‚Welt’ selber machen: auf selbstgewählte Zwecke absehen und ihnen gemäß handeln. Die Idee der Kausalität - alles ist Wirkung, also hat alles eine Ursache - ist Teleologie a tergo [Nietzsche]. Zugrunde liegt die (‚unvordenklich’ gewordene) Frage: wozu mag das Ding taugen? Zuerst: mir taugen. Erweiterung: Wenn es zwar nicht mir taugt, dann wohl einem Andern... Was dieses Andere sei, ist das Problem der Metaphysik. Der Wirkungszusammenhang, der nicht meiner ist, ist das An-sich.
Im allgemeinen Wirkungszusammenhang (‚das Absolute’ in Fichtes Grundlagen...) wird das Eine durch das andere ‚bedeutet’: Nicht Es bedeutet ‚sich-selbst’, sondern das andere bedeutet Es. Nur darum kann ein ‚Wesen’ (das eigentliche Sein) von der ‚Erscheinung’ unterschieden werden. - Es ist Entwicklungsgeschichtlich aber nicht so, daß das ‚Wesen’ nachträglich zur Erscheinung hinzu tritt; sondern umgekehrt:
Der animistischen ‚Welt’-Anschauung erscheinen alle Dinge als mit eignem Willen begabt. Sie werden nicht von Anderem bedeutet, sondern bedeuten sich selber. Diese eigenwillige Selbstbedeutung kann man den Dingen und namentlich den Tieren ansehen; wohl nicht entziffern, aber doch erschauen: weniger erkennen als erraten. Ursprünglich besteht die Welt aus lauter Rätseln. Und zwar so, daß, was nicht zum Rätsel wird, in die ‚Welt’ gar nicht recht eintritt: als nichts-sagend. ‚Wissen’ ist ursprünglich Physio-Gnosis. Will sagen, ‚ursprünglich’ sind Anschauen und Begreifen nicht getrennt, sondern in der animistisch-magisch-mythischen Für-wahr-Nehmung eins. - Mit der Erweiterung des eigenen Wirkungskreises schiebt sich im angesammelten Gedächtnis vieler Generationen zwischen die Wahrnehmung der je einzelnen Wirkungsakte ‚belebter Dinge’ die Erfahrung von Wirkungs-Zusammenhängen - die im Gedächtnis nun als ein besonderes Bild (daimôn: der ‚zuteilt’, vgl. Prellwitz), neben den Abbildern der belebten Dinge, bewahrt werden können: Der Begriff tritt hinzu - und trägt, qua Abstraktion, in die Anschauung die Reflexion hinein. Jetzt erst scheiden sich Wesen und Erscheinung, indem das Werden (genesis=Wirkung) als Akzidens eines substanten Seins, alias Ur-Sache (ontos on = Zusammenhang der Wirkungen in einem Ursprung) gedacht werden kann. Die Anschauung wird "intellektual" - d. h. spekulativ; und scheidet sich von der gewöhnlichen, ‚sinnlichen’ Anschauung, die sie als roh verachtet. Seitdem zerfällt die Welt in Subjekt und Objekt.
[Juni 2002]
Berlin, den 15. Juni 2002
Lieber Herr Professor Börsch-Supan,anbei also meine ästhetischen Mutmaßungen anläßlich unserer Fahrt nach Br. Ich wollte das Ganze auf höchstens zwei Seiten eindämpfen, und das ist mir auch mehrfach gelungen - aber dann ging der Worterguß doch immer wieder in die Breite. Irgendwann muß man einen Punkt machen. Formal läßt der Text zu wünschen, aber er ist ja nicht für die Ewigkeit bestimmt.
Und in der Sache bin ich, das wissen Sie ja, nur ein dilettante ohne Anspruch auf Fachlichkeit. Meine Kenntnisse sind zufällig und unsystematisch, mit meinem Privatgeschmack als einzigem Ordnungsfaktor. Das vergessen Sie bitte nicht, wenn mir in den folgenden Zeilen unbescheidene Wortwahl unterlaufen sollte. Ich schreibe Ihnen nicht, um meine Ergebnisse zum Besten zu geben, sondern um schreibend die Gedanken zu sortieren. Und auch das nicht, weil ich auf „eigne Meinung“ aus wäre, sondern weil ich nicht riskieren will, später in meinem Landschulheim den Schülern aus Ratlosigkeit die Kunstwerke als bloßen Lernstoff verabfolgen zu müssen. Um Ihre Kommentare wage ich Sie nicht zu bitten, aber Sie wissen, daß sie willkommen sind.
Alles was sich aussprechen läßt, läßt sich klar aussprechen.
Es gibt allerdings UnaussprechlicheDies
zeigt sich,
es ist das Mystische.
Wittgenstein.
Mit dem Rätsel teilen die Kunstwerke die Zwieschlächtigkeit
des Bestimmten und des Unbestimmten. Sie
sind Fragezeichen.
Adorno
Vorab: Blechen hab ich zuerst 1973 bei der
Ausstelluung in der Nationalgalerie kennengelernt; dann 1977 in Paris bei der
Ausstellung ‚deutsche Romantiker’ wiedergetroffen; schließlich in Berlin 1990.
Unser Thema: Was trägt die (vermutliche) Absicht des Künstlers zur ästhetischen Qualität (=’Washeit’) des Werks bei?
Ich fange an mit dem Bild Stürmische See mit Leuchtturm aus Hamburg, das Sie in Br. gezeigt haben: Natürlich kannte ich das Stück doch - es steht ja im Katalog. Nur hatte es mich dort kein bißchen gerührt! Ihr Dia in Br. war rotstichig, heller und wegen der diffusen Beleuchtung verschwommener. Im Katalog sieht man: eine Theaterkulisse! Was der Maler ‚gemeint’ hat, ist leider zu gut zu erkennen. Das hat weniger mit Ausdruck als mit Eindruckmachen zu tun. Ich würde sagen: Zwei ganz verschiedne Bilder.
Ein ähnlicher Effekt, aber umgekehrt, beim Galgenberg. Im Pariser Katalog ist er in krachenden Farben wiedergegeben, während das Original nach meiner Erinnerung der Reproduktion im Berliner Katalog von 1999 farblich viel mehr entspricht. Wiederum: zwei ganz verschiedene Bilder! Es mag platt klingen, aber: Wenn die Zufälle der Reproduktionstechnik die ästhetische Washeit eines Bildes so stark alterieren können, dann kann die Absicht des Künstlers bestenfalls ein Ingrediens, aber nicht die Determinante des Werks sein. Und es kommt sogar noch darauf an, auf welche Art und Weise die Absicht ins Bild eingeht: störend oder verstärkend?! Mich hat z.
B. die offenkundig frömmelnde Absicht in den Bildern C.D. Friedrichs immer gestört - nicht weil er selber frömmelt, sondern weil er sein Frömmeln dem Betrachter aufdringen will. Seine Zeitgenossen mag das in der großen Mehrheit gar nicht gestört haben - weil er ihnen aus dem Herzen sprach. Aber nicht nur hatten sie eine andere Meinung von der Welt als die Heutigen; sie hatten vor allem auch eine andere Erwartung an die Kunst! Ich vermute daher: Viel wichtiger als die Absicht des Künstlers ist für die ästhetische Präsenz seines Werks die Absicht der Betrachter. (Die ist ihrerseits beeinflußt von deren Kenntnis über die Absichten des Künstlers; aber auf welche Art und Weise beeinflußt? Das bleibt immer die Frage.)
Ich komme zu den Badenden Mädchen. Ihre Interpretation des dunklen, wegelosen Vordergrunds ohne Ausgang zum hellen und überhöhten Hintergrund ist ja bestechend; vor allem, wenn Sie die mehrfache Wiederkehr des Motivs zeigen. Aber vielleicht ist es eine Petitio principii? Es könnte ja sein , daß es sich „bloß“ um einen Topos handelt - ein malerische Floskel, die wiederholt wird, weil sie „sich gut macht“. Ich glaube mich aber zu erinnern, daß sich auf manch einem spätgotischen oder Frührenaissance-Gemälde die dramatische Szene in einem geschlossenen Vordergrund abspielt, von dem keine Verbindung zu einem idealischen, mythologischen Hintergrund besteht. Hieß es nicht, Blechen habe mehr als seine Zeitgenossen die Meister der Vergangenheit studiert? Die Interpretation, daß kein Ausweg ist, hat aber nur Sinn in einer Epoche, wo die Menschen sich vor allem als Gehende ansehn - solche, die zu einem Ziel gelangen sollen. Für Menschen, die sich eher als Seßhafte verstehen, kann derselbe Topos nicht dieselbe Bedeutung haben. Nicht, daß ich mich zu einer „eignen“ Interpretation erkühnte; mich hat ja Ihre Interpretation bestochen, nämlich aus dem unmittelbaren Erlebnis heraus, daß ich auf den Bildern danach mehr sehen konnte. (Wer mehr sieht, hat recht - soll eine Redensart von Edmund Husserl gewesen sein.) Aber ich habe einen Verdacht: Je mehr Ihre Interpretationsweise zutrifft, will sagen, je mehr der Künstler eine Absicht nicht nur hatte, sondern ihrer auch noch bewußt war - umso wahrscheinlicher wird er seine Wirkung beim (heutigen) Betrachter verfehlen.
Ich verstehe, daß Sie mit der absichtsvollen Persönlichkeit der Künstler gerade die Singularität ihrer Werke verteidigen wollen, damit sie nicht zu Epiphänomenen eines „Entwicklungsprozesses“ herabgestuft werden - einer Art Selbstbewegung der Form (aus den Grotten von Lascaux bis zur jüngsten Documenta) in Analogie zu Hegels Selbstbewegung der Idee; wenn nicht gar zu einem „Ausdruck gesellschaftlicher Interessen“. Das liegt mir auch fern. Vielmehr juckt mich das Eigentümliche der ‚ästhetischen Wirkung’ (wie ich das hilfsweise nenne) beim Betrachter, und dabei geht es viel mehr um das Werk selbst als um die Absicht des Künstlers (die doch auf so verschiedene Art und Weise in den Blick des Betrachters eingehen kann). Diese pp. ästhetische Wirkung geschieht nicht als die Übertragung einer Information X aus einem Speicher A (dem Gegenstand) in einen Speicher B (den Betrachter); sondern als dessen persönliche Wert-Schätzung. Nicht receptio, sondern conceptio.
Das Verwunderliche ist nun, daß einem Künstler gelingt - wenn es gelingt -, das, was er ‚gemeint’ hat, so darzustellen, da? der Betrachter dasselbe ‚meint’! Das Mysterium ist dabei aber weder das Gemeinte selbst, noch der Gegenstand, an dem es dargestellt ist; sondern die gelungene Wahl der Darstellungsmittel. (Nämlich eines andern Mittels als des sprachlichen.) Ein solches Gelingen ist darum verwunderlich, als das Besondere der sprachlichen Darstellungsmittel ihre Fähigkeit zur Bestimmtheit ist - nämlich ihre Diskursivität, die auf der Digitalität sprachlichen Ausdrucks beruht; sodaß ein sprachlicher Ausdruck, dem es nicht gelingt, im Angesprochenen dieselbe Vorstellung zu erzeugen, als mißlungen gilt; während die ästhetische Darstellungsweise analog, anschaulich und eo ipso uneindeutig ist. Verwunderlich also, wenn ein uneindeutiges ‚Zeichen’ vom ‚Empfänger’ genau in dem Sinn ‚decodiert’ wird, wie es vom ‚Absender’ gemeint war.
Daß dies einem Künstler tatsächlich ‚immer wieder’ gelingt, gilt daher als seine Kunst. Seine Kunst, die nicht gelingen könnte ohne die ästhetische Qualität seines Werks; aber nicht schon diese ästhetische Qualität selber ist! (Naive Kinderkunst hat gelegentlich großen ästhetischen Reiz; aber weil das Kind nicht ‚etwas’ darstellen, sondern lediglich sich ‚ausdrücken’ [oder - wieder was andres - eine Geschichte erzählen] wollte, reden wir nicht von Kunst.) Wenn aber ein Künstler auf Nummer sicher geht, weil er der Trefflichkeit seiner Wahl der Darstellungsmittel (also seiner Kunst!) nicht traut und seiner Botschaft durch pseudo-diskursive (=quasi-digitale) Vereindeutigung unter die Arme greift, wenn er also ‚zu dick aufträgt’, dann... reden wir von Kitsch. So geht es manchem heutigen Betrachter mit manchem Bild von C.D. Friedrich. Nämlich wenn einzelne Ingredienzien wie Vokabeln behandelt werden, die je bestimmte Bedeutungen ‚bezeichnen’. (Wenn doch aber die Bedeutung bestimmt wäre, dann hätte sie diskursiv ausgesagt zu werden; wird sie stattdessen ästhetisch ausgesagt, soll sie nicht so tun, als ob sie bestimmt wäre; denn der mit der Überdeutlichkeit beabsichtigte Betrug des naiven Zuschauers ist es, der als Kitsch empfunden wird. Trivialprägnanz heißt das in der Gestalttheorie.)
Sie deuteten an, am ‚letzten Grund’ des ästhetischen Phänomens fänden sich wohl bionome Vorgänge. Ich habe in dem Zusammenhang die Hypothese von Irenäus Eibl-Eibesfeld (Biologie des menschlichen Verhaltens) erwähnt, die interkulturelle Vorliebe für den Typus ‚Parklandschaft’ rühre von unserer gemeinsamen Herkunft aus der (damaligen) Baumsavanne Ostafrikas her. Aber generalisieren läßt sich der Gesichtspunkt nicht: Der Biologe Adolf Portmann hat seinerzeit einen Gutteil seines Forscherlebens auf den (gelungenen) Nachweis verwandt, daß oft die spektakulärsten ästhetischen Naturphänomene für das Leben der Individuen oder der Art (Erhaltung und Auslese) ohne jede Bedeutung sind, gewissermaßen „nur so“ vorkommen - was ihn zu der bedenklichen Spekulation eines biotischen „Ausdruckstriebes“® veranlaßt hat. Und schließlich könnten bionome Erklärungen nur begründen, warum die Geschmäcker sich ähneln. Das wäre aber das Uninteressante daran. Interessant ist vielmahr, daß die Geschmäcker verschieden sind - und danach mag man sich wundern, daß aber zu vielen Zeiten, an vielen Orten so vielen Menschen dieselben Sachen gefallen! Wie es also zur Stilbildung kommen kann...
Nach der „evolutionären Erkenntnistheorie“ (im Gefolge von K. Lorenz) und einer „evolutionären Ethik“ gibt es inzwischen also auch eine „evolutionäre Ästhetik“... (Klaus Richter)
Der Anlaß der Erkenntniskritik seit Kant war das evolutionsgeschichtliche Datum, daß uns die Welt sozusagen zweimal widerfährt: einmal (sinnlich) in ihrer unmittelbar gegenständlichen Gegebenheit in Raum und Zeit; und ein zweitesmal (logisch) als Sinn-System. (Nota: der ‚Sinn’ [Geltung , Bedeutung] des je-Einzelnen ist a priori immer nur im Zusammenhang (‚Diskurs’) mit andern gegeben; während man die gegenständlichen Erscheinungen so anschauen kann, als ob sie jeweils an und für sich da wären.)
Diese Verdoppelung ist nicht ursprünglich, sondern wird vom reflektierenden Verstand nachträglich in die ‚natürliche’ Wahrnehmung hineingetragen. Doch die Reflexion prägt, seit das diskursive Denken den öffentlichen Alltag durchzieht, das abendländische Bewußtsein. Das ist der Status quo, von dem wir nolens volens ausgehen, auch wenn wir in die Gattungsgeschichte zurück blicken.
Ursprünglich lag natürlich der ‚Sinn’ der Dinge in ihrer praktischen Bedeutung für den Erhalt des Lebens = Reproduktion/Selektion. Daher zum Beispiel die Gestaltgesetze, namentlich Figur/Grund-Schema: Das Bewußtsein erkennt nicht Einzelheiten, sondern interpretiert eine erlebte Situation: es hält Ausschau nach Konfigurationen, die für Erhalt/Auslese ‚bedeutsam’ sind (etwa ‚Angreifer von links hinten’); denn das interessiert, alles andre nicht. Unter gewissen Umständen kann aber gerade dies die ‚Information’ aus einem Bild sein: Da ist keine ‚Figur’, und also kein ‚Grund’, alles verläuft sich „in Wohlgefallen“.
Die kennzeichnet in Sonderheit alles Neue. Dem in seiner ökologischen Nische befangenen Organismus kommt das Neue nur als seltene Ausnahme vor. Als aber unsere Vorfahren ihre Urwaldnische verlassen hatten und in der ostafrikanischen Parklandschaft zu einer vagierenden Lebensweise übergingen (=regelmäßig aus einer Nische in eine ganz-andere wechselten), wurde das Neue zu einem dauernden Lebensingrediens; zumal als vor 10 000 Jahren (Sedentarisierung-Ackerbau-Kultur) eine Welt entstand, die nicht nur von ‚Naturgesetzen’, sondern historisch, nämlich von menschlichem Willen gestaltet war. Seither bauschte sich das ‚aisthetisch’ Uneindeutige von einem (jederzeit möglichen) Zufall zu einer mentalen Konstante auf, die seither von vornherein in Betracht kommt und die Wahr-(Wert-)nehmung leitet.
In der vor- und frühgeschichtlichen ‚Kunst’ scheint eben die Darstellung des Rätselhaften im Vordergrund zu stehen; wie in aller animistischen und noch der magischen Kultur. Die spezifisch religiöse Kunst stellt dagegen das Rätselhafte (das Numinose) so dar, als ob es gelöst und in die eindeutig bestimmte Welt integriert, entschärft und befriedet wäre: Schönheit ist die Anverwandlung des Befremdlichen an das Vertraute – ‚gefaßt’, gebannt in Harmonie, Güte, Vorhersehbarkeit. Durch Schönheit wird das Fremde unanstößig und positiv. Sie ist Ausweis universeller Gültigkeit; einer höheren Gültigkeit gar als das Vertraute (=Gewöhnliche) selbst! Das Schöne symbolisiert die immanente Sinnhaftigkeit der Welt. (Solange das Schöne Paradigma der Kunst bleibt, weichen ‚die Geschmäcker’ im Detail von einander ab, insgesamt sind sie kulturell gebunden: Herrschaft des ‚Stils’.)
Mit der Renaissance emanzipiert sich das Schöne von seiner religiösen Prämisse und wird selber „bedeutend“: als Maßstab der Welt! Kunst in einer distinkten Bedeutung, als eine autonome Praxis des Schönen ohne kultische oder haushälterische Zwecke, ‚gibt es’ überhaupt erst seither. In der Romantik emanzipiert sich das Ästhetische von der Vorherrschaft des „Schönen“! Und das Rätselhafte drängt sich wieder vor das Schöne, aber diesmal als es selbst. Mit der Romantik wird das Bemühen aufgegeben, die Rätselhaftigkeit der Welt in einem immanenten Sinn ‚aufzulösen’. [Sic! Denn gerade je gewaltsamer, künstlicher dieser Versuch öffentlich vorgetragen wird, z. B. Friedrich, umso polemischer richtet er sich gegen das Wirkliche.] In der bürgerlichen Gesellschaft wird der Zwiespalt der Welt (die Sinn-Losigkeit des Gegebenen) selber zum vertraut-Selbstverständlichen und verzichtet auf jede gefällige Entschärfung. Die Voraussetzung: Bildung!
(Es gibt aber weiterhin eine Kunst, die auf solche Entschärfung nicht verzichten mag - für Leute, die mangels Bildung den Zwiespalt nicht aushalten; diese ‚Kunst’ heißt jetzt Kitsch. Seitdem darf im übrigen jeder ‚seinen eigenen Geschmack’ haben. Einen gültigen Stil gibt es nicht mehr, nur noch Moden, die aber von Anbeginn umstritten sind; z. B. wg. Kitsch!)
Trotzdem bleibt das Schöne Paradigma auch des Rätselhaften. Denn im Schönen (nun aber im Naturschönen sowohl als im Kunstschönen - das Naturschöne sieht aus, als ob die Natur „sich was dabei gedacht hätte“) erscheint das bloß-sinnlich-Gegebene so, als ob es selber etwas bedeuten wolle! Und zwar jenem ‚zwiespältigen’ Bewußtsein, das längst weiß, daß die Dinge ‚an sich’ eben überhaupt nichts bedeuten und ohne pragmatische Zwecksetzung sinnlos bleiben. Rätselhaft ist die Darstellung (als Darstellung) dann, wenn sie ihr Objekt, egal ob gegenständlich oder ungegenständlich, beinahe in ‚Schönheit’ faßt, und sie dann doch verfehlt; die harmonistische, befriedete, positive Symbolhaftigkeit des Schönen parodiert. Diese vorgeführte Immanenz heißt Ironie und ist seit der Romantik der Generalnenner der Kunst.
Analog zur Verselbständigung ‚des Logischen’ gegenüber dem Sinnlich-Gegebenen geschieht historisch eine Emanzipation ‚des Ästhetischen’ vom Praktisch-Nützlichen (und ipso facto vom Gegenständlichen). Aber dadurch gelangen beide, das Logische wie das Ästhetische, nicht etwa zu einer selbständigen Existenz unabhängig vom ‚Wirklichen’; sondern sie gewinnen ihre ‚eigene Bedeutung’ lediglich durch ihre ironische Bezogenheit auf dieselbe: als deren Hohlspiegel (was den Möglichkeiten einer rein ungegenständlichen Kunst Grenzen setzt). Wobei das Ästhetische unmittelbar in das praktische Leben eingreifen kann, das Logische aber nur vermittelt durch die theoretischen Wissenschaften - und deren Niederschlag in der industriellen Technik! (Die esoterische Loslösung des modernen Kunstbetriebs vom normalen Leben ist ein kommerzielles Phänomen, kein ästhetisches.)
Seine („ontologische“) Rechtfertigung erfährt ‚das Ästhetische’ durch seinen spezifischen Gegensatz gegen die Bestimmtheit der modernen (Arbeits-)Welt. -
‚Bestimmen’ heißt mehr als nur (im logischen Sinn) vereindeutigen; nämlich: eine Sache anhand ihrer ‚Merkmale’ erfassen und operationalisierbar machen = ihre Merkmale einem möglichen Handlungszweck zuordnen. Der Handlungszweck mag seinerseits einstweilen ein ‚rein logischer’ sein. Man kann Theorie durchaus auch um ihrer selbst willen betreiben. Das ändert aber nichts daran, daß die fortschreitende logische Durchdringung der Welt seit der Herausbildung der Arbeitsgesellschaft ihren mächtigen Antrieb im praktischen Interesse gefunden hat. Die Logik sei ‚selber eine praktische Wissenschaft’, steht bei F. Schlegel. (Hat er freilich anders gemeint; nämlich: sie lehrt, wie es sein soll.)
Wobei also ‚Bestimmung’ mit der Zerlegung (Analyse) des Gegenstands in Merkmale beginnt. Der Zusammenhang der Dinge ergibt sich aus der jeweiligen Übereinstimmung dieses oder jenes operationalisierbaren ‚Merkmals’; folgt die logische Verknüpfung (Synthesis). Dieses Verfahren ist das diskursive Denken; es beruht darauf, daß die jeweiligen Merkmale sich durch eindeutige Symbole bezeichnen lassen: digitalisieren. - Das ästhetische Phänomen ist aber eines, das sich (als solches) nicht analytisch in Merkmale zerlegen, digitalisieren und operationalisieren läßt. „Es läßt sich“ nicht? Selbstverständlich kann ich, wenn ich klug genug bin, jedes Phänomen nach Merkmalen beschreiben! Selbstverständlich kann ich nicht nur ein Kunstwerk, sondern auch jedes Naturbild analysieren. Ergo: ‚Das Ästhetische’ entsteht dadurch, daß ich mich entscheide, es als nicht-analysierbar anzuschauen: Bestimmung als ein Un-Bestimmtes! Es entsteht (historisch) als eine Entgegen-Setzung zur operationalisierten Welt der industriellen Zivilisation; als der Entschluß, die Dinge nicht als funktional, sondern als autonom aufzufassen; so, wie sie an sich sind. Aber nicht, wie die Bilder von C. D. Friedrich vermuten lassen können, aus einem genuinen metaphysischen Bedürfnis des Menschen heraus; nicht, weil er im Ästhetischen das Objektive anzuschauen meint; sondern aus dem subjektiven Motiv heraus, daß er sich selbst schäbig vorkommt, wenn er all die Dinge der Welt lediglich unterm Gesichtspunkt ihrer Brauchbarkeit, d. h. seines Vorteils anschaut. Also weil er von sich selber erwartet, mehr als ein bloßer Ökonom zu sein.
Er kommt sich besser vor, wenn er die Welt anders anschaut denn als ein bloßes Reservoir seiner Bedürfnisse. Was er sich offenbar erst dann leisten kann, wenn seine Bedürfnisse ihn nicht mehr rund um die Uhr in Anspruch nehmen und er sich den Luxus der ‚reinen Anschauung’ leisten kann. Eine aristokratische Haltung zur Welt, die kein Privileg der Wenigen mehr (wie seit den alten Griechen), sondern (in der mediatischen ‚Überflußgesellschaft’) eine Möglichkeit für die Vielen geworden ist. Aber darum fällt sie den Individuen nicht mehr „von Hause aus“ zu, sondern sie will gewählt werden. Und das ist die Sache der Pädagogen.
Der ästhetische Mensch ‚entsteht’ dadurch, daß er an sich höhere Anforderungen stellt! Dabei kann er selbstverständlich den homo oeconomicus nicht ersetzen - etwa als der „wahre“ anstelle des falschen; sondern ihn lediglich ironisch paraphrasieren: neben der (bewährten) Wirklichkeit der Bestimmtheiten die (gewagte) Möglichkeit des Ganz-Andern. Umso mehr ist das die Sache der Pädagogen. Nämlich sofern sie damit anfangen, an sich höhere Ansprüche zu stellen!
...
Mit den besten Grüßen,
Ihr J.E.
Unser Thema: Was trägt die (vermutliche) Absicht des Künstlers zur ästhetischen Qualität (=’Washeit’) des Werks bei?
Ich fange an mit dem Bild Stürmische See mit Leuchtturm aus Hamburg, das Sie in Br. gezeigt haben: Natürlich kannte ich das Stück doch - es steht ja im Katalog. Nur hatte es mich dort kein bißchen gerührt! Ihr Dia in Br. war rotstichig, heller und wegen der diffusen Beleuchtung verschwommener. Im Katalog sieht man: eine Theaterkulisse! Was der Maler ‚gemeint’ hat, ist leider zu gut zu erkennen. Das hat weniger mit Ausdruck als mit Eindruckmachen zu tun. Ich würde sagen: Zwei ganz verschiedne Bilder.
Ein ähnlicher Effekt, aber umgekehrt, beim Galgenberg. Im Pariser Katalog ist er in krachenden Farben wiedergegeben, während das Original nach meiner Erinnerung der Reproduktion im Berliner Katalog von 1999 farblich viel mehr entspricht. Wiederum: zwei ganz verschiedene Bilder! Es mag platt klingen, aber: Wenn die Zufälle der Reproduktionstechnik die ästhetische Washeit eines Bildes so stark alterieren können, dann kann die Absicht des Künstlers bestenfalls ein Ingrediens, aber nicht die Determinante des Werks sein. Und es kommt sogar noch darauf an, auf welche Art und Weise die Absicht ins Bild eingeht: störend oder verstärkend?! Mich hat z.
B. die offenkundig frömmelnde Absicht in den Bildern C.D. Friedrichs immer gestört - nicht weil er selber frömmelt, sondern weil er sein Frömmeln dem Betrachter aufdringen will. Seine Zeitgenossen mag das in der großen Mehrheit gar nicht gestört haben - weil er ihnen aus dem Herzen sprach. Aber nicht nur hatten sie eine andere Meinung von der Welt als die Heutigen; sie hatten vor allem auch eine andere Erwartung an die Kunst! Ich vermute daher: Viel wichtiger als die Absicht des Künstlers ist für die ästhetische Präsenz seines Werks die Absicht der Betrachter. (Die ist ihrerseits beeinflußt von deren Kenntnis über die Absichten des Künstlers; aber auf welche Art und Weise beeinflußt? Das bleibt immer die Frage.)
Ich komme zu den Badenden Mädchen. Ihre Interpretation des dunklen, wegelosen Vordergrunds ohne Ausgang zum hellen und überhöhten Hintergrund ist ja bestechend; vor allem, wenn Sie die mehrfache Wiederkehr des Motivs zeigen. Aber vielleicht ist es eine Petitio principii? Es könnte ja sein , daß es sich „bloß“ um einen Topos handelt - ein malerische Floskel, die wiederholt wird, weil sie „sich gut macht“. Ich glaube mich aber zu erinnern, daß sich auf manch einem spätgotischen oder Frührenaissance-Gemälde die dramatische Szene in einem geschlossenen Vordergrund abspielt, von dem keine Verbindung zu einem idealischen, mythologischen Hintergrund besteht. Hieß es nicht, Blechen habe mehr als seine Zeitgenossen die Meister der Vergangenheit studiert? Die Interpretation, daß kein Ausweg ist, hat aber nur Sinn in einer Epoche, wo die Menschen sich vor allem als Gehende ansehn - solche, die zu einem Ziel gelangen sollen. Für Menschen, die sich eher als Seßhafte verstehen, kann derselbe Topos nicht dieselbe Bedeutung haben. Nicht, daß ich mich zu einer „eignen“ Interpretation erkühnte; mich hat ja Ihre Interpretation bestochen, nämlich aus dem unmittelbaren Erlebnis heraus, daß ich auf den Bildern danach mehr sehen konnte. (Wer mehr sieht, hat recht - soll eine Redensart von Edmund Husserl gewesen sein.) Aber ich habe einen Verdacht: Je mehr Ihre Interpretationsweise zutrifft, will sagen, je mehr der Künstler eine Absicht nicht nur hatte, sondern ihrer auch noch bewußt war - umso wahrscheinlicher wird er seine Wirkung beim (heutigen) Betrachter verfehlen.
Ich verstehe, daß Sie mit der absichtsvollen Persönlichkeit der Künstler gerade die Singularität ihrer Werke verteidigen wollen, damit sie nicht zu Epiphänomenen eines „Entwicklungsprozesses“ herabgestuft werden - einer Art Selbstbewegung der Form (aus den Grotten von Lascaux bis zur jüngsten Documenta) in Analogie zu Hegels Selbstbewegung der Idee; wenn nicht gar zu einem „Ausdruck gesellschaftlicher Interessen“. Das liegt mir auch fern. Vielmehr juckt mich das Eigentümliche der ‚ästhetischen Wirkung’ (wie ich das hilfsweise nenne) beim Betrachter, und dabei geht es viel mehr um das Werk selbst als um die Absicht des Künstlers (die doch auf so verschiedene Art und Weise in den Blick des Betrachters eingehen kann). Diese pp. ästhetische Wirkung geschieht nicht als die Übertragung einer Information X aus einem Speicher A (dem Gegenstand) in einen Speicher B (den Betrachter); sondern als dessen persönliche Wert-Schätzung. Nicht receptio, sondern conceptio.
Das Verwunderliche ist nun, daß einem Künstler gelingt - wenn es gelingt -, das, was er ‚gemeint’ hat, so darzustellen, da? der Betrachter dasselbe ‚meint’! Das Mysterium ist dabei aber weder das Gemeinte selbst, noch der Gegenstand, an dem es dargestellt ist; sondern die gelungene Wahl der Darstellungsmittel. (Nämlich eines andern Mittels als des sprachlichen.) Ein solches Gelingen ist darum verwunderlich, als das Besondere der sprachlichen Darstellungsmittel ihre Fähigkeit zur Bestimmtheit ist - nämlich ihre Diskursivität, die auf der Digitalität sprachlichen Ausdrucks beruht; sodaß ein sprachlicher Ausdruck, dem es nicht gelingt, im Angesprochenen dieselbe Vorstellung zu erzeugen, als mißlungen gilt; während die ästhetische Darstellungsweise analog, anschaulich und eo ipso uneindeutig ist. Verwunderlich also, wenn ein uneindeutiges ‚Zeichen’ vom ‚Empfänger’ genau in dem Sinn ‚decodiert’ wird, wie es vom ‚Absender’ gemeint war.
Daß dies einem Künstler tatsächlich ‚immer wieder’ gelingt, gilt daher als seine Kunst. Seine Kunst, die nicht gelingen könnte ohne die ästhetische Qualität seines Werks; aber nicht schon diese ästhetische Qualität selber ist! (Naive Kinderkunst hat gelegentlich großen ästhetischen Reiz; aber weil das Kind nicht ‚etwas’ darstellen, sondern lediglich sich ‚ausdrücken’ [oder - wieder was andres - eine Geschichte erzählen] wollte, reden wir nicht von Kunst.) Wenn aber ein Künstler auf Nummer sicher geht, weil er der Trefflichkeit seiner Wahl der Darstellungsmittel (also seiner Kunst!) nicht traut und seiner Botschaft durch pseudo-diskursive (=quasi-digitale) Vereindeutigung unter die Arme greift, wenn er also ‚zu dick aufträgt’, dann... reden wir von Kitsch. So geht es manchem heutigen Betrachter mit manchem Bild von C.D. Friedrich. Nämlich wenn einzelne Ingredienzien wie Vokabeln behandelt werden, die je bestimmte Bedeutungen ‚bezeichnen’. (Wenn doch aber die Bedeutung bestimmt wäre, dann hätte sie diskursiv ausgesagt zu werden; wird sie stattdessen ästhetisch ausgesagt, soll sie nicht so tun, als ob sie bestimmt wäre; denn der mit der Überdeutlichkeit beabsichtigte Betrug des naiven Zuschauers ist es, der als Kitsch empfunden wird. Trivialprägnanz heißt das in der Gestalttheorie.)
Sie deuteten an, am ‚letzten Grund’ des ästhetischen Phänomens fänden sich wohl bionome Vorgänge. Ich habe in dem Zusammenhang die Hypothese von Irenäus Eibl-Eibesfeld (Biologie des menschlichen Verhaltens) erwähnt, die interkulturelle Vorliebe für den Typus ‚Parklandschaft’ rühre von unserer gemeinsamen Herkunft aus der (damaligen) Baumsavanne Ostafrikas her. Aber generalisieren läßt sich der Gesichtspunkt nicht: Der Biologe Adolf Portmann hat seinerzeit einen Gutteil seines Forscherlebens auf den (gelungenen) Nachweis verwandt, daß oft die spektakulärsten ästhetischen Naturphänomene für das Leben der Individuen oder der Art (Erhaltung und Auslese) ohne jede Bedeutung sind, gewissermaßen „nur so“ vorkommen - was ihn zu der bedenklichen Spekulation eines biotischen „Ausdruckstriebes“® veranlaßt hat. Und schließlich könnten bionome Erklärungen nur begründen, warum die Geschmäcker sich ähneln. Das wäre aber das Uninteressante daran. Interessant ist vielmahr, daß die Geschmäcker verschieden sind - und danach mag man sich wundern, daß aber zu vielen Zeiten, an vielen Orten so vielen Menschen dieselben Sachen gefallen! Wie es also zur Stilbildung kommen kann...
Nach der „evolutionären Erkenntnistheorie“ (im Gefolge von K. Lorenz) und einer „evolutionären Ethik“ gibt es inzwischen also auch eine „evolutionäre Ästhetik“... (Klaus Richter)
Der Anlaß der Erkenntniskritik seit Kant war das evolutionsgeschichtliche Datum, daß uns die Welt sozusagen zweimal widerfährt: einmal (sinnlich) in ihrer unmittelbar gegenständlichen Gegebenheit in Raum und Zeit; und ein zweitesmal (logisch) als Sinn-System. (Nota: der ‚Sinn’ [Geltung , Bedeutung] des je-Einzelnen ist a priori immer nur im Zusammenhang (‚Diskurs’) mit andern gegeben; während man die gegenständlichen Erscheinungen so anschauen kann, als ob sie jeweils an und für sich da wären.)
Diese Verdoppelung ist nicht ursprünglich, sondern wird vom reflektierenden Verstand nachträglich in die ‚natürliche’ Wahrnehmung hineingetragen. Doch die Reflexion prägt, seit das diskursive Denken den öffentlichen Alltag durchzieht, das abendländische Bewußtsein. Das ist der Status quo, von dem wir nolens volens ausgehen, auch wenn wir in die Gattungsgeschichte zurück blicken.
Ursprünglich lag natürlich der ‚Sinn’ der Dinge in ihrer praktischen Bedeutung für den Erhalt des Lebens = Reproduktion/Selektion. Daher zum Beispiel die Gestaltgesetze, namentlich Figur/Grund-Schema: Das Bewußtsein erkennt nicht Einzelheiten, sondern interpretiert eine erlebte Situation: es hält Ausschau nach Konfigurationen, die für Erhalt/Auslese ‚bedeutsam’ sind (etwa ‚Angreifer von links hinten’); denn das interessiert, alles andre nicht. Unter gewissen Umständen kann aber gerade dies die ‚Information’ aus einem Bild sein: Da ist keine ‚Figur’, und also kein ‚Grund’, alles verläuft sich „in Wohlgefallen“.
Das reicht stammesgeschichtlich (weit
hinter die Hominisation) ins Tier- und womöglich ins Pflanzenreich zurück. Da
wird jede Sensation vom Organismus a priori als nützlich oder schädlich
gewertet. Ursprünglich lassen sich ‚Empfindung’ und ‚Wertung’ empirisch gar
nicht trennen (sondern nur nachträglich im Begriff des reflektierenden
Betrachters). Alle Nervenreizungen werden a priori in Hinblick auf ihre
Relevanz für ‚das Leben’ interpretiert: als angenehm oder unangenehm. Sie sind ästhetisch in diesem präzisen Sinn, daß
die ‚Wertnehmung’ uno actu mit der ‚Wahrnehmung’
zugleich geschieht (=Urteil ohne ‚Gründe’, vor aller Reflexion). Gilt darum bei
Baumgarten, qua aisthesis, als das „niedere“
Erkenntnisvermögen! So weit bleibt die die evolutionäre Ästhetik im Recht.
Je komplexer sich die Organismen
entwickeln, um so öfter kommt es aber vor, daß die ‚sensorische Wertung’
uneindeutig ausfällt; daß also das Individuum nicht immer ‚weiß’, ob ihm diese
oder jene Sensation eigentlich eher ‚angenehm’ oder eher ‚unangenehm’ ist
(Schmerz-Lust in vielen Abstufungen): eine erregte Wachheit. Das ist nun ‚das Ästhetische’
in specie: nicht die Positivität der Empfindung, sondern ihre Problematizität.
Die kennzeichnet in Sonderheit alles Neue. Dem in seiner ökologischen Nische befangenen Organismus kommt das Neue nur als seltene Ausnahme vor. Als aber unsere Vorfahren ihre Urwaldnische verlassen hatten und in der ostafrikanischen Parklandschaft zu einer vagierenden Lebensweise übergingen (=regelmäßig aus einer Nische in eine ganz-andere wechselten), wurde das Neue zu einem dauernden Lebensingrediens; zumal als vor 10 000 Jahren (Sedentarisierung-Ackerbau-Kultur) eine Welt entstand, die nicht nur von ‚Naturgesetzen’, sondern historisch, nämlich von menschlichem Willen gestaltet war. Seither bauschte sich das ‚aisthetisch’ Uneindeutige von einem (jederzeit möglichen) Zufall zu einer mentalen Konstante auf, die seither von vornherein in Betracht kommt und die Wahr-(Wert-)nehmung leitet.
In der vor- und frühgeschichtlichen ‚Kunst’ scheint eben die Darstellung des Rätselhaften im Vordergrund zu stehen; wie in aller animistischen und noch der magischen Kultur. Die spezifisch religiöse Kunst stellt dagegen das Rätselhafte (das Numinose) so dar, als ob es gelöst und in die eindeutig bestimmte Welt integriert, entschärft und befriedet wäre: Schönheit ist die Anverwandlung des Befremdlichen an das Vertraute – ‚gefaßt’, gebannt in Harmonie, Güte, Vorhersehbarkeit. Durch Schönheit wird das Fremde unanstößig und positiv. Sie ist Ausweis universeller Gültigkeit; einer höheren Gültigkeit gar als das Vertraute (=Gewöhnliche) selbst! Das Schöne symbolisiert die immanente Sinnhaftigkeit der Welt. (Solange das Schöne Paradigma der Kunst bleibt, weichen ‚die Geschmäcker’ im Detail von einander ab, insgesamt sind sie kulturell gebunden: Herrschaft des ‚Stils’.)
Mit der Renaissance emanzipiert sich das Schöne von seiner religiösen Prämisse und wird selber „bedeutend“: als Maßstab der Welt! Kunst in einer distinkten Bedeutung, als eine autonome Praxis des Schönen ohne kultische oder haushälterische Zwecke, ‚gibt es’ überhaupt erst seither. In der Romantik emanzipiert sich das Ästhetische von der Vorherrschaft des „Schönen“! Und das Rätselhafte drängt sich wieder vor das Schöne, aber diesmal als es selbst. Mit der Romantik wird das Bemühen aufgegeben, die Rätselhaftigkeit der Welt in einem immanenten Sinn ‚aufzulösen’. [Sic! Denn gerade je gewaltsamer, künstlicher dieser Versuch öffentlich vorgetragen wird, z. B. Friedrich, umso polemischer richtet er sich gegen das Wirkliche.] In der bürgerlichen Gesellschaft wird der Zwiespalt der Welt (die Sinn-Losigkeit des Gegebenen) selber zum vertraut-Selbstverständlichen und verzichtet auf jede gefällige Entschärfung. Die Voraussetzung: Bildung!
(Es gibt aber weiterhin eine Kunst, die auf solche Entschärfung nicht verzichten mag - für Leute, die mangels Bildung den Zwiespalt nicht aushalten; diese ‚Kunst’ heißt jetzt Kitsch. Seitdem darf im übrigen jeder ‚seinen eigenen Geschmack’ haben. Einen gültigen Stil gibt es nicht mehr, nur noch Moden, die aber von Anbeginn umstritten sind; z. B. wg. Kitsch!)
Trotzdem bleibt das Schöne Paradigma auch des Rätselhaften. Denn im Schönen (nun aber im Naturschönen sowohl als im Kunstschönen - das Naturschöne sieht aus, als ob die Natur „sich was dabei gedacht hätte“) erscheint das bloß-sinnlich-Gegebene so, als ob es selber etwas bedeuten wolle! Und zwar jenem ‚zwiespältigen’ Bewußtsein, das längst weiß, daß die Dinge ‚an sich’ eben überhaupt nichts bedeuten und ohne pragmatische Zwecksetzung sinnlos bleiben. Rätselhaft ist die Darstellung (als Darstellung) dann, wenn sie ihr Objekt, egal ob gegenständlich oder ungegenständlich, beinahe in ‚Schönheit’ faßt, und sie dann doch verfehlt; die harmonistische, befriedete, positive Symbolhaftigkeit des Schönen parodiert. Diese vorgeführte Immanenz heißt Ironie und ist seit der Romantik der Generalnenner der Kunst.
Analog zur Verselbständigung ‚des Logischen’ gegenüber dem Sinnlich-Gegebenen geschieht historisch eine Emanzipation ‚des Ästhetischen’ vom Praktisch-Nützlichen (und ipso facto vom Gegenständlichen). Aber dadurch gelangen beide, das Logische wie das Ästhetische, nicht etwa zu einer selbständigen Existenz unabhängig vom ‚Wirklichen’; sondern sie gewinnen ihre ‚eigene Bedeutung’ lediglich durch ihre ironische Bezogenheit auf dieselbe: als deren Hohlspiegel (was den Möglichkeiten einer rein ungegenständlichen Kunst Grenzen setzt). Wobei das Ästhetische unmittelbar in das praktische Leben eingreifen kann, das Logische aber nur vermittelt durch die theoretischen Wissenschaften - und deren Niederschlag in der industriellen Technik! (Die esoterische Loslösung des modernen Kunstbetriebs vom normalen Leben ist ein kommerzielles Phänomen, kein ästhetisches.)
Seine („ontologische“) Rechtfertigung erfährt ‚das Ästhetische’ durch seinen spezifischen Gegensatz gegen die Bestimmtheit der modernen (Arbeits-)Welt. -
‚Bestimmen’ heißt mehr als nur (im logischen Sinn) vereindeutigen; nämlich: eine Sache anhand ihrer ‚Merkmale’ erfassen und operationalisierbar machen = ihre Merkmale einem möglichen Handlungszweck zuordnen. Der Handlungszweck mag seinerseits einstweilen ein ‚rein logischer’ sein. Man kann Theorie durchaus auch um ihrer selbst willen betreiben. Das ändert aber nichts daran, daß die fortschreitende logische Durchdringung der Welt seit der Herausbildung der Arbeitsgesellschaft ihren mächtigen Antrieb im praktischen Interesse gefunden hat. Die Logik sei ‚selber eine praktische Wissenschaft’, steht bei F. Schlegel. (Hat er freilich anders gemeint; nämlich: sie lehrt, wie es sein soll.)
Wobei also ‚Bestimmung’ mit der Zerlegung (Analyse) des Gegenstands in Merkmale beginnt. Der Zusammenhang der Dinge ergibt sich aus der jeweiligen Übereinstimmung dieses oder jenes operationalisierbaren ‚Merkmals’; folgt die logische Verknüpfung (Synthesis). Dieses Verfahren ist das diskursive Denken; es beruht darauf, daß die jeweiligen Merkmale sich durch eindeutige Symbole bezeichnen lassen: digitalisieren. - Das ästhetische Phänomen ist aber eines, das sich (als solches) nicht analytisch in Merkmale zerlegen, digitalisieren und operationalisieren läßt. „Es läßt sich“ nicht? Selbstverständlich kann ich, wenn ich klug genug bin, jedes Phänomen nach Merkmalen beschreiben! Selbstverständlich kann ich nicht nur ein Kunstwerk, sondern auch jedes Naturbild analysieren. Ergo: ‚Das Ästhetische’ entsteht dadurch, daß ich mich entscheide, es als nicht-analysierbar anzuschauen: Bestimmung als ein Un-Bestimmtes! Es entsteht (historisch) als eine Entgegen-Setzung zur operationalisierten Welt der industriellen Zivilisation; als der Entschluß, die Dinge nicht als funktional, sondern als autonom aufzufassen; so, wie sie an sich sind. Aber nicht, wie die Bilder von C. D. Friedrich vermuten lassen können, aus einem genuinen metaphysischen Bedürfnis des Menschen heraus; nicht, weil er im Ästhetischen das Objektive anzuschauen meint; sondern aus dem subjektiven Motiv heraus, daß er sich selbst schäbig vorkommt, wenn er all die Dinge der Welt lediglich unterm Gesichtspunkt ihrer Brauchbarkeit, d. h. seines Vorteils anschaut. Also weil er von sich selber erwartet, mehr als ein bloßer Ökonom zu sein.
Er kommt sich besser vor, wenn er die Welt anders anschaut denn als ein bloßes Reservoir seiner Bedürfnisse. Was er sich offenbar erst dann leisten kann, wenn seine Bedürfnisse ihn nicht mehr rund um die Uhr in Anspruch nehmen und er sich den Luxus der ‚reinen Anschauung’ leisten kann. Eine aristokratische Haltung zur Welt, die kein Privileg der Wenigen mehr (wie seit den alten Griechen), sondern (in der mediatischen ‚Überflußgesellschaft’) eine Möglichkeit für die Vielen geworden ist. Aber darum fällt sie den Individuen nicht mehr „von Hause aus“ zu, sondern sie will gewählt werden. Und das ist die Sache der Pädagogen.
Der ästhetische Mensch ‚entsteht’ dadurch, daß er an sich höhere Anforderungen stellt! Dabei kann er selbstverständlich den homo oeconomicus nicht ersetzen - etwa als der „wahre“ anstelle des falschen; sondern ihn lediglich ironisch paraphrasieren: neben der (bewährten) Wirklichkeit der Bestimmtheiten die (gewagte) Möglichkeit des Ganz-Andern. Umso mehr ist das die Sache der Pädagogen. Nämlich sofern sie damit anfangen, an sich höhere Ansprüche zu stellen!
...
Ihr J.E.
Wie das Ästhetische in die Welt gekommen ist
Wissen kommt nicht zustande ohne Absicht. Erst wenn ich an die Dinge meine Absich herantrage, bekunden sie ihre Eigenschaften - nämlich wie sie zu dem, worauf ich es abgesehen habe, 'Stellung nehmen'; alias was sie bedeuten. Von einem Ding "an sich" gibt es schon darum nichts zu wissen, weil es in dem Moment aufhört, "an sich" zu sein, als es meiner Absicht begegnet. Ohne meine Absicht bedeutet es nichts. Doch ihm ohne Absicht begegnen kann ich nicht.
Richtiger gesagt: kann ich nicht natürlich, sondern nur künstlich. Kann ich erst durch Reflexion.* Nämlich wenn ich absichtlich von den Absichten - allen möglichen Absichten - durch freien Entschluss, nicht natürlich, sondern künstlich, absehe und das Ding betrachte, wie es 'sich zeigen' würde, wenn ich es ohne Absicht betrachten könnte. Wenn ich also von mirabsehen würde. So entsteht kein Wissen von Etwas, sondern lediglich Anschauung von Erscheinung.
Wenn ich mich absichtlich in den ästhetischen Zustand versetze: "In dem ästhetischen Zustand ist der Mensch Null", sagt Schiller. "An sich" sind die Dinge, wie sie ästhetisch (er)scheinen. Sie sind das Kunstprodukt der Reflexion, die ihrer selbst entsagt.
Mit andern Worten, ästhetisches Erleben ist nicht möglich ohne vorheriges Wissen und nicht ohne Hintergedanken. Es ist ein modernes Phänomen. Und dass uns die Bilder, die wir in diesem Zustand sehen, hinterher immer so vorkommen, als ob sie 'etwas zu bedeuten' hätten, ist kein Wunder.
*) "Zum Bewusstsein der Anschauung erhebt man sich nur durch Freiheit."
J.G. Fichte, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, SW I, S. 533
Nota. Die obigen Fotos gehören mir nicht, ich habe sie im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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