Was kann man denn heute noch malen?

Cy Twombly, Die Schule von Athen, 2. Version, 1964

Wir leben in einer Epoche, wo - nicht allein, aber auch nicht zuletzt - die Neuen Medien dafür sorgen, dass kein Bild mehr an die Öffentlichkeit gelangen wird, das nicht - so oder ein bisschen anders - schonmal dagewesen ist. Alles, was in der zeitgenössischen Kunst etwas taugt, von Gerhard Richter über Cy Twombly bis zu den amerikanischen Hyperrealisten, sind nur Variationen zu dem Thema Was kann man heute noch malen? Und ihr jeweiliger anschaulich-ästhetischer Gewinn besteht eben in der Variation und nicht im Werk. Mit andern Worten: Wenn es je sinnvoll gewesen wäre, 'Kunst' an der Qualität (Washeit) ihrer Produkte zu definieren - dann ist das heute vorbei.

Man hätte sagen können: Kunst ist eine bildnerische Praxis, die, wenn sie gelingt, die Augen der Zeitgenossen öffnet für ästhetische Qualitäten, die zuvor noch nicht sichtbar waren.



Das ist verführerisch, aber es ließ immer die Frage offen: Wer oder was entscheidet darüber, was in der Kunst gelungen ist und was mißraten? Und das ist ein Fass ohne Boden. Was Kunst ist, definieren zu wollen durch ihre ästhetische Qualität, läuft darauf hinaus, Kunst nicht definieren zu können. Und recht besehen war das auch der Zweck der definitorischen Übung; denn sie ging immer aus von den unmittelbar Interessierten: den Künstlern selbst und ihren... nun ja, Agenten. Diente das epochale Werk Giorgio Vasaris etwa nicht der Propagierung - Marketing heißt das heute - des aufkommenden Manierismus in der italienischen Malerei? Wird einer behaupten, er habe sich um 'Objektivität' überhaupt bemüht? Er postulierte die Maßstäbe, denen er in seinem eigenen Werk selber gefolgt war und weiter zu folgen gedachte. Anders ist Kunstgeschichte unter dieser Prämisse auch gar nicht möglich, und darum wurde sie auch niemals ohne Interesse betrieben.


Leonardos Kanon
 

Kunst war erstens ein sozialgeschichtliches Phänomen und wurde zweitens zu einer kulturellen Instanz. Da ist zuerst das Aufkommen des Künstlers als Phänotyp. Als Professioneller nämlich, zünftig organisiert und gegen andere Berufsgruppen privilegiert. So jedenfalls im Abendland, wo Kunst in specie entstanden ist, unterm Protektorat einer feudalen Amtskirche zunächst und bald auch zum Lob und Preis weltlicher Herrschaft. Ihre Entfaltung verdankt sie nicht unwesentlich ebendieser ambivalenten Stellung als Dienerin zweier Herrn mit konkurrierenden Interessen. Und erst recht ihren Aufstieg - parallel zum Aufstieg des Gelehrtenstandes - zur autoritativen Instanz, die wie die Wissenschaft eine autonome Stellung zwischen den Mächten geltend macht. Und nur darum konnte die eine nichts als die Wahrheit und die andere das Schöne selbst zu ihrem (fast) ausschließlichen Geschäft machen und den Zwiespalt des menschlichen Geistes als reflektierende Absicht und als zweckfreie Betrachtuung objektivieren. Wie der Erfinder und der Gelehrte erscheint der Künstler mit der Renaissance als Held, der mit den Aristokraten auf Du ist, seit die (in Italien) keine Blaublütler, sondern nur noch Parvenüs sind.

Filippino Lippi, Selbstporträt
 

Natürlich hält diese Stellung der folgenden Entwicklung zur bürgerlichen Gesellschaft nicht stand, denn zwischen Bourgeoisie und Bourgeoisie ist schlecht schweben. Als Geschäftspartner stehen weder der Künstler noch der Gelehrte dem Kapitalisten ebenbürtig gegenüber, denn während Kirche und weltliche Herren auf die öffentliche Repräsentation ihrer Herrschaft durch Schönheit und Wissen dauerhaft angewiesen waren, kann der Bourgeois als Privatmann auf die Hohe Kunst verzichten und sich mit einem kitschigen Surrogat begnügen. Der Wissenschaftler konnte sich als Supervisor des Technikers unabkömmlich machen, was sich der Kapitalist als Geschäftsmann etwas kosten lässt, aber dem Künstler blieb nur das Abenteuer der Bohème; wenn er nämlich auf der Kunst um ihrer selbst willen beharrte und sich zum Serienfertiger wohlfeiler Massenware zu vornehm blieb. (Vorher gab es keine Unterscheidung zwischen Kunst und Kitsch). 

Delacroix

So entstand die Avantgarde, seit der Romantik eigentlich, und der Romantiker verstand den Künstler als Genie, und rückblickend verklärte Ludwig Tiecks Franz Sternbald noch den Zunftgesellen der mittelalterlichen Malerwerkstatt dazu.

Als Kunst gilt seit rund hundert Jahren nur noch das, was zu der Frage Ist das überhaupt noch Kunst? Anlass gibt. Kunst ist avantgardistisch - oder akademische Afterkunst. In den fünfziger, sechziger Jahren waren erkennbare Gegenstände auf den Bildern regelrecht untersagt. Abstrakt war nicht erst die Avantgarde, sondern noch der Tross.


Georges Vantongerloo, XVII - composition dans le carré

Die Abstraktion musste sich bald totlaufen, denn bloße Farben und Formen sind erschöpflich, und Varianten im Mikrobereich sind irgendwann langweilig. Bleibt das dekorative Bemalen von Leinwänden in Wandgröße, aber originell ist das nun auch nicht mehr. Wohl oder übel müssen die Gegenstände wieder hergenommen werden - wenn man schon das Malen nunmal nicht lassen kann. Welch eine Verlegenheit! Man sieht sie allenthalben. Ihr von Sotheby und Christie's gekrönter König ist Gerhard Richter, der offenkundig alles kann (wie kein zweiter), aber ebenso offenkundig nicht weiß, was er wollen soll.

Merke: Das Tafelbild hat es nicht immer gegeben.
 

21. 9. 13



Aber gut gemacht, kann man nich anders sagen.

Robert Cottingham  Joy Theatre 2014 

Robert Cottingham is known as a photorealist, but his meticulous paintings and drawings of pre-digital Americana border on abstraction. Cottingham depicts mid-20-century signs, typefaces, manual cameras, railroad boxcars, and mechanical components, or what he has called “tools of the Everyman,” in various dynamic compositions with intensified color and light. The artist has described his fascination with signs as originating from trips to Times Square as a child: “I think that’s when the seed was planted, when I saw the kind of activity going on above the ground level.” Obsessed with the precise geometry of his subjects, Cottingham’s process incorporates a series of steps that can include sketches, photographs, shapes mapped onto grids, and model construction. His crisp, often-monumental canvases celebrate and accentuate the forms of his subjects while remaining devoid of nostalgia. He lists Franz Kline, Edward Hopper, and the New Realists among his influences.
Paul Beliveau, Vanitas (Splash) 2015

What does Marilyn Monroe have in common with Albert Einstein; Elvis Presley with Mao Zedong, or Federico Fellini with Tintin (the Belgian cartoon character)? Not much at a glance - but in fact they all have something in common with each other: they have been tainted, that is in the sense to say painted, by one very special Canadian brush. Indeed, they all appear in the paintings by Paul Beliveau, a Canadian artist whose exclusive focus in art is to paint books, book spines especially, some from his own book collection, but most from his own extensive library of imagination.


See: www.paulbeliveau.com/home/


Steven Mill, Folded, 2015

Born in 1959 in Boston, Massachusetts and raised as a child on Martha’s Vineyard, his family moved to Walpole, MA as a young teen though he has continued to summer on Martha’s Vineyard. Influenced by the works of Andrew Wyeth, his early paintings consisted mostly of landscapes. After seeing the work of Richard Estes at a show in Boston, Photorealism became his passion. Today his interests are somewhat varied though his main focus is on the “extraordinarily-ordinary”. Mills takes your eye to a place where most would need a magnifying glass. Getting in so tight the viewer can see the stressed metal in a bottle cap or the texture of a newspaper.

See: stevemillsart.com/

Richard Estes, The Plaza 1991 

Bilder und Texte aus Gandalf's Gallery



Nota. - Nein, meine Überschrift ist nicht gehässig, das bestreite ich. Sie soll aber eine tragikomische Situation verdeut-lichen.

Ob heute mehr Talente geboren werden als früher - wer wollte das beurteilen. Aber gewiss werden durch die Explosion der visuellen Medien heute unvergleichlich mehr Talente animiert, aus ihrem Talent etwas zu machen; am besten eine Erwerbsmöglichkeit, damit sie auch die Zeit finden, aus ihrem Talent etwas zu machen. Und sicher waren für einen begabten Maler die Möglichkeiten, sein Talent handwerklich so auszubilden, wie es das verdient, nie besser als heute.  

Die Rückseite der Medienexplosion ist freilich: Man hat heute schon alles gesehen. Nicht nur, weil das Internet bis zu den Kykladen reicht und selbst bis Altamira und Lascaux. Sondern auch, weil der PC und Fotoshop jedem Talentierten die Möglichkeit bietet, aus längst sattgesehenen Bilder doch immer noch 'n bissel was Neues zu machen. Was also soll einer heute aus seinem Talent machen?!

Der Hyperrealismus ist dabei ein ehrenwerter Weg, sich aus der Affäre zu ziehen. Aber viel mehr als ehrenwert eben nicht. Richard Estes hat der Manier zum Durchbruch verholfen, indem er ungewöhnliche Blickwinkel gewählt hat. Aber das macht jeder Fotograf heute auch, und die vornehmeren verzichten schon wieder darauf. Bleibt schließlich nur übrig: Aber gut gemacht, kann man nich anders sagen.

JE, 23. Februar 2016

Na, wenn einem sonst nichts einfällt...


Richard Hall - Ready for Takeoff [2015] 

Richard was born in 1952 in Bradford, Yorkshire; the industrial heart of northern England. He attended both the Sheffield College of Art and the Kingston-upon-Hull College of Art, receiving his Bachelor of Fine Arts in Painting in 1976. After earning his post-graduate teaching degree from Sussex University, he left England for warmer climates, ending up in the Southwest United States with his wife Sharon, where he pursued painting full-time.


Nota. - Wer wollte bestreiten, dass er malen kann? Aber von Können allein kommt auch keine Kunst, Herr Liebermann. Ein bisschen kommt es schon aufs Wollen an, aber nicht darauf, dass man will, sondern auf das, was man will. Was aber kann man noch wollen, wo alles schonmal da war? Stillleben, Naturalismus, sogar Hyperrealismus, Duchamp, Surrea-lismus, Popart, Walt Disney, Gott und was weiß ich... So ein Bild kann man auch digital herstellen, an diesem Stück kann man nur bewundern, dass er's ebenso so gut kann wie der Computer.

Hübsch anzusehen ist es aber, kann man nicht anders sagen. 


JE, 19. Februar 2016


Ja ja, das kann man schon auch noch malen...

Kari Tirrell, Full House [2014]

Ja, das verstehe ich ja, dass man, wenn man malen und es nicht lassen kann, sowas malt. Es war ja alles schonmal da...

Hyperrealistisch ist es nicht, denn er hat die Gegenstände, wie es bei Stillleben eben üblich ist, so arrangiert, dass es ein schönes Bild ergibt. Das sehe ich, ich sehe die Farben und ihre Anordnung, sehe die Formen und ihre Unordnung, und habe einen Gefallen daran. Aber doch nicht länger als fünf Minuten!

Dass ich mir das Bild ein zweites Mal raussuche, um es anzuschauen, glaube ich nicht. Handwerkliche Meisterschaft kann ich anderswo auch bewundern.

12. Februar 2016


Kunst ist, was Künstler tun; zum xten.

Cy Twombly, School of Athens, 1964.

Wir leben in einer Epoche, wo  - nicht allein, aber auch nicht zuletzt - die Neuen Medien dafür sorgen, dass kein Bild mehr an die Öffentlichkeit gelangen wird, das nicht - so oder ein bisschen anders - schonmal dagewesen ist. Alles, was in der zeitgenössischen Kunst etwas taugt, von Gerhard Richter über Cy Twombly* bis zu den amerikanischen Hyperrealisten, sind nur Variationen zu dem Thema Was kann man heute noch malen? Und ihr jeweiliger anschaulich-ästhetischer Gewinn besteht eben in der Variation und nicht im Werk. Mit andern Worten: Wenn es je sinnvoll gewesen wäre, 'Kunst' an der Qualität (Washeit) ihrer Produkte zu definieren - dann ist das heute vorbei.

Man hätte sagen können: Kunst ist eine bildnerische Praxis, die, wenn sie gelingt, die Augen der Zeitgenossen öffnet für ästhetische Qualitäten, die zuvor noch nicht sichtbar waren.


Richard Estes, Urban Landscapes, bridge 
 

Das ist verführerisch, aber es ließ immer die Frage offen: Wer oder was entscheidet darüber, was in der Kunst gelungen ist und was mißraten? Und das ist ein Fass ohne Boden. Was Kunst ist, definieren zu wollen durch ihre ästhetische Qualität, läuft darauf hinaus, Kunst nicht definieren zu können. Und recht besehen war das auch der Zweck der definitorischen Übung; denn sie ging immer aus von den unmittelbar Interessierten: den Künstlern selbst und ihren... nun ja, Agenten. Diente das epochale Werk Giorgio Vasaris etwa nicht der Propagierung - Marketing heißt das heute - des aufkommenden Manierismus in der italienischen Malerei? Wird einer behaupten, er habe sich um 'Objektivität' überhaupt bemüht? Er postulierte die Maßstäbe, denen er in seinem eigenen Werk selber gefolgt war und weiter zu folgen gedachte. Anders ist Kunstgeschichte unter dieser Prämisse auch gar nicht möglich, und darum wurde sie auch niemals ohne Interesse betrieben.

Kunst war erstens ein sozialgeschichtliches Phänomen und wurde zweitens zu einer kulturellen Instanz. Da ist zuerst das Aufkommen des Künstlers als Phänotyp. Als Professioneller nämlich, zünftig organisiert und gegen andere Berufsgruppen privilegiert. So jedenfalls im Abendland, wo Kunst in specie entstanden ist, unterm Protektorat einer feudalen Amtskirche zunächst und bald auch zum Lob und Preis weltlicher Herrschaft. Ihre Entfaltung verdankt sie nicht unwesentlich ebendieser ambivalenten Stellung als Dienerin zweier Herrn mit konkurrierenden Interessen. Und erst recht ihren Aufstieg - parallel zum Aufstieg des Gelehrtenstandes - zur autoritativen Instanz, die wie die Wissenschaft eine autonome Stellung zwischen den Mächten geltend macht. Und nur darum konnte die eine nichts als die Wahrheit und die andere das Schöne selbst zu ihrem (fast) ausschließlichen Geschäft machen und den Zwiespalt des menschlichen Geistes als reflektierende Absicht und als zweckfreie Betrchtuung objektivieren. Wie der Erfinder und der Gelehrte erscheint der Künstler mit der Renaissance als Held, der mit den Aristokraten auf Du ist, seit die (in Italien) keine Blaublütler, sondern nur noch Parvenüs sind.


 Tizian, Selbstporträt, 1547

Natürlich hält diese Stellung der folgenden Entwicklung zur bürgerlichen Gesellschaft nicht stand, denn zwischen Bourgeoisie und Bourgeoisie ist schlecht schweben. Als Geschäftspartner stehen weder der Künstler noch der Gelehrte dem Kapitalisten ebenbürtig gegenüber, denn während Kirche und weltliche Herren auf die öffentliche Repräsentation ihrer Herrschaft durch Schönheit und Wissen dauerhaft angewiesen waren, kann der Bourgeois als Privatmann auf die Hohe Kunst verzichten und sich mit einem kitschigen Surrogat begnügen. Der Wissenschaftler konnte sich als Supervisor des Technikers unabkömmlich machen, was sich der Kapitalist als Geschäftsmann etwas kosten lässt, aber dem Künstler blieb nur das Abenteuer der Bohème; wenn er nämlich auf der Kunst um ihrer selbst willen beharrte und sich zum Serienfertiger wohlfeiler Massenware zu vornehm blieb. (Vorher gab es keine Unterscheidung zwischen Kunst und Kitsch).

So entstand die Avantgarde, seit der Romantik eigentlich, und der Romantiker verstand den Künstler als Genie, und rückblickend verklärte Ludwig Tiecks Franz Sternbald noch den Zunftgesellen der mittelalterlichen Malerwerkstatt dazu.

Als Kunst gilt seit rund hundert Jahren nur noch das, was zu der Frage Ist das überhaupt noch Kunst? Anlass gibt. Kunst ist avantgardistisch - oder akademische Afterkunst. In den fünfziger, sechziger Jahren waren erkennbare Gegenstände auf den Bildern regelrecht untersagt.
Abstrakt war nicht erst die Avantgarde, sondern noch der Tross.

Willi Baumeister, Zwei Laternen, 1955 (Avantgarde oder Tross?)

Die Abstraktion musste sich bald totlaufen, denn bloße Farben und Formen sind erschöpflich, und Varianten im Mikrobereich sind irgendwann langweilig. Bleibt das dekorative Bemalen von Leinwänden in Wandgröße, aber originell ist das nun auch nicht mehr. Wohl oder übel müssen die Gegenstände wieder hergenommen werden - wenn man schon das Malen nunmal nicht lassen kann. Welch eine Verlegenheit! Man sieht sie allenthalben. Ihr von Sotheby und Christie's gekrönter König ist Gerhard Richter, der offenkundig alles kann (wie kein zweiter), aber ebenso offenkundig nicht weiß, was er wollen soll.

(Merke: Das Tafelbild hat es nicht immer gegeben.) 

*) Der überrascht Sie an dieser Stelle?  Es ist ja auch kein ästhetisches Urteil. Was er gemacht hat, "taugt" nur als Variation zu diesem Thema. - Na ja, ein paar Sachen taugen schon noch etwas mehr.

 Gerhard Richter, Seascape (Wave), 1969



Ja, das kann man schon auch noch malen.











Philip Oliver Hale, born in 1963, is an American figurative painter who currently resides in London, England. His current work focuses on figure as well, in depictions of slightly surreal scenes with strange characters performing various physical feats, usually in a confrontation of some sort. He seems to take keen interest in tension and emphasis of angular and dynamic aspects of the figure, almost always incorporating slight anatomical distortions to great effect. 


Nota. - Na ja, so kann man schon auch noch malen. Die Frage ist ja gar nicht, ob die Welt das braucht oder ob es die Kunst voranbringt. Es ist nur eben so, dass es immer noch und immer wieder Menschen gibt, die auf das Malen nicht verzichten können und die malen müssen. Das ist die Frage: Was können die noch malen, ohne rot zu werden? 

Ohne sich vor sich selber genieren zu müssen heißt auch: Ohne darauf verzichten zu müssen, es andern Leuten zu zeigen. Ein Sonenuntergang ist ästhetisch halb soviel wert, wenn man ihn keinem zeigen kann. Ein Bild, das man selber gemalt hat, schreit danach, von andern gesehen zu werden. Müsste der Maler ihm das verweigern, täte es ihm weh (dem Bild).  

Was kann man heut noch malen? Wer heute malt, kann nicht mehr darauf reflektieren, ein neues Kapitel der Kunstgeschichte aufzuschlagen; die sind alle abgeschlossen. Er muss schon froh sein, wenn sich seine Bilder überhaupt sehen lassen können – denn solche sind jetzt selten geworden.
JE


Franz Gertsch in Baden-Baden.

aus Badische Zeitung, 11. 11. 2013                                                                                                  Bromelia (Guadeloupe), 2012

Die Bilder, die Fenster sind
Franz Gertsch im Museum Frieder Burda in Baden-Baden.

von Antje Lechleiter

Wie selbstverständlich fügt sich das Baden-Badener Museum Frieder Burda in die Parklandschaft der Lichtentaler Allee ein. Der New Yorker Architekt Richard Meier hat in der Innenstadt von Baden-Baden ein Tageslichtmuseum geschaffen, dessen natürliche Beleuchtung sich im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten verändert. Franz Gertsch, der mit seiner Ausstellung "Geheimnis Natur" derzeit in der Bäderstadt zu Gast ist, verfügt seit 2002 im schweizerischen Burgdorf über ein eigenes Museum. Das Architekturbüro Jörg + Sturm schuf einen auf seine fotorealistische Malerei hin maßgeschneiderten Bau. Diese Ausstellungsräume verzichten auf Öffnungen nach außen. Warum das so ist, erklärt Gertsch im Pressegespräch: "Die Bilder sind die Fenster".


 
Winter, 2009; darunter Ausschnitt

Kein Wunder, dass er der von Götz Adriani kuratierten Ausstellung mit Spannung entgegensah. Wie werden sein "Vier Jahreszeiten-Zyklus" (2007–11), das gerade fertiggestellte Triptychon "Guadeloupe" mit den Tafeln "Maria",
"Bromelia" und "Soufrière" und seine "Gräser" in Räumen wirken, die sich von ihrer Anlage her der Natur öffnen? Was wird die direkte Konfrontation mit der Realität aus seinen "Gemäldefenstern" machen? Rund 30 monumentale Gemälde und Holzschnitte aus der Zeit zwischen 1970 und 2013 – drei frühe Figurenbilder, sowie Landschaften und Porträts – sind nun in Baden-Baden zu sehen. Bei der Pressekonferenz bekannte Gertsch, dass er inzwischen mit der "wundervollen Architektur versöhnt" sei. Dazu hat er allen Grund. Atemberaubend schön ist gerade der große Saal mit den wahrhaft geheimnisvollen Landschaften und der mehr als drei auf drei Meter großen, nicht minder rätselhaften "Johanna I" (1983/84) geworden. Die Ausstellung zeigt eine interessante Umkehr bei den Gemälden. Um in der Natur kleinste Details wahrnehmen zu können, müssen wir uns den Objekten nähern und dicht an Gräser und Blätter herantreten. Angesichts von Gertschs riesigen Formaten muss man hingegen weit zurücktreten, sonst ergibt sich kein scharfes Bild. Aus der Nahsicht lösen sich seine Landschaften in abstrakte Formen und Farbflächen auf.


 
Frühling, 2011; darunter Auschnitt

Franz Gertsch, 1930 in Mörigen im Kanton Bern geboren, hält sich vom Trubel des Kunstbetriebs fern. Die Auffüllung seines Aufmerksamkeitskontos interessiert ihn nicht. Seit 1969 entstehen großformatige realistische Gemälde. Die Landschaftsmotive findet er in der unmittelbaren Umgebung von Rüschegg am Fuß der Berner Voralpen, wo er seit 1976 lebt und arbeitet. Nur einen Katzensprung von Haus und Atelier ist der auf seinen Jahreszeitendarstellungen abgebildete Waldweg entfernt. Doch es gibt auch einen anderen Gertsch. Den, der seit 1972 und der Documenta 5 internationale Erfolge feiert und Ende der 1970er Jahre die amerikanische Punk- und Rockmusikerin Patti Smith in seinem Atelier begrüßt und fotografiert. Begeistert von ihrem Gesicht, der Stimme und der Musik malt er einen fünfteiligen Porträtzyklus der Rock-Ikone. Das in Baden-Baden ausgestellte Selbstporträt von 1980 schließt sich an diese Bilder an und zeigt – ungeachtet der Bretterwand im Hintergrund – den klaren Blick des damals 50-jährigen auf sich und die Welt.

Selbst, 1980

"Die Fotovorlage ist eine Art Sprungbrett, um tief in die Malerei eindringen zu können", sagt der Künstler. Das Malen ist ein Prozess, der eine ähnliche Körperspannung erfordert. Gertsch projiziert ein von ihm aufgenommenes Diapositiv auf die ungrundierte Leinwand und legt die Farbzonen der Komposition fest. In einzelnen "Tagewerken" reibt er seine Pigmente in den Stoff ein, produziert also Tag um Tag kleine Bilder. Über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg fügen sie sich zu einem monumentalen Gesamtwerk zusammen.

Johanna I

Nachdem er Mitte der 1980er Jahre mit einer Serie von sechs Frauenbildnissen (darunter die ausgestellte "Johanna I") einen vorläufigen Höhepunkt innerhalb seines malerischen Werkes erreicht hatte, suchte Gertsch nach neuen Wegen. Von 1986 bis 1995 nutzte er die Möglichkeiten der Fotografie als Sprungbrett, um – nicht minder tief – in die Druckgrafik einzutauchen. In jenen Jahren und bis zur Entstehung der ausgestellten "Gräser-Serie I-IV" gab Gertsch die Malerei auf.
 
Schwarzwasser, Triptychon

Es entstanden riesige realistische und monochrome Farbholzschnitte. Neun Handabzüge – Porträts und Landschaften – finden sich in der Ausstellung. Denkt man an das Quälende, an die spröde Linienführung expressionistischer Holzschnitte, so drängt sich eine Frage auf: Warum wollte er ausgerechnet mit diesem Verfahren ein realistisches Bild erwirken? Die Antwort: Weil er es kann. Mit einer unnachahmlichen Präzision schneidet Gertsch mit kleinen Hohleisen winzige Vertiefungen in die Holzplatte – Linien gibt es bei ihm nicht. Staunend stehen wir vor seiner "Silvia", seinem "Schwarzwasser", seinem "Pestwurz". Sie sind im Untergeschoss des Frieder Burda Museums allerdings besser aufgehoben als in den oberen Räumen. Die großen Glasflächen ihrer Rahmen vertragen nun wirklich kein Tageslicht.

Pestwurz

Wer jetzt auf das Museum Franz Gertsch in Burgdorf neugierig geworden ist, trifft dort möglicherweise alte Bekannte. Unter dem Titel "Wahlverwandtschaften" ist derzeit aktuelle Malerei und Zeichnung aus der Sammlung Frieder Burda zu sehen.

Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden. Bis 16. Februar, Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr.

 La Soufrière (Gouadeloupe)

Nota. - "Warum wollte er ausgerechnet mit diesem Verfahren ein realistisches Bild erwirken? Die Antwort: Weil er es kann", schreibt die Berichterstatterin der Badischen. Das ist dürftig als Rechtfertigung für Kunst. 'Man muss nicht alles machen, was man kann', lautet ein heute beliebter Sinnspruch. Wo es um Kunst geht, muss man hinzufügen: Es sei denn, man hat keinen besseren Grund. 

Und so wird es wohl sein. Als ich vor Jahr und Tag in meinem damaligen (inzwischen gelöschten) Blog Aesthetica einen Eintrag über Franz Gertsch veröffentlichte, konnte ich nicht verhehlen, dass mir diese Kunst die Sprache verschlug. Das hat sich im Jahr 2013 verändert. Inzwischen kommen mir diese Riesenungetüme vor wie weitere, nicht wirklich notwendige Variationen über das Thema Was kann man heute noch malen? Leute, die malen können, hat es immer gegeben, und Leute, die es einfach nicht lassen können, wird es auch immer geben. Ja, das ist eine brauchbare Rechtfertigung für ein Werk: 'Ich muss eben.' Eine künstlerische. Eine ästhetische noch nicht. Denn da wird aus warum? ein Was?

Gertsch hat in den fünfziger Jahren angefangen wie alle seiner Generation: mit allem Möglichen. Mit andern Worten, mit Beliebigem. Das ist unbefriedigend, für den Maler wie fürs Publikum. Der Künstler hat doch das Gefühl, das machen zu sollen, was nur er kann, weil nur er es kann;  jedenfalls der moderne. Und so ist Gertsch bei der Pedanterie im Gargantuaformat angekommen. Riesenformate machen sie heute alle, was man sich an Schönheit nicht mehr traut, muss die 'Erhabenheit' hergeben. Thomas Struth fotografiert sogar so, und hyperrealistisch ist das auf seine Art auch. Aber das Format dann auch noch in Holz schnitzen, das sticht alle Konkurrrenz aus. "Weil er es kann."
JE 



Gerhard Richter.


Abstraktes Bild, 1986

Dass man alles kann, ist noch kein Grund, alles zu machen.
Und wenn man sich's schon nicht verkneifen kann, muss man ja nicht gleich alles zeigen.  

Doch bei den Preisen, die er pro qm erzielt, ist die Versuchung natürlich groß.

Skull with Candle 1983


Seestück II 1970

Davos 1981




Abdallah




Blumen, 1992

"Unschärfe ist das Alleinstellungsmerkmal der Kunst von Gerhard Richter", schrieb jemand unter dieses Bild.


Nuba (Neger), 1964

Meadowland

Sache der Kunst sei es, den Menschen die Augen zu öffnen und sie sehen zu lassen, was sie noch nie gesehen haben. Was sie so noch nie gesehen haben, schränkte man später bescheiden ein. Heute, wo alle schon alles gesehen haben, ist auch das noch zu viel. Minimalistisch kann man nur sagen, wenn einer malenund es nicht lassen kann, dann muss er als Künstler sein Leben führen, und man kann ihm nur wünschen, dass er an seinen Bildern genug verdient, um leben zu können. Als Künstler beanschprucht er aber (Alles kann man sich nicht aussuchen) eine öffentliche Geltung. Die rechtfertigt er, indem er den Zeitgenossen zeigt, "was Geschmack ist"; nämlich seiner, aber zu dem steht er.

Gerhard Richter zeigt den Zeitgenossen, was er alles kann, eins so gut wie das andere. Es ist für jeden was dabei und keiner muss sich seines Geschmackes schämen, denn das ist alles sehr ordentlich. Es ist Sache des Betrachters, sich was auszusuchen.

 4 Panes of Glass 1967.

8 8 Grau
;Kölner Dom

Domecke, 1988-89

Übermaltes Foto



Verkündigung nach Tizian I-III; 1972/73

Aber er hat natürlich Recht. Ein richtiger Künstler kann sich nicht wirklich aussuchen, was er macht. Und was brächte es, wenn er mit dem Ausstellen (und Verkaufen) wählerischer wäre? So ein Geschmack verändert sich, und bei dem, der malt, womöglich gründlicher als bei dem, der sich die Bilder nur ansieht. (Wer die Bilder kauft, hat mit Geschmack oft gar nichts zu tun.) Dann kann es ihm passieren, dass er findet, er habe die falschen Bilder hinaus in die Welt gelassen, aber es lässt sich nicht mehr ändern. Und auf eine Menge Geld hat er auch verzichtet, wenn er so erfolgreich war wie Richter, und nur von  dem ist hier die Rede. Wer nicht erfolgreich ist, kann sich erst recht nicht aussuchen, was er malt, und muss verkaufen, was er loswird.

Und wenn der Künstler Abstand zu sich hat - wie ein richtigere Künstler haben sollte und wie er Richter anscheinend nicht fehlt -, dann hält er es sogar für denkbar, dass die Nachwelt ein besseres Geschmacksurteil hat als er selbst, und dann waren alle Skrupel überflüssig.


S. mit Kind, 1995

Was kann man danach noch malen? - Mondrian, Newman und Flavin in Basel.

Barnett Newman: «Eve», 1950.
aus NZZ, 27. 9. 2013                                                                 Barnett Newman, Eve, 1950. (Bild: Tate, London / ProLitteris)

Der Schrecken der Farbfläche

Mit drei Einzelpräsentationen zu Piet Mondrian, Barnett Newman und Dan Flavin zeigt das Kunstmuseum Basel eine schön inszenierte und spannungsvolle Schau zur Entfaltung der abstrakten Malerei. Einmal mehr wird deutlich, wie sehr das Medium Farbe nach Auflösung seiner Grenzen strebt.

von Maria Becker 

«Boogie-Woogie» ist der Titel eines 1953 gemalten Bildes des italienischen Realisten Renato Guttuso. Es zeigt eine Keller-Disco mit jungen Leuten, die sich im Rhythmus des schwingenden Paartanzes bewegen. Farbig leuchten die Muster der modischen Röcke und Pullover, und auch die Wanddekoration im Hintergrund zeigt an, dass man auf der Höhe der Zeit ist: Guttuso zitiert mit ihr ebenso beiläufig wie ironisch ein Bild der Serie «Broadway Boogie-Woogie» von Piet Mondrian (1872 bis 1944) aus den Jahren 1942/43. Die farbigen Streifen scheinen die Bewegung der Tänzer aufzunehmen und in eine geometrische Ordnung überzuführen.

 guttuso renato - boogie-woogie

Das Bild im Bild – eine Ikone der abstrakten Malerei – ist Anzeiger des damals herrschenden Streits zwischen Figuration und Abstraktion. Zugleich aber steht es für die Vereinigung der beiden Darstellungsformen auf dem per se abstrakten Flächenraum der Leinwand. Guttusos ironisches Zitat ist vielschichtig und bringt die Ambivalenz der künstlerischen Diskussion zum Ausdruck.

Mondrian, Broadway Boogie Woogie
 
Eine bewegtere Ordnung

Ein Bild aus dem New Yorker Spätwerk Mondrians ist jetzt in der grossen Sonderausstellung des Kunstmuseums Basel zu sehen. «New York City 1» von 1941 gehört wie «Broadway Boogie-Woogie» zur Serie jener Werke, in denen der Künstler farbige Papierstreifen auf der Leinwand zu mehrfach sich überlagernden Gittern verband. Es war eine neue Technik, die die Statik seiner Kompositionen auflockerte und sie in rotierende Bewegung versetzte. Das Bild ist unvollendet, die Papierstreifen zeigen Altersspuren des Materials. Es steht am Ende der seriellen Bildorganisation von Mondrian und scheint das strenge Programm seiner Malerei auflösen zu wollen. Der Blick des Malers war vielleicht auf eine bewegtere Ordnung gerichtet, für die der Name des Tanzes aus der Neuen Welt steht. Von fern klingt darin sogar etwas von den eigenen Anfängen an, als er im Schachbrettmuster der frühen Bilder ein abstrahiertes Äquivalent für den Sternenhimmel fand.

Mondrian, New York City 1, 1941, unvollendet. Bild: Karen Gerig

Die Abstraktion durch das Medium Farbe ist das grundierende Leitmotiv der Ausstellung. Es wird nicht nur mit Mondrian orchestriert, sondern durch eine Trias von Künstlern, die sich zu einer grosszügigen Gesamtkomposition fügt. Mit den Amerikanern Barnett Newman (1905–1970) und Dan Flavin (1933–1996) treten die Dimensionen von Heroismus und Warenästhetik zum asketischen Programm des europäischen Lehrmeisters.

Die drei Künstler trennt jeweils eine Zeitspanne von etwa dreissig Jahren, und jeder bezieht die Impulse für sein Werk aus einem anderen geistigen Umfeld. Was sie verbindet, sind der Minimalismus der Mittel und eine mehr oder weniger explizite Form von Spiritualität. Vor allem aber ist es die Entscheidung für ein schmales Spektrum des Ausdrucks. Genau diese Gratwanderung auf dem Feld der medialen Möglichkeiten schliesst die Arbeiten stärker zusammen als alles andere.


Barnett Newman, Prometheus Bound  (1952, r.) und Tertia (1964, l.)

Mendes Bürgi, der Kurator der Ausstellung und Direktor des Hauses, hat den Parcours wie immer ästhetisch gross und aussagestark konzipiert. Von allen drei Künstlern ist das gewählt, was dem ausformulierten Werk entspricht, also die mittlere bis späte Phase. Nur Mondrian darf mit einem kleinen Rasterbild von 1919 da sein, das seine kommende Entwicklung wie einen Keim zu enthalten scheint und die Primärfarben noch unter einem grauen Schleier verbirgt. Es gehört zur Sammlung des Museums, die herausragende Bilder und Installationen von allen drei Künstlern besitzt und so den Grundstock für das Konzept anbot.

Piet Mondrian, Rasterkomposition 7, 1921.

Allein schon diese Werke tragen einen Teil der Schau. Doch die Qualität der einzelnen Ensembles liegt nicht so sehr in der Repräsentation, sondern in dem, was den Betrachter ganz ohne Anstrengung zu Sprüngen des Sehens animiert. Im Hin und Her zwischen Mondrians kühler Gestaltung, Newmans überwältigender Kraft und Flavins unprätentiöser Magie konzentriert sich die Wahrnehmung auf die Farbe und deren Wirkung in Fläche und Raum. So führt die Ausstellung über das Sehen zur Analyse und Anschauung von dem, was Abstraktion sein kann.

«Ein Bild ist wie eine Person, man erahnt sie auch bei schlechtem Licht.» Newmans Satz zum Charakter seiner Werke scheint das Abgezogene der gegenstandslosen Malerei zurücknehmen zu wollen. Wie Rothko und Johns begriff er seine Bilder als Akteure und Körper, die ein Eigenleben besitzen und in die man auch einmal, wie es Johns tat, die Zähne hineinschlagen kann. Dass Newman sie als Gegenüber so unmittelbar empfand, spricht für die Kraft, die er ihnen zutraute. Bilder wie «The Name I», ein graues Querformat mit roten Vertikalen, oder «The Wild», dessen Leinwand nur aus einem einzigen roten Längsstreifen besteht, sind Beispiele enigmatischer Wucht, an denen sichtbar wird, was Newman – analog zu den Fetischen primitiver Kunst – den «Schrecken des Unbekannten» nannte.

Barnett Newman, The Name I, 1949.

Bei Newman ist das Bild etwas Lebendiges, das sich eigene Gesetze schafft und eine undurchdringliche Macht entfaltet. Die «Zips», seine vertikalen Farbstreifen, scheinen die Spannung manchmal nur gerade um so viel zu halten, wie die Leinwand ertragen kann. Das Auge spürt die Vibration der Kontraste oder fällt in eine bodenlose Farbtiefe. Nirgendwo kann sich der «Schrecken» wirksamer entfalten als in dieser Malerei. Das Bild wird zum magischen Gegenüber, zum Träger des «Sublimen», das eine vorreligiöse Aussage beschwört.

Dan Flavin, untitled (to Barnett Newman) four, 1971

«Untitled (to Barnett Newman) four» hat Dan Flavin eine Lichtinstallation von 1971 genannt. Übereck placiert, besteht sie aus vertikalen und waagrechten Leuchtstoffröhren, die das charakteristische Hochformat von Newmans Bildern nachzeichnen. Die leere Mitte, das, was die Leinwand repräsentiert, ist gefüllt mit Licht, dessen Farbe aus der Mischung des Leuchtscheins resultiert. Es sind keine aussergewöhnlichen Farben; Flavin verwendete stets marktübliche Ware in den typischen, matt-süssen Tönen. Seine «electric light art» ist auf den Raum bezogen und hat die Bildfläche verlassen, auch wenn sie diese – wie in der Hommage an Newman – zitiert.

Mit der Installation von Leuchtstoffröhren hat er der Farbe einen Weg gegeben, nicht nur die Grenzen der Leinwand, sondern auch die eigenen Grenzen zu überschreiten. Fliessend kann sich das Licht im Raum entfalten, es ist zur Emanation von Farbe geworden.

Dan Flavin, Untitled, 1969.
 
Wenn man die Ausstellung vom Ende zurück zum Anfang geht, drängt sich etwas scheinbar Widersprüchliches auf. Der Weg von Flavin zu Mondrian ist ein Gang von der Auflösung zur Konkretisierung. Es scheint, dass es zur Zeit von Mondrian noch einfacher war, in der Abstraktion eine gültige Form zu sehen. Für ihn war sie Programm, etwas Festes, dessen Rechtfertigung formuliert war. Newman und Flavin zeigen, dass die Malerei in ihrer abstrakten Form grundsätzlich eine Tendenz zur Grenzüberschreitung hat.

Ob in der schieren Grösse der Leinwand oder im fluoreszierenden Schein der Leuchtstoffröhre – sie ist das Medium der Auflösung und damit das anschauliche Äquivalent geistiger Räume. Die Spiritualität, die alle drei Künstler verbindet, hat darin ihren Ursprung.

Piet Mondrian – Barnett Newman – Dan Flavin. Kunstmuseum Basel. Bis 19. Januar 2014. Katalog Fr. 48.–.


Piet Mondrian, Composition no. 1

aus tageswoche.ch

Die Befreiung der Farbe

7.9.2013, 10:30 Uhr

Piet Mondrian, Barnett Newman und Dan Flavin hatten alle ihre ganz eigene Idee von abstrakter Kunst. Eine Ausstellung im Kunstmuseum Basel schafft ungeahnte Verbindungen.

Von  

«Day Before One» heisst ein Gemälde von Barnett Newman aus der Sammlung des Kunstmuseums Basel. Eine hochformatige Leinwand, zum grössten Teil in einem dunklen Blauton bemalt, am oberen Bildrand ein etwas hellerer blauer Streifen, am unteren Rand ein fast weisser Streifen – eine abstrakte Visualisierung des Tages vor dem ersten Tag der Schöpfungsgeschichte. Newman schuf dieses nicht gänzlich monochrome Werk im Jahr 1951, nur wenige Jahre darauf wollte das Kunstmuseum Basel es ankaufen. Doch diese heute so vertraute Kunst vermochte damals nicht alle zu überzeugen, die das Geld für den Kauf hätten sprechen sollen. So bot beispielsweise der Grossrat Leo Lachenmeier, Inhaber eines Malergeschäfts, dem Regierungsrat an, das Gemälde zu einem viel günstigeren Preis nachzumalen.

Barnett Newman, Day Before One, 1951

Lachenmeier aber malte das Bild nicht nach. Und der Kanton kaufte das Bild nicht an. Hätte die Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft nicht 1959 das Gemälde dem Kunstmuseum zum Geschenk gemacht, befände sich dieser Newman heute wohl woanders auf der Welt.

Nun mag man heute über diese Episode schmunzeln, oder die Absicht Leo Lachenmeiers als Ignoranz abtun – tatsächlich aber tut sich die Kunst eines Barnett Newman in ihrer Radikalität auch heute noch schwer. Denn noch immer gibt es genügend Menschen, die Farbpigmente lieber zu Figuren gruppiert sehen oder zu pittoresken Landschaften.


Metaphysische Erfahrung

Newman aber ging es um die Farbe an und für sich. Der Amerikaner (1905–1970) wollte sie von ihrer kompositionellen Unterordnung befreien und zum massgeblichen Ausdrucksträger machen. Die Wahrnehmung sollte unmittelbar sein. Newman zielte damit auf eine metaphysische Erfahrung des Erhabenen, die er 1948 in seinem Manifest «The Sublime Is Now» beschrieb. Darin forderte er von den Malern neue Bilder: «Wir befreien uns selbst von dem Hindernis des Gedächtnisses, der Assoziation, Nostalgie, Legende, des Mythos oder was auch immer die Entwürfe der westeuropäischen Malerei waren. [...] Das Bild, das wir hervorbringen, ist das Selbstverständnis einer Offenbarung, real und konkret, ein Bild, das von allen, die es nicht durch die nostalgischen Brillengläser der Geschichte anschauen, verstanden werden kann.» Vom Betrachter wiederum forderte Newman optische Neutralität.

Newman, Prometheus Bound, l., und White Fire II (1960, r.)

Gänzlich monochrome Werke schuf Newman trotz seiner radikalen Auffassung nie. Stattdessen durchzog er seine Werke mit horizontalen oder meist vertikalen Streifen, die er «zips» nannte. In der Ausstellung im Kunstmuseum Basel nimmt Newman räumlich gesehen die zentrale Position ein: Die drei Räume, in denen seine Arbeiten präsentiert sind, werden flankiert von den Werken von Piet Mondrian (1872–1944) und Dan Flavin (1933–1996). Auch zeitlich gesehen steht Newman in der Mitte zwischen den beiden Künstlerkollegen. Hat man sich Mondrians Bilder angesehen, bevor man sich Newmans Werken nähert, so wird man überrascht feststellen, dass die Streifen, die man auf den ersten Blick als Verbindung zwischen den beiden Künstlern sehen könnte, eine komplett andere Funktion einnehmen.

Piet Mondrian, Komposition (B) in Blau, Gelb und Weiss, 1963.

Bei Mondrian fungieren die schwarzen Linien als strukturgebende Elemente, bei Newman hingegen wirken sie in unterschiedlichen Farbtönen rhythmisierend. Auch verzichtet Newman auf ihre exakte Ausführung: Nicht selten franst die Farbe zur benachbarten Fläche hin aus oder sie ist absichtlich ausufernd aufgetragen.
 
Makellos sinnlich

Über Mondrians Kunst urteilte Newman einst programmatisch, sie versetze einen mittels einer repräsentativen Darstellung der mathematischen Äquivalente der Natur in eine makellos sinnliche Welt. Ein grösseres Kompliment konnte man von Newman wohl nicht erhalten. Mondrians Gemälde erscheinen heute noch asketischer als die Gemälde des Amerikaners. Mit ihnen beginnt die Ausstellung im Kunstmuseum, und im Gegensatz zu Newmans grossformatigen Bildern, die man gerne eins nach dem anderen ausführlich betrachtet, ist man geneigt, die kleinformatigeren Bilder des Niederländers im Vorbeigehen mitzunehmen – nur weil so viele davon an einer einzigen Wand hängen.

 
Kurator Bernhard Mendes Bürgi hat sich in der Auswahl auf jene Werke Mondrians beschränkt, die sich durch die Verwendung der drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau sowie der Nicht-Farben Schwarz und Weiss auszeichnen. Nur wenige Arbeiten zeigen in der chronologischen Abfolge Mondrians Weg zu dieser radikalen Abstraktion auf.
 
Verzicht auf Farbe als Material

Den Schluss dieser Ausstellung, die in Einzelpräsentationen das Werk von Künstlern dreier Generationen zeigt, die sich auf ganz unterschiedliche Weise der Abstraktion verschrieben haben, macht Dan Flavin. Der Amerikaner verzichtete in den frühern 1960er-Jahren gänzlich auf Malerei und Skulptur. Das Kunstmuseum zeigt fünf charakteristische Werke aus Leuchtstoffröhren – beziehungsweise sechs, wenn man die dauerhafte Installation im Kunstmuseums-Innenhof dazu zählt.

In einer Epoche, die gar den Tod der Malerei erklärte, spielte Flavin trotzdem auf die alten Heroen der abstrakten Malerei an. Barnett Newman darf da nicht fehlen, und tut es auch in dieser Präsentation nicht: «Untitled (to Barnett Newman) four» aus dem Jahr 1971, ein Werk aus horizontal und vertikal angebrachten Röhren in den Primärfarben Rot, Gelb und Blau, eröffnet die auf zwei Räume beschränkte Flavin-Schau.

Dan Flavin, the nominal three (to William of Ockham),1963

Doch auch wenn die drei hier vorgestellten Künstler selbst aufeinander Bezug nahmen und auch das Konzept des Kurators, deren Radikalität als verbindendes Element zu sehen, verständlich ist: Man hat hier doch eindeutig drei Einzelausstellungen vor Augen – und das auf relativ kleinem Raum. Um den einzelnen Künstlern gerecht zu werden, wünschte man sich eine noch etwas grössere Werkauswahl.


«Piet Mondrian – Barnett Newman – Dan Flavin», Kunstmuseum Basel, 8. September 2013 bis 19. Januar 2014.

Nota.

Mondrians kühle Gestaltung - ja sicher. Aber Newmans überwältigende Kraft? Und Flavins unprätentiöse Magie?  

Von überwältigender Kraft sehe ich nichts. Und so lange ich auch davorsitze - er wird nicht mehr. Aber das ist der springende Punkte: Ich sitze, nämlich vor meinem Bildschirm. Aber ich sollte im Ausstellungsraum davor stehen! Ja, dann ist es gewaltig, gefühlte sechs bis acht Meter hoch, erhaben eben, wie Kant (nach Burke) all das nennt, was jedes menschliche Maß überschreitet. Und den Effekt macht es offenbar auch auf den einen oder die andere: "Bei Newman ist das Bild etwas Lebendiges, das sich eigene Gesetze schafft und eine undurchdring- liche Macht entfaltet. Die «Zips», seine vertikalen Farbstreifen, scheinen die Spannung manchmal nur gerade um so viel zu halten, wie die Leinwand ertragen kann. Das Auge spürt die Vibration der Kontraste oder fällt in eine bodenlose Farbtiefe. Nirgendwo kann sich der «Schrecken» wirksamer entfalten als in dieser Malerei. Das Bild wird zum magischen Gegenüber, zum Träger des «Sublimen», das eine vorreligiöse Aussage beschwört."  

Sogn'S des nochemol, Gräfin, s'wor hoit zu scheen! 

So redet der Galerist auf der Vernissage, und es kann sein, dass er das auf der vorigen Vernissage auch schon gesagt hat, s'is halt zu schön. Der Basler Großrat Lachenmeier hat den Vortrag nicht gehört und meinte, er könne das Bild zu günstigerem Preis nachmalen. Weil wir aber wissen, dass Bartlett Newman zu den Großen der zeitgenössischen Kunst zählt, müssen wir über Lachenmeier schmunzeln. Und warum schmunzeln wir? Weil wir über den, der so fragt, laut lachen dürfen. 

Ich aber finde, anders als die Basler Rezensentin, keinen mildernden Umstand darin, dass ein oder zwei Streifen am oberen oder am unteren Rand den eingefärbten Flächen Rhythmus gäben, wenn die Bilder schon keine Struktur haben. Es ist nichts darauf zu sehen, das einen veranlassen würde, sich die Bilder länger als, sagen wir, zwei oder drei Minuten lang anzusehen (wenn man nichts anderes vorhat). Und man fragt sich: Für welchen Ort sind sie bestimmt? Die Eingangshalle eines Kaufhauses? Dafür sind sie nicht dekorativ genug. In den Konfe- renzsaal eines Konzerns vielleicht, da werden sie nicht beachtet und können ungestört einen erhabenen Effekt machen. 

Oder waren sie gleich fürs Museum bestimmt?

Das wird wohl für Flavin gelten. Dessen Sachen müssen an einen Ort, an dem man nicht lange bleibt. Dekorativ sind sie nur für ein Viertelstunde, dann tun sie weh. Aber es gibt etwas zu sehen, die dritte Dimension, die das Tafelbild zur Skulptur erweitert, ohne dass man doch drum herumgehen kann, so dass der Raum seinerseits auf zwei Dimensionen herabgefaltet scheint - das ist befremdlich und betrachtenswert. Nur an welchem Platz? Wo gehört solche Kunst hin? Gibt es vielleicht eine zeitgenössische Malerei nur noch, weil es Museen für zeitgenös- sische Kunst gibt, an die zockende Sammler ihre Stücke eines Tages gut verkaufen können
J.E.

Cy Twombly im Centre Pompidou.

exposition Cy twombly Centre pompidou, 30 novembre 2016-24 avril 2017 // centre pompidou // PARIS // Kontakt: attachée de presse Élodie Vincent téléphone 00 33 (0)1 44 78 48 56 courriel elodie.vincent@centrepompidou.fr Wilder Shores of Love, 1985 Peinture industrielle, huile (bâton d’huile), crayon de couleur, mine de plomb sur panneau de bois 140 x 120 cm Collection particulière © Robert Bayer, BilDPuNKT AG, Munchenstein
aus Die Welt, 04.12.2016                                                                                                 Wilder Shores of Love, 1985

Bilder vom Untergang des amerikanischen Reiches 
Die Kraft der Erinnerung, die zurückbleibt: Das Pariser Centre Pompidou widmet dem großen amerikanischen Zeichner Cy Twombly eine grandiose Retrospektive. Es ist schön da und rätselhaft. 

Von Martina Meister

Seine Bilder sind Rätsel. Als sei etwas Großes, Unbestimmtes über die Leinwand gehuscht und habe dort Spuren hinterlassen, die sich nicht mehr vollständig lesen und entschlüsseln lassen.

Hieroglyphen, Kringel, kaum Farben, viel Luft. Cy Twomblys Bilder haben eine verstörende Schönheit, die sich scheinbar sofort erschließt, die bezaubert, betört, aber es bleibt immer ein Rest Rätsel.

Was so scheinbar einfach, ja kindlich wirkt, ist tief in der kleinen und großen Geschichte des Menschseins verwurzelt. Liebe, Begehren, Tod, römische Kaiser und griechische Helden bevölkern seine Bilder, am Ende tauchen die Blüten auf, das Sinnbild des selbstverliebten Narziss und das Symbol der Kunst.
Erste Rückschau seit Twomblys Tod 2011

Zurückgenommen und farblos beginnt er das Abenteuer, um mit einer Farbexplosion zu enden. Als alter Mann erst erobert er die bunte Welt.

„Cy Twombly“ heißt die große Retrospektive schlicht, die jetzt das Pariser Centre Pompidou dem amerikanischen Künstler widmet. Es ist die erste große Rückschau seit Twomblys Tod im Jahr 2011.

Sie zeichnet 60 Jahre seines Schaffens nach. 140 Werke sind in der großen Galerie versammelt, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen, aber vor allem Gemälde natürlich, darunter einige, die noch nie in Europa zu sehen waren.

exposition Cy twombly Centre pompidou, 30 novembre 2016-24 avril 2017 // centre pompidou // PARIS // Kontakt: attachée de presse Élodie Vincent téléphone 00 33 (0)1 44 78 48 56 courriel elodie.vincent@centrepompidou.fr Camino Real (V), 2010 Acrylique sur panneau de bois 252,4 x 185,1 cm Fondation louis Vuitton © Gagosian Gallery
Camino Real (V), 2010
Die Preise von Twomblys Gemälden sind in den vergangenen Jahren derart in die Höhe gegangen, dass es extrem schwierig geworden ist, Museen und Sammler dazu zu bewegen, ihre Bilder auf Reisen zu schicken.

In Paris kann man beispielsweise eines von Twomblys „doodle paintings“ bewundern, weiße Kreidekringel auf grauem Schultafelgrund, dessen Pendant im vergangenen Jahr bei Sotheby’s in London für 70 Millionen Dollar versteigert wurde.

Cy Twombly, 1928 als Edwin Parker Twombly Jr. in Lexington, in den amerikanischen Südstaaten geboren, hat seinen Spitznamen Cy vom Vater geerbt. Den hatten sie, weil er Sportlehrer und Baseballspieler war, nach Cyclone Young, einem Pitcher der Chicago White Socks benannt.
Noch einmal malen auf dem Totenbett

Cy wie Zyklon also. „Selbst der Name ist interessant“, sagte Roland Barthes in früher Vorahnung zum Pariser Galeristen Yvon Lambert.

Auf einer Bank zwischen den Gemälden, im sechsten und letzten Stock des Centre Pompidou, sitzt Nicola del Roscio, Twomblys langjähriger Gefährte im Leben, Assistent aber vor allem Präsident der Twombly Foundation, und erzählt vom Tod des Künstlers. Als er mit 83 Jahren in einem Krankenhaus in Rom im Sterben lag, verlangte er noch einmal nach Pinsel und Farbe. Twombly war schon zu schwach, der Wirbelsturm aus ihm gewichen.
Fifty Days at Iliam Shades of Achilles, Patroclus and Hector, 1978

Aber er hielt die Vorhänge seines Zimmers für Leinwände. Als wollte er noch im Augenblick des Todes tun, was sein Leben ausgemacht hatte: Spuren hinterlassen. „The strength of memory that is left behind.“ Die Kraft der Erinnerung, die zurückbleibt. Das waren seine letzten Worte, erzählt del Roscio.

Die Twombly-Retrospektive ist das, was man heute ein Event nennt, ein Must. Sie macht zugleich den Auftakt einer langen Reihe von Ausstellungen in Paris und ganz Frankreich, mit der das Pariser Centre Pompidou im kommenden Jahr seinen 40. Geburtstag feiert.

Schatten des Mordes an John F. Kennedy

Obwohl chronologisch angelegt, ist sie „mit dem Herzen“ gehängt, versichert Jonas Storsve, Konservator am Centre Pompidou und Kommissar der Ausstellung. Er will mit seiner Auswahl vor allem Twomblys Obsession der Serie Rechnung tragen.

In drei große Teile gliedert sich die Schau, die drei wichtigen Zyklen gewidmet sind: „Nine Discourses on Commodus“, gemalt 1963 nach dem Mord an Kennedy, „Fifty Days at Iliam“ aus dem Jahr 1978 und „Coronation of Sesostris“ aus der Sammlung Pinault. Aber zwischen diese drei großen Orientierungslinien der Ausstellung schieben sich andere Zyklen und Serien, darunter auch Fotografien.

exposition Cy twombly Centre pompidou, 30 novembre 2016-24 avril 2017 // centre pompidou // PARIS // Kontakt: attachée de presse Élodie Vincent téléphone 00 33 (0)1 44 78 48 56 courriel elodie.vincent@centrepompidou.fr Still Life, Black Mountain College, 1951 impression à sec sur carton, 43,1 x 27,9 cm Collection Fondazione Nicola Del Roscio © Fondazione Nicola Del Roscio, courtesy Archives Nicola Del Roscio
Still Life entstand 1951 auf dem Black Mountain College
Auf seiner ersten Reise nach Europa und Nordafrika, die er mit seinem Freund Robert Rauschenberg unternimmt, fotografiert Twombly einen Tisch mit Leinendecke in Tétouan. Aus seiner Zeit als Student im legendären Black Mountain College ist eine Serie von Schwarzweißfotos mit Flaschen und Gefäßen zu sehen, die an die Stillleben Giorgio Morandis erinnern.

Starvse ist es gelungen, Bilder zusammenzubringen, die lange nicht nebeneinander zu sehen waren: „Empire of Flora“, „The School of Fontainebleau“ aus der Berliner Sammlung Marx treffen auf „Dutch Interior“ und „School of Athens“, allesamt aus den frühen Sechziger Jahren.

Der trauernde und der rächende Achilles

Am eindrucksvollsten aber ist die Gegenüberstellung vom trauernden und rächenden Achilles. Achilles Rache, „The Vengeance of Achilles“, heißt die Leihgabe aus dem Kunsthaus Zürich: ein Kapuzenwesen? Es ist das A, das fortan Achilles für ihn repräsentiert, zugleich aber auch ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch oder die Spitze des Kostüms der Henker des Klu Klux Klan.

Ihm gegenüber „Achilles Mourning the Death of Patroclus“: eine dünne Linie trennt das Bild in ein oben und unten, vorher und nachher, Leben und Tod. Das Leid Achilles hat sich verknäult. An einem dünnen Faden hängt es an dem, was vom verstorbenen Freund bleibt. Patroklos war in die Rüstung des Freundes Achilles geschlüpft und für ihn gestorben. Twombly las im Trojanischen Krieg vor allem das Unglück liebender Männer.

exposition Cy twombly Centre pompidou, 30 novembre 2016-24 avril 2017 // centre pompidou // PARIS // Kontakt: attachée de presse Élodie Vincent téléphone 00 33 (0)1 44 78 48 56 courriel elodie.vincent@centrepompidou.fr Achilles Mourning the Death of Patroclus (Achille pleurant la mort de Patrocle), 1962 259 x 302 cm Huile, mine de plomb sur toile Collection Centre Pompidou, Paris © Centre Pompidou / P.Migeat / Dist. RMN-GP
Achilles Mourning the Death of Patroclus,1962
Den Mord an Präsident Kennedy verarbeitet er in einer Serie aus neun Gemälden, „Nine Discourses of Commodus“. Als der New Yorker Galerist Leo Castelli die Reihe 1964 zeigt, ist die amerikanische Kritik unerbittlich: „Ein Fiasko“, notiert Donald Judd im „Arts Magazine“.

Ihr Titel spielt an auf den blutrünstigen römischen Herrscher, aber wer die Bilder länger betrachtet, sieht die Filmaufnahmen aus Dallas vor sich. Auf grauen, glänzendem Grund, durchsetzt mit Rosa, Reminiszenz an Jackies rosafarbenes Kostüm und Hut, verteilt sich das Blut und es ist, als wäre das Hirn des Präsidenten ein zweites Mal explodiert.

Der Niedergang des amerikanischen Reiches

„Cy war schockiert nach dem Mord Kennedys“, erzählt del Ruscio, „er sah zwischen dem Rom von Commodus und der Gewalt Amerikas eine Parallele.“ Es war der Beginn des Niedergangs des Römischen Reiches.

Die Ausstellung zeigt ein Werk zwischen den Welten. Zwischen Europa und Amerika, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Es ist angesiedelt irgendwo zwischen geschriebenen Wort, Abdruck und Spur, im bedeutungsvollen Nichts: ein leises Murmeln, durchsetzt vom grellen Schrei.

Cy Twombly, bis 24. April 2017, Centre Pompidou, Paris




Untitled, 1985

Nota. - Also mir hat sich die verstörende Schönheit dieser Bilder nicht sofort erschlossen. Als ich die ersten - ziemlich späten - sah, habe ich laut gelacht. Die Anekdote, wonach ein amerikanischer Kritiker mit dem Satz "Das kann meine vierjährige Tochter auch" Furore gemacht hat, hatte ich grade zuvor gehört, und ich fand ihn durchaus glaubhaft. Ich habe mir eine ganze Menge von diesen Sachen ansehen müssen - aber das habe ich freiwillig getan -, um in der Masse, dem Vergleich, den gemeinsamen Nennern und den Unterschieden doch etwas darauf zu finden, was nicht Zufall und Beliebigkeit, sondern gestaltender... Wille mag ich nicht sagen, aber Absicht wäre direkt falsch; jedenfalls etwas, womit die Augen eine Weile beschäftigt sind. 

Ob es Kunst ist, kann ich nicht beurteilen. Ein Künstler hat es gemacht, als ein solcher hat er gelebt und, das kann man mit Rücksicht auf den Handeln gar nicht laut genug sagen, gewirkt. Alles Weitere wäre eine ästhetische Frage, da will ich mich auch noch nicht ranwagen. Aber es ist auf jeden Fall eine lebenslange Variation zu dem Thema Was kann man denn heute noch malen? und das ist natürlich Kunst

Ein Schlaumeier wird sagen: Aber ob es wirklich gemalt ist, wird man ja wohl fragen dürfen. Doch ob er nicht mindestens mit seinen ganz späten Sachen den zeitgenössischen Kunstmarkt hat verhöhnen wollen, braucht man sich gar nicht zu fragen.
JE
 aus einem Kommentar, 18. 9. 2015

Nota. - Das kann meine vierjährige Tochter auch, hat ein namhafter Zeitungsmann wohl gesagt, und das machte die Runde. Es hängt Twombly - außer bei den Aficionados - bis heute an. Bei vielen, ach, den meisten Stücken muss man sagen: zu Recht. 
 

Ionisches Meer, 1987. (Das könnte die vierjährige Tochter vielleicht doch nicht, oder höchstens zufällig, aber nicht mit Absicht. Und dann ist ein keine Kunst.)

Aber wenn daraus geschlossen wird, dann könne es keine Kunst sein, denn die kommt von Können, so wird es falsch. Wenn ihm das gefiel, wenn er es gerne malte, wenn Andre darauf etwas zu sehen meinen, was sie vorher nicht kannten - welchen handwerklichen Kanon verlangt man dann noch, und wieso? Wenn er wiedergeboren würde, würde er alles nochmal genauso malen, aber keinem Menschen zeigen und für sich behalten, hat er gesagt. Warum soll man ihm das nicht glauben? 

Vielleicht war er wohlhabend und auf den Verkaufspreis nicht angewiesen. Dann verstünde ich auch, warum ich das Gefühl nicht loswerde: Der Mann hat das alles zum Hohn auf den Kunstmarkt gemacht. Warum soll ich über meine Bilder reden? hat er gesagt. Ich habe sie doch gemalt. Das reicht. Wenn ich dann lese, welcher Tiefsinn den Ausstellern eingefallen ist, denke ich: Das ist ein Gesamtkunstwerk unter dem Titel Die Selbstreflexivität der Gegenwartskunst und ihres Geschäftsbetriebs.
Untitled 1985

Ich will aber nachtragen: Das ist ein bisschen ernst gemeint. Es ist nämlich nicht wahr, dass er nichts konnte. Ich habe einiges aus den 80er Jahren gesehen - siehe oben -, das man sich gut eine Weile lang anschauen kann. Vielleicht zeige ich das hier mal, aber vorher will ich mir doch erst noch ein wenig mehr ansehn.
JE

"Der feine Riss" im Berliner Haus am Lützowplatz.

aus Tagesspiegel.de, 13. 7. 2016                                                                Nguyen Xuan Huy  Waiting until the Sun sets  2015.

Ein Realismus jenseits der Klarheit
Gegenständliche Malerei hat es in der Gegenwart schwer. Die Ausstellung „Der feine Riss“ im Haus am Lützowplatz beweist ihre Vitalität. 

von Christiane Meixner

Es hat nie aufgehört. Das Herz der realistischen Malerei pumpt kraftvoll wie auf dem Bild von Christoph Steinmeyer, der das Organ zum Zentrum eines chaotischen Universums macht. Umgeben ist das Bild „Troy“ [s. u.] im Haus am Lützowplatz von über einem Dutzend weiterer Motive: Akte, Porträts, Stillleben. Die Zusammenschau legt nahe, die gegenständliche Darstellung befände sich in voller Blüte ist. Was für ein Irrtum.

Keine andere Malerei hat es im zeitgenössischen Diskurs so schwer. Mit dem Aufkommen der Fotografie erlebte sie ihre erste große Krise. Nach 1945 etablierte sich die Abstraktion, während der sozialistische Realismus zur Staatsdoktrin wurde. Das machte die gegenständliche Darstellung auf Generationen hinaus suspekt. Malerei, ja schon, aber dann bitte mit Ironie getränkt wie bei Martin Kippenberger, konzeptuell gemeint oder in „Bad Painting“-Manier auf die Leinwand gebracht, wie es die Avantgarde seit Francis Picabia kennt. In der Ausstellung „Der feine Riss“ aber stellt man fest: Mit Axel Pahlavi oder Till Rabus, beide Jahrgang 1975, nehmen sich gegenwärtige Maler dieser klassischen Technik wieder an.


Till Rabus, Ikebana #4, 2008

Deborah Poynton führt dieses Prinzip bis an die Schmerzgrenze aus. Ihr Großformat „Morality Pla II“ von 2008 zeigt die Künstlerin selbst nackt auf dem Bett sitzend, mit angezogenen und leicht gespreizten Beinen. Das Zimmer wirkt perspektivisch verzerrt, Poyntons Selbststudium fällt umso gnadenloser aus: Unter der Haut an den Füßen zeichnen sich dicke Adern ab, den dunklen Schopf strähnt graues Haar. Im Vordergrund stemmt ein älterer Mann seine Hände auf die Tagesdecke und schaut auffordernd aus dem Bild. Auch die Künstlerin blickt fragend auf den Betrachter – als hätte er das ungleiche Paar gestört. Wohl kaum in einer erotischen Situation, die dem Motiv völlig fehlt. Und doch bleibt rätselhaft, was hier gespielt wird.


Deborah Poynton, Morality Play II, 2008

Dass selbst bei größtmöglichem Realismus keine Klarheit herrscht, ist der thematische Nukleus dieser Schau. Das klingt nicht neu, verblüfft jedoch, weil man von Eindeutigkeiten geradewegs umzingelt wird. Steinmeyers übergroßes Herz wirkt ebenso fotografisch exakt wie jene Fischabfälle und leere Margarineschachtel, aus denen Till Rabus malend „Ikebana“ macht. Ernie Luley Superstar hat mit „Madame Bourgois“ (2013) das Gesicht einer Frau auf die Leinwand gebracht, die sich auf den zweiten Blick als Domina-Fantasie entpuppt. Und Franziska Maderthaner, die in den achtziger Jahren eine Zeit lang als Martin Kippenbergers Assistentin arbeitete und heute Malerei an der Akademie in Wien lehrt, lässt in „Europa vor dem Regen“ (2016) diverse Hände aus einer ansonsten abstrakten Komposition ragen. Ein bisschen wirkt es, als habe jemand das eigentliche Zentrum ihres Bildes mit aller Kraft verwischt.


Franziska Maderthaner, Europa vor dem Regen, 2016

Illusionen sind demnach das Letzte, was diese Künstler erzeugen wollen. Vielmehr legen sie Spuren, locken mit dem Effekt der Wiedererkennung und irritieren dann doch mit Details, die sich nicht erklärend zusammenfügen. Pahlavis Porträt des „Melvin Neumann“ (2015) ist ein Paradebeispiel: ein Mann mit schütterem Haar, in blaugrünen Leggings, mit Nietenarmband und Farbspritzern auf dem geringelten Pullover. Ist er ebenfalls Maler? Weshalb trägt er dann weiße Paste im Gesicht wie ein Zirkusclown nach dem Abschminken? Und warum sitzt Melvin Neumann – der tatsächlich Eric heißt und als Modell kaum mehr als Kopf und Hände beisteuerte, alles andere hat Pahlavi auf der Leinwand konstruiert – im Kegellicht einer Manege?

Ein Realismus der Experimente wagt

Man kann darüber spekulieren. Klarheit bleibt aus, obwohl die Szene wie aus dem Alltag geschnitten scheint. Doch diese Hyperrealität täuscht, sie bildet nichts ab, sondern imaginiert bis zum Verwechseln. Hier wie im Fall von Deborah Poynton gibt der Begleittext zur Ausstellung einen wichtigen Hinweis. Die Nähe ihrer Porträts zum biblischen Motiv der Susanna im Bade und bei Pahlavi der Bezug zum Passionsmotiv „Christus im Elend“. Wer dies erkennt, dem fallen plötzlich auch die Metapher in David Nicholsons zuckersüßem Porträt der „Melancholia“ (2007) auf. Der Totenkopf auf einem Beistelltisch als Zeichen für Vergänglichkeit. Die achtlos geknüllten Rechnungen darunter als modernes Sinnbild der Ausschweifung und die weibliche Figur im Zentrum als Allegorie einer Luxusexistenz auf Pump.


David Nicholson, Melancolia, 2007,

Man muss die Sujets nicht alle mögen, um sich vom Ansatz der Ausstellung gefangen nehmen zu lassen. Die Strategien der beteiligten zehn Künstler sind so unterschiedlich wie ihre Stile. Klar wird schließlich auch, weshalb sie den mühsamen Weg der aufwendigen malerischen Technik wählen, wo doch jedes Foto ähnlich scharf zeichnen könnte, was man auf den Tableaus zu sehen bekommt. Pahlavi, Poynton und die anderen fügen dieser mechanisch erzeugten Sicht eine Facette hinzu, die aus der Beschäftigung mit jenem „feinen Riss“ resultiert: den Bruch zwischen Realität und individueller Wahrnehmung, realistischer Malerei und ihrer ideologischen Vereinnahmung. Hier verläuft der Graben, den die Avantgarde im 20. Jahrhundert aus gutem Grund zur Geschichte zog, mit dem sie zugleich das ikonografische Band gekappt hat. Der Realismus von heute ist weniger nostalgisch als experimentell gemeint – als Befragung und kritische Rückbesinnung. Auch wenn dieser Eingriff der Maler zumindest im Fall von Steinmeyer am offenen Herzen stattfindet.

Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, bis 4.9., Di bis So 11 bis 18 Uhr


Christoph Steinmeyer, Troy, 2014


Nota. - Bedeuten gegenständlich und realistisch dasselbe? Man wird kaum ein Bild von Max Ernst oder gar von Dalí finden, das ganz gegenstandslos wäre; aber realistisch schonmal gar nicht. 

Nach diesem Eingangsfehler kann eigentlich nur noch nichtssagendes dummes Zeug kommen. Na schön, ganz dumm nicht, ich glaube, sie tut nur so. Die gegenständliche Malerei habe es 'heute' besonders schwer! Wohl kein Vergleich zur ungegenständlichen: Die gibt es schon gar nicht mehr, seit Cy Twombly gegangen ist. Fast gleichzeitig übrigens mit Lucian Freud: Der hat realistisch gemalt, und zwar so entschieden, dass man ihm die Frage ersparte, was er uns damit sagen wollte. Man sieht - wenn man überhaupt was sieht - auf seinen Bildern, dass er es so machen musste, da gibt es nicht viel zu erklären. Schwer wird er es damit in den fünfziger, sechziger Jahren gehabt haben, aber danach bestimmt nicht mehr. Sein Freund Bacon konnte es so gerade nicht machen: gegenständlich zwar, und damit hat er es auch lange schwer gehabt, aber nicht realistisch (naiv, wie Schiller sagt), sondern tragisch-satirisch (wie Schiller gesagt hätte). Und der lebt nun auch nicht mehr.

Das einzige, was die Autorin im Ernst sagen konnte, aber nicht wollte, weil es banal ist: 'Heute' hat die Malerei es besonders schwer. Der Maler weiß nämlich nicht mehr, was er malen soll, es ist alles schonmal dagewesen, man kann keinem mehr die Augen öffnen, sie haben alles schon gesehen, man kann nicht mal mehr einen richtigen Skandal machen. Es ist demnächst hundert Jahre her, dass auf einer Ausstellung von zeitgenössischer Kunst ein Pissbecken präsentiert wurde. Heute kann man höchstens noch zitieren, verfremden, parodieren, hinterfragen, gegen den Strich bürsten, in all seiner Doppelbödigkeit aufzeigen u. dergl.: nämlich all die Sachen, die Andern lange vor einem eingefallen sind. 

Aber das geht nur mit gegenständlichen Sujets. Was wollte denn einer an Mondrian oder Malewitch parodieren? Oder gar an Cy Twombly! Der hat das gleich selber mitbesorgt. Daneben fällt nichtmal mehr ihre überragende handwerkliche Meisterschaft ins Gewicht; Caravaggio lässt sich nicht überbieten.
JE
  

Was vom Künstler bleibt, wenn die Kunst versandet.


aus nzz.ch, 10.11.2016, 18:21 Uhr 

Der Kunstmarkt und seine Opfer 
Wer nennt sich denn heute noch Künstler? 
Auf dem Kunstmarkt will alles immer höher hinaus – niemand fragt nach der Kunst, die auf dem Müll landet. 

von Christian Saehrendt

Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier


Nota. - Früher, als die Kunst sich als ein zünftiger Beruf zu etablieren und neben der Wissenschaft zu einer besonderen gesellschaftlichen Instanz aufzuwerfen begann, wurde Künstler, wer die Regeln der Kunst gelernt hatte. Das blieb so, bis Kunst mit einem großen K zu einer Sache der Avantgarde wurde; van Gogh war Autodidakt, jetzt kam es auf Genie an und nicht auf Handwerk. Daneben wird die Akademische Malerei zu einem eigenen Fach, das sich stets seinen Marktanteil bewahrt, aber öffentlich als Kitsch und Gebrauchskunst verrufen ist. 

A propos Marktanteil: Als Kunst erstmals für einen freien, bürgerlichen Markt entstand, wo ein Gulden so gut war wie ein anderer, nämlich in Hollands Goldenem Zeitalter, hatte es ein erstes Großaufgebot an autodidaktisch dilettierenden Künstlern gegeben, der steigenden Nachfrage folgte rasch das passende Angebot.

Vorher war es klar: Künstler ist, wer einer Gilde angehört und in der Werkstatt eines etablierten Meisters die nötige Fertigkeit erworben hatte. Ein bürgerliches Auskommen war ihm sicher, und wer höher hinaus wollte, musste zu Hofe gehen. Da konnte man aber auch tief fallen.

Mit der Scheidung von Avantgarde und Kunstgewerbe muss sich der Künstler, der auf diesen Namen Wert legt, durch sein Werk rechtfertigen: "Ist das denn noch Kunst?" Doch ein Werk, das diese Frage nicht hervorruft, wird bald in der Versenkung verschwinden, Kunst muss riskiert werden, die spezifische Lebensform des Künstlers ist La Bohème. Merke bei der Gelegenheit: Vor dem neunzehnten Jahrhundert war es eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit: Kunst ist, was Künstler machen; heute klingt es wie ein verwegenes Paradox. 

Es trifft sich nämlich, dass, was ein Künstler ist, mittlerweile nicht minder in Frage steht, als was Kunst ist. Das Tafelbild ist aufgebraucht, der Künstler definiert sich nicht mehr durch sein Werk, sondern durch seine wech- selnde Sichten auf das Problem "Was kann man heute noch malen?" Spitzenkunst, das Aktuellste vom Aktu- ellen, ist Showbiz und Entertainment, sie bringt dem, der richtig gezockt hat, unvorstellbare Summen ein; aber keine Rechtfertigung durch sein Werk.
JE

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