Dienstag, 30. Juni 2015

Das Ästhetische ist nicht, sondern wird gemacht.


nach Gunter Z., pixelio.de                                                                                                 aus Über Ästhetik, Zwischenbericht 

'Das Ästhetische' entsteht dadurch, daß ich mich entscheide, es als nicht-analysierbar anzuschauen: Bestimmung als ein Un-Bestimmtes! Es entsteht (historisch) als eine Entgegen-Setzung zur operationalisierten Welt der industriellen Zivilisation; als der Entschluß, die Dinge nicht als funktional, sondern als autonom aufzufassen; so, wie sie an sich sind.






Montag, 29. Juni 2015

Das Wesen der Kunst und das Ästhetische.

kykladisch, um 2700-2300 v. Chr.

Es ist nicht zweckmäßig, Kunst anhand der Merkmale ihrer Werke definieren, und namentlich nicht, aus dem 'Wesen der Kunst' das Wesen des Ästhetischen ermitteln zu wollen. Da beißen sich die Katzen unablässig in den Schwanz. Gangbarer ist es, den Aufstieg 'der Kunst' zu einer gesellschaftlichen Instanz nachzuzeichnen; wobei ihre zweifellos rituellen Ursprünge eine erste Fährte sind. Dann kann man daran gehen, die Verschiebung bei den Merkmalen der Werke vom Ritual über die Repräsentation (von was für wen?) bis hin zum bloßen Medium des ästhetischen Zustands zu untersuchen. 

Einen raschen Zugang zu den Mysterien des modernen und postmodernen Kunstmarkts findet man so freilich nicht...

aus einem Kommentar, 11. 1. 2014





Sonntag, 28. Juni 2015

Antezedenz des Ästhetischen.

 
Rainer Sturmpixelio.de                                                                                                                                                                     aus Rohentwurf

Ästhetische Wahrnehmung unterscheidet sich phänomenal von andern Arten des Wahrnehmens dadurch, daß hier das Zur-Kenntnis-Nehmen von Sinnesdaten uno actu zusammenfällt mit deren Bewertung; während beim 'verständigen' Wahrnehmen die Sinnesdaten zunächst in Hinblick auf Begriffe (=vorgegebene Bedeutungskomplexe) geordnet, und erst danach einem Urteil unterzogen werden. Das ästhetische Wahrnehmen erscheint insofern als primitiv, mindestens naiv, gegenüber dem sachlichen Verstehen von 'Etwas'. 

Aber das ist eine optische Täuschung. Für den Verstand (cognitio) liegt die 'Wertigkeit' in der relatio des jeweils Wahrgenommenen mit anderen, früher Wahrgenommenen; und muß also, qua Reflexion, erst erdacht werden: nachträglich. Fürs ästhetische Wahrnehmen liegt der 'Wert' dagegen in der qualitas des Wahrgenommenen - und die "zeigt sich" als solche. (Wenn Max Scheler sagt, "Wertnehmung geht der Wahrnehmung voran", dann heißt das nur, daß sich die ästhetische Wahrnehmungsweise apriori "immer schon" ins verständige Wahrnehmen eingeschlichen hat - welches aposteriori kommt und allenfalls versuchen kann, erstere kritisch zu exorzisieren.) 

Insofern ist ästhetisches Wahrnehmen nicht 'primitiv', sondern 'fundierend'; wenn auch nicht in jeglicher Hinsicht brauchbar.


siehe jedoch:





Samstag, 27. Juni 2015

Individualität; oder: Was verbindet das Porträt mit der Landschaftsmalerei?



Mein gestriger Eintrag sollte als Einleitung dienen zu dem - schwant mir - weitläufigen Thema Was hat die Landschaftsmalerei mit der Porträtkunst gemein.

 

Ich habe darzustellen versucht, wie durch die Landschaftsdarstellung die Malerei dazu kam, das 'Bedeutende', das 'Thema', die 'Aussage', das allgemein Gültige nach und nach aus ihrer Kunst auszuscheiden und das einmalig Gegebene 'als es selbst' wiederzugeben, ohne auf irgend ein Anderes, Vergleichbares zu schauen und den Vergleich zum heim- lichen, nämlich eigentlichen Inhalt des Bildes zu machen. 

 

Zu diesem Ergebnis gelangt, denke ich verblüfft daran, dass das Porträt von vornherein immer nur das Einmalige, Nicht-Vergleichbare des abgebildeten Individuums zum Gegenstand hatte. Und ich erinnerte mich, dass mir schon früher auf- gefallen war: In Sachen Porträt war die Kunst diesseits der Alpen nie 'im Rückstand' gewesen hinter Italien, sondern ging vielmehr voran, so dass italienische Künstler mir gutem Grund nach Norden schauten. Sie schauten, als mit dem Geist der Renaissance - und des Nominalismus - das einzeln-Unvergleichliche (als das 'Natürliche') erst neben, dann vor den allgemeingültigen Sätzen zum Merkmal des Wirklichen geworden war.

 

Da konnte die nordische Bildkunst sagen Ick bün all do.

Stammt also die Renaissance vielleicht doch nicht aus Italien?



31. 1. 14

Freitag, 26. Juni 2015

Kunst und das Einmalige.

 Honoré Daumier, Conseils à un jeune artiste

Musik sei nicht zu unbestimmt, um in Worte gefasst zu werden, hat Felix Mendelssohn gesagt, sondern zu bestimmt. 

Heute würden wir sagen: Das Musikstück – und jedes Kunststück – ist überbestimmt. So sehr bestimmt, dass es durch allgemein-geltende Zeichen eben nicht sicher erfasst und vollkommen re-präsentiert werden kann. Das Kunststück ist singulär. De singularibus non est scientia - Von einem Einzigen gibt es kein Wissen, sagten die Scholastiker. Das, was ganz allein auf der Welt so ist, wie es ist, das kann durch kein Anderes – Bekanntes – auf der Welt beschrieben werden. Es ist lediglich qualeschon quid wäre zu viel gesagt, weil das an ein Verhältnis zu Anderem glauben lässt.



Das ist eine erkenntnislogische Sache. Was hat das mit Kunst zu tun? Dies, dass Kunst als solche keine Erkenntnis ist. Als solche, das heißt: sofern sie um ihrer selbst und nicht um eines ihr äußeren Zweckes willen besteht. Das ist aber bei den Werken und sogar den einzelnen künstlerischen Gattungen ganz verschieden. Selbst die Musik, die nur hörbar ist, solange sie erklingt, hat man ein 'Programm' verkünden lassen. Es stört aber meistens, und man tut der Musik und sich einen Gefallen, wenn man es übersieht. 

Nicht übersehen lässt sich das Programm, das Thema, die Absicht in den bildenen Künsten. Das Bild als Zeichnung kann ganz unbemerkt zum Zeichen werden für etwas, das nicht es selber ist. Wenn der Betrachter es so nimmt, tut er der Kunst kein Unrecht, das gehört zu ihren Unwägbarkeiten, aber vielleicht dem Künstler, der es nicht so gemeint hat, und sich selber, den der damit von der ästhetischen Qualität des Werks ablenkt. 

Und wenn der Künstler selber es so gemeint hat? 

Die Verbindung von Zeichnung und Zeichen ist nicht bloß ein Wortspiel. Die Zeichnung ist am Bild das, was am deutlichsten zeigt, was gemeint ist. Der Umriss der Dinge und Figuren, ihre Binnenlinien sind dasjenige, war das Gezeigte im Raum situiert. Die Zeit steht im Bild zwar still, aber dennoch kann das Bild eine Geschichte erzählen, indem es nämlich eine Szene daraus darstellt. 

Raum und Zeit sind nun die beiden Merkmale des Wirklichen, mit und in dem wir leben und unsere Interessen haben. Das Wirkliche, das, was uns interessiert, ließe sich auch in Worte fassen, die das spezifische Medium der scientia sind. Was immer sich in Worte fassen ließ, war mit Anderm zu vergleichen und positiv oder negativ oder sonstwie in Beziehung zu setzen. Es war dann kein Einzelnes, sondern etwas, an dem ich Interesse haben und von dem ich wissen kann. 

Darf der Künstler es dann in ästhetische Gewänder kleiden und womöglich unerkannt dem Betrachter in die Sinne schmuggeln? Das kann er machen, wenn er sich nicht dabei geniert. Aber die Betrachter - es gibt eben doch einen Fortschritt in der Kunst - haben es im Laufe der Jahrhunderte immer weniger zu schätzen gewusst und teils als Agitprop, teils als Kitsch und teils als Agitpropkitsch verschmäht.


30. 1. 14


Donnerstag, 25. Juni 2015

Die Düsseldorfer Malerschule.

Carl Gehrts Die höchste Blüte der Kunst in der Renaissance 1897 
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Eine fast vergessene Ära der Malerei


Johannes Seiler
Dezernat 8 - Hochschulkommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

„Das ist doch keine Kunst!“, sagt der Laie angesichts der Werke so manches malenden Zeitgenossen. Lieber wären ihm Landschaftsbilder, Natur- und Alltagsszenen – leider wenden sich Experten von solchen Bildern mit Grausen ab. Das war nicht immer so: Im 19. Jahrhundert erregte die „Düsseldorfer Malerschule“ mit solchen Sujets europaweit Aufsehen. Eine öffentliche Tagung an der Universität Bonn befasst sich von Donnerstag bis Samstag, 14. bis 16. Mai, mit dieser zu Unrecht fast vergessenen Epoche der Kunstgeschichte. Mit federführend ist Prof. Dr. Roland Kanz vom Kunsthistorischen Institut.

Carl Gehrts Petruccios Hochzeit 1885 

Die Liste der großen Kunstmetropolen der Welt ist lang: Florenz. Venedig. Paris. New York. Düsseldorf. Düsseldorf? Genau! Schon 1753 entstand dort die „Kurfürstlich-Pfälzische Academie der Maler-, Bildhauer- und Baukunst“. Nach der Eroberung des Rheinlands durch Preußen gründete König Friedrich Wilhelm III. sie im Jahre 1819 als „Königlich preußische Kunstakademie“ neu; im 19. Jahrhundert wurde sie zum Anziehungspunkt für Maler aus ganz Europa. Mit dieser wiederentdeckenswerten Epoche der Kunstgeschichte befasst sich jetzt eine öffentliche Tagung an der Universität Bonn. „Düsseldorfer Malerschule – Gründerzeit und beginnende Moderne“ heißt das Thema des Treffens vom Himmelfahrtstag (14. Mai 2015) bis zum Samstag, 16. Mai, im Kunsthistorischen Institut. Mit federführend ist Prof. Dr. Roland Kanz, Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Kunstgeschichte.


Andreas Achenbach, Landschaft, 1866

„Die Kunstgeschichte der Moderne ist eine Geschichtsschreibung der Sieger“, sagt Prof. Kanz und präzisiert: „Diese Sieger sind natürlich die Künstler der Avantgarde“ – also jener Stilrichtungen, die sich ab Beginn des 20. Jahrhunderts durchsetzten. „Die Künstler, die zuvor erfolgreich waren, sind ins Hintertreffen geraten“ – auch die Düsseldorfer Schule. Völlig zu Unrecht, findet Prof. Kanz: „Gleich zu Beginn, also in den 1820er und 1830er Jahren, gab es an der Düsseldorfer Akademie eine sehr dynamische Entwicklung. Es gab einen sehr regen Austausch mit Berlin und großen Widerhall in der gesamten Kunstszene Europas.“

„Realismus und Naturalismus“

Prägend für das Schaffen der Düsseldorfer Künstler waren laut Prof. Kanz „Realismus und Naturalismus“ – sie befassten sich also intensiv mit Darstellungen von Landschaften, Szenerien der Natur und des menschlichen Alltags. Die Forschung darüber konzentriere sich bislang „sehr stark auf die ersten 50 Jahre nach der Akademiegründung“ – etwa auf Künstler wie Johann Wilhelm Schirmer (1807-1863), Caspar Scheuren (1810-1887) und Adolph Schroedter (1805-1875). „Näher an der Jahrhundertwende wird die Sache dünner.“ Ein Ziel der Tagung soll deshalb sein, das Interesse jüngerer Forscher auf die Düsseldorfer Schule zu lenken, damit sich eines Tages Abschluss- und Doktorarbeiten mit dieser Epoche befassen können.


Oswald Achenbach Don Quijote und Sancho Panza 1850

Einen besonderen Leckerbissen hält dazu die Bonner Dr.-Axe-Stiftung bereit, Mitveranstalterin der Tagung. Weil einer ihrer Stiftungszwecke ist, das Erbe der Düsseldorfer Schule zu pflegen, hat sie in Kronenburg (Eifel) ein eigenes Museum darüber eingerichtet. Teil der Tagung ist eine Exkursion dorthin, wo derzeit 21 Werke des Malers Carl Gehrts (1853-1898) zu sehen sind – Studien zu seinen Wandmalereien im Treppenhaus der 1888 erbauten Düsseldorfer Kunsthalle. Weil das Gebäude in den 1960er Jahren abgerissen wurde, sind die 21 Bilder die letzte Erinnerung an diese Malereien, sagt Prof. Kanz – „ein repräsentativer, wirklich erstaunlicher Zyklus von Fresken. Sein Thema ist die Entwicklung der Kunstgeschichte in ihrer Gesamtheit.“

Ein buntes Bild der Möglichkeiten

Gemälde von 1888? Der Kunstfreund denkt schaudernd an die Bilderwelten des Wilhelminismus – stolze Adler, dampfende Schlachtschiffe, mittelalterliche Recken, germanische Helden. Haben wir nicht alle gelernt, dass die gesamte Malerei dieser Zeit getrost unbesehen in die Schublade „Kitsch“ gehört? Ein Klischee, das „der Prüfung nicht standhält“, sagt Prof. Kanz. Die Tagung wolle das „bunte Bild der gleichzeitigen Möglichkeiten betonen, die damals herrschten“, erklärt der Wissenschaftler der Universität Bonn. „Es geht um eine gerechtere Differenzierung, wie vielfältig die Moderne eigentlich war. Die Geschichte der modernen Malerei ist eben nicht nur eine Geschichte der Avantgarde. Es gibt auch offizielle Repräsentationskunst, die nicht automatisch abwertend gesehen werden darf. Carl Gehrts zum Beispiel hat unglaublich viel zeitgenössischen Witz. Er hat auch Zeichnungen im Stile Wilhelm Buschs gemacht.“


Johann Wilhelm Schirmer Heranziehendes Gewitter in der Campagna, 1858

Die Tagung an der Universität Bonn ist ausdrücklich auch dazu gedacht, diese Erkenntnisse allen interessierten Bürgern nahezubringen: Jeder darf die Vorträge besuchen, egal, ob Kunstprofessor, Laie, Kritiker oder selbst schaffender Künstler. Der Eintritt ist frei. Auch an der Expertenführung durch die Carl-Gehrts-Ausstellung in Kronenburg darf jeder Interessierte teilnehmen – nur die Anreise in das etwas abgelegene Eifelstädtchen (bei Dahlem, südlich von Blankenheim) ist selbstständig zu organisieren.

Carl Friedrich Lessing, Belagerung eines Kirchhofs im 30jährigen Krieg, 1848 

Nota. - Das Kopfbild haben die Veranstalter selbst als Beigabe für ihre Pressemitteilung ausgesucht. Darauf wie auf dem Folgenden kann ich nichts von Realismus und Naturalismus erkennen, das sind pompöse Historienschinken - und sehr wohl das, was ich mir unter wilhelminische Malerei vorgestellt habe. Hans Makart hat - und dies etwas früher - offen mit der Décadence geflirtet, und das gibt seinen Sachen eine satirische Pointe, sodass man zögert, einfach Kitsch! zu sagen. Bei Carl Gehrts würde ich nicht zögern.

Was aber an der Meldung überrascht - die Landschaftsmalerei wird nur "unter anderm" erwähnt. Sie war aber das Schlachtross der Düsseldorfer Akademie, das ihren Einfluss von Amerika bis Russland begründet hat! Und ihre Oberhäupter waren Andreas und Oswald Achenbach, von ihren Zeitgenossen "das A & O der Landschaft" genannt. Zur Avantgarde haben die (sich) nie gezählt, und es ist wahr, dass nicht nur bei den Fachleuten, sondern auch beim großen Publikum das Augenmerk viel zu sehr auf der Avantgarde liegt, während doch die "normale" akademische Malerei stets der Mainstream war und die große Masse ausgemacht hat. Wenn man zeigen wollte, dass das nicht unbedingt Kitsch bedeuten muss, wäre die Achenbachs ein gutes Beispiel; allerdings auch dafür, wie schmal der Pfad ist und wie leicht man auch mal danebentreten kann.
JE

Mittwoch, 24. Juni 2015

ImEx: Was hat der Expressionismus mit dem Impressionismus gemein?

Max Pechsteins „Sitzendes Mädchen“ (1910) trifft auf die nur sieben Jahre früher entstandene „Badende mit blondem, offenem Haar“ von Renoir.

aus Die Presse, Wien, 24. 6. 2015

Und das soll ähnlich sein?
Eine hervorragend bestückte Schau in der Alten Nationalgalerie erforscht, was Impressionismus und Expressionismus verbindet: Es ist wenig.

von Bettina Steiner

Einmal also das Verbindende über das Trennende stellen. Einmal beim Impressionismus nicht das typisch Französische, beim Expressionismus nicht das typisch Deutsche betonen, nicht das Flackernd-Irrlichternde gegen das Rohe setzen, nicht „Eindruck“ gegen „Ausdruck“, Wahrnehmung gegen Emotion. Die von Angelika Wesenberg kuratierte Schau in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel hat sich im Gegenteil vorgenommen zu untersuchen, was die beiden Kunstrichtungen gemeinsam haben, die oft im gleichen Atemzug genannt werden, die beide heute so hoch gehandelt werden, wie sie zur Zeit ihrer Entstehung geschmäht wurden.


Cézanne 1896



Jawlenski 1912

Was sie gefunden hat, ist zunächst eine stupende Ähnlichkeit der Motive und Arbeitsprozesse. Sowohl Impressionismus als auch Expressionismus stehen für die Abkehr vom Konstruierten, sie stehen für Unmittelbarkeit und Subjektivität. Unfertig, wie Skizzen erschienen den Zeitgenossen die Werke von Monet und Co. Als völlig kunstlos wurden die Künstler des Blauen Reiters und der Dresdner Brücke abgetan. Weg vom Akademischen also – darum auch das Faible für die Freilichtmalerei: Nicht nur im Wald und auf der Heide übrigens, die Künstler malten auch mit Vorliebe Plätze und Straßen, Rennbahnen und Brücken.


Monet, Charing Cross Bridge 1893


Ernst Ludwig Kirchner, Rheinbrücke in Köln, 1914

Und sie liebten das Varieté, die Cafés, das Tingeltangel. Das ist von Henri Toulouse-Lautrec und Degas bekannt, die zahlreichen Tänzerinnen und Vergnügungssüchtigen von Ludwig Kirchner, August Macke und Emil Nolde in der Schau dagegen überraschen. Eine eigene Sektion gilt dem „Traum vom Paradies“, eine andere den Tierdarstellungen, eine dritte der Architektur.


Degas, Tänzerinnen in Probensaal, 1891


Nolde, Kabaret, Warten auf ihren Auftritt. 1907
Doch auch oder gerade, wenn hier Renoirs „Badende mit blondem, offenem Haar“ (1903) neben einem nur sieben Jahre später entstandenen „Sitzenden Mädchen“ von Max Pechstein hängt – tatsächlich betont die Schau eher jene Unterschiede, die sie einzuebnen verspricht: Hier ein Akt, in sanftes Licht getaucht – dort eine Nackte mit kraftvollem Strich. Noch deutlicher wird es, wenn es um Straßenszenen und belebte Plätze geht, für die beide ein Faible haben. Während bei den Impressionisten die Passanten wie hingetupft wirken und die eigentliche Aufmerksamkeit der Architektur bei verschiedenen Lichtstimmungen gilt, steht bei Kirchner und Co. stets der Mensch im Zentrum. Der Mensch, der auf Kirchners „Potsdamer Platz“ von Gebäuden fast erdrückt wird, der um seinen Raum kämpft, um Bewegungsfreiheit. Der fast den Rahmen des Bilds sprengt.


E. Manet, Im Wintgergarten, 1896


E. Munch, Das Ehepaar Perls, 1913

Schwerpunkt Dresdner Brücke

Aber ob man nun der Grundthese der Schau folgt oder nicht – sie ermöglicht spannende Vergleiche. Beim Themenblock Im Grünen sehen wir etwa Max Liebermanns „Papageienmann“ von 1902 neben einem „Sonnigen Weg“ von August Macke. Beide Künstler haben sich ähnliche Aufgaben gestellt, sie zeigen Menschen unter Bäumen, durch die das Licht fällt. Doch beim Impressionisten Liebermann ist es einzig der Papagei, der für kräftige Farbflecken sorgt. Alles andere wirkt wie gedämpft, durchaus folgerichtig: Die ganze Szenerie scheint in grünliches Licht getaucht (dasselbe Phänomen ist übrigens bei Renoirs „Im Sommer“ einige Meter weiter zu beobachten). Dagegen braucht der Expressionist Macke in diesem Fall gar keine Papageien – der Weg leuchtet auch so in grellstem Rot-Blau-Gelb.


Pissarro, Boulevard Montmartre bei Nacht 1897


Beckmann, Straße bei Nacht 1913

160 Werke sind insgesamt in Berlin zu sehen, vieles stammt aus den eigenen, umfangreichen Beständen, was mit sich bringt, dass ein Schwerpunkt auf den Malern der Dresdner Brücke liegt und viele Arbeiten deutscher Impressionisten wie Max Slevogt, Lovis Corinth und Liebermann zu sehen sind. Daneben etliche hochkarätige Leihgaben: Etwa Cézannes „Sieben Badende“, Manets „Im Wintergarten“, Monets „Die Barke in Giverny“.


Monet, Barke in Giverny, 1897

Beide Kunstrichtungen sorgten einst für handfeste Skandale. Aber während wir heute gar nicht mehr nachvollziehen können, was denn an einem Werk wie Manets „Frühstück im Freien“ oder Monets „Das Mittagessen“ so verstörend sein soll, ist die Attacke gegen die Definition dessen, was Kunst ist und was sie sein soll, bei Kirchner, Pechstein, Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Co. immer noch spürbar. Man muss nur ein Schulkind fragen, wie es zu den groben Strichen, den roten Körpern und gelben Himmeln steht. Sogar Emil Nolde kann übrigens provozieren: Von ihm zeigt die Schau ein paar großartige Werke, darunter ein brutales „Schlachtfeld“ und ein eindringliches Porträt des Gustav Schiefler: mit schwarzem Zylinder, lila Kopf und grünem Schnurrbart. Schon das eine Entdeckung.

„Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende.“ Alte Nationalgalerie, Museumsinsel: bis 20. September.


Liebermann, An der Alster, 1910


Nota. - Die größte Ähnlichkeit ist eine, die man heute nicht mehr sieht, weil sie seither zu selbstverständlich geworden ist: Seit den Impressionisten hat Kunst avantgardistisch zu sein, sonst ist sie Kitsch. - Was vielen Künstlern damals als eine Befreiung vorkam, ist heute sicher ebenso vielen eine Belastung.

Die zweite Ähnlichkeit, die allerdings hier etwas stark strapaziert wird, ist die Ähnlichkeit der Sujets, die doch keine thematische ist: in dem Sinne nämlich, als nicht mehr die Gegenstände die eigentlichen Gegenstände der Kunst sind, sondern ihr ästhetischer Schein. Ja ja, ich weiß, viele Expressionisten haben nach dem Weltkrieg großen Wert auf Aussage gelegt, aber man sieht den meisten Stücken an, wie forciert sie ist; weil sie nämlich schon eine kunstfremde Zutat geworden war und dem Künstler längst nicht mehr ganz von allein unterlief.

Aber größer ist die Unähnlichkeit, die ins Auge springt: Das eine ist das Aufblühen der Kunst am Beginn der Belle Époque, das andere ein aufbrechendes Geschwür an ihrem krampfigen Ende.

(Es werden sicher noch eine Menge Berichte über diese Ausstellung geschrieben; dies war bestimmt nicht das letzte Wort.)
JE

Sonntag, 21. Juni 2015

Entgegenständlichung?

Turner, Norham Castle bei Sonnenaufgang

"Entgegenständlichung"? Nein, die Gegenstände bleiben erhalten; werden aber ihrer Räumlichkeit entledigt, und die ist immer die Voraussetzung ihrer Brauchbarkeit. Es ist ihre lebenspraktische Bedeutung, die "an" den Gegenständen übersehen wird; übrig bleibt ihre "Eigenbedeutsamkeit" (Richard Hamann), d. h. ihre ästhetische Qualität.

aus e. Notizbuch, 1. 5. 07





Samstag, 20. Juni 2015

Landschaften an der Grenze...















...des guten Geschmacks - und teils weit darüber hinaus. Alle diese Fotos sind manieriert, mit Ausnahme vielleicht des Birkenwäldchens, das kaum eine andere Behandlung erlaubt. Und das wären sie auch, wenn man Farben und Beleuchtung nicht so gewaltsam manipuliert hätte. "Das sah aber wirklich so aus" ist keine Rechtfertigung. Standpunkt, Ausschnitt, Blickwinkel hat der Fotograf selber gewählt, da hat ihn keiner gezwungen. Ganz abgesehen davon, dass man nicht alles, was zu knipsen man sich nicht verkneifen kann, hinterher ins Internet stellen muss.

Warum aber bringe ich sie - aus didaktischen Gründen, als schlechtes Beispiel? Nicht ganz. Man bemerkt zwar verärgert, dass diese Bilder darauf berechnet sind, Effekt zu machen; aber das hindert sie nicht, Effekt zu machen. Wobei die Peinlichkeit des schlechten Geschmacks vom Ärger über die Effekthascherei gewissermaßen weißgewaschen wird: Man darf die Bilder ruhigen Gewissens eine ganze Weile ansehen.






Nota. Die obigen Fotos gehören mir nicht, ich habe sie im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Freitag, 19. Juni 2015

Die Eigenbedeutsamkeit des Ästhetischen.


skyrat, pixelio.de                                                                                                                             aus Über Ästhetik, Rohentwurf; 3                                                                                                                                                                                   
Das „Feld“ des Ästhetischen ist „konstituiert“ durch ein Problem: nämlich „daß in unserer Einbildungskraft ein Bestreben zum Fortschritte ins Unendliche, in unserer Vernunft aber ein Anspruch auf absolute Totalität als einer reellen Idee liegt.“ Kant, Kritik der Urteilskraft in Werke (ed. Weischedel) Bd. X, S. 172 

...daß nämlich auf dem ‚Bild’ „mehr zu sehen“ ist, als es abbildet. Daß außer den (zahllosen) identifizier-, meß- und mitteilbaren Merkmalen „am“ Bild (=den digitalisierbaren Punkten auf dem Bildschirm, Pixels) noch etwas „Anderes“ „erscheint“; also daß „am“ Sinnlichen ein nicht-sinnlicher Überschuß „wahrnehmbar“ wird; nämlich (s)eine Bedeutung (alias Das Transzendente). 

 Hardy5, pixelio.de 

Namentlich die Gute Gestalt „sieht so aus, als ob sie uns was sagen will“, das mehr ist als nur ihr sachlicher Grund; etwa das Blattwerk der Pflanze; die aerodynamische Form des Vogels; die Rundung des Bachkiesels... Mehr ist als Zweckform und Ursache. 

Das war schon immer so. Aber es ist noch nicht immer aufgefallen. Sobald es aber auffiel (den alten Griechen nämlich), nannte man es „das Schöne“ und setzte es sogleich in ein logisch-genetisches Verhältnis zum Wahren; systematisch bei Plato/Plotin. Übrigens nicht zuerst das Kunstschöne - bei Plato ausdrücklich nicht: Sein Urbild des Schönen ist der schöne Knabe. Aber wiederum nicht, sofern er Natur (‚Werden’) ist, sondern sofern er an der Idee (‚Sein’) „teilhat“*. So in der Reflexion. Für Plato war der Knabe Inbild des Erotischen: ein außerästhetisches Motiv - diesseits der Reflexion. Oder ist das Erotische selber der „Stoff“ des Ästhetischen?! (In Platos - nachträglicher - Reflexion ist Eros der Drang zum Wahren und zum Schönen; welches beides dasselbe ist.)

 joujou, pixelio.de

Die früheste „ästhetische Absicht“ glauben wir nicht in den Menschendarstellungen zu erkennen (Venus von Willendorf), sondern in Tierdarstellungen: Lascaux, Altamira. Ein Hinweis darauf, daß „das Kunstschöne vor dem Naturschönen da war“? (Die bloße „Natur“ - Landschaft und Stilleben (nature morte - die zwar „tot“, aber nicht „natürlich“ ist) - wird erst sehr spät, im 16. Jahrhundert in Holland, zum Gegenstand der Kunst.) - Ist aber Stilisierung allein schon „ästhetisch“**? (Dann auch bei der Venus von Willendorf!) Auf jeden Fall hebt sie ‚am’ Gegenstand dasjenige hervor, was seine (rituelle, mythische, logische, bedürfnismäßige) Bedeutung ausmacht! Ja, aber nicht, dass ‚an’ den Dingen noch eine ‚Bedeutung’ haftet, macht das Ästhetische aus, sondern daß sie als solche nicht abgebildet, nicht ‚dingfest’ gemacht werden kann! Also daß man sie nicht bestimmen kann. ... 

 Martin Schemm, pixelio.de

*) Das Wirkliche, „die Erscheinung“ heißt bei Plato das Werden, die mindere, unvollständige Seinsweise; Sein ist (ewige Form=) Idee - das, was „in Wahrheit“ ist; und das, was ‚das Werdende’ werden soll: das, was es „bedeutet“.

**) Stilisierung = Entindividualisierung = ‚Wiederholbarkeit’; äußerste Stilisierung: das ‚Zeichen für...’; das allenthalben fungible ‚Bild von...’; das ökonomisierte; d. h.: entästhetisierte, anästhetisierte Bild.

Nota. - Dass man auf dem obigen Wolkenbild einen Vogel 'erkennen' kann, stört die ästhetische Wirkung.


Donnerstag, 18. Juni 2015

Von der Ästhetik der Geselligkeit.

Rubens, Bauerntanz

Zu den natürlichen Bedürfnissen der Menschen gehören außer den physischen - Hunger, Durst, Frost - auch das Bedürfnis nach Geselligkeit. Solange Arbeit (in schwindendem Maß) auch gesellig geschieht, hat sie einen Wert, der über ihren bloß physischen Erhaltungswert hinausweist (und ist nicht nur Mühsal). Aber Geselligkeit ist anders als Hunger, Durst, Frost nicht mit einem immanenten Maß da, sondern um ihrer selbst willen. Sie hat ästhetischen Charakter.

In dem Maße, wie in der Arbeit die Erhaltungsfunktion auf Kosten der Geselligkeit immer mehr an Boden gewinnt, verbindet sich jene umso enger mit dem Ästhetischen (Tanz!). Geselligkeit wird Feierabend, "Erholung" = Reproduktion des Arbeitsvermögens. Wird vom Erhaltungswert absorbiert, unterworfen, mediatisiert. Und nun wiederum schwindet das Ästhetische in den privaten Winkel: Es wird absolut. 


aus e. Notizbuch, 17. 10. 08 

Mittwoch, 17. Juni 2015

Über Geschmack.



Urteilskraft ist schlechterdings nichts anderes als Geschmack. So sollte Kants Kritik der Urteilskraft denn auch zunächst "Kritik des Geschmacks" heißen. Erst nachträglich hat er dem inspirierten ausführlichen Teil von der Ästhetischen Urteilskraft den dürren prosaischen Teil von der Teleologischen Urteilskraft bei- und logisch gewissermaßen übergeordnet. Das war ein sophistischer Winkelzug. Es sollte im Denken Platz geschaffen werden für einen Göttlichen Weltplan. Die teleologische Urteilskraft sähe die Natur so an, 'als ob' sie einen höchsten Zweck verfolge...

Ohne die Prämisse eines göttlichen Plans bleibt von dem höchsten Zweck allerdings nur die Idee von Vollkommenheit übrig. Und das ist nun eine ästhetische Idee, sogar die ästhetische Idee schlechthin. Denn aus Begriffen lässt sie sich nicht konstruieren, sondern kann nur 'auf einen Schlag' intuiert werden. Aber sie muss nicht intuiert werden, von niemandem und aus keinem Grund. Sie ist ein bloßer Entwurf der Einbildungskraft. Sie ist Geschmackssache.

Durch die Einschiebung eines göttlichen Weltplans wird diese ästhetische Idee freilich zu einem – im weitesten Sinne – ökonomischen Programm verbürgerlicht. Zu einem vorgegebenen Maß, das die Natur zu erfüllen hat – nach dem Paradigma der Bedürfnisbefriedigung. Nicht mehr auf den Zweck kommt es an, sondern auf die Gemäßheit der Mittel. Die Natur erscheint als Arbeiter und Haushälter.

Würde die ästhetische Urteilskraft der teleologischen nachgeordnet, wäre Ästhetik eine Funktion der Ökonomik. 'Das Schöne', der 'zwecklose Zweck' oder 'das ästhetische-Erhebliche' würde dienstbar gemacht und objektiviert. Doch die ästhetische Urteilskraft ist unabhängig von der teleologischen und rangiert insofern 'vor' ihr. In dem Maße jedenfalls, wie die endlichen Zwecke als 'erfüllt' gelten können. Sie drängeln sich freilich trotzdem überall dazwischen. So scheint es, als stünde der Geschmack im Dienste des Nutzens. Oder doch wenigstens der Annehmlichkeit.

September 21, 2009




Dienstag, 16. Juni 2015

Die Sammlung Hahnloser-Bühler in Hamburg.

Pierre Bonnards Promenade en Mer von 1924 zeigt den Sammler Arthur Hahnloser, seine Tochter Lisa und seine Frau Hedy Hahnloser-Bühler. 

aus beta.nzz.ch, 16. 8. 2015

Die stillgelegte Zeit
Unter dem Titel «Verzauberte Zeit» ist die schweizerische Sammlung Hahnloser-Bühler in der Hamburger Kunsthalle zu Gast. Sie entstand in einer Zeit, als Kunst noch nicht als Kapitalanlage diente.

von Petra Kipphoff

Ein Leben und eine Ehe lang sammelten Arthur Hahnloser und seine Frau Hedy Bühler die Kunst ihrer Zeitgenossen, die dann auch zu Freunden wurden. Im Zusammenspiel von Sammlern und Künstlern entstand so eine reiche, im besten Sinne des Wortes grossbürgerliche Sammlung.

Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen  Jochen Ebmeier 

bonnard-manguin-hamburger-kunsthalle, winterthur-cezanne-van-gogh, vermischtes-überregional-villa-flora Felix Vallotton, Fleisch und Eier, 1918 

Henri Manguin, Siesta oder Jeanne im Liegestuhl

Cézanne, Häusergruppe (Dächer) 1876-77


van Gogh, Sonnenblumen, 1887



Vallotton, Weißes Watt, 1913


Matisse, Nizza, das schwarze Heft 1910






Vallotton, Das Ehepaar Hahnloser-Bühler



van Gogh, Der Sämann 1888



Verzauberte Zeit – Meisterwerke aus der Sammlung Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler. Hamburger Kunsthalle. Bis 16. August 2015. Katalog € 17.90.


Renoir, Der Dahlienstrauß 1918