Sonntag, 7. Juni 2015

Totalitäre Architektur, oder: War Le Corbusier ein Faschist?

Cité radieuse
aus beta.nzz.ch, 27. 5. 2015

Faschismusvorwurf gegen Le Corbusier
«Erneuerung, Reinemachen, Säuberung»
Anlässlich des 50. Todestags von Le Corbusier werfen drei Bücher ein kritisches Licht auf das Verhältnis des Architekten zum Faschismus. Eine Schau im Centre Pompidou klammert das Thema ganz aus.

von Marc Zitzmann

Dieses Jubiläum verstrahlt alles, nur keine Festlaune. Frankreich feiert – einige Monate im Voraus – den 50. Todestag von Le Corbusier. Der 1930 eingebürgerte Architekt und Stadtplaner aus La Chaux-de-Fonds war am 27. August 1965 während eines Meerbads an der Côte d'Azur einer Herzattacke erlegen. Doch was eine Gedenkfeier sein sollte, gleicht je länger, desto mehr einem postumen Prozess. Hatte Le Corbusier 1965 ein Staatsbegräbnis erhalten, das de Gaulles Kulturminister, André Malraux, zur künstlerischen Kanonisierung stilisierte, so droht ihm jetzt die Umbestattung ins Karree der Verfemten. Der Übervater der modernen Architektur sei Faschisten sehr nahe gestanden, wo nicht gar selber einer gewesen, schreiben die Autoren dreier Neupublikationen aus Paris, François Chaslin («Un Corbusier», Le Seuil), Xavier de Jarcy («Le Corbusier. Un fascisme français», Albin Michel) und Marc Perelman («Le Corbusier. Une froide vision du monde», Michalon).
Unité d'Habitation, Marseille

Briefe, Taten . . .

Die Beweislast ist in der Tat erdrückend. Über zwei Jahrzehnte hinweg, vom Anfang der 1920er Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, besteht Le Corbusiers private Entourage aus Vertretern des extrem rechten Lagers. Und zwar fast ausschliesslich – Chaslin rechnet vor, dass die Liste der Personen, die zwischen 1926 und 1946 im Briefwechsel des Architekten mit seiner Familie erwähnt werden, zahllose Faschisten und Kollaborateure aufführt, aber so gut wie keine linken Persönlichkeiten. Le Corbusiers engste Vertraute sind damals der Ingenieur François de Pierrefeu, Absolvent des Pariser Polytechnikums und verquaster Okkultist, und der Arzt Pierre Winter, Propagator der «Menschenzucht» und Chef der Splitterpartei Parti fasciste révolutionnaire, einer Abspaltung von Frankreichs grösster faschistischer Bewegung, Georges Valois' Faisceau.
La Ville Radieuse, 1935

Die Privatkorrespondenz des Architekten legt ein beredtes Zeugnis von seiner Gesinnung ab. Schon im Januar 1926 berichtet er seiner «lieben kleinen Mama» stolz, ihm sei von faschistischer Seite aus der Puls gefühlt worden, «wo meine Ideen zum Teil als Aktionsprogramm dienen könnten». Laut seinem Biografen Nicholas Fox Weber hatte er bereits im Vorjahr im Parteisitz des Faisceau einen Vortrag gegeben. Als im Februar 1934 in einer staatsstreichartigen Atmosphäre 40 000 Rechtsextreme in Paris auf die Strasse gehen, ist Le Corbusier dabei. «Die Revolution ist im Anmarsch», schreibt er der Mutter. Pétains «nationale Revolution», hervorgegangen aus dem militärischen Kollaps vom Frühjahr 1940, begrüsst er begeistert: «Erneuerung, Reinemachen, Säuberung . . . Das Geld, die Juden (teils verantwortlich), die Freimaurerei, alles wird dem gerechten Gesetz unterworfen. Diese schändlichen Festungen werden geschleift. Sie beherrschten alles.»
Zentrojus-Gebäude, Moskau, Le Corbusier u. a.

Sprechender noch als Le Corbusiers Worte sind seine Taten. Mehrmals schickt er Benito Mussolini signierte Exemplare seiner Bücher – zu einem Zeitpunkt, als niemand mehr den wahren Charakter des Regimes ignorieren kann. Nach der völkerrechtswidrigen italienischen Besetzung Äthiopiens bietet er sogleich seine Dienste an, um Addis Abeba in eine Kolonialhauptstadt zu verwandeln. Ähnlich diensteifrig zeigt er sich gegenüber dem Vichy-Regime: Schon am 3. Juli 1940, zwei Tage nach Pétain, trifft er in dem Kurort ein, zwischen Januar 1941 und Juli 1942 lebt er regulär dort. Sein Büro befindet sich im Hotel Carlton, neben jenen der eminentesten Würdenträger des Regimes.

Plan Voisin zur Sanierung der Pariser Innenstadt

Zum Regierungsberater ernannt, verfasst er einen Rapport über den «Städtebau der nationalen Revolution». Doch trotz einer Unterredung mit Pétain höchstselbst gelingt es ihm nicht, seine ehrgeizigen urbanistischen Projekte (namentlich für Algier) zu verwirklichen. So wechselt er 1942 in ein Industrieunternehmen über, das Hitlerdeutschland mit Chemikalien beliefert. Sein «Bruch» mit dem «Etat français», resümiert durch den vielzitierten Abschiedsgruss «Adieu, liebes beschissenes Vichy!», in welchem Apologeten ein Attest für die laut ihnen letztlich doch moderate Gesinnung des Architekten sehen, war laut Chaslin wohl weniger definitiv und hehr, als viele gern annehmen. Der Autor erklärt den Umzug von Vichy zurück nach Paris in erster Linie durch Le Corbusiers Bestellung zum «bio-soziologischen Berater» in einer Stiftung des heute als Eugeniker verschrienen Nobelpreisträgers Alexis Carrel. Der Architekt arbeitet dort bis kurz vor der Befreiung, die er mit den Worten quittiert: «Das Blatt wendet sich, man kommt nicht umhin, es einzugestehen.»
Plan Voisin für Paris, 1932; Modell

Doch vor der Ankunft der Alliierten findet er noch Gelegenheiten, seine Anklageakte etwa durch Mittagessen mit Arno Breker oder der Tochter des Regierungschefs und überzeugten Kollaborateurs Pierre Laval zu erschweren. Behelligt wird er nach 1944 trotzdem nicht, wohl auch, weil er seinen Lebenslauf geschönt und – dies ein Verdacht von Chaslin, keine Gewissheit – Dokumente hat verschwinden lassen.
Hans Hopp, Plan für den Wiederaufbau von Dresden, 1946

. . . und Schriften

Die wichtigsten «Beweisstücke» der drei Neuerscheinungen sind freilich weder Le Corbusiers Briefe noch seine Taten, sondern Bücher und Artikel, die in den Zeitschriften «Plans» und «Prélude» erschienen sind. Ein Kapitel in Jarcys Studie heisst «L'eugéniste radieux». Auch andere Autoren, in Frankreich etwa Daniel Le Couédic, sind der Meinung, vielen Schriften (und Projekten) Le Corbusiers eigne eine sozialhygienische Dimension. Sie sähen die Stadt als einen biologischen Organismus an, den es von faulen, ja giftigen Zellen zu befreien und auf maximale Leistung zu trimmen gelte. Individuen würden zu diesem Zweck in Gruppen eingeteilt, welche räumlich segregierte Wohn- und Arbeitsviertel zugewiesen bekämen. Gegebenenfalls könnten die überzähligen Armen, Sterilen und Parasitären auch ausgeschafft werden – aufs Land, in sogenannte «fermes radieuses».
Entwurf für...?

Endlich finden sich in «Plans» und «Prélude» auch Rassentheorien und antisemitische Breitseiten. Nicht aus Le Corbusiers Feder – obwohl auch von ihm ein paar zeittypisch judenfeindliche Aussagen überliefert sind –, aber aus jener von Autoren, die er kannte und schätzte. Dass der Architekt sich – gleichermassen erfolglos – Stalin, Mussolini und Pétain anbiederte, wird gern als Opportunismus abgetan. Mit Blick auf sein Umfeld kommt Chaslin zu einem anderen Schluss: «Ich denke im Gegenteil, dass er seiner Natur nach ein Ideologe war, ein Politiker und einer der ‹Chefs› (. . .) eines militanten Grüppchens, das den Totalitarismus anstrebte und dem nur wegen der Wirren der Zeitläufte der Erfolg versagt blieb.»
KdF-Anlage in Prora, Rügen

Die drei Bücher können als komplementär angesehen werden. Jenes von Jarcy ist nicht nur flüssig geschrieben, sondern auch konsequent auf (s)ein Thema fokussiert: Le Corbusier und der Faschismus. Chaslins – laut eigener Aussage – «facettenreiches Porträt nach kubistischer Manier» erlaubt sich demgegenüber zahlreiche Digressionen, welche Zeitsprünge nach sich ziehen – und oft auch den Verlust des roten Fadens. Es bildet jedoch eine anregende Reflexion nicht nur über Le Corbusiers Leben und Nachleben, sondern auch über Chaslins eigenes Verhältnis zum – von ihm lange Zeit unkritisch bewunderten – «grössten Architekten der Moderne». Perelman endlich betrachtet Le Corbusiers Denken und Schaffen, seine Schriften und Bauten als ein kohärentes Ganzes, mit dessen «kaltem Weltbild» er ebenso kühl abrechnet.


La Ville Contemporaine für 3 Millionen Einwohner, 1922

Der Faschismusvorwurf gegen den Architekten ist nicht neu. Schon 1956 schrieb der Pariser Kritiker Pierre Francastel, Le Corbusiers Welt sei bestenfalls jene des Ghettos, schlimmstenfalls jene des Konzentrationslagers. Niemand habe das Recht, seinen Nächsten mit Gewalt glücklich zu machen. Daniel de Roulet und Stanislaus von Moos in der Schweiz, Rémi Baudouï und Jean-Louis Cohen in Frankreich, Mark Antliff, Nicholas Fox Weber und Mary McLeod in den USA beleuchteten zum Teil schon vor Jahrzehnten heikle Aspekte von Le Corbusiers Vita. Doch das heurige Jubiläum verleiht der Kombination der Reizworte «Faschismus» und «Le Corbusier» eine Durchschlagskraft, die ihr bis anhin fehlte.


La Ville Contemporaine, Plan

Kommt hinzu, dass das Centre Pompidou dem Architekten seit Ende April eine etwas kopflastige, aber materialreiche Ausstellung widmet, die alles kontrovers «Weltanschauliche» ausklammert – sogar im Katalog, wo Platz für Vertiefung gewesen wäre. Mehr braucht es nicht, um die These bzw. Komplotttheorie zu beglaubigen, «die Fachwelt» suche «ihren» grossen Mann zu schützen und verweigere sich jeglicher Debatte. Frédéric Migayrou, am Centre Pompidou zuständig für Architektur und einer der beiden Kuratoren der Schau, goss noch Öl ins Feuer mit der Behauptung, die drei Bücher seien unseriös, ja unwissenschaftlich – was nun seinerseits Stirnrunzeln hervorruft. Immerhin beraumte er für nächstes Jahr ein Kolloquium an, das heuer besser am Platz gewesen wäre. Thema: «Die institutionelle, politische, soziale und ökonomische Lage der Architekten und Stadtplaner in den 1930er Jahren und unter dem Vichy-Regime» . . .

La Ville Radieuse, 1935


Nota. - Dass Emil Nolde ein übler Nazi war und wohl auch sonst ein unangenehmer Mensch, ist für seine ästhetisch-künstlerische Bewertung ohne Belang, sofern man es auf seinen Bild nicht sehen kann; und das kann man nicht. Wäre Le Corbusier lediglich als bildender Künstler aufgetreten, dürfte sein totalitäres Weltbild uns völlig gleichgültig sein:


Stilleben N° 19, 1957

Aber er war Architekt und wollte gesellschaftspolitisch wirken. Die Idee der funktionalen Stadt, die wie ein Organismus gegliedert ist und den Menschen ihre sozialen Bezüge bis in den Wohnraum hinein vorgibt; die Idee vom Menschen als einer Ingredienz der Wohnmaschine; die Idee von einer höheren Intelligenz, die die Massen auf einen höheren Zweck hin organisiert - das ist weder spezifisch stalinistisch noch spezifisch faschistisch, sondern genuin totalitär. Es sind die künstlerisch-ästhetischen Gesichtspunkte, die uns gleichgültig sein können.
JE


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