Sonntag, 30. November 2014

Der Gegensatz zum Ästhetischen ist die Absicht.



Amy Weiskopf, Stillleben mit Uhr, 1986
Der bestimmte Gegensatz zum Ästhetischen ist die Absicht.

Beim Naturschönen beeindruckt vor allem, wenn es aussieht, "als hätte es einer mit Absicht gemacht" - wobei vorab bewusst ist, dass es überhaupt nicht "gemacht", sondern einfach nur da ist und... ist, wie es ist. Kommt der Eindruck, "als ob es wer mit Absicht gemacht hätte", an die bewusste Oberfläche, tritt beim Betrachter eine gewisse ironische Distanz ein. Bei Sonnenuntergängen, die aussehen, als hätte sie wer mit Absicht gemacht und feste auf die Tube gedrückt, kommt der Eindruck von Kitsch auf; Naturkitsch sozusagen.

Umgekehrt, bei einem Maler, der es schafft, dass ein Landschaftsstück so aussieht, als sei es ohne Absicht entstanden, tritt eben der Effekt des Naturschönen ein.

Thomas Girtin, The Tawe

Weshalb das Stillleben in ästhetischer Hinsicht ein engeres Genre ist als die Landschaft. Das 'ohne Absicht' ist vorstellbar nur im Zuge alltäglicher (häuslicher) Verrichtung, denn seine Gegenstände sind keine Naturdinge, sondern Zeug, und das dient einer Absicht. Ästhetisch kann es nur wirken, wenn die Anordnung der Gegenstände "so aussieht, als ob" sie durch den Zufall werktäglicher Routine zustande gekommen sei.  Das engt den Kreis möglicher Gegenstände ein und noch viel mehr den Kreis möglicher Arrangements.

"Ohne Absicht" ist überhaupt ein Synonym für das Naive. In naiver Darstellung kann Alles ästhetisch werden. (So bei Schiller?)

aus e. Notizbuch, 26. 10. 06
Caravaggio





Samstag, 29. November 2014

Engel - mittelalterliche Miniaturen in der Wiener Nationalbibliothek.

aus diePresse.at,  27.11.2014 | 16:30 |                                              Dschinn, Album für Sultan Murād III, um 946–50 (1539–43) 

Nationalbibliothek Wien 
Als Mohammed vor Gabriel in Ohnmacht fiel
  

Gabriel gehört neben Michael und Raphael zu den viel besungenen und porträtierten Erzengeln der Christenheit, man kennt ihn auf Goldgrund und groß. Dieser Bote Gottes verkündet der Jungfrau Maria, sie werde den Sohn Gottes gebären. Weniger bekannt ist hierzulande, dass er auch im Islam als Vermittler beschäftigt war: Ǧibrīl brachte Mohammed das erste Offenbarungserlebnis des Koran. Hadīğa, die Frau des Propheten, erzählte davon einem christlichen Vetter. Der erklärte ihr darauf, es handle sich um den gleichen „großen Vertrauten“, der einst Moses erschienen war. Wie mächtig sich die monotheistischen Religionen solch hohe Wesen vorstellten, erkennt man in einer weiteren Geschichte aus dem Koran: Mohammed wollte gegen den Widerstand Gabriels dessen wahre Gestalt sehen. Der erschien in paradiesischer Form, da fiel der Prophet überwältigt in Ohnmacht. In Gestalt eines schönen Manns überbrachte ihm der Erzengel Allahs Offenbarungen in „klarer arabischer Sprache“, wie in drei Suren steht.
Die Himmelsreise des Propheten Muhammad, persisch, 977–88 (1570–80)

Viele Kirchenväter schrieben Gelehrtes über diese Vermittler Gottes, die niemand, nicht einmal große Propheten, unbeschadet direkt schauen könnten. In Konzilien stritt man darüber, ob es drei oder mehr Erzengel gebe. Theologen fragten sich, an welchem Schöpfungstag sie geschaffen wurden, welche Substanz sie hätten. So spekulativ waren die Fragen, dass Humanisten den Scholastikern posthum unterstellten, diese hätten sich vor allem damit beschäftigt, wie viele Engel auf die Spitze einer Nadel passten. Den großen Philosophen Thomas von Aquin kümmerte das nicht. Er befand im 13. Jahrhundert, Engel seien rein geistige Wesen. Dadurch befanden sie sich in der Seinskette weit über dem Menschen, der über der unbeseelten Natur stand. Ihr Geschlecht spielte keine Rolle. Sie wurden zuerst als männlich dargestellt, in der höfischen Kunst bald aber auch weiblich oder als Kinder, weil ihr Geist eben jede Form annehmen konnte, wenn sie sich den Menschen zeigten. Für die Irdischen war es stets eine Grenzerfahrung, göttlichen Boten zu begegnen: „Ein jeder Engel ist schrecklich“, dichtete Rainer Maria Rilke.


Verkündigung, Evangeliar um 1140

Luzifer stürzt in den Schlund der Hölle

Wer sich gefahrlos solchen Himmlischen nähern will, kann sie im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek erleben. Gut 60 Exponate, ein Großteil davon aus katholischen Manuskripten des 14. bis 16. Jahrhunderts, geben in der Ausstellung „Engel. Himmlische Boten in alten Handschriften“ Einblick in die Rezeption dieser Mittler, die allein schon durch ihren griechischen Namen „angelos“ als solche definiert sind, so wie bereits durch die hebräische Bezeichnung „malach“ im Alten Testament. Ihre Aufgaben sind vielfältig. Sie verkünden, schützen, strafen, bewegen die Gestirne am Himmel und singen in bis zu neun Chören das Lob Gottes, der von Cherubim und Seraphim umgeben ist. Manche fallen auch ab, wie der einst mächtigste Engel – der lichte Luzifer. Dieser Satan musste samt seiner Mitverschwörer nach verlorenem Kampf gegen gottesfürchtige Kollegen hinab in den Schlund der Hölle. Solch eine Schlacht wird in der Weltchronik von Urach (1463) dargestellt. Die Bösen werden von den Guten in den Rachen eines Untiers gestoßen.


Sturz Luzifers und seiner Heerscharen, "Weltchronik" 1463

In der hebräischen Bibel, deren Entstehung bis ins zweite Jahrtausend vor Christus zurückreicht, gibt es wegen eines Bilderverbots keine solch drastischen Darstellungen. Erzählt wird, dass drei Männer Urvater Abraham besuchen, der sie vor seinem Zelt nicht sofort als Engel des Herrn erkennt. Sie verkünden ihm die Geburt eines Sohnes. Ein Zeichen der Boten kann auch Feuer sein, wie bei der Himmelfahrt des Propheten Elias – das wird nur diskret angedeutet. Der Wahrsager Baalam (Buch Numeri) weiß erst ebenfalls nicht, dass er einem Engel begegnet ist. Seine Eselin verhält sich instinktiv richtig. Diese Stelle zeigt hier eine Thora von 1348.


Die hl. Maria Magdalena wird von Engeln in den Himmel erhoben, um 1520-30,

Ihre Flügel erhalten die abgebildeten Engel erst in christlicher Deutung ab dem 5. Jahrhundert. Sie wurden aus antiken Mythen übernommen. Bis zu drei Flügelpaare haben solch himmlische Boten, zwei zum Verdecken, eines zum Fliegen. Das um 1170 verfertigte Evangeliar des Schreibers Liutold aus dem Kloster Mondsee, das älteste hier ausgestellte Werk [s. o.], bildet Gabriel bei der Verkündigung an Maria mit besonders prunkvollen Schwingen ab. Einige solche Meisterwerke waren bisher noch nie ausgestellt. Als Ergänzung gibt es ein von der Fachhochschule Sankt Pölten entwickeltes Programm, bei dem man via großen Touch-Table durch die Offenbarung des Johannes tappen und Informationen zu Illustrationen sammeln kann.


Engel und Heilige helfen dem Sterbenden, den Teufel zu überwinden, Leipzig 1493

Dürers Illustration der Apokalypse

Zu sehen ist im Original neben aufwendig verzierten Gebetbüchern aus Frankreich, Italien oder den Niederlanden auch einer von 15 Holzschnitten, mit denen Albrecht Dürer 1498 die Apokalypse illustrierte: „Verteilung der Posaunen an die sieben Engel“. Ein weiteres rares Werk ist das Stundenbuch des Illustrators Gabriel Glockendon für Albrecht II., den Erzbischof von Mainz (1536/37): Die „Anbetung des Jesusknaben“. Goldene Kinderengel schweben über der Heiligen Familie. Schließlich wird noch ein altes Notenblatt vom Weihnachtslied des Reformators Martin Luther präsentiert, das Johann Sebastian Bach 200 Jahre später vertonte. Die ÖNB hat einen Erstdruck von 1748: „Vom Himmel hoch, da komm ich her!“ Da vermeint man tatsächlich, die Engel singen zu hören.


Bis 1. 2. 2015 ist die Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek zu sehen: Josefsplatz 1, Di. bis So., 10–18, Do. bis 21 Uhr. Der von Kuratorin Maria Theisen herausgegebene, reich illustrierte und höchst informative Katalog kostet 39,95 Euro.

Freitag, 28. November 2014

Brachte der Mensch die Felskunst aus Afrika mit?

aus scinexx                                                                         Diese Handabdrücke wurden in einem Felsunterstand auf Sulawesi entdeckt.

Neu-Datierungen von Felsmalereien in Südostasien und China sprechen dafür

Kein Einzelfall: Forscher haben noch weitere Felsbilder in Asien entdeckt, die bis zu 40.000 Jahre alt sind. Das spricht dafür, dass unsere Vorfahren diese Form des künstlerischen Ausdrucks schon aus Afrika mitbrachten. Gestützt wird dies auch dadurch, dass die Felskunst in China, aber auch in Thailand, Malaysia und Kambodscha sehr ähnliche Handbadrücke und Tierfiguren zeigt wie ähnliche Felsmalereien in europäischen Höhlen.

Erst vor kurzen haben Archäologen auf Sulawesi die ältesten Handabdrücke der Welt entdeckt. Sie sorgten für Aufsehen, denn bisher kannte man so alte Felsmalereien nur aus Europa, nicht aber aus Asien. Ob dies ein Einzelfall war, oder ob unsere Vorfahren diesen Ausdruck ihrer Kreativität sogar schon bei ihrem Auswandern aus Afrika mitbrachten, blieb unklar.

Neu-Datierungen von Felskunst in ganz Südostasien

Um das zu klären, haben internationale Forscherteams unter Leitung von Paul Taçon von der Griffith University Felsmalereien vom Südwesten Chinas bis Indonesien erneut datiert und analysiert. Die Forscher bestimmten dabei das Alter sowohl mit Hilfe von chemisch-physikalischen Methoden als auch durch Untersuchungen der sich überlappenden Malereischichten.

Diese naturalistische Darstellung eines Hirsches ist das älteste Felsbild in Kambodscha.

Dabei zeigte sich, dass diese Handabdrücke und frühen Tierdarstellungen älter sind als zuvor angenommen – auch in China, Thailand, Kambodscha und Malaysia gibt es Felskunst aus der Zeit von vor 35.000 bis 40.000 Jahren. "Die ältesten Motive stammen aus dem späten Pleistozän und sind damit ebenso alt wie Ähnliches in Europa", so Taçon und seine Kollegen. Das spreche dafür, dass schon die ersten Vertreter des Homo sapiens, die nach Asien kamen, eine reiche künstlerische Praxis besaßen.

Eher in Felsunterständen als in Höhlen

"Ähnlich wie die frühe Kunst in Europa ergänzten die ältesten Abbildungen in Südostasien oft natürliche Felskonturen oder wurden absichtlich in er Nähe bestimmter Felsmerkmale platziert", erklärt Taçon. Ähnelte ein Felsvorsprung beispielsweise ein wenig einem Stier, dann wurde dies durch Malerei noch stärker herausgearbeitet. "Im Prinzip prägten und veränderten sie damit Landschaften, wo immer sie hinkamen und wandelten sie von wilden Orten in kulturelle Landschaften um", so der Forscher. "Dies war der Beginn eines Prozesses, der bis heute anhält."

Oft bezogen die Frühmenschen natürliche Felsvorsprünge in ihre Bilder mit ein, hier ein in Yunnan entdeckter, schwer erkennbarer Stier.

Aber es gibt auch Unterschiede zur europäischen Felskunst: Während bei uns Felsmalereien oft tief in Höhlen versteckt sind, liegen sie in Südostasien freier. Sie finden sich eher in Felsunterständen als in Höhlen. Dunkle Höhlen waren für diese Menschen offenbar eher wenig inspirierend oder spielten für ihre kultischen Handlungen eine geringere Rolle. Der Stil der Zeichnungen ist aber dennoch sehr ähnlich.

Mitgebracht aus Afrika?

"Das spricht dafür, dass dieses Verhalten von unseren Vorfahren schon in Afrika entwickelt wurde", sagt Taçon. Die ersten modernen Menschen brachten diese Sitte, Bilder auf felsige Untergründe zu malen, dann bei ihrer Ausbreitung aus Afrika mit und passten die konkrete Positionierung und Ausführung an das jeweilige Klima und die Umwelt an. Das aber würde bedeuten, dass auch in Afrika noch unentdeckte Relikte solcher Felsmalereien existieren könnten.

Als nächstes planen Taçon und seine Kollegen, auch die Felskunst im Norden Australiens noch einmal genauer zu untersuchen. Denn auch sie bestehen zum größten Teil aus den typischen Handabdrücken und naturalistischen Tierfiguren. Diese Ähnlichkeit im Stil könnte darauf hindeuten, dass auch sie älter sind als bisher angenommen – und von den ersten Vertretern des Homo sapiens stammen, die vor rund 50.000 Jahren von Asien kommend Australien besiedelten. (Antiquity, 2014; Vol. 88: 342, Seiten 1050–1064)

(Griffith University, 27.11.2014 - NPO)

Donnerstag, 27. November 2014

Der expressive Altdorfer im Frankfurter Städel.


aus Badische Zeitung, 27. 11. 2014                                                                                 Landschaft mit Burg, um 1520/30

Gemälde von Albrecht Altdorfer im Städelmuseum
Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500: "Fantastische Welten" in Frankfurt.

von Volker Bauermeister

Der Mann ist stark gebückt, ein Kind sitzt ihm im Nacken. Die tief im Wasser stehenden Beine wollen kaum noch tragen. Was Wunder, denn unvorstellbar mehr als jedes andere wiegt dies Kind. Der Mann ist Christophorus, der Christusträger, der das Gewicht der Welt auf seinen Schultern spürt. Er nimmt es auf sich.

Vom Künstler Albrecht Altdorfer aus Regensburg (um 1480–1538) ist der Holzschnitt. Er erzählt die Legende von der wundersamen Gewichtsvermehrung beispielhaft eindrücklich. Altdorfer, der den Christophorus im kritischen Moment ganz in die untere Bildhälfte drückt, ist ein fantastischer Erzähler. Das Unglaubliche ist ihm ein vertrautes Genre. Hier geht er von Dürer aus und mit der Pointe des scheinbar überforderten Riesen weit über ihn hinaus.



Der Prolog zur Ausstellung im Frankfurter Städel ist eine motivgeschichtliche Momentaufnahme. Zu sehen ist die Christophorus-Figur im Kontext der Künstler, die man zur "Donauschule" zählte. Was sie vereint, ist der empfindsame Ausdruck, ein gesteigertes Mitempfinden, das selbst auch drastische Form annehmen kann. Die schließt denn ein, was der große Zeitgenosse als "Falschheit" ansah: Dürer, der Unumgängliche – hier ist er Reibefläche und Widerpart.

Die Ausstellung "Fantastische Welten. Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500", eine Koproduktion mit dem Kunsthistorischen Museum Wien und mit zahlreichen Leihgaben Dritter bestückt, bestreitet den eingeführten Begriff "Donauschule" und zeichnet einen größeren Zusammenhang. Man spricht von Expression und dabei, weit ausgreifend, selbst auch von Veit Stoß und Grünewald, der mit Tafeln vom Frankfurter Heller-Altar präsent ist, der ihn dies eine Mal mit Dürer vereinte.

Albrecht Dürer, Matthias Grünewald, Jobst Harrich, Heller-Alltar 

Dürers schönes Maß – bei Altdorfer und in dem großen Kreis, der hier um ihn herum gezogen ist, ist es dem Ausdruck geopfert. Märtyrerlegenden und Passionsgeschichte sind bevorzugte Bildvorlagen und die Figuren die Chiffren des bewegenden Geschehens. Das Licht wird zum dramatischen Gestalter. Bei Niklaus Manuel, dem Schweizer, flackert es durch eine Szene mit der Enthauptung des Johannes. In einer "Geburt Christi" Altdorfers – einem frühen Nachtstück der Malereigeschichte – wird der Mond zur surrealen Erscheinung. Kosmische Qualle: Das Christkind braucht deren Licht nicht; es leuchtet von sich aus.


Altdorfer, Geburt Christi, um 1511

Mehr als bei Dürer spielten in der biblischen Sphäre bei Altdorfer und den Seinen die Natur und das Wunderbare eine tragende Rolle. Dürer war es, der die Landschaft auf dem Weg nach Italien entdeckte. Aber Altdorfer und der aus Feldkirch in Vorarlberg kommende Passauer Wolf Huber gaben ihr auch in der frommen Historie weitesten Raum. Altdorfers berühmte "Landschaft mit Burg" ist zuvorderst Naturphantasie, selbst wenn ein kaum kenntliches Figürchen dem Bild noch einen allegorischen Sinn unterlegt. Wolf Hubers "Große Landschaft" bleibt ein Stück empfundene Natur, mögen auch drei miniaturhafte Kreuze auf Golgatha weisen. Seine Kopfweiden sind Geistergestalten, die als vielfingrige Graphik in den Himmel greifen. Und einmal wirkt so ein Baum wie eine zeichnerische Eruption. Emanzipation der Handschrift.


Wolf Huber, Große Landschaft mit Golgatha, um 1530

Das Thema der Landschaft spielt selbst in den Werken des mit den Initialen IP bezeichneten Bildhauers eine Rolle. Dem gelingt es wahrhaftig, die plastische Figur ins Flachrelief eines Landschaftsraums zu vermitteln. Und wir wundern uns nicht, wenn wir in dem Kontext von Expression und Landschaft eine hier aus Freiburg wohlbekannte Kleinplastik wiederfinden: den fein geschnitzten "Sündenfall" des Meisters HL aus dem Augustinermuseum. Den Garten Eden versetzt der Schöpfer des Breisacher Hochaltars, auch sozusagen handschriftlich, in eine nervöse Unruhe, die untrüglich auf das in dem Moment schon verlorene Paradies hindeutet.

Meister H.L., Der Sündenfall  

Die Natur ist ihrer Statik beraubt. Die Schöpfung dem Gesetz der Zeit unterworfen: prozesshaft wirkende Natura naturans ist sie. Albrechts Bruder Erhard Altdorfer setzt ihr in der Zeichnung seiner "Großen Fichte" ein düster-großartiges Monument.

Städelmuseum Frankfurt. Bis 8. Februar, Di bis So 10–18, Do, Fr 10–21 Uhr.
Erhard Altdorfer Die große Fichte, um 1525-30

Nota.

Harmonie und ausgewogene Form waren nördlich der Alpen nie das vorherrschende Merkmal der Kunst wie im Italien der Renaissance. Ihr expressiver und schroffer Grundzug hat ja schließlich für das Schähwort gotisch den Anlass gegeben, und der hat sich namentlich in Deutschland länger gehalten als selbst in Frankreich, wo die heute so bezeichnete Stilform ihren Ursprung hatte. Und als Altdorfer zu Werke war, begannen Harmonie und Formvollendung auch in Italien gerade der maniera moderna der Tizian und Tintoretto zu weichen. Expressivität und schräge Perspektive lagen auch dort im Geiste des Jahrhunderts.

Dass in Deutschland eher als in Italien die Landschaft zum Ort des erneuerten Ausdruckswillens wurde, ist aber zu bedenken. Zwar noch immer nur als der Grund, vor dem sich die heiligen Firguren abzeichneten, aber eben als ausdruckssteigerndes und nicht als idyllisierendes Umfeld. Auch der geradezu pointillistisch tupfende Farbauftrag bei Altdorfer verdient Beachtung; erinnert aber zugleich daran, dass auch in Italien il disegno, das Schlachtross der Renaissance, gerade im sfumato der Raffael und Leonardo verraucht war.

Mit andern Worten, wenn man den Gesichtskreis zu weit fasst, geht das Spezifische verloren. Man sollte vielleicht doch besser bei "Donauschule" bleiben.
JE


Georg Lemberger  Sündenfall und Erlösung, 1535; müssen Sie dabei nicht auch an el Greco denken?


Montag, 24. November 2014

Nicht die Welt ist endlich.


NASA

Nicht die Welt ist endlich, sondern meine Zeit.
Die Endlichkeit der Welt ist nicht erfahrbar, weil sie keine Grenzen hat. Erfahrbar ist die Grenze meiner Zeit, aber nicht für mich.





Sonntag, 23. November 2014

La Tour Triangle ist durchgefallen.

Immobilien Hochhäuser für die Oberschicht aus Süddeutsche.de                                                  Computersimulation der Architekten Herzog & de Meuron; Tour Triangle in Paris

Hochhäuser für die Oberschicht 
Wer darf noch in der Stadt wohnen?
In Paris, London oder Berlin regt sich heftiger Widerstand gegen neue Hochhäuser. Und das mit guten Gründen.

Kommentar von Laura Weissmüller

Der urbane Traum der Moderne hat gerade einen schweren Stand. Egal ob Paris, London oder Berlin - weltweit regt sich heftiger Widerstand gegen neue Hochhäuser. In Paris hat der Stadtrat diese Woche die "Tour Pyramide" durchfallen lassen, einen dreieckigen 180 Meter hohen Wolkenkratzer aus Glas. Das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron hatte ihn für einen Privatinvestor entworfen. Die Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die hinter dem Projekt im Südwesten der Stadt steht, will nun gegen das Votum klagen.

Auch in London hat man langsam die Begeisterung des Bürgermeisters für Wolkenkratzer satt. In seiner Amtszeit hat Boris Johnson bereits etwa 200 Hochhäusern eine Baugenehmigung erteilt. Zum Vergleich: Sein Vorgänger kam noch mit rund 20 aus.
London

Berlin bekam seine Hochhaus-Debatte Anfang des Jahres von Stararchitekt Frank Gehry serviert. Für einen Investor entwarf er einen ungelenken Turm, der bald am Alexanderplatz  Schatten von sehr viel Stahl, Glas und Beton Hauptargument gegen das hohe Bauen, das so gut wie alle Architekten der Moderne geradezu elektrisiert hat - man denke nur an Le Corbusiers "Plan Voisin" für Paris -, ist oft die Sorge um die historische Stadtsilhouette. Ohne Zweifel: Die City of London wird in ein paar Jahren anders aussehen im Schatten von sehr viel Stahl, Glas und Beton.
Gehrys Entwurf für den Alexanderplatz

Doch nicht nur die Skyline wird sich verändern - auch das Leben in der Stadt wird ein anderes sein. Und genau das ist die wirkliche Gefahr dieser neuen Luft(t)räume. Denn egal wohin man schaut, die Hochhäuser kennen nur eine Zielgruppe: die Oberschicht. Luxus steht bei ihnen so fest im Bauplan wie die Höhenmeter oder die Grundrisse der gerne mal mehrere Hundert Quadratmeter großen Apartments.

Weil Bauen ab einer gewissen Höhe immer teuer ist. Die Kosten etwa für Sanitäranlagen steigen exponentiell mit jedem Höhenmeter. Aber auch, weil sich die Hochhäuser aktuell im Luxussegment so gut vermarkten lassen. Vorbei die Zeiten, als sie mit Sozialtristesse, mit gestapelten Unterschichtsbehausungen und architektonischen Schauermärchen à la Märkischem Viertel assoziiert wurden. Luxustürme wollen mit den Bewohnern ihrer Stadt nichts zu tun haben.
Frankfurt a. M.

Vorbei aber auch die Zeiten, als mit Wohnhochhäusern moderner Lebensraum für alle geschaffen werden sollte. Namen wie "Marco Polo Tower" und "The Seven" klingen nicht nur elitär, die Luxustürme in Hamburg und München wollen auch mit den meisten Bewohnern ihrer Stadt nichts zu tun haben.

Im Herzen der Metropolen entstehen so immer mehr Flächen, die sich aus dem urbanen Netzwerk losgelöst haben. Die Aussicht aus den neuen Hochhäusern mag fantastisch sein, die Bodenperspektive ist es nicht. Schwarze Löcher für einen Großteil der Bevölkerung. Sinnbild für den Ausverkauf der Stadt Das Versprechen, solche Projekte würden den überhitzten Wohnungsmarkt entspannen, klingt da wie Hohn. Erstens, weil sich nur wenige Großverdiener diese leisten können.
Denver

Den Kampf um bezahlbaren Wohnraum wird das nicht mildern. Und zweitens, weil viele dieser Luxusquartiere die meiste Zeit leer stehen - ihre Eigentümer kommen, wenn überhaupt, nur alle paar Monate mal vorbei, oder sie besitzen die Wohnung sowieso nur als Geldanlage. Gelebt wird dann woanders. Damit sind die neuen Hochhäuser zum Sinnbild für den Ausverkauf der Stadt geworden, für die Neoliberalisierung des Wohnens, für die Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen aus dem Zentrum. Der Streit um Silhouette, Höhenmeter und Fassadengestaltung wirkt da wie eine Scheindebatte. In Wahrheit geht es darum, wer in Zukunft in der Stadt noch wohnen darf.

Dallas

Nota. - In Amerika haben die Städte keine Geschichte. Wie sollten sie da ein Gesicht haben? Zuerst schienen die Türme ein Ersatz für Nase, Ohren und Augen. Aber unverwechselbar sind sie längst nicht mehr. Höchstens von weitem als Panorama; wenn man lange genug hinschaut.
JE

Samstag, 22. November 2014

Wissen Sie, was?



Ich liebe Silber.
Gold ist gewöhnlich.

Können Sie sich vorstellen, dass Janukowitsch sich seine Klobrille hätte versilbern lassen statt vergolden?




Freitag, 21. November 2014

Jeff Koons' Showkunst.

aus nzz.ch, 19.10.2014, 05:30 Uhr                                                                                                Jeff Koons von Antiquity 3

Jeff Koons
Eine geschwätzige Kunst


von Jed Perl

Jeff Koons ist Marcel Duchamp mit viel pompösem Drum und Dran. Und er weiss, wie er das Publikum dazu bringt, sich gleichzeitig ironisch, gebildet, dumm und irritiert vorzukommen.


Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier


Vielleicht die berühmteste aller Mischmascherfindungen von Jeff Koons: der «Balloon Dog» aus der «Celebration»-Serie vor einem Palazzo am Canale Grande in Venedig.Balloon Dog aus der Celebration-Serie vor einem Palazzo am Canale Grande in Venedig
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Puppy, Guggenheim Bilbao





Jed Perl ist der Kunstkritiker des amerikanischen Politmagazins «The New Republic». Der hier vorgestellte Text erschien erstmals am 25. September 2014 in «The New York Review of Books» – unter dem Titel «The Cult of Jeff Koons». Aus dem Englischen von Heinz Heer.


Nota. - Es war mir unerfreulich, für diesen Eintrag die Illustrationen zusammenzustellen; das kommt selten vor. Aber auch noch die Unterschriften raussuchen, das wär mit zuviel.
JE



Donnerstag, 20. November 2014

Edouard Vuillard in Winterthur.

aus nzz.ch,  21.10.2014, 11:30 Uhr                                                                                  


Edouard Vuillard im Kunstmuseum Winterthur
«Die Stille bewahrt mich» 
Edouard Vuillard (1868–1940) war ein Maler der Innenräume und der verborgenen Blicke. Das Kunstmuseum Winterthur gibt mit einer thematischen Schau Einblick in seinen malerischen Kosmos.
 
von Maria Becker

Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier 


Le bateau de pêche  1908,


Café Wepler, 1908/10

A travers les champs  aus  Paysages et intérieurs , 1899 


Kinder, 1909


Familie bei Mittagessen


Intérieur mit sitzender Figur, 1893

Edouard Vuillard. Kunstmuseum Winterthur. Bis 23. November 2014. Katalog Fr. 39.–.



Nota. - Ach herrje, da komme ich ja fast zu spät, die Ausstellung schließt schon an diesem Sonntag! Mir geht es wie den meisten, ich habe Vuillard nicht recht bemerkt, im Zusammenhang mit Vallotton habe ich mal was gesehen und gehört... Aber es ist gar nicht richtig, dass er in dessen Schatten steht, erstens ist er ganz selbstständig, und zweitens ist er richtig gut.

Ich verspreche Ihnen, dass ich auf ihn zurückkomme.
JE