Dienstag, 11. November 2014

Dürer und sein Kreis in Basel.

aus Badische Zeitung,  11. 11. 2014                                                                 Hans Baldung, Der verhexte Stallknecht 

Auf der Höhe ihrer Zeit       
"Albrecht Dürer und sein Kreis": Zeichnungen im Kunstmuseum Basel.
 
von Stefan Tolksdorf  

So haben wir Erasmus nie gesehen: Klaffende Zahnlücken im offenen Mund, Augenhöhlen wie Schächte, die Haare wirr, die Kopfhaut trommelstraff gespannt – ein Totenkopf. Die vermutlich älteste naturalistische Porträtzeichnung eines soeben Verstorbenen nördlich der Alpen. Ihr Schöpfer: Hans Baldung Grien, der wohl bedeutendste unter den bekannten Schülern Albrecht Dürers. Nach der Studie fertigte er ein makabres Ölbild, das – lange in der Sammlung der badischen Markgrafen – heute verschollen ist: Sic transit gloria mundi – so vergeht der Ruhm der Welt!

Hans Baldung, Erasmus

Die Studie ist eines der spektakulärsten Werke aus der beachtlichen Auswahl von Meisterzeichnungen von Dürer und seinen Schülern, die das Kunstmuseum Basel (Kurator: Christian Müller) jetzt aus Beständen der grafischen Abteilung zeigt.

Dass sich darunter nur sechs gesicherte Blätter des großen Nürnbergers befinden, mag zunächst enttäuschen – die herausragende Qualität auch der "Schülerarbeiten" von Hans Schäufelein, Hans von Kulmbach, Hans Springinklee und des Schweizers Hans Leu macht die Ausstellung aber unbedingt besuchenswert.

Hans Baldung-Grien Hexe am Baumstamm (um 1510)
 
Während seiner Wanderjahre 1490–1494 hat der junge Dürer bekanntlich auch die Gegend am Oberrhein bereist. Das gewünschte Treffen mit dem vielgerühmten Martin Schongauer in Colmar fand zwar nicht statt – der Meister war schon im Vorjahr verstorben –, im nahen Basel traf Dürer jedoch auf Martins Bruder Georg, einen Goldschmied, und fand Kontakt zu lukrativen Auftraggebern. Es entstanden die berühmten Holzschnitte für Sebastian Brants "Narrenschiff" und vermutlich einige der Holzstockzeichnungen für eine lateinische Ausgabe des römischen Komödiendichters Terenz, die nie zur Ausführung kam. Wären sie tatsächlich von Dürer, erhöhte sich der Basler Bestand auf 140 Arbeiten von der Hand des großen Nürnbergers.

vielleicht von Dürer: Der dichtende Terenz in einer Landschaft

Der Großteil der gezeigten Arbeiten stammt aus dem Kabinett des Patriziers und Juristen Basilius Amerbach, der die von ihm gezielt gesammelten Werke dem Rat seiner Heimatstadt vermachte – Grundstock für Europas älteste kommunale Kunstsammlung. Großartig in seiner psychologischen Durchdringung: das erst im 19. Jahrhundert schwarz umfangene Porträt des Kardinals Matthäus Lang von Wellenburg (1518 oder 1521) und die, leider schlecht erhaltene, "Heilige Familie in Halle" von 1509. Unübersehbar der starke Eindruck italienischer Renaissance-Architektur.

Dürer, Bildnis des Kardinals Matthäus Lang von Wellenburg, 1518 oder 1521,

Der Nürnberger zeigt aber auch Witz: Dem Zürcher Dompropst Felix Frey schickte er, auf der Rückseite eines Briefes, einen burlesken Affentanz – inspiriert wohl von den zeitgenössischen "Moriskentänzern". Dass das ihm lange zugeschriebene Altarbild mit der Anbetung Christi nicht von Dürers Hand stammt, dürfte indes offensichtlich sein.

Affentanz 1523

Keck in die Zukunft schaut Dürers Meisterschüler Hans Baldung auf seinem Selbstporträt von 1502 – und es besteht Grund zu solcher Zuversicht: 13 Jahre später malt er sein Hauptwerk für das Freiburger Münster – aus dem Umfeld der Altarbilder stammen wohl die zarten Kopfstudien zweier Frauen. Baldungs Neigung zum Reizthema "Hexen" zeigt sich exemplarisch im sich perspektivisch verjüngenden "verhexten Stallknecht": ein Mensch im raffinierten Bann des Bösen. Baldungs Kunst fand Adepten und Kopisten – zwischen Vorbild und Nachahmung ist schwer zu unterscheiden. Nicht leicht ist auch die Zuordnung einzelner Blätter unter den weniger berühmten Schülern. Unter ihnen ragt Hans Leu der Jüngere hervor. Seine sensible Seelandschaft mit Felsentor (um 1520) zeigt deutliche Einflüsse der Donauschule, weist schon voraus auf die Landschaftskunst des folgenden Jahrhunderts. Wo aber finden wir diese idyllische Seebucht in den Schweizer Bergen? Wohl nirgends.

Hans Leu der Jüngere, Seelandschaft mit Felsentor

Der Ausschnitt, so verblüffend naturalistisch er wirkt, ist sicher nicht vor der Natur gezeichnet. Als künstlerisch eigenständig konnten nur die wenigsten dieser Meisterwerke gelten. Auch Leus "romantischer" Blick in die Bergnatur diente vielleicht "nur" als Vorlage für einen Altarbild-Hintergrund.

Kunstmuseum Basel. Bis 1. Februar, Di–So 10– 18 Uhr.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen