Montag, 10. November 2014

Degas in Karlsruhe.

aus Badische Zeitung, 10. 11. 2014                                                              Steilküste, um 1892

Historiker des Augenblicks
Von Ingres zum Impressionismus: Die Ausstellung "Degas. Klassik und Experiment".

von Volker Bauermeister

Als Edouard Manet im Pariser Salon seine "Olympia" zeigte und mit solch unverbrämter Nacktheit mächtig Anstoß erregte, da hielt sich Edgar Degas noch mit einem Historienbild bedeckt. Doch kam für ihn nach dieser "Mittelalterlichen Kriegsszene" Mitte der 1860er Jahre die Wende prompt. Auch er wurde zum Maler der Gegenwart, der vie moderne.

Tänzerinnen im grünen Zimmer, um 1879  

Die enge Bindung zu den großen Meistern der Geschichte gab er damit aber auch nicht auf. Die Ausstellung in Karlsruhe zeigt ihn zwischen den Polen von Tradition und Avantgarde, "Klassik und Experiment". Drei Jahre hatte der Ingres-Verehrer und spätere Impressionist in Italien auf die Alten Meister verwandt. Giotto bewegt ihn. Michelangelo beschäftigt ihn anhaltend. Malerei will er schaffen, "die Predigten gleichkommt". Der Weg dahin: kopieren, kopieren. Ein Lernender ist und bleibt er. Lernend bleibt er nicht stehn. Seinen an der glänzenden Vergangenheit geschliffenen Anspruch will er aufs Zeitgemäße übertragen.

Selbstporträt mit Hut, 1863

In Italien hatte Degas, der im noblen "Selbstporträt mit erhobenem Hut" die Venezianer des 16. Jahrhunderts zitiert, auch die feine Verwandtschaft besucht. New Orleans wurde ein paar Jahre später zum Reiseziel aus familiären Gründen. Kulturell war Amerika für ihn eine Wüste und doch auch wieder Übungsplatz. Das "Baumwollkontor" zeigt (1873) Ehrgeiz und Vermögen des jungen Porträtisten. Der an den Alten Meistern geschulte Kompositeur behandelt das Alltagssujet mit keiner geringeren Sorgfalt als die große Historie. Der Blick ins Büro wird zum choreografischen Bühnenstück.

Baumwollbüro in New Orleans

Degas, der Präzisionist, war ein passionierter Beobachter. Wo er sich umblickte: Geschichten. Es musste nicht mehr Spartas Jugend sein oder Alexander der Große. Er feilte an Bildern der "fließend vergänglichen Welt", wie er sie auch in den Holzschnitten der Japaner vorfand. Ein Historienmaler des Augenblicks.

Titel?

Dem Phänomen der Bewegung spürt er zeichnerisch nach. In den Bildnissen der Büglerinnen, der Tänzerinnen, der in die Pflege des eigenen Körpers versunkenen Frauen. In den Berichten aus der Bühnenwelt erzählt er spannende Geschichten des "making of". Seine Tänzerinnen sind keine Traumgeschöpfe. Sie schweben nicht in ihren Blütenröckchen. Sie sind bei der Arbeit; sie verlangen ihren Körpern ein Äußerstes ab.

Ballettprobe, 1877

Degas zieht die Bilder selbst ins Geschehen, wenn er den Bildraum auf-, die Figuren anschneidet, wie er es von den Japanern kannte und in der Momentfotografie wiederfand, die eine schnelllebiger werdende Zeit nicht zufällig gerade entwickelte. Buchstäblich aus dem Rahmen fallen die Tanzmädchen. Pferde traben im Moment ins Bild. In seiner Frühzeit hatte er Pferde noch nach Gipsabgüssen des antiken Parthenon-Frieses kopiert und bei den Florentinern des 15. Jahrhunderts studiert. Dann drängen sich dem späten Erben Paolo Uccellos Rennpferde der eigenen Zeit auf. Eadweard Muybridges Phasenfotografie lässt ihn die Bewegungsabläufe genauer verstehen.

Und der dynamisierte Blick durchmisst selbst auch längere Sehstrecken. Dehnt sich ins Panoramatische, kennt keine Mitte. Einmal verliert er sich gänzlich, streift Blattgrün, Geäst und einen nächtlichen Himmel – um sich endlich doch bei einer Sängerin festzuhalten, auf der Bühne eines Pariser Café-Concerts. Degas zeichnet ihren Rücken gegen die weißen Monde der Kugellampen. Kunstlicht spielt für diesen anderen Impressionisten eine viel größere Rolle als für die, die genüsslich in Tag und Atmosphäre baden. Ein Arbeiter im Atelier ist er ja auch, kein Freilichtmaler wie sie. Ein Analytiker von Körper und Bewegung. Der Rücken der Chansonnette da auf dem Karlsruher Fächerbild schwingt tänzerisch aus.

1880

Von Michelangelo zum Boudoir

Degas feilt und feilt an der Körpersprache der Frauen. Als wären sie unbeobachtet, zeigt er, wie sie baden, sich trocknen, das Haar kämmen. Ihr Körper ist kein Elfenkörper mehr, ist es nie gewesen. Und er verformt sich ungeahnt bei diesem ewigen Bücken, Dehnen, Drehen, Wenden. Doch deutet der Karlsruher Kurator Alexander Eiling überraschend eine Linie an. Die führt von den gewagt gewundenen Figuren in Michelangelos "Jüngstem Gericht" bis hier ins Boudoir.

Titel?
 
Nein, klassisch schön sind sie nicht, diese Frauen. Protagonistinnen einer noch unverbrauchten Bildschönheit sind sie, eingeschlossen in die Farbvisionen des späten Pastellmalers Degas. Wir sind an dem Punkt, den die Fondation Beyeler vor zwei Jahren fixierte und verabsolutierte. Da zeigt sich der Experte weiblicher Form als Schöpfer einer prachtvollen Farbhaut des Bildes. Das Bild des Wirklichen lässt er in der Wirklichkeit der Bilder aufgehn, die sich dem Experiment mit der Farbe verdankt. Sie flirren und strahlen, die Bilder – auch die raren imaginären Landschaften, die er in Monotypien anlegt und überformt.

Nach dem Bad, 1895-190

Nicht wie Monet, nicht ohne Vorbehalt ist dieser Kolorist Degas mit der Farbe liiert. Er gibt der Farbe Form. Er, der der Nachwelt den Satz vorschrieb "Er liebte die Zeichenkunst": Dem farbigen Konzentrat des Bildes nimmt er alles Ungefähre. "Nichts in der Kunst darf einem Zufall ähneln", fordert er. Aufs Studium des beiläufig Wirklichen verwendet er jene Sorgfalt, mit der die Klassiker ihren bewunderten Ewigkeitseffekt zelebrierten. Degas: der Systematiker – der Klassiker der Impression. Die Farbe ist der Atem seiner Bilder. Sein Credo ist die präzis durchdachte dynamische Figur.

Ballettklasse, 1880

Der Anspruch, ihre Bewegung in jeder Hinsicht zu begreifen, machte ihn zum Plastiker auch. Er "spiele" den Bildhauer, spielt er dies herunter. Im Tastbaren sind ihm, als das Augenlicht schwindet, dann noch ein paar Jahre Arbeit vergönnt. Doch als er 1917 stirbt, liegt das Leben längst hinter ihm, das mit den Alten Meistern begann.

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. Bis 1. Februar, Di bis So 10–18, Do 10–21 Uhr.

Der Chor, 1871
 
 
Nota. -  Ich habe lange gebraucht, um Degas etwas abzugewinnen. Seine Sujets liegen mir nicht am Herzen, und Pastell ist auch nicht der Ton, der mir am besten gefällt. Aber angesehen hab ich mir das immer, und nach und nach auch was dabei gefunden. Was? Ich würde sagen: den Rhythmus, ein besseres Wort fällt mir nicht ein, das, was er mit den japanischen Farbholzschnitten gemein hat; aber nicht nur der Rhythmus der Hell-Dunkel-Flächen, nicht bloß ein Rhythmus der Farbmassen, sondern irgendwie ein Rhythmus der Farben selbst. Eine Farbe ist allein nicht schön, sondern erst ihr Verhältnis zu den andern, und das kann mal locker und mal gespannt sein.

Auch wenn man es zunächst gar nicht so mag, sieht man  nach einer Weile: Das ist nicht aus dem momentanen Eindruck mit lockerer Hand hingeworfen, sondern gründlich durchgearbeitet, es ist nichts Zufälliges, jedes "verhält" sich zu den andern. Es ist überall ein Rhythmus drin.
JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen