Dienstag, 4. November 2014

Hans Memling in Rom.


aus nzz.ch, 4.11.2014, 05:30                                                                                                    Die Passion Christi

Hans Memling zu Gast in den Scuderie in Rom
Schöne heile Welt

von Eva Clausen                                                   

Der gebürtige Deutsche Hans Memling gelangte im 15. Jahrhundert im burgundischen Flandern zu Ruhm. Schon damals wussten viele Italiener die Virtuosität und leuchtende Farbenpracht der Bilder des Brügger Malers zu schätzen. Nun widmet Rom ihm eine Schau.

1994, anlässlich seines 500. Todesjahres, wurde Hans Memling von seiner Wahlheimatstadt Brügge mit einer umfassenden Retrospektive geehrt. Danach wurde es wieder still um den Maler. Nur 2005 gab es noch einmal eine Schau, wieder in Brügge, in der man seine Porträts Revue passieren liess.
Sein Geburtsjahr kann nicht gefeiert werden, solange über das Datum Ungewissheit herrscht. Er kam um 1440 in Selingstadt bei Mainz auf die Welt. Seine Wanderjahre führten ihn nach Brüssel, 1465 erwarb er das Bürgerrecht in Brügge. Die Hansestadt war damals eine internationale Handelsmetropole. Unter den Burgundern Philip dem Guten und Karl dem Kühnen war Flandern zu einer politischen und kulturellen Macht gewachsen. Brügge stand in seiner Blütezeit, doch sollte bald darauf, gegen Ende des 15. Jahrhunderts, die glanzvolle Ära zur Neige gehen. Nicht zuletzt durch die Versandung des Zwins, die die Stadt ihres direkten Zugangs zur Nordsee beraubte. Der burgundische Hof verliess Brügge, und auch die internationalen Händler wandten sich neuen Gefilden zu.

Die Figur des Stifters

Doch in Memlings Bildern ist die Welt noch in Ordnung. Es herrschte grosse Eintracht zwischen weltlichen und kirchlichen Fürsten, an deren Seite selbstbewusst das Grossbürgertum auftrat. Geld spielte eine entscheidende Rolle, die Figur des Stifters emanzipierte sich. Altargemälde verwandelten sich in Aushängeschilder der Redlichkeit und Freigebigkeit der Bürger, die sich in frommer Andacht neben Heiligen darstellen liessen. Kommerz und Kirche fanden zueinander. Eine nicht nur mystische Vermählung, die von den Malern neben der Phantasie in der Darstellung der biblischen Szenen vor allem auch Geschick in der getreuen und zugleich vorteilhaften Wiedergabe der Auftraggeber verlangte. Dafür eigneten sich besonders gut Diptychen und Triptychen, die in ihrem Format und ihrer Aufteilung vorbildlich Raum für den Aufzug der Stifterfiguren boten. Ihre Präsentation wollte keine tiefenpsychologische Studie sein, sondern die gesellschaftliche Rolle der Geber bezeugen und Kunde von ihrer Devotion und ihrem Edelmut geben.

Triptychon für Adriaan Reins

Der «duytsche» Hans verstand sich auf sein Handwerk. Er malte tüchtig und besass zugleich ein beachtliches Raum-Zeit-Gefühl. Mit sicherer Hand lenkte er seine Theater-Maschinerie und placierte die Figuren unfehlbar an der richtigen Stelle in dem grossen biblisch-kommerziellen Geschehen, wobei er sich als Meister der Simultan-Erzählung entpuppte. So verstand er es, innerhalb einer einzigen grossartigen Komposition, vor nur einer städtischen Kulisse, 17 Episoden der «Passion Christi» von der Karwoche bis zur Grablegung anzusiedeln. Memling war Regisseur und Bühnenausstatter zugleich, keine Figur fiel aus der Rolle oder aus dem Rahmen, alle dienten redlich der Dramaturgie der heilen Welt des religiösen Theaters.
Trittico della vanità terrena e della salvezza divina. 1485

Mysterienspiele

Die Kompositionen sind in ihrer Fülle, Farbenpracht und Detailfreudigkeit grandios. Andächtig wie in einer Prozession geht der Betrachter von Werk zu Werk, vom Jan-Crabbe-Triptychon zum Moreel-Triptychon, auf dessen Flügeln der damalige Bürgermeister von Brügge, Willem Moreel, und seine Familie abgebildet sind. Doch beschleicht ihn ein befremdliches Gefühl, als wandele er nicht (mehr) auf dieser Welt, trotz dem so hochgepriesenen Realismus des Brügger Malers. Memlings Welt bleibt eine Scheinwelt, ihr fehlt das Leben, selbst wenn die Figuren plastisch und lebendig von
der Leinwand bzw. aus den Holztafeln hervortreten. Sie bewegen sich in einer dem Betrachter fremden Sphäre, in einer perfekten Inszenierung, in einem Mysterienspiel. Es verklingt, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und je mehr Memlings man sieht – und Rom geizt wahrlich nicht mit seinem Aufgebot –, umso stärker wird die Empfindung, in eine vergangene Welt, der es an Zeitlosigkeit fehlt, eingetaucht zu sein. Mit anderen Worten: vor dem Œuvre eines virtuosen Malers zu stehen, dem es jedoch an Genie mangelte. Oder das Genre der Kirchen-Stifter-Bilder war nicht unbedingt das geeignetste, um dieses zur Geltung zu bringen.

Auferstehungs-Triptychon, um 1480

In den Porträts – wie auch in einigen wenigen sakralen Gemälden – wagt Memling dann doch mehr und beweist gar einen gewissen Sinn für Ironie. So hält der Engel in der «Madonna mit Kind und Engeln» verschmitzt dem Jesuskind den verführerischen Apfel hin, während die jungen Männer vor kristalliner Landschaft durchaus Charakterstärke und Entschlossenheit an den Tag legen.



Untypisches Gemälde

Memling verleitet sie zum Auftritt, sie entblössen sich, um sich doch gleich wieder zu verschliessen mit ihrem unergründlichen Blick in die Ferne, der den Betrachter niemals streift. Einzige Ausnahme ist das Bildnis «Mann mit einer römischen Münze», das als Emblem für die Schau auserkoren wurde. Kurios, handelt es sich doch um eine Zuschreibung und auf jeden Fall um ein für Memling untypisches Gemälde. Doch zweifelsfrei um ein wunderbares Werk.

Memling Rinascimento fiammingo. Scuderie del Quirinale, Rom. Bis 18. Januar 2015. Katalog (Skira) € 38.–.


Nota.

Gelegentlich kommt es mir vor, als ginge ein Kritiker unverdient rücksichtsvoll mit einem besprochenen Künstler um, als fürchtete er, mit einem Verriss seinen guten Ruf zu gefährden. Doch in diesem Fall finde ich, die Rezensentin ist zu garstig. Ich kann von hier aus ja nicht sehen, welche Bilder von Hans Memling sie in Rom ausgehängt haben, die Fr. Clausens Geduld so strapaziert haben, aber sie schreibt doch, es seien viele! Da würde es mich wundern, wenn nicht auch von solcher Art ein paar dabei wären:










Das sieht so heil und harmlos nicht aus.

Hat es Sinn, von einem Maler Genie zu erwarten, wenn sich noch ein Großmeister wie Velázquez zwei Jahrhunderte später nicht als Künstler, sondern als ein Handwerker betrachtet sehen musste - freilich einer im persönlichen Dienst des Königs - ? Ich meine: Mag er, da er doch St.-Lucas-Gilde angehören musste wie jeder, der den Pinsel führte, sich nicht selber als einen Handwerker angesehen haben, wenn auch als Meister unter ihnen?

Und zum Schluss: Ohne künstlerisches Genie, da bin ich ganz sicher, bringt man es nicht zu einem guten Porträtisten.





JE






















 

 

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