Attentat auf die Kupferplatte
Lovis Corinth zum Beispiel: Noch einmal ein Blick in die Jubiläumsausstellung des Freiburger Morat-Instituts.
von Volker Bauermeister
Der Tiefdruck zeichnet eine schöne lange kunsthistorische Linie
durch die Sammlung des Morat-Instituts. Mit den Kupferstichen des späten
15. Jahrhunderts nimmt sie ihren Anfang, mit Martin Schongauer und
Andrea Mantegna. Bei Albrecht Dürer und den Radierungen Rembrandts zieht
sie größere Kreise.
Mantegnas "Bacchanal mit Silen" (1494) unternimmt – im Zug des
Antikenstudiums der frühen Renaissance – den Versuch, die figürliche
Darstellung wie ein flaches Relief erscheinen zu lassen: mit der dichten
Schraffur als geschlossenem, gleichsam objekthaft materialisiertem
Raumgrund. In Rembrandts Radierungen dann erreicht die Zeichnung mit der
Nadel eine magische, suggestiv verschattete Tonigkeit.
Eruption und Erschöpfung
Malerische Qualität gelingt Francisco Goya durch die Flächenätzung der Aquantinta. Und was ist da allein schon von Goya zu sehen, in der Jubiläumsausstellung bei Morat, die wir am Strang der Kupfertiefdrucke hier noch einmal aufgreifen. Bis zur klassischen Moderne ist er weitergeführt, bis zu Manet und Beckmann, Ensor und Corinth. Lovis Corinth: der in menschenleeren Landschaften durch die Verve seiner Handschrift Präsenz übt. Corinth, der sich der Kaltnadel bedient, die den Ätzvorgang erübrigt, sucht im bildnerischen Prozess spontane Direktheit. Seine Auffassung vom Gegenstand zeigt sich ans impressionistische Pleinair rückgebunden. Doch ist die Begegnung mit dem Motiv emotional aufgeladen. Der Peintre-Graveur hält an der atmosphärischen Wiedergabe des Raumes fest – und heizt doch selbst das Klima durch seinen Drang nach Ausdruck auf.
Urfeld – Walchensee
Charlotte Berend-Corinth, die Frau an seiner Seite, hat die extreme Spannung im Blick aus der Nähe beschrieben. Seine manische Fixierung auf den Gestaltungsakt, die Arbeit als Eruption und die Erschöpfung danach. Auch die Landschaftsradierungen entstanden so unter Hochspannung, direkt aus dem Erleben vor dem Motiv.
Zu sehen ist bei Morat nun auch eine der berühmten Darstellungen vom oberbayrischen Walchensee, den die Corinths 1918 für sich entdeckten, und wo Charlotte in Urfeld ein Holzhaus bauen ließ. Für Corinth, der sich die Alpenlandschaft gleich auch künstlerisch erschloss, wurde der Walchensee zum festen Bestandteil des OEuvres für die noch verbleibenden Jahre. Walchenseemotive fanden auf Leinwand wie auf Papier reißenden Absatz. Und doch war die Bindung an den Gebirgssee weit mehr als eine geschäftsmäßige. Corinth wird er zum Spiegel.
Dass er "von schwerster Melancholie heimgesucht" sei, sagt er von sich. Seit dem Schlaganfall 1911 stand ihm sozusagen der Tod vor Augen. Gegen Angst und Depression wehrte er sich mit Bildarbeit. Bilder – die vom See zumal! – sind ein Aufstand um des lieben Lebens willen.
Die in der Ausstellung gezeigte, hier [s. Kopfbild] reproduzierte Kaltnadelradierung ist das erste Blatt einer zehn Blätter umfassenden Walchenseefolge aus dem Jahr 1923. Man sieht da die gezeichnete "Lebenslinie" sich förmlich zum Gewaltakt steigern, zum Attentat auf die Kupferplatte. Die Dinge der Landschaft umreißt sie nicht, hält sie nicht wirklich fest, in einem Modus kontrollierter Raserei.
Walchensee im Nebel
Links (in der Seitenverkehrung durch den Druck) reißt die Darstellung im lichten Seespiegel auf. Auf der Gegenseite steigt das Terrain im nahen Jochberg an, in dessen Flanke sich ein Baum verzweigt. Nein, die Schraffur ist hier kein formaler Stabilisator, wie einst bei Mantegna. Einen Grundton des Aufruhrs schafft sie, des Aufbegehrens. Dieser Zeichner "verewigt" nichts: Er ringt, was er zeigt, der vergehenden Zeit ab.
Im Dezember 1924 kam Lovis Corinth zum letzten Mal die Straße von Kochel nach Urfeld herauf. Vor die geplante Sommerzeit am See 1925 schob er ein paar Tage Holland. Die Reise war seine letzte. Rembrandt – ja eben nicht zuletzt ein großer Radierer – hatte er wiedersehen wollen. Dann wieder den See.
Lerche am Walchensee
Morat-Institut, Lörracher Str. 31, Freiburg. Bis Ende Januar, Samstag 11–18 Uhr.
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