Henri de Toulouse-Lautrec
Malerfürst in der Halb- und Unterwelt
Am 24. November jährt sich sein Geburtstag zum 150. Mal. Mit seinen legendären Plakaten wies er den "Weg in die Moderne". Unter diesem Titel präsentiert das Wiener Kunstforum ab morgen das OEuvre des exzentrischen Bohemiens
von Andrea Schurian
Wien - Mit solch erbärmlichen Zeichnungen, beschieden ihm seine ersten Lehrer, würde es wohl nichts mit der Kunst. Doch der Tiermaler René Princeteau und der Modemaler Léon Bonnat irrten gewaltig. Mit seinem kühnen Strich, den mehr als 700 Ölgemälden, tausenden Zeichnungen, hunderten Aquarellen und Lithografien wurde Henri de Toulouse-Lautrec ein wichtiger Wegweiser in die Moderne, ein zeichnender Revoluzzer und hemmungsloser Grenzüberschreiter im Leben wie in der Kunst.
Schon als vierjähriger Knirps, so besagt die Legende, habe er zum Zeichnen Kohlestückchen aus dem Kamin gefischt, wenn ihm die Eltern zur Schlafenszeit die Malstifte weggenommen hatten. Später scherte er sich weder um die Unterscheidung zwischen angewandter und reiner Kunst, noch kümmerten ihn Standesdünkel.
Geboren am 24. November 1864 im südfranzösischen Albi, porträtierte der Spross einer reichen Adelsfamilie Landarbeiter und (Liebes-)Dienerinnen. Er soff und zeichnete sich durch die Pariser Nächte und Bordelle, erzählte ohne Schnickschnack von Einsamkeit, Armut und lesbischer Liebe, schenkte den Huren sein Herz, revolutionierte die Plakatkunst und erfand den Starkult, indem er den Schönen der Nacht Namen und Gesicht gab.
Der kleine Graf tat dies gleichermaßen anteilnehmend wie ironisch, voller Neugierde und ohne Vorurteil: ein exzentrischer Bohemien, der die Verkleidung liebte und - wie Fotos belegen - mit Pelzstola und Spitzenhütchen posierte; ein verkrüppelter Malerfürst in der Halb- und Unterwelt, dessen Beine nicht bis zum Boden reichten, wenn er auf einem Hocker sitzend malte. Toulouse-Lautrec litt an Pyknodystose, einer extrem seltenen, Kleinwüchsigkeit verursachenden Erbkrankheit, vermutlich begründet in der inzestuösen Ehe seiner Eltern. Henris Großmütter waren Schwestern gewesen.
Voyeur der Voyeure
Von seiner Familie erhielt er eine großzügige Apanage; zusätzlich erwies sich das Genie vom Montmartre auch noch als gewitztes Vermarktungstalent. Als eines seiner Plakate wegen allzu großer Freizügigkeit nicht affichiert werden durfte, klebte er es kurzerhand auf eine Kutsche. Tout Paris wusste innerhalb kürzester Zeit, dass im Moulin Rouge demnächst La Goulue ihre gelenkigen Beine schwingen würde. Auch die (männliche) Kundschaft der erotischen Vergnügungen bannte er, der Voyeur der Voyeure, aufs Plakat. Besonders delikat Der Fotograf Sescau: Es zeigt seinen Freund, den begnadeten Trinker Sescau mit herabhängenden Hosenträgern versteckt hinter der Kamera und eine geheimnisvolle Dame beim Verlassen des Fotostudios, ihr rotes Kleid über und über mit Fragezeichen übersät. Was ist passiert? Andeutungen gibt das Kameraobjektiv in Form eines drall ins Bild ragenden männlichen Glieds.
Kuratorin Evelyn Benesch hat mit spektakulären internationalen Leihgaben Toulouse-Lautrecs umfangreiches Werk sowohl chronologisch als auch, vor allem, Raum für Raum nach Werkgruppen sortiert: die weltberühmten Plakate; die betörenden, selten ausgestellten Probedrucke für seine Lithografien, etwa von Mademoiselle Marcelle Lender, eines der Brustbilder ist mit Aquarell koloriert; Zeichnungen in Öl; mit energischen Pinselstrichen (oft auf blankem, braunen Karton) festgehaltene Momentaufnahmen und Werkzyklen.
Ja, und dann sind da Toulouse-Lautrecs ganz frühe, oft impressionistisch und pointillistisch inspirierte Ölgemälde. Als Teenager, der nach zwei komplizierten Beinbrüchen ans Gipsbett gefesselt war, malte er, der nie mehr würde reiten können, Pferde und Reiter. Auch den bewunderten Vater auf dem Kutschbock eines Vierspänners malte er; und er porträtierte die Mutter: Wie stets hält sie die Augenlider gesenkt, ihr grünes Kleid mischt sich mit grünem Blättergeflirr.
Ein Meisterwerk aus dieser Frühzeit konnte Benesch aus Schweizer Privatbesitz erst nach langwierigen Verhandlungen und derart kurzfristig für Wien ausborgen, dass es im (vorzüglichen) Katalog nur als Einlegeblatt dokumentiert ist. Die Wäscherin von 1886, eines der ersten Modelle, das nicht aus aristokratischem Umfeld kam: "Ich male eine Frau, die wirklich goldenes Haar hat", schrieb er an seine Mutter.
Nicht immer schmeichelte der Chronist seiner Zeit den Damen. "Kleines Monster" nannte ihn Sängerin Yvette Guilbert teils kokett, teils gekränkt, als er sie mit "grausamem Stift" eher bissig karikierte denn liebevoll porträtierte: in "Gänsekotgrün", wie sich ein Kritiker empörte - hager, alt, mit spitzem Kinn und ebensolcher Nase.
Ein Ende mit Zirkusszenen
Die Ausstellung endet mit Lautrecs feinnervigen, subtil kolorierten Zirkusszenen. Er zeichnete sie, als er 1899 nach Schlaganfällen und Alkoholdelirien mehrere Monate in der Nervenheilanstalt verbrachte. Zwei Jahre danach starb der große kleine Künstler an Syphilis im mütterlichen Schloss Malromé.
Vielleicht wünschte man der musealen Eleganz im Kunstforum mitunter etwas mehr Wildheit, mehr von Toulouse-Lautrecs Grenzüberschreitungsfantasien und die eine oder andere zeitgenössische Referenz. Das Zeug zum Blockbuster hat die Schau allemal.
aus DiePresse.com,
Kunstforum Wien
Die Trauer bei Toulouse-Lautrec
„Neue Seiten seiner Kunst“ verspricht eine Schau mit fast 100 Werken. Tatsächlich sieht man, dass Toulouse-Lautrec nicht nur fröhliche Sorglosigkeit darstellte.
In der Kunstabteilung eines gut sortierten Postershops gibt es drei Hits: Joan Miró, Friedensreich Hundertwasser und Henri de Toulouse-Lautrec. Nahezu jeder kennt ihre Werke. Aber trifft das tatsächlich zu? Die Albertina zeigt uns gerade auch die düsteren Bilder Mirós, für Hundertwasser plant das Kunsthaus eine Reinszenierung, und dem Meister der Plakatkunst, Toulouse-Lautrec, widmet das Kunstforum Wien jetzt mit fast 100 Werken eine große Personale. „Man glaubt ihn zu kennen, aber in dieser Ausstellung sieht man neue Seiten seiner Kunst“, verspricht Kuratorin Evelyn Benesch.
Anlass der großen Schau ist Toulouse-Lautrecs 150.Geburtstag. Als Sohn eines alten französischen Adelsgeschlechts 1864 im Süden Frankreichs geboren, starb der Künstler mit nur 36 Jahren 1901 in Paris. Seit seiner Kindheit litt er an einer seltenen Knochenkrankheit, die u.a. Kleinwuchs brachte: 1,52 Meter war er nur groß. Schon früh entschied er sich für die Kunst, malte Pferde, Jagdszenen und auch Porträts – damit beginnt auch die Ausstellung in Wien.
Besonders stolz ist Benesch auf die „Wäscherin“ von 1886. Die Zusage zum Verleih kam so spät, dass die Abbildung im Katalog als loses Blatt beiliegt. Es sei das erste Werk Toulouse-Lautrecs, das eine Frau aus niederem Stand zeige – eben jenes Motiv, für das er später so berühmt wurde. Damals lebte er bereits am Montmartre, in jenem Pariser Viertel, in dem Künstler und Nachteulen aufeinandertrafen, denn hier war ein freieres und billigeres Leben möglich als im Zentrum von Paris. Hier entstand auch sein bahnbrechendes Plakat für das Tanzlokal Moulin Rouge. 3000-mal wurde es in den Straßen von Paris plakatiert und machte den Maler über Nacht berühmt. Der lockere Strich, die fast karikaturhafte Darstellung mancher Menschen, vor allem aber die Entscheidung, die Stars als zentrale Bildhelden zu feiern – diese Merkmale wurden zu seinen Markenzeichen. Bald fanden sich Sammler v.a. der kleineren Blätter und Programmhefte, die Toulouse-Lautrec alle stempelte. 30 Plakate entwarf er ab 1991 in den zehn Jahren bis zu seinem Tod, Werke, die bis heute ein Meilenstein in der Kunst der Werbung sind. Zugleich entdeckte und perfektionierte er damit auch die Kunst der Lithografie – ein Thema, das in dem Kunstforum mit einigen Werken betont wird.
Aber all das ist nicht neu. Wo also wird das Versprechen eingelöst? Dazu bedarf es eines genaueren Blicks. Da ist einerseits die frühe Malerei, die Benesch antiklassisch nennt. Denn Toulouse-Lautrec malte auf Karton statt auf Leinwand und verdünnte die Ölfarbe, was eine fast skizzenhafte Malweise ergibt und seinen Motiven entspricht. Denn sein Thema in diesem Medium sind Momente, Augenblicke, nicht die Starwelt der Plakate, sondern das einfache Leben, was besonders in seiner Serie „Maisons Closes“ auffällt: Die Huren porträtierte er nicht als erotische Motive, sondern bei alltäglichen Verrichtungen. Ob man ihn deshalb als „Chronist der Großstadt“ (Benesch) bezeichnen kann oder diese Bilder eher als einen Ausdruck seiner tiefen Verbundenheit mit dem Milieu versteht, ist Ansichtssache.
Zirkus mit leeren Bänken
Die größte Überraschung allerdings sind jene Zeichnungen, die er 1899 während seiner Entziehungskur gemacht hat und bisher in dieser Menge nur sehr selten ausgestellt wurden. Bildmotiv ist der Zirkus, allerdings mit leeren Bänken und einem eigentümlichen Kontrast zwischen der meisterlich-akademischen Darstellung (v.a. der Pferde) und den
gespenstisch verzerrten Köpfen, den deformierten Hündchen oder den unpassenden Schlapfen der Artistin. Auf einem Bild notiert er „Erinnerung an eine Gefangenschaft“. In einem Brief erwähnt er, er habe sich seine Freiheit mit diesen Zeichnungen erkauft. So erklärt sich wohl die betont akademische Ausführung einiger Darstellungen, mit der er seine Ärzte von seiner Genesung überzeugen wollte. Seine letzten Werke nach dem Zwangsaufenthalt zeigen dann unübersehbar eine andere Seite des Künstlers, die Momenthaftigkeit, die Lebendigkeit in den Figuren und der Malweise, die stolzen Bildhelden sind verschwunden. Und beim zweiten Blick auf die frühe Malerei sieht man diese Traurigkeit bereits in dem Pferd von 1881. Der fröhlichen Sorglosigkeit und Starbegeisterung seiner Plakate wird hier ein tiefgründiger Maler und Zeichner zur Seite gestellt.
Bis 25.Jänner, täglich zehn bis 19 Uhr, Fr bis 21 Uhr.
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