Samstag, 18. Oktober 2014

Caspar Wolf entdeckt die Alpen.

Badische Zeitung, 18. 10. 2014                                                                                  Unterer Grindelwaldgletscher, Lütschine und Mettenberg,

Die Schönheit des Unwirtlichen
Der Berg ruft: Die Ausstellung "Caspar Wolf und die ästhetische Eroberung der Natur" im Kunstmuseum Basel.

von Hans-Dieter Fronz

Dass die Alpen für den Schweizer Tourismus zum Aushängeschild geworden sind, ist das Resultat einer vergleichsweise jungen Entwicklung. Noch in der frühen Neuzeit waren Gebirgs- und Hochgebirgsregionen in Europa No-go-Areas. Sie zu bereisen, war Wagnis und Strapaze, die niemand ohne Not auf sich nahm. Zumal sie wegen ihrer Unwirtlichkeit auch ästhetisch als wenig anziehend empfunden wurden. Das änderte sich erst im 18. Jahrhundert. Zuvor als menschenfeindlich geltende Bereiche wie Meere, Wüsten oder Schneelandschaften erschienen fortan als pittoresk und erhaben.

C. Wolf, Abziehender Sturm über einer Meeresküste 1772

Es waren die Literatur und die bildende Kunst, die den Menschen die Augen für die Schönheiten der Berge öffneten. Ohne Kunst kein Alpinismus. Erst nachdem Dichter und Maler sie als Gegenstand ästhetischer Anschauung und als Sehnsuchtsort entdeckt hatten, konnten die Alpen für den Tourismus erschlossen und zum Freizeitparadies ausgerufen werden.

C. Wolf, NN 

Ein Pionier der ästhetischen Erschließung der Schweizer Alpen war Caspar Wolf, dessen Bilder das Kunstmuseum Basel nun zeigt. Als Sohn eines überschuldeten Schreiners in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen, schlug er sich anfänglich mit Auftragsarbeiten für das Benediktinerkloster seiner Heimatgemeinde Muri durch. Unzufrieden mit der eigenen Kunst, ging Wolf mit Mitte dreißig noch einmal auf einer (Fort-)Bildungsreise nach Basel und später nach Paris. Er arbeitete im Atelier von Philippe-Jacques de Loutherbourg d. J. und studierte die französische Landschaftsmalerei der Zeit – Boucher, Vernet, Hubert Robert.

Claude Joseph Vernet, Schiffbruch 

Was er in Paris lernte, kam einem Projekt zugute, ohne das Wolf heute sicherlich vergessen wäre. Von 1773 bis 1777 absolvierte er mit dem Berner Verleger Abraham Wagner und dem Naturforscher Jacob Samuel Wyttenbach viele Expeditionen in die Schweizer Alpen und schuf auf der Grundlage der vor Ort entstandenen Skizzen 200 Ansichten verschiedenster Alpenlandschaften in Öl. Wagner plante eine enzyklopädische Publikation über die Alpenlandschaft der Schweiz, zu der Wolf das Bildmaterial liefern sollte.

Caspar Wolf, NN

Rund die Hälfte der Bilder breitet, neben Vorstudien in Öl, das Kunstmuseum Basel in der Ausstellung "Caspar Wolf und die ästhetische Eroberung der Natur" aus. Nach einem ausführlichen Blick auf Wolfs früheres Schaffen, das nicht von Meisterschaft, aber von Begabung zeugt, folgt die umfangreiche Suite von Alpenbildern, geordnet nach inhaltlichen oder perspektivischen Kriterien. So zeigt Wolf die Dalaschlucht mit Blick nach Norden sowie, gegenperspektivisch, nach Süden. Den Staubbachfall malt er im Winter wie im Sommer. Und er entwirft sowohl Bilder von panoramatischer Weite als auch "gesperrte Landschaften" mit bildfüllenden Felsmassiven.

C. Wolf, Panorama des Grindelwaldtals mit Wetterhorn, Mettenberg und Eiger

Brücken und Höhlen sind beliebte Motive. Auch geschichtsträchtige und für die nationale Identität der Schweizer bedeutsame Orte wie Rütliwiese und Hohle Gasse geraten ins Bild. Wolf thematisiert Wetterextreme, etwa einen Sturm über dem Thunersee. Und er interessiert sich für Wasserfälle und Gletscher. Wie die Pranke eines Raubtiers schiebt sich der Rhone-Gletscher ins Bild. Staffagefiguren, Baum oder Felsnadeln dienen als Anhaltspunkt für die Größenverhältnisse – oder als natürliche "Fluchtstäbe" bei der geodätisch-ästhetischen Vermessung der Alpen.

Caspar Wolf Brücke über die Muota bei Schwyz

Neben ihrem kunsthistorischen haben die Bilder dokumentarischen Wert. Interessant sind sie aber heute eher aus einem anderen Grund: Ästhetik geht Wolf vor Naturtreue. Wie es ihm beliebt, verändert Wolf eine Landschaft, zieht sie in die Breite oder staucht sie. Erst in der ästhetischen Überformung artikuliert sich, über den per Auftrag verordneten Realismus hinaus, so etwas wie Begeisterung. Sie gibt den Bildern Lebendigkeit, erzählerische Kraft, Poesie. Und Wolf sucht seine Begeisterung auf den Betrachter zu übertragen. Er will ihn dazu animieren, die gemalten Landschaften mit eigenen Augen zu sehen. Inmitten majestätischer Hochgebirgsnatur platziert er winzige Figuren, die körpersprachlich sichtlich ergriffen sind – oder sich wie Sonntagsausflügler gerieren. Die wiederholt auftretende Dame mit Sonnenschirm vertreibt geradezu spielerisch die Furcht vor der vordem als so "schröcklich" empfundenen Gebirgsnatur.

Kunstmuseum Basel, St. Alban-Graben. Bis 1. Februar, Di bis So 10-18 Uhr.

Caspar Wolf  Rhone bei Gletsch mit Gadmerfluh, Tellistock und Wendenstock


Nota.

Ist das noch Rokkoko oder schon romantisch? Der dekadente Gefallen an den starken Reizmitteln hat schon das Ende des Ancien Régime geprägt: schaurig, erhaben oder pittoresk; man denke nur an Wolfs Landsmann Heinrich Füssli, der bei den Engländern Karriere gemacht hat! Und auf eine eigene Weise auch ironisch, ganz für bare Münze darf man das nicht nehmen, man denke nur an Fragonards Schaukel oder an Guardis Ansichten von Venedig; in allem klingt das Nach uns die Sintflut der Gräfin Pompadour mit.

Das macht den Unterschied zur Romantik aus. Es gibt im Rokkoko so viele Kunst, die man als verfrühte Romantik, und so vieles in der Romantik, das wie längst überholte Schäferidylle wirkt. Den Unterschid macht aus, das zwischen beiden die Revolution lag. Während die verstohlene Ironie der einen sarkastisch und resigniert wirkt, weil ja doch nicht mehr viel Zeit bleibt, ist die Ironie der andern polemisch und herausfordernd, und noch der Quietismus der Naturbesoffenen fühlt sich als Künder einer neuen Zeit. 

Doch zurück zu Caspar Wolf: Während seine französischen Vorbilder im Landschaftsbild nach dem Effekt suchten (na ja, nicht nur) und großzügig so viel hinzutaten (na schön, nicht alle), bis es "funktionierte", malt Wolf Landschaftsporträts, Stellen, die es wirklich gibt, sogar (alle?) seine Höhlenbilder. Er malt aber nicht natur- getreu, sondern er holt aus dem, was er sieht, das Ästhetische heraus. Das war zu seiner Zeit noch neu. Und schon ein bisschen romantisch...
JE


 

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