Die Kraft der Farbe Blau
Was
heute die Augen am meisten erfreut, das Blaue, hat in der Natur wenig
Bedeutung, es hat sie auch in unserer Kultur erst spät erlangt.
Als Männer begannen, blau zu machen, es war zu Beginn des 13. Jahrhunderts, ging es ordentlich bzw. unordentlich zu, es ging zur Sache, nein, zur Flasche: Sie schütteten Alkohol in sich hinein, so viel sie konnten. Das gehörte zu ihrer Arbeit, die Männer waren Färber, und für die Zubereitung der Farbe – aus der Pflanze Färberweid, die großflächig angebaut wurde und als Blaues Gold Regionen reich machte – brauchten sie frischen Urin. Manche schafften es dann nicht zum abschließenden Arbeitsgang, sie machten metaphorisch blau, die anderen taten es real, sie färbten blau, und das Abwasser tat es mit den Flüssen. Jede zweite Woche waren diese rot, dann waren die Rotfärber an der Reihe, es gab strenge Regeln, jede Farbe hatte ihre Färber, und aus den Flüssen nahmen alle ihr Wasser, da durfte den Blaufärbern nicht plötzlich rotes von weiter oben kommen und vice versa.
Damals begann die Konjunktur der blauen Farbe, zuvor war sie, zumindest im Abendland, kaum verwendet worden, die Griechen nutzten sie nicht in ihrer Kunst, sie hatten auch nur ungefähre Worte dafür – trotz Himmels und Meers, bei diesen achteten sie mehr auf die Helligkeitsgrade –, die Römer behalfen sich mit blavus aus dem Germanischen und azureus aus dem Arabischen, sie fürchteten die Farbe. Cäsar und Tacitus berichten, dass Kelten und Germanen sich zum Kämpfen blau bemalt haben. Auch im Christentum spielte die Farbe bis in das Hochmittelalter keine Rolle, sie kam schlichtweg nicht vor, als Papst Innozenz III. im 13.Jahrhundert den Farbkanon kodifizierte: Weiß stand für das Reine (Engel und Jungfrauen), Rot für Blut (des Herrn und der Märtyrer), Schwarz für Kummer und Buße. Grün spielte am Rande mit, Blau überhaupt nicht.
Das macht es auch in der Natur nicht bzw. kaum, dort herrschen andere Farben, dort regiert vor allem Rot: Wenn dem einen der Kamm schwillt und dem anderen der Zorn ins Gesicht steigt – und beide Männer sind –, dann signalisiert das Kommende härtere Aggression. Und wenn sich bei Affenweibchen Geschlecht und Brüste röten, dann strahlt es Empfängnisbereitschaft aus. In Rot kleiden sich also Sex und Macht, in Rot kleiden sich auch viele Früchte. Deshalb vermutet man, dass das Sensorium für diese Farbe etwa bei Affen entweder zur Wahrnehmung sexueller Signale entwickelt wurde oder zum raschen Finden lockender Speisen im ewigen Dunkel der Regenwälder.
Oder war es umgekehrt, haben die Pflanzen sich nach den Augen derer gerichtet, die ihre Früchte pflücken und die Samen verbreiten? Darauf deuten Vögel in Wäldern Chinas: Qiong Duan (Chinese Academy of Sciences, Yunnan) hat Vertreter verschiedener Arten gefangen und ihnen echte und künstliche Früchte in allen erdenklichen Farben angeboten. Die Vögel wählten bevorzugt die roten und die schwarzen, gelbe und blaue folgten mit großem Abstand, grüne wurden verschmäht, auch wenn sie echt waren und reif obendrein (Scientific Reports, 17.7.). Aber ob nun die Wahrnehmung sich auf das Wahrzunehmende spezialisiert hat oder Letzteres auf Erstere – oder ob beide in Ko-Evolution entstanden sind –, die Farbe Blau ist schon auch da. Sie wird nur kaum genutzt in der Natur, ist kein Signal – allenfalls für Ausnahmen wie Mandrills –, lockt nicht, droht nicht.
Zum Siegen hilft blau nicht.
Das macht sie auch in der Kultur nicht: Rot beeindruckt nicht nur in den Gerangeln der Macht, sondern auch in denen des Sports, das bemerkten die Anthropologen Russell Hill und Robert Barton (Durham) bei Olympia 2004 in Athen. Sie analysierten Kampfsportarten – Boxen, Ringen etc. –, und sahen überall das gleiche Bild: Wer in Rot antrat, trug meist den Sieg davon, auch wenn der Gegner ebenbürtig war (Nature, 495, S.293). Aber dann fand die Biologin Candy Rowe bei einem anderen Sport eine Überraschung, beim Judo. Da gibt es kein Rot, die Kämpfer sind in Blau und Weiß gekleidet, nun hatten den Vorteil die Blauen (Nature, 437, E10).
Rowe schloss daraus, Blau sei doch ein Signal, sie hatte nur etwas übersehen, Peter Dijkstra (Glasgow) bemerkte es: In Athen wurden beim Judo in der ersten Runde die besseren Kämpfer gesetzt, und die Gesetzten erhielten blaue Judogi. Deshalb analysierte Dijkstra 71 internationale Titelkämpfe ohne versteckte Schlagseite (bias): Blau bringt nichts (Proc. Roy. Soc. B 257, S.1157).
Blieb es deshalb so lang unbeachtet in unserer Kultur? In der Natur ist es ja nicht so selten, wie Novalis 1802 im „Heinrich von Ofterdingen“ mit seiner und der Romantik Sehnsucht nach der blauen Blume suggerierte, blaue Blumen gibt es genug. Blaue Gewänder inzwischen auch, ihre Hausse wurde von Goethe eingeläutet, 1774 erschien sein „Werther“, bald kleidete sich halb Europa in blaue Mäntel à la Werther, die Verzweiflung hallte nach bis in Leonard Cohens „Famous Blue Raincoat“.
Aber nicht nur die Kunst gab der Farbe endlich Farbe, die Politik tat es auch, die französischen Revolutionäre hatten Blau in der Trikolore. Dann kam die Chemie – 1871 gelang die Synthese des Farbstoffs von Indigo, das das Färberweid ablöste –, und dann kam Löb Strauss, er wanderte 1853 aus Buttenheim in Bayern in die USA aus, dort nannte er sich Levi, dabei hatte er Segeltuch für Zelte, er wollte sie Goldsuchern verkaufen und so am Goldrausch mitschneiden. Die Geschäftsidee scheiterte, er hatte eine bessere, schneiderte Hosen daraus, die er nach sich selbst benannte und auch die Stadt anklingen lies, aus der das Tuch stammte: Genua.
Seitdem überzogen Levis Jeans die Welt mit Blau, und nicht nur sie, die Farbe ist allerorten – betrachten Sie einmal die Embleme der Supermärkte und der Waren, die das Blaue vom Himmel versprechen! –, wer Frische suggerieren will, untermalt mit kühlem Blau, sattes bringt das Gefühl wohliger Wärme. Sogar der Traum vom ewigen Frieden – die Fahne der UNO – trägt Blau, in Umfragen ist die Farbe beliebt wie keine andere: Ihre Schwäche ist ihre Kraft geworden: „Die Farbe Blau ist so konsensfähig, gerade weil sie symbolisch weniger stark ,festgelegt‘ ist als andere Farben, insbesondere Rot.“
So erklärt der französische Historiker Michel Pasterou den Erfolg, er hat die Kulturgeschichte der Farbe Blau erkundet (deutsch bei Wagenbach). Seine großartige Arbeit grundiert die Blaupassagen dieses Artikels, sie steht auch implizit hinter der Ausstellung, die in der Kunsthalle Wien bis 11.1. zeigt, was heutige Kunst mit dem Blau anfängt.
Nota.
Interessant, nicht? Aber völliger Humbug. Späterstens seit der Romanik ist der Mantel der Muttergottes blau. Seither gibt es kaum eine Mariendarstellung ohne dieses Requisit
Schwarze Madonna von Altötting; Burgund, 14. Jahdt.
In der Malerei freilich war Blau rar: Es war, nach Gold, die teuerste Farbe, für die Hl. Jungfrau grad gut genug; es musste nämlich aus Lapislazuli angerieben werden.
In einem Punkt hat Hr. Langenbach dann mehr Recht, als er weiß, und auch gleich wieder Unrecht. Denn in Genua - engl. Genes wie Jeans - erreichte wohl eher das Indische Blau den europäischen Boden, mit dem besagter Zeltstoff aus Nîmes eingefärbt wurde; daher de Nîmes, denim.
JE
Nachtrag
aus DiePresse.com
Jürgen Langenbach
05.10.2014 18:57
Re: Aprilscherz?
nein, Platzmangel:
Sie haben völlig recht, Maria war die erste Nische für Blau,
Pasterou führt es breit aus,
aber es war lange die einzige Nische im Abendland
Sie haben völlig recht, Maria war die erste Nische für Blau,
Pasterou führt es breit aus,
aber es war lange die einzige Nische im Abendland
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