Donnerstag, 27. November 2014

Der expressive Altdorfer im Frankfurter Städel.


aus Badische Zeitung, 27. 11. 2014                                                                                 Landschaft mit Burg, um 1520/30

Gemälde von Albrecht Altdorfer im Städelmuseum
Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500: "Fantastische Welten" in Frankfurt.

von Volker Bauermeister

Der Mann ist stark gebückt, ein Kind sitzt ihm im Nacken. Die tief im Wasser stehenden Beine wollen kaum noch tragen. Was Wunder, denn unvorstellbar mehr als jedes andere wiegt dies Kind. Der Mann ist Christophorus, der Christusträger, der das Gewicht der Welt auf seinen Schultern spürt. Er nimmt es auf sich.

Vom Künstler Albrecht Altdorfer aus Regensburg (um 1480–1538) ist der Holzschnitt. Er erzählt die Legende von der wundersamen Gewichtsvermehrung beispielhaft eindrücklich. Altdorfer, der den Christophorus im kritischen Moment ganz in die untere Bildhälfte drückt, ist ein fantastischer Erzähler. Das Unglaubliche ist ihm ein vertrautes Genre. Hier geht er von Dürer aus und mit der Pointe des scheinbar überforderten Riesen weit über ihn hinaus.



Der Prolog zur Ausstellung im Frankfurter Städel ist eine motivgeschichtliche Momentaufnahme. Zu sehen ist die Christophorus-Figur im Kontext der Künstler, die man zur "Donauschule" zählte. Was sie vereint, ist der empfindsame Ausdruck, ein gesteigertes Mitempfinden, das selbst auch drastische Form annehmen kann. Die schließt denn ein, was der große Zeitgenosse als "Falschheit" ansah: Dürer, der Unumgängliche – hier ist er Reibefläche und Widerpart.

Die Ausstellung "Fantastische Welten. Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500", eine Koproduktion mit dem Kunsthistorischen Museum Wien und mit zahlreichen Leihgaben Dritter bestückt, bestreitet den eingeführten Begriff "Donauschule" und zeichnet einen größeren Zusammenhang. Man spricht von Expression und dabei, weit ausgreifend, selbst auch von Veit Stoß und Grünewald, der mit Tafeln vom Frankfurter Heller-Altar präsent ist, der ihn dies eine Mal mit Dürer vereinte.

Albrecht Dürer, Matthias Grünewald, Jobst Harrich, Heller-Alltar 

Dürers schönes Maß – bei Altdorfer und in dem großen Kreis, der hier um ihn herum gezogen ist, ist es dem Ausdruck geopfert. Märtyrerlegenden und Passionsgeschichte sind bevorzugte Bildvorlagen und die Figuren die Chiffren des bewegenden Geschehens. Das Licht wird zum dramatischen Gestalter. Bei Niklaus Manuel, dem Schweizer, flackert es durch eine Szene mit der Enthauptung des Johannes. In einer "Geburt Christi" Altdorfers – einem frühen Nachtstück der Malereigeschichte – wird der Mond zur surrealen Erscheinung. Kosmische Qualle: Das Christkind braucht deren Licht nicht; es leuchtet von sich aus.


Altdorfer, Geburt Christi, um 1511

Mehr als bei Dürer spielten in der biblischen Sphäre bei Altdorfer und den Seinen die Natur und das Wunderbare eine tragende Rolle. Dürer war es, der die Landschaft auf dem Weg nach Italien entdeckte. Aber Altdorfer und der aus Feldkirch in Vorarlberg kommende Passauer Wolf Huber gaben ihr auch in der frommen Historie weitesten Raum. Altdorfers berühmte "Landschaft mit Burg" ist zuvorderst Naturphantasie, selbst wenn ein kaum kenntliches Figürchen dem Bild noch einen allegorischen Sinn unterlegt. Wolf Hubers "Große Landschaft" bleibt ein Stück empfundene Natur, mögen auch drei miniaturhafte Kreuze auf Golgatha weisen. Seine Kopfweiden sind Geistergestalten, die als vielfingrige Graphik in den Himmel greifen. Und einmal wirkt so ein Baum wie eine zeichnerische Eruption. Emanzipation der Handschrift.


Wolf Huber, Große Landschaft mit Golgatha, um 1530

Das Thema der Landschaft spielt selbst in den Werken des mit den Initialen IP bezeichneten Bildhauers eine Rolle. Dem gelingt es wahrhaftig, die plastische Figur ins Flachrelief eines Landschaftsraums zu vermitteln. Und wir wundern uns nicht, wenn wir in dem Kontext von Expression und Landschaft eine hier aus Freiburg wohlbekannte Kleinplastik wiederfinden: den fein geschnitzten "Sündenfall" des Meisters HL aus dem Augustinermuseum. Den Garten Eden versetzt der Schöpfer des Breisacher Hochaltars, auch sozusagen handschriftlich, in eine nervöse Unruhe, die untrüglich auf das in dem Moment schon verlorene Paradies hindeutet.

Meister H.L., Der Sündenfall  

Die Natur ist ihrer Statik beraubt. Die Schöpfung dem Gesetz der Zeit unterworfen: prozesshaft wirkende Natura naturans ist sie. Albrechts Bruder Erhard Altdorfer setzt ihr in der Zeichnung seiner "Großen Fichte" ein düster-großartiges Monument.

Städelmuseum Frankfurt. Bis 8. Februar, Di bis So 10–18, Do, Fr 10–21 Uhr.
Erhard Altdorfer Die große Fichte, um 1525-30

Nota.

Harmonie und ausgewogene Form waren nördlich der Alpen nie das vorherrschende Merkmal der Kunst wie im Italien der Renaissance. Ihr expressiver und schroffer Grundzug hat ja schließlich für das Schähwort gotisch den Anlass gegeben, und der hat sich namentlich in Deutschland länger gehalten als selbst in Frankreich, wo die heute so bezeichnete Stilform ihren Ursprung hatte. Und als Altdorfer zu Werke war, begannen Harmonie und Formvollendung auch in Italien gerade der maniera moderna der Tizian und Tintoretto zu weichen. Expressivität und schräge Perspektive lagen auch dort im Geiste des Jahrhunderts.

Dass in Deutschland eher als in Italien die Landschaft zum Ort des erneuerten Ausdruckswillens wurde, ist aber zu bedenken. Zwar noch immer nur als der Grund, vor dem sich die heiligen Firguren abzeichneten, aber eben als ausdruckssteigerndes und nicht als idyllisierendes Umfeld. Auch der geradezu pointillistisch tupfende Farbauftrag bei Altdorfer verdient Beachtung; erinnert aber zugleich daran, dass auch in Italien il disegno, das Schlachtross der Renaissance, gerade im sfumato der Raffael und Leonardo verraucht war.

Mit andern Worten, wenn man den Gesichtskreis zu weit fasst, geht das Spezifische verloren. Man sollte vielleicht doch besser bei "Donauschule" bleiben.
JE


Georg Lemberger  Sündenfall und Erlösung, 1535; müssen Sie dabei nicht auch an el Greco denken?


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