Nationalbibliothek Wien
Als Mohammed vor Gabriel in Ohnmacht fiel
Gabriel gehört neben Michael und Raphael zu den viel besungenen und porträtierten Erzengeln der Christenheit, man kennt ihn auf Goldgrund und groß. Dieser Bote Gottes verkündet der Jungfrau Maria, sie werde den Sohn Gottes gebären. Weniger bekannt ist hierzulande, dass er auch im Islam als Vermittler beschäftigt war: Ǧibrīl brachte Mohammed das erste Offenbarungserlebnis des Koran. Hadīğa, die Frau des Propheten, erzählte davon einem christlichen Vetter. Der erklärte ihr darauf, es handle sich um den gleichen „großen Vertrauten“, der einst Moses erschienen war. Wie mächtig sich die monotheistischen Religionen solch hohe Wesen vorstellten, erkennt man in einer weiteren Geschichte aus dem Koran: Mohammed wollte gegen den Widerstand Gabriels dessen wahre Gestalt sehen. Der erschien in paradiesischer Form, da fiel der Prophet überwältigt in Ohnmacht. In Gestalt eines schönen Manns überbrachte ihm der Erzengel Allahs Offenbarungen in „klarer arabischer Sprache“, wie in drei Suren steht.
Die Himmelsreise des Propheten Muhammad, persisch, 977–88 (1570–80)
Viele Kirchenväter schrieben Gelehrtes über diese Vermittler Gottes, die niemand, nicht einmal große Propheten, unbeschadet direkt schauen könnten. In Konzilien stritt man darüber, ob es drei oder mehr Erzengel gebe. Theologen fragten sich, an welchem Schöpfungstag sie geschaffen wurden, welche Substanz sie hätten. So spekulativ waren die Fragen, dass Humanisten den Scholastikern posthum unterstellten, diese hätten sich vor allem damit beschäftigt, wie viele Engel auf die Spitze einer Nadel passten. Den großen Philosophen Thomas von Aquin kümmerte das nicht. Er befand im 13. Jahrhundert, Engel seien rein geistige Wesen. Dadurch befanden sie sich in der Seinskette weit über dem Menschen, der über der unbeseelten Natur stand. Ihr Geschlecht spielte keine Rolle. Sie wurden zuerst als männlich dargestellt, in der höfischen Kunst bald aber auch weiblich oder als Kinder, weil ihr Geist eben jede Form annehmen konnte, wenn sie sich den Menschen zeigten. Für die Irdischen war es stets eine Grenzerfahrung, göttlichen Boten zu begegnen: „Ein jeder Engel ist schrecklich“, dichtete Rainer Maria Rilke.
Verkündigung, Evangeliar um 1140
Luzifer stürzt in den Schlund der Hölle
Wer sich gefahrlos solchen Himmlischen nähern will, kann sie im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek erleben. Gut 60 Exponate, ein Großteil davon aus katholischen Manuskripten des 14. bis 16. Jahrhunderts, geben in der Ausstellung „Engel. Himmlische Boten in alten Handschriften“ Einblick in die Rezeption dieser Mittler, die allein schon durch ihren griechischen Namen „angelos“ als solche definiert sind, so wie bereits durch die hebräische Bezeichnung „malach“ im Alten Testament. Ihre Aufgaben sind vielfältig. Sie verkünden, schützen, strafen, bewegen die Gestirne am Himmel und singen in bis zu neun Chören das Lob Gottes, der von Cherubim und Seraphim umgeben ist. Manche fallen auch ab, wie der einst mächtigste Engel – der lichte Luzifer. Dieser Satan musste samt seiner Mitverschwörer nach verlorenem Kampf gegen gottesfürchtige Kollegen hinab in den Schlund der Hölle. Solch eine Schlacht wird in der Weltchronik von Urach (1463) dargestellt. Die Bösen werden von den Guten in den Rachen eines Untiers gestoßen.
Sturz Luzifers und seiner Heerscharen, "Weltchronik" 1463
In der hebräischen Bibel, deren Entstehung bis ins zweite Jahrtausend vor Christus zurückreicht, gibt es wegen eines Bilderverbots keine solch drastischen Darstellungen. Erzählt wird, dass drei Männer Urvater Abraham besuchen, der sie vor seinem Zelt nicht sofort als Engel des Herrn erkennt. Sie verkünden ihm die Geburt eines Sohnes. Ein Zeichen der Boten kann auch Feuer sein, wie bei der Himmelfahrt des Propheten Elias – das wird nur diskret angedeutet. Der Wahrsager Baalam (Buch Numeri) weiß erst ebenfalls nicht, dass er einem Engel begegnet ist. Seine Eselin verhält sich instinktiv richtig. Diese Stelle zeigt hier eine Thora von 1348.
Ihre Flügel erhalten die abgebildeten Engel erst in christlicher Deutung ab dem 5. Jahrhundert. Sie wurden aus antiken Mythen übernommen. Bis zu drei Flügelpaare haben solch himmlische Boten, zwei zum Verdecken, eines zum Fliegen. Das um 1170 verfertigte Evangeliar des Schreibers Liutold aus dem Kloster Mondsee, das älteste hier ausgestellte Werk [s. o.], bildet Gabriel bei der Verkündigung an Maria mit besonders prunkvollen Schwingen ab. Einige solche Meisterwerke waren bisher noch nie ausgestellt. Als Ergänzung gibt es ein von der Fachhochschule Sankt Pölten entwickeltes Programm, bei dem man via großen Touch-Table durch die Offenbarung des Johannes tappen und Informationen zu Illustrationen sammeln kann.
Dürers Illustration der Apokalypse
Zu sehen ist im Original neben aufwendig verzierten Gebetbüchern aus Frankreich, Italien oder den Niederlanden auch einer von 15 Holzschnitten, mit denen Albrecht Dürer 1498 die Apokalypse illustrierte: „Verteilung der Posaunen an die sieben Engel“. Ein weiteres rares Werk ist das Stundenbuch des Illustrators Gabriel Glockendon für Albrecht II., den Erzbischof von Mainz (1536/37): Die „Anbetung des Jesusknaben“. Goldene Kinderengel schweben über der Heiligen Familie. Schließlich wird noch ein altes Notenblatt vom Weihnachtslied des Reformators Martin Luther präsentiert, das Johann Sebastian Bach 200 Jahre später vertonte. Die ÖNB hat einen Erstdruck von 1748: „Vom Himmel hoch, da komm ich her!“ Da vermeint man tatsächlich, die Engel singen zu hören.
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