Alles im Fluss
Eine Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle widmet sich dem
Rhein nicht als einem deutschen, sondern europäischen Strom.
von
Bettina Schulte
Den Rhein haben die Engländer erfunden. Den Rhein, wie er sich ins kulturelle Gedächtnis Europas eingegraben hat, als Fluss romantischer Empfindung und Gefühle: zurück ins Mittelalter mit seinen Burgen und Festungen, mit seinen Sagen und Legenden, mit seinen Helden und Minnesängern. Englische Touristen waren es, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts den angeblich deutschesten aller Flüsse als Reiseziel entdeckten und den ersten Reiseboom nach Koblenz, Mainz und Bingen auslösten. Erste Dampfschifffahrten wurden organisiert – ab 1827 sogar im Linienverkehr zwischen Köln und Mainz – , die regionale Wirtschaft angekurbelt, was zur Folge hatte, dass die Burgenrekonstruk- tion am Rhein eine enorme Blüte erlebte. Die deutschen Romantiker von Friedrich Schlegel und Clemens Brentano bis zu ihrem ironischen Dichterkollegen Heinrich Heine trugen das Übrige dazu bei, dass der Rhein, im Unterschied zu allen anderen deutschen Flüssen, mythisch und bald darauf auch patriotisch aufgeladen wurde. Vom "Vater" bis zur "Wacht am Rhein" verschärften sich im Lauf des Jahrhunderts die nationalistischen Töne.
In welchem Umfang und in welchen Dimensionen der Rhein die europäische Geschichte seit 2000 Jahren, seit dem Imperium Romanum, geprägt hat, macht jetzt eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn deutlich. Sie verfolgt den Anspruch, anhand von mehr als 300 Exponaten "die Biografie" des Rheins zu erzählen. Wenn denn ein fließendes Gewässer eine Lebensgeschichte haben kann: Nur zu! Natürlich ist die Bezeichnung metaphorisch gemeint. Entscheidend ist der Zusatz: "europäisch". Damit verfolgt die von Marie-Louise von Plessen kuratierte Schau in erster Linie ein geschichtspolitisches Anliegen. Sie erzählt, wie aus dem vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs erbittert umkämpften Grenzfluss ein durch das vereinte Westeuropa fließender friedlicher, vor allem dem Güterverkehr dienender Strom geworden ist. Wie der Rhein also wieder wurde, was er einst und für viele Jahrhunderte war: eine Verbindungsader für den kulturellen und ökonomischen Transfer, die den Gebieten und Städten am Rhein schon seit dem frühen Mittelalter zu Prosperität und Wissen verhalf.
Dom, Speyer
Die Bewohner der Rheinregion waren spätestens seit der Gründung der humanistisch und später auch reformatorisch geprägten Universitäten von Basel, Freiburg, Straßburg, Heidelberg Mainz, Köln, Utrecht und Leiden im Schnitt gebildeter als ihre Landsleute im Norden, Süden oder Osten. Die wie eine Perlenkette am Rhein und in seinem Umkreis aufgereihten Universitäten stellten vom 15. bis zum 17. Jahrhundert gemeinsam mit Oberitalien die dichteste Bildungslandschaft Europas dar. Diese Blüte der Erweiterung des nicht mehr rein theologisch geprägten Wissens hatte eine Vorgeschichte. Nachdem die Römer, die den Rhein bis nach Trier als Siedlungsgebiet in großem Stil erschlossen hatten, ihre Vormachtstellung in Europa verloren und als Weltmacht untergegangen waren, brach ab dem siebten Jahrhundert die Zeit der Kirche an: Die Klostergründungen von Sankt Gallen und auf der Reichenau im Bodensee gehören zu den ersten Manifestationen des klerikalen Machtanspruchs am Rhein. Die Dombauten in Worms, Speyer und Köln machten den Rhein zur Hauptachse des deutschen Katholizismus. Mit dem Machtanspruch Roms hielt die Architektur mit bedeutenden Zeugnissen Einzug am Rhein. Wer je den Speyrer Dom, die größte erhaltene romanische Kirche der Welt, besucht hat, weiß, wovon die Rede ist. Vom Kölner Dom, der erst am Ende des 19. Jahrhunderts vollendet werden konnte und heute zu den größten touristischen Attraktionen Europas zählt, ganz zu schweigen.
1819 hat Peter Birmann den „Blick vom Isteiner Klotz“ gemalt
Der Rhein, das macht die in zwölf übersichtliche Kapitel gegliederte Schau in der als Ausstellungsort wenig attraktiven Bundeskunsthalle deutlich, kann in seiner Bedeutsamkeit für die kulturelle und politische Entwicklung im Westen Europas gar nicht überschätzt werden. Seine "Biografie" zu lesen, lohnt in vielfacher Hinsicht – wobei die geographisch-geologische Sichtweise in diesem primär kulturgeschichtlichen Kontext verständlicherweise zu kurz kommt. Größeren Raum nimmt einzig das auch politisch relevante Projekt der Rheinbegradigung zwischen Basel und Bingen ein, betrieben mit großer Verve und ebensolchem Durchsetzungsvermögen von dem 1770 in Karlsruhe geborenen Ingenieur Johann Gottfried Tulla, der auch die Dreisam in ein gerades Bett gezwungen hat, bevor er den großen Fluss von seinen mäandernden Seitenarmen befreite. Wie es die Tragik seines Schicksals wollte, starb Tulla vor der Vollendung seiner weitreichenden Tat ausgerechnet an der Krankheit, von der er die Menschen am Rhein durch Trockenlegung der Sumpfgebiete befreien wollte: der durch eine Stechmücke übertragenen Malaria. Die Begradigung des Flussbetts, die den Rhein um mehr als 80 Kilometer kürzer machte – mit heute 1233 Kilometern Länge steht er in Europa ohnehin nur an siebter Stelle – war nicht nur die Voraussetzung für seine Schiffbarmachung ab Basel seit 1907.
Andreas Gursky, „Der Rhein I“ (1996)
Sie schuf am Oberlauf des Stroms auch mehr Klarheit für die Grenze zu Frankreich: Denn diese musste je nach Flussverlauf immer wieder neu justiert werden. Die Verlustrechnung von Tullas Sinn für Effizienz und klare Linien ("In der Regel sollten in kultivierten Ländern die Bäche, Flüsse und Ströme Kanäle sein") ist bis heute hoch: Die Begradigung zerstörte die Flussauen und verstärkte die Hochwassergefahr.
Der Rhein als Grenzfluss: Das wurde im nationalistischen 19. Jahrhundert zum beherrschenden Thema. Sichtweisen wie jene des französischen Dichters Victor Hugo gerieten ins Hintertreffen. In seinem Brief "Le Rhin" fasste er die vielfältigen Aspekte der Flussbetrachtung so zusammen: "Ein edler, feudaler, republikanischer, kaiserlicher Fluss, dem es gebührt, zugleich deutsch und französisch zu sein. Die ganze Geschichte von Europa (...) liegt in diesem Fluss der Krieger und Denker." Das war vielleicht auch ein Versöhnungsangebot: Denn unter der vier Jahrzehnte zuvor von den französischen Revolutionstruppen begonnenen und von Napoleon vollendeten Eroberung der linksrheinischen Gebiete gerieten zwischen Speyer und Köln alle dort liegenden deutschen Städte bis 1813 unter französische Herrschaft. Dass die Franzosen – deren Jakobinermütze in der Narrenkappe verhohnepipelt wird – in Köln den Straßenkarneval verboten, gilt bis heute als eine ihrer größten Sünden. Dafür reformierten sie die Verwaltung, räumten auf mit Kleinstaaterei und Zollwesen und verschafften den Rheinländern einen Modernitätsschub. Ein knappes Jahrzehnt, von 1794 bis 1813, bildete der Rhein tatsächlich die physische Grenze zwischen Deutschland und Frankreich.
Wacht am Rhein: Französische Soldaten am Deutschen Eck in Koblenz 1918/19
Das Aufkommen der Rheinromantik ist auch in diesem Kontext zu sehen. Die patriotischen Kräfte wurden durch die französische Besatzung geweckt – und selbst ein aufklärerischer Geist wie Friedrich Schlegel brachte es 1803 zu propagandistischen Äußerungen wie dieser: "Der Anblick dieses königlichen Stromes muss jedes deutsche Herz mit Wehmut erfüllen. Wie er mit Riesenkraft in ungeheurem Sturz herabfällt, dann mächtig seine breiten Wogen durch die fruchtreichsten Niederungen wälzt, um sich endlich in das flachere Land zu verlieren; so ist er nur das treue Bild unseres Vaterlandes, unserer Geschichte und unseres Charakters." Bis zu Ernst Moritz Arndts Kampfschrift "Der Rhein. Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze" gingen noch zehn Jahre "Franzosenzeit" am Rhein ins Land. Beim Wiener Kongress 1815 wurden die linksrheinischen Städte dann Preußen zugeschlagen. Und die "Nationalisierung eines transnationalen Stroms" (Katalog) schritt weiter voran.
Die deutsche Germania wurde gegen die französische Marianne in Stellung gebracht. Der Hamburger Kaufmann Johann Daniel Mutzenbecher notierte 1819 beim Anblick der Rheingrenze in Kehl: "Ich (...) sah zum ersten Male den Rhein, nach dessen Ufern jedes Deutsche Herz sich sehnet, pfeilschnell in seinen meergrünen Wogen vorübereilen, und schaute hinüber in das Land, dessen Bewohner, in Sitte und Gesinnung so sehr von uns abweichend, wir wohl fürchten, aber nicht lieben gelernt hatten, bis die Nemesis ihre Schaaren ereilet und uns ermuthigt hatte, mit dem Racheschwerdt sie hinauszutreiben aus den heimischen Gauen und zu bannen auf den eigenen Boden, den wahrlich Gott so schön ausstattete für so grosse moralische Verderbtheit, die auf ihm fortbeständig wuchert." Von dort aus ist es nur noch ein Schritt bis zu den donnernden Versen von Max Schneckenburgers Gedicht "Wacht am Rhein": "Es braust ein Ruf wie Donnerhall / wie Schwertgeklirr und Wogenprall: / Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein / Wer will unseres Stromes Hüter sein? /Lieb Vaterland magst ruhig sein / fest steht und treu / die Wacht am Rhein."
Michael Lio, „Rheinfall mit Kanzel und Springer“ (2005)
Kein Wunder, dass die markigen Zeilen nach ihrer Vertonung und Aufführung bei der Silberhochzeit des Prinzen Wilhelm, des späteren Kaisers Wilhelm I., zur inoffiziellen Nationalhymne des neuen deutschen Kaiserreichs wurde: Wie überhaupt die Propaganda um den "Vater Rhein" zur Keim- und Kernzelle jenes gegen Frankreich gerichteten Nationalismus wurde, der nicht nur zum deutsch-französischen Krieg 1870/71, sondern auch zur Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit seinem furchtbaren Stellungskrieg gegen den angeblichen "Erbfeind" führte. Die ganze Wucht der Rheinpropaganda entlud sich in der sogenannten "Rheinkrise" von 1840: Journalisten, Schriftsteller und Politiker beiderseits der Grenze entflammten in vehementem Streit um die Rolle des Rheins als französischer Grenzfluss oder deutsches nationales Symbol. So weit war es mit der gebrochenen Romantik von Heinrich Heines melancholischem "Loreleylied" gekommen: Aus seiner stillen Klage "Ich weiß nicht was soll es bedeuten / Daß ich so traurig bin" war ein "Ruf wie Donnerhall" geworden; und aus dem wunderbar atmosphärischen Landschaftsbild "Die Luft ist kühl und es dunkelt. / Und ruhig fließt der Rhein; / Der Gipfel des Berges funkelt /Im Abendsonnenschein" schnöder Besitzanspruch: "Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein".
Hagen versenkt den Nibelungenschatz im Rhein. (Worms)
Wem kann ein Fluss gehören?
Ganz sicher auch nicht den Industrieunternehmen, die sein Wasser für ihre Produktionsprozesse nutzen. Die gesellschaftliche Debatte um die Rheinverschmutzung durch die großen Chemieunternehmen Ciby Geigy, Sandoz, BASF und Bayer fiel nicht von ungefähr mit der Gründungsphase der Grünen zusammen. Die Zeit titelte 1982: "Wenn Gift durch die Filter dringt", der Spiegel vermutete noch fünf Jahre später: "Was in den Rhein fließt, weiß nur der liebe Gott". Am 1. November 1986 ereignete sich am Rhein die bisher größte Chemie-Umweltkatastrophe Europas, als beim Brand einer Lagerhalle der Firma Sandoz 1350 Tonnen mit Chemikalien in der Rhein gelangten und zu einem Fischsterben unvorstellbaren Ausmaßes führte. Mit 250 000 Exemplaren wurde der gesamte Aal-Bestand des Rheins vernichtet. In der Ausstellung kann man ein Video über das von den Grünen am 13. Dezember in Auggen veranstaltete "Rheintribunal" mit Hoimar von Ditfurth und Klaus Töpfer sehen: Wie sehr ist das inzwischen Geschichte. Rheinverschmutzung ist ein erstaunlich fern gerücktes Wort.
Und der Sachverhalt, den es bezeichnet, offenbar nur eine kurze Episode in der langen Geschichte des Flusses – die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endlich wieder zur Friedensgeschichte geworden ist. Es war nicht zufällig ein Rheinländer, der den europäischen Gedanken in der Versöhnung mit Frankreich nach vorn gebracht hat, ein Rheinländer, der seinen Fluss so liebte, dass der Sarg mit seinen sterblichen Überresten über den Rhein von Köln in seinen Geburtsort Rhöndorf geleitet wurde. Die Rede ist natürlich von Konrad Adenauer.
Dieser Fluss hat neben vielen anderen Transferleistungen auch ganz besonders dem Handel mit der Kunst gedient.
Auch die Art Basel ist, wenn man so will, ein Produkt des Rheins: Sie wurde 1968 von Ernst Beyeler, Trudl Bruckner und Balz Hilt als direkte Reaktion auf auf Art Cologne gegründet – und übertraf nicht nur diese – sondern auch alle Erwartungen. Heute findet am Rheinknie die größte Kunstmesse der Welt statt: Es ist der jüngste Glanzpunkt in der an Höhepunkten wahrhaftig nicht armen Geschichte von 2000 Jahren einzigartigem Kulturtransfer über einen stolzen europäischen Strom.
Den Rhein haben die Engländer erfunden. Den Rhein, wie er sich ins kulturelle Gedächtnis Europas eingegraben hat, als Fluss romantischer Empfindung und Gefühle: zurück ins Mittelalter mit seinen Burgen und Festungen, mit seinen Sagen und Legenden, mit seinen Helden und Minnesängern. Englische Touristen waren es, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts den angeblich deutschesten aller Flüsse als Reiseziel entdeckten und den ersten Reiseboom nach Koblenz, Mainz und Bingen auslösten. Erste Dampfschifffahrten wurden organisiert – ab 1827 sogar im Linienverkehr zwischen Köln und Mainz – , die regionale Wirtschaft angekurbelt, was zur Folge hatte, dass die Burgenrekonstruk- tion am Rhein eine enorme Blüte erlebte. Die deutschen Romantiker von Friedrich Schlegel und Clemens Brentano bis zu ihrem ironischen Dichterkollegen Heinrich Heine trugen das Übrige dazu bei, dass der Rhein, im Unterschied zu allen anderen deutschen Flüssen, mythisch und bald darauf auch patriotisch aufgeladen wurde. Vom "Vater" bis zur "Wacht am Rhein" verschärften sich im Lauf des Jahrhunderts die nationalistischen Töne.
In welchem Umfang und in welchen Dimensionen der Rhein die europäische Geschichte seit 2000 Jahren, seit dem Imperium Romanum, geprägt hat, macht jetzt eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn deutlich. Sie verfolgt den Anspruch, anhand von mehr als 300 Exponaten "die Biografie" des Rheins zu erzählen. Wenn denn ein fließendes Gewässer eine Lebensgeschichte haben kann: Nur zu! Natürlich ist die Bezeichnung metaphorisch gemeint. Entscheidend ist der Zusatz: "europäisch". Damit verfolgt die von Marie-Louise von Plessen kuratierte Schau in erster Linie ein geschichtspolitisches Anliegen. Sie erzählt, wie aus dem vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs erbittert umkämpften Grenzfluss ein durch das vereinte Westeuropa fließender friedlicher, vor allem dem Güterverkehr dienender Strom geworden ist. Wie der Rhein also wieder wurde, was er einst und für viele Jahrhunderte war: eine Verbindungsader für den kulturellen und ökonomischen Transfer, die den Gebieten und Städten am Rhein schon seit dem frühen Mittelalter zu Prosperität und Wissen verhalf.
Dom, Speyer
Die Bewohner der Rheinregion waren spätestens seit der Gründung der humanistisch und später auch reformatorisch geprägten Universitäten von Basel, Freiburg, Straßburg, Heidelberg Mainz, Köln, Utrecht und Leiden im Schnitt gebildeter als ihre Landsleute im Norden, Süden oder Osten. Die wie eine Perlenkette am Rhein und in seinem Umkreis aufgereihten Universitäten stellten vom 15. bis zum 17. Jahrhundert gemeinsam mit Oberitalien die dichteste Bildungslandschaft Europas dar. Diese Blüte der Erweiterung des nicht mehr rein theologisch geprägten Wissens hatte eine Vorgeschichte. Nachdem die Römer, die den Rhein bis nach Trier als Siedlungsgebiet in großem Stil erschlossen hatten, ihre Vormachtstellung in Europa verloren und als Weltmacht untergegangen waren, brach ab dem siebten Jahrhundert die Zeit der Kirche an: Die Klostergründungen von Sankt Gallen und auf der Reichenau im Bodensee gehören zu den ersten Manifestationen des klerikalen Machtanspruchs am Rhein. Die Dombauten in Worms, Speyer und Köln machten den Rhein zur Hauptachse des deutschen Katholizismus. Mit dem Machtanspruch Roms hielt die Architektur mit bedeutenden Zeugnissen Einzug am Rhein. Wer je den Speyrer Dom, die größte erhaltene romanische Kirche der Welt, besucht hat, weiß, wovon die Rede ist. Vom Kölner Dom, der erst am Ende des 19. Jahrhunderts vollendet werden konnte und heute zu den größten touristischen Attraktionen Europas zählt, ganz zu schweigen.
1819 hat Peter Birmann den „Blick vom Isteiner Klotz“ gemalt
Der Rhein, das macht die in zwölf übersichtliche Kapitel gegliederte Schau in der als Ausstellungsort wenig attraktiven Bundeskunsthalle deutlich, kann in seiner Bedeutsamkeit für die kulturelle und politische Entwicklung im Westen Europas gar nicht überschätzt werden. Seine "Biografie" zu lesen, lohnt in vielfacher Hinsicht – wobei die geographisch-geologische Sichtweise in diesem primär kulturgeschichtlichen Kontext verständlicherweise zu kurz kommt. Größeren Raum nimmt einzig das auch politisch relevante Projekt der Rheinbegradigung zwischen Basel und Bingen ein, betrieben mit großer Verve und ebensolchem Durchsetzungsvermögen von dem 1770 in Karlsruhe geborenen Ingenieur Johann Gottfried Tulla, der auch die Dreisam in ein gerades Bett gezwungen hat, bevor er den großen Fluss von seinen mäandernden Seitenarmen befreite. Wie es die Tragik seines Schicksals wollte, starb Tulla vor der Vollendung seiner weitreichenden Tat ausgerechnet an der Krankheit, von der er die Menschen am Rhein durch Trockenlegung der Sumpfgebiete befreien wollte: der durch eine Stechmücke übertragenen Malaria. Die Begradigung des Flussbetts, die den Rhein um mehr als 80 Kilometer kürzer machte – mit heute 1233 Kilometern Länge steht er in Europa ohnehin nur an siebter Stelle – war nicht nur die Voraussetzung für seine Schiffbarmachung ab Basel seit 1907.
Andreas Gursky, „Der Rhein I“ (1996)
Sie schuf am Oberlauf des Stroms auch mehr Klarheit für die Grenze zu Frankreich: Denn diese musste je nach Flussverlauf immer wieder neu justiert werden. Die Verlustrechnung von Tullas Sinn für Effizienz und klare Linien ("In der Regel sollten in kultivierten Ländern die Bäche, Flüsse und Ströme Kanäle sein") ist bis heute hoch: Die Begradigung zerstörte die Flussauen und verstärkte die Hochwassergefahr.
Der Rhein als Grenzfluss: Das wurde im nationalistischen 19. Jahrhundert zum beherrschenden Thema. Sichtweisen wie jene des französischen Dichters Victor Hugo gerieten ins Hintertreffen. In seinem Brief "Le Rhin" fasste er die vielfältigen Aspekte der Flussbetrachtung so zusammen: "Ein edler, feudaler, republikanischer, kaiserlicher Fluss, dem es gebührt, zugleich deutsch und französisch zu sein. Die ganze Geschichte von Europa (...) liegt in diesem Fluss der Krieger und Denker." Das war vielleicht auch ein Versöhnungsangebot: Denn unter der vier Jahrzehnte zuvor von den französischen Revolutionstruppen begonnenen und von Napoleon vollendeten Eroberung der linksrheinischen Gebiete gerieten zwischen Speyer und Köln alle dort liegenden deutschen Städte bis 1813 unter französische Herrschaft. Dass die Franzosen – deren Jakobinermütze in der Narrenkappe verhohnepipelt wird – in Köln den Straßenkarneval verboten, gilt bis heute als eine ihrer größten Sünden. Dafür reformierten sie die Verwaltung, räumten auf mit Kleinstaaterei und Zollwesen und verschafften den Rheinländern einen Modernitätsschub. Ein knappes Jahrzehnt, von 1794 bis 1813, bildete der Rhein tatsächlich die physische Grenze zwischen Deutschland und Frankreich.
Wacht am Rhein: Französische Soldaten am Deutschen Eck in Koblenz 1918/19
Das Aufkommen der Rheinromantik ist auch in diesem Kontext zu sehen. Die patriotischen Kräfte wurden durch die französische Besatzung geweckt – und selbst ein aufklärerischer Geist wie Friedrich Schlegel brachte es 1803 zu propagandistischen Äußerungen wie dieser: "Der Anblick dieses königlichen Stromes muss jedes deutsche Herz mit Wehmut erfüllen. Wie er mit Riesenkraft in ungeheurem Sturz herabfällt, dann mächtig seine breiten Wogen durch die fruchtreichsten Niederungen wälzt, um sich endlich in das flachere Land zu verlieren; so ist er nur das treue Bild unseres Vaterlandes, unserer Geschichte und unseres Charakters." Bis zu Ernst Moritz Arndts Kampfschrift "Der Rhein. Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze" gingen noch zehn Jahre "Franzosenzeit" am Rhein ins Land. Beim Wiener Kongress 1815 wurden die linksrheinischen Städte dann Preußen zugeschlagen. Und die "Nationalisierung eines transnationalen Stroms" (Katalog) schritt weiter voran.
Die deutsche Germania wurde gegen die französische Marianne in Stellung gebracht. Der Hamburger Kaufmann Johann Daniel Mutzenbecher notierte 1819 beim Anblick der Rheingrenze in Kehl: "Ich (...) sah zum ersten Male den Rhein, nach dessen Ufern jedes Deutsche Herz sich sehnet, pfeilschnell in seinen meergrünen Wogen vorübereilen, und schaute hinüber in das Land, dessen Bewohner, in Sitte und Gesinnung so sehr von uns abweichend, wir wohl fürchten, aber nicht lieben gelernt hatten, bis die Nemesis ihre Schaaren ereilet und uns ermuthigt hatte, mit dem Racheschwerdt sie hinauszutreiben aus den heimischen Gauen und zu bannen auf den eigenen Boden, den wahrlich Gott so schön ausstattete für so grosse moralische Verderbtheit, die auf ihm fortbeständig wuchert." Von dort aus ist es nur noch ein Schritt bis zu den donnernden Versen von Max Schneckenburgers Gedicht "Wacht am Rhein": "Es braust ein Ruf wie Donnerhall / wie Schwertgeklirr und Wogenprall: / Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein / Wer will unseres Stromes Hüter sein? /Lieb Vaterland magst ruhig sein / fest steht und treu / die Wacht am Rhein."
Michael Lio, „Rheinfall mit Kanzel und Springer“ (2005)
Kein Wunder, dass die markigen Zeilen nach ihrer Vertonung und Aufführung bei der Silberhochzeit des Prinzen Wilhelm, des späteren Kaisers Wilhelm I., zur inoffiziellen Nationalhymne des neuen deutschen Kaiserreichs wurde: Wie überhaupt die Propaganda um den "Vater Rhein" zur Keim- und Kernzelle jenes gegen Frankreich gerichteten Nationalismus wurde, der nicht nur zum deutsch-französischen Krieg 1870/71, sondern auch zur Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit seinem furchtbaren Stellungskrieg gegen den angeblichen "Erbfeind" führte. Die ganze Wucht der Rheinpropaganda entlud sich in der sogenannten "Rheinkrise" von 1840: Journalisten, Schriftsteller und Politiker beiderseits der Grenze entflammten in vehementem Streit um die Rolle des Rheins als französischer Grenzfluss oder deutsches nationales Symbol. So weit war es mit der gebrochenen Romantik von Heinrich Heines melancholischem "Loreleylied" gekommen: Aus seiner stillen Klage "Ich weiß nicht was soll es bedeuten / Daß ich so traurig bin" war ein "Ruf wie Donnerhall" geworden; und aus dem wunderbar atmosphärischen Landschaftsbild "Die Luft ist kühl und es dunkelt. / Und ruhig fließt der Rhein; / Der Gipfel des Berges funkelt /Im Abendsonnenschein" schnöder Besitzanspruch: "Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein".
Hagen versenkt den Nibelungenschatz im Rhein. (Worms)
Wem kann ein Fluss gehören?
Ganz sicher auch nicht den Industrieunternehmen, die sein Wasser für ihre Produktionsprozesse nutzen. Die gesellschaftliche Debatte um die Rheinverschmutzung durch die großen Chemieunternehmen Ciby Geigy, Sandoz, BASF und Bayer fiel nicht von ungefähr mit der Gründungsphase der Grünen zusammen. Die Zeit titelte 1982: "Wenn Gift durch die Filter dringt", der Spiegel vermutete noch fünf Jahre später: "Was in den Rhein fließt, weiß nur der liebe Gott". Am 1. November 1986 ereignete sich am Rhein die bisher größte Chemie-Umweltkatastrophe Europas, als beim Brand einer Lagerhalle der Firma Sandoz 1350 Tonnen mit Chemikalien in der Rhein gelangten und zu einem Fischsterben unvorstellbaren Ausmaßes führte. Mit 250 000 Exemplaren wurde der gesamte Aal-Bestand des Rheins vernichtet. In der Ausstellung kann man ein Video über das von den Grünen am 13. Dezember in Auggen veranstaltete "Rheintribunal" mit Hoimar von Ditfurth und Klaus Töpfer sehen: Wie sehr ist das inzwischen Geschichte. Rheinverschmutzung ist ein erstaunlich fern gerücktes Wort.
1981 hat Joseph Beuys das verschmutzte Rheinwasser abgefüllt.
Und der Sachverhalt, den es bezeichnet, offenbar nur eine kurze Episode in der langen Geschichte des Flusses – die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endlich wieder zur Friedensgeschichte geworden ist. Es war nicht zufällig ein Rheinländer, der den europäischen Gedanken in der Versöhnung mit Frankreich nach vorn gebracht hat, ein Rheinländer, der seinen Fluss so liebte, dass der Sarg mit seinen sterblichen Überresten über den Rhein von Köln in seinen Geburtsort Rhöndorf geleitet wurde. Die Rede ist natürlich von Konrad Adenauer.
Dieser Fluss hat neben vielen anderen Transferleistungen auch ganz besonders dem Handel mit der Kunst gedient.
Auch die Art Basel ist, wenn man so will, ein Produkt des Rheins: Sie wurde 1968 von Ernst Beyeler, Trudl Bruckner und Balz Hilt als direkte Reaktion auf auf Art Cologne gegründet – und übertraf nicht nur diese – sondern auch alle Erwartungen. Heute findet am Rheinknie die größte Kunstmesse der Welt statt: Es ist der jüngste Glanzpunkt in der an Höhepunkten wahrhaftig nicht armen Geschichte von 2000 Jahren einzigartigem Kulturtransfer über einen stolzen europäischen Strom.
Bundeskunsthalle Bonn. Bis 22. Januar, Di und Mi 10 – 21 Uhr, Do bis So und Feiertag 10-19 Uhr.
Burg Katz mit Loreley (St. Goarshausen)
Nota. - Die Engländer haben den Rhein erfunden, das ist wohl wahr. Aber sozusagen aus Versehen. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts gehörte es für einen jungen englichen Edelmann zum guten Ton, auf die Grand Tour durch den Koninent zu gehen - nämlich ins Land der Antike, nacht Italien und Griechenland, und der Exotik halber vielleicht auch nach Spanien. Und nach Italien kommt man aus England am bequemsten - flussaufwärts über den Rhein.
So ist auch William Turner - siehe oben - an den Rhein geraten: auf dem Weg nach Italien.
JE
Burg Katz mit Loreley (St. Goarshausen)
Nota. - Die Engländer haben den Rhein erfunden, das ist wohl wahr. Aber sozusagen aus Versehen. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts gehörte es für einen jungen englichen Edelmann zum guten Ton, auf die Grand Tour durch den Koninent zu gehen - nämlich ins Land der Antike, nacht Italien und Griechenland, und der Exotik halber vielleicht auch nach Spanien. Und nach Italien kommt man aus England am bequemsten - flussaufwärts über den Rhein.
So ist auch William Turner - siehe oben - an den Rhein geraten: auf dem Weg nach Italien.
JE
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