Mittwoch, 28. November 2018

Das Schönste.



Das Schönste, das wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht.

Albert Einstein


 

Samstag, 17. November 2018

Mussolinis Architektur als Weltkulturerbe.

aus FAZ.NET, 17.11.2018-19:14                                                        Lakkis elliptische Markthalle mit Rechteckturm

Griechische Insel Leros 
Mussolinis Architektur als Welterbe?

von Monika Etspüler, Lakki 

Die griechische Insel Leros will für ihre Architektur den Welterbestatus. Die dort gelegene Stadt Lakki wurde als Einheit im Stil des Rationalismus gebaut, sie entstand, als die Insel zu Italien gehörte.

Die Insel Leros ist so etwas wie die Unbekannte der griechischen Dodekanes-Gruppe in der östlichen Ägäis. Im Hauptort des Eilands mit achttausend Einwohnern, Agia Marina, findet man die klassische Postkartenidylle enger Gassen, weißer Fassaden und strahlendblauem Himmel über azurfarbenem Meer. Doch Leros hat noch ein anderes Gesicht, zu finden auf der Westseite der Insel in dem Ort Lakki. Die prägenden Elemente dort sind breite Straßen, Alleen mit Eukalyptusbäumen und großzügig angelegte Gebäude.



Die Uferpromenade ziert ein hufeisenförmiges Kino, dessen zylindrische Front sich dem Meer entgegenwölbt. Unweit des ehemaligen Hotels Roma ragen die hohen, schmalen Arkaden der Grundschule empor, an die sich wie ein Ufo ein rundes Atrium anschließt. Eines der architektonisch kühnsten Gebäude ist das Ensemble der elliptischen Markthalle mit viereckigem Uhrenturm, bei dem rechte Winkel, kubische und Kreisformen eine gewagte, aber harmonische Synthese eingehen.


Der Ort beginnt sich herauszuputzen. Doch viele Gebäude dämmern dem Zerfall entgegen. Dennoch ist George Trampoulis, der Leiter des historischen Archivs von Leros, der Ansicht, Lakki verdiene es, in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen zu werden. Trampoulis argumentiert mit den baulichen und historischen Besonderheiten der in den dreißiger Jahren errichteten Architektur. Lakki ist die einzige Stadt außerhalb Italiens, die als funktionsfähige Einheit im Stil des Rationalismus geplant und errichtet wurde. Diese italienische Variante der Klassischen Moderne, die sich durch Minimalismus und Funktionalismus auszeichnet, darf in einem Atemzug mit Mies van der Rohes Weißenhofsiedlung in Stuttgart genannt werden. Doch während die Wohnsiedlung des deutschen Werkbundes wegen ihrer weißen Dachterrassen als „Araberdorf“ verspottet wurde und Hitler sie abreißen lassen wollte, entwickelte sich die „Architettura Razionale“ unter Benito Mussolini zu einer Hauptströmung in der italienischen Architektur und zur vorherrschenden Stilrichtung des Faschismus.


Vormachtstellung in der Ägäis

Vorhersehbar war das nicht. Im Gegensatz zum nationalsozialistischen Deutschland hatte das faschistische Italien lange keine einheitliche Kultur- und Kunstideologie. Unterschiedliche Architekturströmungen bekämpften einander. Noch in den zwanziger Jahren dominierten verschiedene Ausprägungen des Historismus. Eine Gruppe junger italienischer Architekten war es, die diese Bauweisen angesichts der technischen und industriellen Entwicklung des frühen zwanzigsten Jahrhunderts als nicht mehr zeitgemäß empfand. Sie forderte eine Rückbesinnung auf die geometrischen Formen der Antike. Baumaterialien wie Beton, Stahl und Glas sollten Transparenz und Funktionalität unterstreichen. Damit war die Bewegung der Architettura Razionale begründet.





Als Paradebeispiele für sie gelten Musterstädte wie Sabaudia, Pontinia oder Pomezia südlich von Rom. Sie zeichnen sich durch monumentale Gebäude mit schmucklosen Fassaden aus, die einer strengen Geometrie gehorchten und entlang axialer Straßen und großer Plätze angeordnet waren. Auch auf den Inseln des Dodekanes und in den ehemaligen afrikanischen Kolonien der Italiener finden sich zahlreiche Beispiele rationalistischer Architektur. Doch wie kam es, dass fern von Rom eine ganze Stadt in diesem Stil aus dem Boden gestampft wurde?


Nach Jahrhunderten unter osmanischer Herrschaft gingen die Dodekanes-Inseln 1923 in den Besitz des Königreichs Italien über. Mussolini betrachtete die Inselgruppe als wichtigen Standort zur Sicherung seiner Vormachtstellung in der Ägäis. Lakki war damals ein unbedeutendes Dorf in sumpfiger Gegend; der Ort besaß aber den größten natürlichen Hafen im östlichen Mittelmeer, der sich hervorragend für militärische Zwecke eignete. Mussolini ließ ihn zu einem zentralen Flottenstützpunkt mit Fliegerbasis ausbauen. Parallel entstand die Stadt Lakki. An ihrer Grundstruktur hat sich bis heute nichts geändert. In Hafennähe liegt der Wirtschafts- und Geschäftsbezirk mit Kino, Hotel und Markt. Dahinter erstrecken sich die Wohnviertel, in denen die italienischen Arbeiter, Offiziere und Unteroffiziere ihre Quartiere hatten. Der Ort, geplant für einige tausend Menschen, erhielt ein Krankenhaus, eine Kirche und hieß fortan nicht mehr Lakki, sondern – wohl in Anspielung auf das riesige Hafenbecken – Porto Lago.

 

„Lakki ist zwar im rationalistischen Stil erbaut, jedoch nicht vergleichbar mit Städten wie Sabaudia“, urteilt Trampoulis. Die Architektur erreiche hier ein viel höheres Maß an Individualität und Gestaltungsvielfalt als in Italien. „Vermutlich verschaffte die große Entfernung zu Rom den Städtebauern mehr Freiräume und Möglichkeiten zum Experimentieren“, meint er. Ähnlich äußerte sich der griechische Architekt Anthony C. Antoniades schon in den achtziger Jahren. Antoniades schrieb damals, die Gebäude von Lakki sollten als glücklicher Unterschied zu den zentralen Positionen und Praktiken in ihrer dezentralen Kreativität und relativen Freiheit betrachtet werden. 


Antoniades verlangte auch, endlich die rationalistische Architektur als solche zu würdigen statt sie nur mit dem Faschismus gleichzusetzen. Architekturkritiker diskutieren freilich weiterhin darüber, ob es angemessen sei, Bauten unter rein ästhetischen Gesichtspunkten zu beurteilen, ohne die mit ihnen verknüpfte Ideologie zu berücksichtigen.


Eindeutig fiel jedoch die Reaktion der einheimischen Bevölkerung aus, nachdem die Inselgruppe 1947 an Griechenland abgetreten wurde. Für die Menschen war zunächst alles, was mit italienischer Architektur zu tun hatte, mit ihren Erfahrungen unter dem italienischen Faschismus verbunden. Diese extreme Ablehnung erklärt sich nicht zuletzt durch die Figur des Cesare Maria De Vecchi, der ab 1936 Gouverneur auf den Dodekanes war. Mit seiner aggressiven Italianisierung brachte er die Bevölkerung gegen sich auf. Er erklärte Italienisch zur offiziellen Sprache, entzog den Einheimischen das Wahlrecht. Außerdem setzte De Vecchi die antisemitischen Rassengesetze auf den Dodekanes um. Als er 1940 die Inseln verließ, blieben vor allem Ressentiments gegen alles, was mit ihm in Verbindung gebracht wurde. Mit der Folge, dass auch die rationalistischen Gebäude von Lakki verrotteten.

 
Erst allmählich wurde deren architektonische und historische Bedeutung wiederentdeckt. Mit Hilfe staatlicher und privater Gelder begann man mit Sanierungsmaßnahmen. Einer, der das Kulturerbe Lakkis zu seiner Herzensangelegenheit gemacht hat, ist der Italiener Enzo Bonanno. Jahrelang waren Bonanno und seine Frau mit ihrer Segelyacht im Mittelmeer unterwegs. 1998 legten sie in Leros an. Seitdem leben sie auf der Insel. Auf die Frage, warum, erklärt er: „Nicht wir haben die Insel gefunden, sondern die Insel uns.“ Mit dem von ihm gegründeten Verein „Freunde von Leros“ pflegt Bonanno einen regen Kulturaustausch und will die rationalistische Architektur Lakkis in der Welt bekannt machen.

Donnerstag, 15. November 2018

So bunt war die Antike.

aus Die Presse, Wien, 11. 11. 2018

Bunte Antike

Nicht nur Marmorstatuen waren einst bunt bemalt. Auch Bronzeskulpturen waren über und über farbig gestaltet.


Spätestens seit einigen Großausstellungen – zuletzt 2012/13 auch im Wiener Kunsthistorischen Museum – ist der interessierten Öffentlichkeit klar, dass das Bild der Antike in unseren Köpfen nicht immer der Realität entspricht. Konkret: Antike Statuen erstrahlten nicht in makellosem Weiß, sondern waren über und über bunt bemalt. Anders als dies der Vater der Archäologie, Johann Joachim Winckelmann, lange Zeit propagierte, wurden Gesichter einst fleischfarben gefärbt, Gewänder waren bunt gemustert, Augen lebensecht nachgebildet usw. Das zeigten moderne Analysemethoden wie etwa UV-Reflektografie oder -Fluoreszenz, mit deren Hilfe Farbreste auf dem Marmor nachgewiesen wurden.
 

Dass die Antike bunt war, ist heute Stand des Wissens – Rekonstruktionen des früheren Erscheinungsbildes sind in allen großen Museen zu bestaunen, inklusive denen in Rom und Athen.

Bei Bronzestatuen sieht die Sache anders aus: Da mit herkömmlichen Analysemethoden auf Metall kaum Spuren von Überzügen etc. nachgewiesen werden können, war man bis vor Kurzem der Meinung, dass die Metallkunstwerke ausschließlich durch die Kraft ihrer bildhauerischen Gestaltung wirken. Doch mit neuen Analysemethoden (Röntgenfluoreszenz, Thermografie) zeigte sich, dass diese Kunstwerke ebenfalls farbig gestaltet waren.

Eine auf solchen Erkenntnissen beruhende Rekonstruktion ist derzeit im Liebieghaus in Frankfurt/Main zu bewundern. In der Sonderausstellung „Medeas Liebe“ werden Nachbildungen von zwei lebensgroßen Statuen gezeigt, die 1885 am Quirinalshügel in Rom gefunden wurden. Laut Ausstellungskurator Vinzenz Brinkmann handelt es sich um Amykos und Polydeukes, zwei Gestalten aus der Argonautensage, die sich einen heftigen Faustkampf geliefert haben. Die Platzwunden, Beulen, Blutergüsse und -tropfen sind mit roten Kupfer- und Granateinlagen betont (für die es im Original Aussparungen in der Bronze gab), die Augäpfel wurden mehrfarbig aus geschnittenen Steinen ergänzt, die Haut- und Haarpartien mit schwefeligen Substanzen und mit in Leinöl gelöstem Bitumen gezielt in unterschiedlichen Farbtönen patiniert.


Im Detail kann man über die Rekonstruktionen sicherlich streiten – Brinkmann spricht auch von einem „Vorschlag zum originalen polychromen Erscheinungsbild“. Doch der Gesamteindruck ist schlicht überwältigend! So wird Antike erlebbar – und selbst jene alten Mythen, die wir aus der Schulzeit als verstaubt und verworren in Erinnerung haben, werden wieder lebendig.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.


(C) Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main


Pressetext Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main: 

Besonders interessant ist, dass die Macher der Ausstellung den Faustkämpfer vom Quirinal in der Argonautensage verorten. „Die Argonautensage ist Themenkomplex der griechischen Mythologie und handelt von der Fahrt des Iason und seiner Begleiter nach Kolchis im Kaukasus, der Suche nach dem Goldenen Vlies und dessen Raub. Die Reisegefährten werden nach ihrem sagenhaft schnellen Schiff, der Argo, die Argonauten genannt.“ (Wikipedia) „Seit ihrer Auffindung 1885 ist die Deutung der berühmten Bronzen vom Quirinal, des sog. Faustkämpfers und des sog. Thermenherrschers, umstritten. Untersuchungen im Kontext der vom Liebieghaus betriebenen Polychromieforschung haben neue Erkenntnisse zur formalen und erzählerischen Gestaltung der beiden Bronzen erbracht und ihre Deutung als Darstellung eines der zentralen Abenteuer der Argonautensage bestätigt. Dadurch rückt die Gruppe in den Fokus des Ausstellungsprojektes, für das ein aufwendiger Nachguss der Statuen realisiert wurde. (…)

Seit ihrer Auffindung 1885 in Rom ist die Deutung des sog. Faustkämpfers und des sog. Thermenherrschers, zwei der wenigen im Original erhaltenen griechischen Großbronzen, umstritten. Anfänglich wurden beide Bronzefiguren einer Statuengruppe zugeordnet. Später konstatierte man einen abweichenden Zeitstil und bestritt die Zusammengehörigkeit.
 

Als man noch eine gemeinsame Herkunft der Bronzen annahm, schlug man für die Deutung der Figuren bereits eine Begebenheit aus der griechischen Argonautensage vor: Der griechische Held Polydeukes, Bruder des Kastor, besiegt im fernen Thrakien Amykos, den boxsüchtigen König der thrakischen Bebryker, im Faustkampf. (…).


 
Die Untersuchungen im Kontext des Liebieghaus Polychromieprojekts haben neue Erkenntnisse zur formalen und erzählerischen Gestaltung der beiden Bronzen erbracht. Es kann nun in der Ausstellung gezeigt werden, dass der sog. Thermenherrscher Schwellungen an Gesicht und Ohren sowie an den Händen aufweist. Dies legt nahe, dass auch diese Statue eine Person zeigt, die gerade einen schweren Boxkampf gerungen hat. Ebenso ließen sich für den Faustkämpfer neue Erkenntnisse gewinnen: An seiner Brust haben sich Ritzungen einer „barbarischen“ Körperbehaarung finden lassen. Dieses „ungepflegte“ Körperhaar macht die Figur unzweideutig zur Darstellung eines Nichtgriechen.
 
Durch die Bestätigung der Deutung der berühmten Bronzen vom Quirinal als Darstellung eines der zentralen Abenteuer der Argonautensage rückt die Gruppe in den Fokus der Ausstellung. Die soeben fertiggestellten spektakulären Rekonstruktionen der Statuen zeigen wichtige narrative Elemente, die die Erzählung um die Figuren Polydeukes und Amykos besonders anschaulich machen.