Hermen Anglada Camarasa Bäume beim Kloster Montserrat, 1938
Es ist wahr - mehr als jedes andere Genre verführt die Landschaft zur Manier.
Mehr als jedes andere Genre verführt sie aber auch dazu, sich an eine herrschende Manier nicht zu halten.
Hermen Anglada Camarasa Caleta um 1930
Dienstag, 29. Mai 2018
Freitag, 25. Mai 2018
Ölskizzen von Rubens im Prado.
Skizze zu Der wunderbare Fischzug, um 1610
Paul Ingendaay berichtet in der FAZ vom 23. Mai über die Ausstellung im Prado von 73 der fast 500 Ölskizzen, die Rubens im Lauf seines Lebens angefertigt hat. Rund 1400 Ölgemälde sind erhalten, die von ihm signiert, aber zum größten Teil von seiner Werstatt angefertigt wurden. Dort waren bis zu zwanzig Assistenten tätig, unter ihnen zeitweilig Anthonis van Dyck.
Skizze zu Prometheus, 1636
Jan Cossiers, Prometheus bringt das Feuer, 1637. Cossier war ein Mitarbeiter von Rubens und galt nach dessen Tod als sein Nachfolger
... Skizzen dienten meistens dem Auftraggeber, der sich ein Bild von den Einfällen des Künstlers machen wollte, bevor er sich festlegte, oft aber auch den Mitarbeitern im Atelier, die große Flächen auszumalen hatten und genaue Instruktionen brauchten. Zu anderen Gelegenheiten scheint Rubens die Ölskizze nur für sich selbst gemalt zu haben. Fest steht jedenfalls: Er wusste, was er tat, und er war stolz darauf. Die Ölskizze einer detailreichen, farbintensiven „Beschneidung“ (um 1605) etwa existiert neben einer kleinen, in Planquadrate aufgeteilten Bleistiftskizze derselben Szene, die als Vorlage für die Auftragsarbeit für eine Jesuitenkirche in Genua diente.
Skizze zu Die Beschneidung Christi um 1605. Auch hierzu scheint es keine Ausfertigung auf Leinwand zu geben
Vielleicht hat Rubens die Ölskizze erst nach Abschluss des Auftrags und zur Erinnerung an ein von ihm selbst geschätztes Werk gemalt. Dafür spricht, dass er sich nie davon getrennt hat. Im Fall der Ölskizze „Der wunderbare Fischzug“ (um 1610) mit ihren erdigen Braun- und Blautönen und ihren muskelbepackten Fischern, deren Anatomie auf Rubens’ Studien der italienischen Jahre zurückgeht, gibt es überhaupt kein großes Ölbild dazu. Die Komposition der knapp 50 mal 40 Zentimeter großen Tafel lebt aber in einem Stich von Pieter Soutman fort, der um 1620 in Rubens’ Werkstatt arbeitete und dessen Urheberschaft mit der Formel „Rubens inv.“ am Bildrand attestiert. Nicht „gemalt“, also realisiert, sondern nur „erfunden“ (und skizziert) hat der Meister das Motiv. ...
„Rubens als Skizzenmaler“. Madrid, Prado; bis zum 5. August. Vom 8. September 2018 bis 13. Januar 2019 im Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam. Der broschierte Katalog in englischer oder spanischer Sprache kostet 28 Euro.
Skizze zu Vertreibung aus dem Paradies, um 1620. Auch hierzu gibt es anscheinend keine vollendete Version.
Nota. - Ich muss es doch mal sagen: So richtig gefallen will mir Rubens nicht. Aber vieles ist doch außerordentlich be- eindruckend. Die Machart ist oft kühn, in den Skizzen sicher kühner als in den Stücken, die fürs zahlende Publikum be- stimmt waren. Und die Kühnheit ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern steht im Dienst einer außerordentlichen Ex- pressivität - in den Skizzen sicher expressiver als in den Stücken fürs zahlende Publikum. Impressionistisch kann ich, anders als der Rezensent, eigentlich gar nichts finden.
Rubens ist so gut, dass auch für Hans Makart noch eine Scheibe abfällt.
JE
Paul Ingendaay berichtet in der FAZ vom 23. Mai über die Ausstellung im Prado von 73 der fast 500 Ölskizzen, die Rubens im Lauf seines Lebens angefertigt hat. Rund 1400 Ölgemälde sind erhalten, die von ihm signiert, aber zum größten Teil von seiner Werstatt angefertigt wurden. Dort waren bis zu zwanzig Assistenten tätig, unter ihnen zeitweilig Anthonis van Dyck.
... Vorstudien zu
Gemälden wurden in Bleistift und Kohle angefertigt, bis Tintoretto,
Caravaggio und Beccafumi im sechzehnten Jahrhundert auch Ölskizzen
malten: Aus dem disegno wurde ein bozzetto. Rubens
studierte diese Werke nicht nur, sondern sammelte, kopierte und
überarbeitete sie: Mit Hilfe seiner Vorbilder entwickelte er die eigenen
ästhetischen Vorstellungen. Dass er selbst immer häufiger gleich in Öl
skizzierte und die Grenzen zum Auftragswerk verwischte, dürfte an der
Überfülle seiner Einfälle und der Leichtigkeit seines Pinsels gelegen
haben.
Skizze zu Löwenjagd, um 1615
Löwenjagd 1621
Der Reiz der Ausstellung im Prado liegt in der Aura des Unfertigen, Spontanen, soeben erst Gemachten. Dabei variiert der Grad der Unabgeschlossenheit stark. Die Skizzen zur „Löwenjagd“ (das fertige Ölbild hängt in der Alten Pinakothek) sind nahezu monochrom, mit breiter, Streifen hinterlassender Pinselgrundierung, mit hellen Brauntönen und Akzenten von Weiß. Das erinnert eher an eine Goya-Radierung als an ein großformatiges Barockgemälde. ...
Löwenjagd 1621
Der Reiz der Ausstellung im Prado liegt in der Aura des Unfertigen, Spontanen, soeben erst Gemachten. Dabei variiert der Grad der Unabgeschlossenheit stark. Die Skizzen zur „Löwenjagd“ (das fertige Ölbild hängt in der Alten Pinakothek) sind nahezu monochrom, mit breiter, Streifen hinterlassender Pinselgrundierung, mit hellen Brauntönen und Akzenten von Weiß. Das erinnert eher an eine Goya-Radierung als an ein großformatiges Barockgemälde. ...
Jan Cossiers, Prometheus bringt das Feuer, 1637. Cossier war ein Mitarbeiter von Rubens und galt nach dessen Tod als sein Nachfolger
... Skizzen dienten meistens dem Auftraggeber, der sich ein Bild von den Einfällen des Künstlers machen wollte, bevor er sich festlegte, oft aber auch den Mitarbeitern im Atelier, die große Flächen auszumalen hatten und genaue Instruktionen brauchten. Zu anderen Gelegenheiten scheint Rubens die Ölskizze nur für sich selbst gemalt zu haben. Fest steht jedenfalls: Er wusste, was er tat, und er war stolz darauf. Die Ölskizze einer detailreichen, farbintensiven „Beschneidung“ (um 1605) etwa existiert neben einer kleinen, in Planquadrate aufgeteilten Bleistiftskizze derselben Szene, die als Vorlage für die Auftragsarbeit für eine Jesuitenkirche in Genua diente.
Skizze zu Die Beschneidung Christi um 1605. Auch hierzu scheint es keine Ausfertigung auf Leinwand zu geben
Vielleicht hat Rubens die Ölskizze erst nach Abschluss des Auftrags und zur Erinnerung an ein von ihm selbst geschätztes Werk gemalt. Dafür spricht, dass er sich nie davon getrennt hat. Im Fall der Ölskizze „Der wunderbare Fischzug“ (um 1610) mit ihren erdigen Braun- und Blautönen und ihren muskelbepackten Fischern, deren Anatomie auf Rubens’ Studien der italienischen Jahre zurückgeht, gibt es überhaupt kein großes Ölbild dazu. Die Komposition der knapp 50 mal 40 Zentimeter großen Tafel lebt aber in einem Stich von Pieter Soutman fort, der um 1620 in Rubens’ Werkstatt arbeitete und dessen Urheberschaft mit der Formel „Rubens inv.“ am Bildrand attestiert. Nicht „gemalt“, also realisiert, sondern nur „erfunden“ (und skizziert) hat der Meister das Motiv. ...
„Rubens als Skizzenmaler“. Madrid, Prado; bis zum 5. August. Vom 8. September 2018 bis 13. Januar 2019 im Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam. Der broschierte Katalog in englischer oder spanischer Sprache kostet 28 Euro.
Nota. - Ich muss es doch mal sagen: So richtig gefallen will mir Rubens nicht. Aber vieles ist doch außerordentlich be- eindruckend. Die Machart ist oft kühn, in den Skizzen sicher kühner als in den Stücken, die fürs zahlende Publikum be- stimmt waren. Und die Kühnheit ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern steht im Dienst einer außerordentlichen Ex- pressivität - in den Skizzen sicher expressiver als in den Stücken fürs zahlende Publikum. Impressionistisch kann ich, anders als der Rezensent, eigentlich gar nichts finden.
Rubens ist so gut, dass auch für Hans Makart noch eine Scheibe abfällt.
JE
Erste Geigen sollten Menschenstimmen imitieren.
aus derStandard.at, 23. Mai 2018, 06:00
Frühe Geigen sollten menschliche Stimmen imitieren
Neue Analysen stützen die Hypothese, dass sich die ersten Geigenbauern Gesang zum Vorbild nahmen.
Frühe Geigen sollten menschliche Stimmen imitieren
Neue Analysen stützen die Hypothese, dass sich die ersten Geigenbauern Gesang zum Vorbild nahmen.
Washington/Wien – Musikhistoriker haben den Verdacht schon lange, nun untermauern Forscher die Vermutung mit technischen Methoden: Frühe Geigenbauer dürften mit ihren Instrumenten die menschliche Stimme nachzuahmen versucht haben. Die ersten modernen Geigen aus dem 16. Jahrhundert "konnten dieselben klanglichen Charakteristika erzeugen wie menschliche Stimmen", resümiert eine Forschergruppe der Universität Taiwan im Fachblatt "PNAS".
Für ihre Studie nahmen die Wissenschafter zunächst Tonproben von 15 frühen Geigen auf – unter ihnen ein Instrument, das der Vater des modernen Geigenbaus, Andrea Amati aus dem italienischen Cremona, 1570 konstruiert hatte. Auch der Klang mehrerer Geigen aus der berühmten Stradivari-Familie wurde ausgewertet.
Vergleichbare Klangfarbe
Dann nahmen die Forscher die Stimmen von je acht männlichen und weiblichen Sängern auf, die Tonleitern sangen. Die Ergebnisse von Instrumenten und Sängern glichen sie mithilfe einer Software zur elektronischen Akustikanalyse ab – und trafen auf viele Übereinstimmungen in der jeweiligen Klangfarbe.
Die berühmte Amati-Geige etwa ahme offenbar männliche Singstimmen in Bass- oder Baritonlage nach. Dieser Befund "lässt es wahrscheinlicher erscheinen, dass die Geigenbaumeister dieser Epoche die Instrumente gebaut haben, um männliche Stimmen zu imitieren", schreiben die Forscher.
Bei den Stradivari-Geigen stellten sie die Besonderheit fest, dass diese eher an weiblichen Singstimmen – etwa in der Alt-Lage – herankommen. (APA, red, 23.5.2018)
Stradivari, 17. Jhdt.
aus scinexxViolinen: Stradivaris "singen" wie Tenöre
Italienische Geigen ahmen Klangspektrum der menschlichen Stimme nach
Stimme als Vorbild: Der Wohlklang der berühmten Geigen von Stradivari und Amati kommt nicht von ungefähr, wie eine Analyse ihres Klangspektrums enthüllt. Die alten Geigenbaumeister konstruierten ihre Violinen demnach bewusst so, dass sie wie die menschliche Singstimme klingen. Interessant auch: Der Klang der frühesten Geigen ähnelt eher der männlichen Bariton- und Bassstimme. Stradivari dagegen imitierte mit seinen Instrumenten die etwas höhere Tenor- und Altstimme.
Ob Stradivari, Amati oder Guarneri – die Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus gelten bis heute als besonders wohltönend. Worin das Geheimnis ihres Klangs liegt, ist jedoch bis heute nur in Teilen geklärt. So scheinen unter anderem die Form des Schallochs sowie das Holz und seine Vorbehandlung eine wichtige Rolle zu spielen. Auch ein Pilzbefall des Holzes trägt zum Wohlklang der Instrumente bei.
"Wie die perfekteste menschliche Stimme"
Doch was zeichnet den besonderen Klang dieser Geigen aus? Eine Hypothese dazu hatte bereits vor gut 250 Jahren der italienische Komponist und Violin-Pädagoge Geminiani: 1751 schrieb er, dass der ideale Geigenklang "der perfektesten menschlichen Stimme nahekommen soll." Könnte darin das Geheimnis der Amati und Stradivari-Violinen liegen?
Um das herauszufinden, haben Hwan-Ching Tai von der Nationalen Universität Taiwan und seine Kollegen den Klang von sechs Stradivaris, einer Geige von Andrea Amati und acht weiteren Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus analysiert. Sie verglichen das Klangspektrum mit dem von acht weiblichen und männlichen Sängern, die jeweils eine chromatische Tonleiter auf verschiedenen Vokale sangen.
Amati-Violinen klingen wie ein Bariton
Das Ergebnis: Tatsächlich ähnelt das Klangspektrum der alten Violinen stark dem der menschlichen Singstimme, wie die Forscher herausfanden. Geigenklang und Stimme gleichen sich dabei vor allem in vier wesentlichen Formanten – den Frequenzbereichen, die durch Resonanzeffekte besonders hervortreten. An ihnen erkennen wir beim Gesang unter anderem das Geschlecht des Sängers und welche Vokale er gerade singt.
Die Violinen von Amati und einem seiner Schüler klingen demnach wie eine männliche Bariton- und Bassstimme, die ein offenes "e" singt. "Die frühen Geigenbaumeister in Cremona und Brescia konstruierten ihre Geigen offenbar bewusst so, dass sie die männliche Stimme nachahmten", so Tai und seine Kollegen. Das erscheine plausibel, weil zur damaligen Zeit die meisten öffentlich auftretenden Sänger Männer waren.
Das Klangspektrum von Stradivari-Geigen liegt etwas
höher als das anderer Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus.
Stradivaris "singen" in Tenor und Alt
Anders jedoch Stradivari, der gut 100 Jahre nach Amati lebte. "Stradivari verschob die Resonanzpunkte bei seinen Violinen nach oben", berichten die Forscher. "Seine Violinen klingen dadurch eher wie eine Tenor- oder Altstimme und sind der weiblichen Stimme näher als die älteren Geigen." Gleichzeitig ist ihr Ton offener und ähnelt daher eher einem Vokal, der weiter vorne im Mund gesprochen wird.
Nach Ansicht der Forscher könnte dies erklären, warum der Klang von Stradivaris oft als besonders brillant, hell und gleichzeitig rund beschrieben wird. Stradivari selbst könnte mit dieser Anpassung des Klangspektrums einem Trend der Zeit gefolgt sein. Denn ab Anfang des 17. Jahrhunderts begannen auch weibliche Sängerinnen aufzutreten und erfreuten sich wachsender Beliebtheit. "Die akustische Entwicklung von Amati zu Stradivari könnte diese zunehmende Popularität von Sängerinnen widerspiegeln", sagen Tai und seine Kollegen.
In jedem Falle demonstrieren diese Ergebnisse, dass Geminiani mit seiner Beschreibung von "idealen Geigen" Recht hatte: Sie sind der menschlichen Stimme tatsächlich besonders ähnlich. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2018; doi: 10.1073/pnas.1800666115)
Doch was zeichnet den besonderen Klang dieser Geigen aus? Eine Hypothese dazu hatte bereits vor gut 250 Jahren der italienische Komponist und Violin-Pädagoge Geminiani: 1751 schrieb er, dass der ideale Geigenklang "der perfektesten menschlichen Stimme nahekommen soll." Könnte darin das Geheimnis der Amati und Stradivari-Violinen liegen?
Um das herauszufinden, haben Hwan-Ching Tai von der Nationalen Universität Taiwan und seine Kollegen den Klang von sechs Stradivaris, einer Geige von Andrea Amati und acht weiteren Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus analysiert. Sie verglichen das Klangspektrum mit dem von acht weiblichen und männlichen Sängern, die jeweils eine chromatische Tonleiter auf verschiedenen Vokale sangen.
Amati-Violinen klingen wie ein Bariton
Das Ergebnis: Tatsächlich ähnelt das Klangspektrum der alten Violinen stark dem der menschlichen Singstimme, wie die Forscher herausfanden. Geigenklang und Stimme gleichen sich dabei vor allem in vier wesentlichen Formanten – den Frequenzbereichen, die durch Resonanzeffekte besonders hervortreten. An ihnen erkennen wir beim Gesang unter anderem das Geschlecht des Sängers und welche Vokale er gerade singt.
Die Violinen von Amati und einem seiner Schüler klingen demnach wie eine männliche Bariton- und Bassstimme, die ein offenes "e" singt. "Die frühen Geigenbaumeister in Cremona und Brescia konstruierten ihre Geigen offenbar bewusst so, dass sie die männliche Stimme nachahmten", so Tai und seine Kollegen. Das erscheine plausibel, weil zur damaligen Zeit die meisten öffentlich auftretenden Sänger Männer waren.
Das Klangspektrum von Stradivari-Geigen liegt etwas
höher als das anderer Violinen aus der Blütezeit des italienischen Geigenbaus.
Stradivaris "singen" in Tenor und Alt
Anders jedoch Stradivari, der gut 100 Jahre nach Amati lebte. "Stradivari verschob die Resonanzpunkte bei seinen Violinen nach oben", berichten die Forscher. "Seine Violinen klingen dadurch eher wie eine Tenor- oder Altstimme und sind der weiblichen Stimme näher als die älteren Geigen." Gleichzeitig ist ihr Ton offener und ähnelt daher eher einem Vokal, der weiter vorne im Mund gesprochen wird.
Nach Ansicht der Forscher könnte dies erklären, warum der Klang von Stradivaris oft als besonders brillant, hell und gleichzeitig rund beschrieben wird. Stradivari selbst könnte mit dieser Anpassung des Klangspektrums einem Trend der Zeit gefolgt sein. Denn ab Anfang des 17. Jahrhunderts begannen auch weibliche Sängerinnen aufzutreten und erfreuten sich wachsender Beliebtheit. "Die akustische Entwicklung von Amati zu Stradivari könnte diese zunehmende Popularität von Sängerinnen widerspiegeln", sagen Tai und seine Kollegen.
In jedem Falle demonstrieren diese Ergebnisse, dass Geminiani mit seiner Beschreibung von "idealen Geigen" Recht hatte: Sie sind der menschlichen Stimme tatsächlich besonders ähnlich. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2018; doi: 10.1073/pnas.1800666115)
(PNAS, 23.05.2018 - NPO)
Nota. - Bis weit ins 18. Jahrhundert wurden auch Altpartien zumeist nicht von Frauen, sondern von männlichen Sängern vorgetragen - Kastraten, falsettierenden Jünglingen oder Knaben vor dem Stimmbruch. Das gilt sogar für Soprane, die aber von den frühen Geigen kaum erreicht werden. Es kann aber sehr gut seit, dass die Stradivari-Geigen den Sängerin- nen den Weg geebnet haben.
JE
Donnerstag, 24. Mai 2018
Über die früheste Romantik.
Hölderlin hat 1794 und '95 in Jena Fichtes Vorlesungen zur Wissenschaftslehre gehört. Fichtes Wissenschaftslehre sei, schreibt Egon Friedell, "eine radikale Künstlerphilosophie. Und die Romantiker verstanden sie und machten Fichte zu ihrem Pro- pheten".* Auf Fichtes Vortrag nimmt der obige Aufsatz aus dem Frühjahr 1795 unmittelbar Bezug, doch das Verständnis erscheint in einem eignen Licht.
Damit, dass die Identität von Subjekt und Objekt mit dem aboluten Sein nicht 'identisch' sei, hat Hölderlin wohl Recht. Das Ich der intellektuellen Anschauung 'ist' keineswegs absolut; es 'ist' lediglich im actus der intellektuellen Anschauung, nicht vorher, nicht nachher. Es 'ist' Noumenon und wird im besten Fall Idee, als Postulat. Das wäre Hölderlin offenbar nicht genug. Er will ein absolutes Sein - was er in der Transzendentalphilophie freilich niemals würde finden können.
Was Transzendentalphilosophie bedeutet, verstanden sie mehr intuitiv, in der Vorstellung, als rationell - nach Begriffen. Dass es eine intelligible Welt im Modus des Als-ob gäbe, an deren Maßstab das Wirkliche blass und dürftig wirkt, war ihnen als Künstlern ein Apriori und gewissermaßen ihre Existenzgrundlage. Aber die romantische Weltauffassung liebäugelt mit der Möglichkeit, im Als-ob zu leben; das reale Individuum im Alltag mit dem transzendentalen Subjekt zum Absoluten Ich zu vereinen.
Das ist keinem von ihnen gelungen, Friedrich Schlegel wird zum Agenten Metternichs und zum Spitzel des Vatikans, Novalis verliert den Verstand und stirbt seiner zwölfjährigen Verlobten nach, Brentano wird zum frommen Schwärmer; und Hölderlin verbringt den Rest seines Lebens im Turm überm Neckar.
Der einzige Romantiker, der den Versuch durchgehalten hat, indem er den Zwiespalt zu seinem täglich' Brot machte, war der Berliner Amtsgerichtsrat Hoffmann. Na ja, es war wohl doch eher ein täglich' Rausch.
Wo bei Hölderlin der transzendentale Standpunkt doch irgendwie erhalten bliebe, kann ich nicht sagen, so gut kenne ich mich in der schönen Literatur nicht aus. Bei den Jenaer Romantikern ist es jedenfalls die Ironie, von der Hölderlin ganz frei ist (so- fern man nicht die Gedichte aus dem Turm darunter fasst). In ihr erscheint das Einereseits-andererseits und Sowohl-als-auch als lebenspraktische Einheit, Ironie ist der Modus des Künstlerlebens. Und ob man diesen Standpunkt durchhalten kann, ist daher ebenfalls eine lebenspraktische Frage; siehe oben.
*) in Kulturgeschichte der Neuzeit, III. Buch, 3. Kapitel
Mittwoch, 23. Mai 2018
Robert Clark, gen. Indiana.
Ein tragischer Riesenerfolg
LOVE: vier Buchstaben als Drama eines Lebens. Robert Indiana hat das vermutlich meistreproduzierte Kunstwerk der Welt geschaffen. Und bezeichnete es als "schrecklichen Fehler".
Um zu illustrieren, dass Liebe manchmal vor allem Leiden schafft, nimmt man am besten ein L und ein O und setzt sie auf ein V und ein E. Es hilft, wenn das O kokett kursiv gestellt ist.
Der Künstler Robert Clark, der sich nach seinem Heimatstaat Indiana nannte, hat das 1962 getan und sich tatsächlich nie wieder so recht davon erholt. Noch vor vier Jahren hat er auf NPR - das ist so etwas wie der Deutschlandfunk Amerikas - darüber geklagt, wie sehr er für den Rest des Lebens unter diesem Einfall gelitten habe: ",LOVE' bit me". Das Werk habe ihm geschadet. Es sei "eine wunderbare Idee" gewesen, "aber auch ein schrecklicher Fehler".
Wahrscheinlich ahnen die meisten davon nichts, die sich heute vor der Skulptur auf New Yorks Sixth Avenue Ecke 55th Street feixend fotografieren lassen.
Oder vor der in Philadelphia.
Oder vor der in Indianapolis.
Oder vor einer der vielen anderen, die oft allerdings ohne Zustimmung, mitunter wohl auch ohne das Wissen von Indiana irgendwo aufgestellt worden sind.
Wahrscheinlich haben die meisten, die sich mit dem Selfiestick vor diese vier Buchstaben stellen, gar keine Ahnung, was für ein Grabstein das in Wahrheit ist. Und was für eine Karriere er besiegelte. Robert Indiana, der damals gerade anfing, sich so zu nennen, war um 1960 herum dabei, einer der Stars der gerade aufkommenden Pop Art zu werden, ein Name von ähnlicher Strahlkraft wie Warhol oder Rauschenberg - auch wenn Indiana immer behaupten sollte, mit Pop Art nichts zu tun zu haben; er selbst zählte sich strikt zu den Malern des "Hard edge"-Stils, die mit kühler Scharfkantigkeit seit den Fünfzigern gegen das Gestische und Verkleckerte der bis dahin vorherrschenden Abstrakten Expressionisten opponierten. Aber er hatte sich nun einmal mit Assemblagen und Bildern einen Namen gemacht, die durchaus der Sensibilität der Pop Art für die Optik der amerikanischen Alltagskultur entsprachen.
Abstrakter Expressionist (noch von der frühen, besseren Art) um 1949
Wie in einem unruhigen Traum während eines nicht enden wollenden Road Trips
Er war der für New Yorker Verhältnisse exotische Junge aus dem Innersten dieses Amerikas, ein Mittelwestler, der 1928 in einem Ort namens New Castle geboren worden war und während der Zeit der Depression kreuz und quer mit seiner Familie durch Indiana zog, dann drei Jahre bei der Air Force war, mit einem Militärstipendium Kunst in Chicago studierte, dann auch kurz in Maine und in Schottland, und schließlich mit diesem Gepäck in New York landete.
Indiana gehörte zu dem Kreis von jungen Künstlern, die sich Anfang der Fünfziger am Coenties Slip niedergelassen hatten, einer vergessenen Gasse an der Südspitze von Manhattan. Agnes Martin gehörte dazu, James Rosenquist auch, vor allem aber Ellsworth Kelly, mit dem Robert Indiana damals offen als Paar zusammenlebte.
Ellsworth Kelly, Cité, 1951
Während sich auch in Kellys Variante der Hard-edge-Malerei durchaus noch Spuren der amerikanischen Landschaft finden ließen, nur eben stark zu nahezu ungegenständlichen Farbflächen abstrahiert, erzählte Indianas Kunst von den visuellen Eindrücken, die das flache Binnenland hinterlassen hatte: von rätselhaften Zeichen, die mit der Folie auf Säcke gemalt werden, auf die Nummern und Buchstabencodes an den Hecks der Lkw, von Spielautomaten im Truckstop, von Dollars und von Pennys und Nickels (der Penny ist die Ein-Cent-, der Nickel die Fünf-Cent-Münze). All diese Zeichen geistern fortan auf Indianas Bildern herum wie in einem unruhigen Traum während eines nicht enden wollenden Roadtrips irgendwo in einem Motel. Mehr - und modernere, sinisterere - Americana ging fast nicht. Und so hieß dann das erste Gemälde, das das Museum of Modern Art 1962 von Indiana kaufte, auch "American Dream #1".
American Dream #1
Das große, tückische MoMA ... Im Rückblick hat es etwas von einem Menetekel. Besteht der amerikanische Traum Nummer eins nicht darin, "es zu schaffen", aus kleinen Verhältnissen zu enormem Erfolg zu kommen?
Nun: In demselben Jahr passierte Indiana "LOVE". Vorbild war auch hier letztlich so ein Midwest-Bild vom Straßenrand, die schreiende Werbung der Kirchen: LOVE GOD usw. Das Junior Council des MoMA bestellte eine Druckversion davon für die Weihnachtskarten des Jahres 1965. Damit kam der Riesenerfolg. Aber damit kam auch die Tragik über Indiana. Aus einem Künstler, der sich mit Gebrauchsgrafischem beschäftigte, wurde so nun selbst ein Gebrauchsgrafiker, der sein einmal gefundenes Schema fortan für alle möglichen Vierbuchstabenworte hergab, und wenn er es nicht selbst hergab, wurde es einfach genommen. Es half auch nicht unbedingt, dass die US Postal Services 1973 "LOVE" auf eine Briefmarke druckten. Die ist bis heute rund 300 Millionen Mal hergestellt worden und Robert Indiana damit vermutlich der Schöpfer des meistreproduzierten Kunstwerkes der Welt. Gebracht hat es ihm wenig. 1000 Dollar Pauschalhonorar, um genau zu sein. Und die Ächtung durch den gnadenlosen, auch gnadenlos elitären und dünkelhaften Kunstbetrieb New Yorks.
Indiana zog sich damals ins Exil nach Maine zurück und wartete
darauf, dass das MoMA ihn mit der Retrospektive rehabilitieren würde,
die einem amerikanischen Künstler erst den Adelsschlag verleiht. Als er
lange genug gewartet hatte, um zu spüren, dass es damit wohl nichts mehr
werden würde, ließ er die Sache im Whitney Museum geschehen. 2013 war das, die Ausstellung hieß folgerichtig "Beyond Love" und wurde tatsächlich zur großen, durchaus berührenden Rehabilitation.
Der Ärger, vor allem um LOVE, blieb leider. Vorige Woche erst hat
die Morgan Art Foundation, die von Indiana die Verwertungsrechte für
seine beliebtesten Motive erhalten hatte, Klage gegen einen
Kunstdruckhändler und einen Haushälter eingereicht, die beschuldigt
wurden, den alten Mann auf seiner Insel vor der Küste von Maine zu
isolieren und auszubeuten.
American Dream #5
Man kann nur vermuten, wie Robert Indiana selbst dieses Theater empfand. Am Samstag ist er im Alter von 89 Jahren in seinem Haus in Vinalhaven gestorben.
Dienstag, 22. Mai 2018
Smooth Criminal.
Michael Jacksons "unmögliche" Kippe
Was steckte hinter der 45°-Neigung des "King of Pop" in Videos und Live-Auftritten?
Michael Jackson ist für seinen ungewöhnlichen und innovativen
Tanzstil bis heute berühmt. Der "King of Pop" verblüffte seine Fans
seine Fans immer wieder durch neue Moves" - vom Moonwalk über
Breakdance-ähnlich Bewegungen bis hin zu verwirrend schnellen
Schrittkombinationen. Doch 1987 zeigte der Künstler in seinem Musikvideo
"Smooth Criminal" eine Bewegung, die komplett unmöglich schien: Er
neigte seinen gesamten Körper um 45 Grad nach vorne - und stand dabei
gerade und steif wie ein Brett, scheinbar nur von seinen Füßen am Boden
gehalten.
Das Problem mit dem Schwerpunkt
Das Aufsehenerregende daran: Ein so weites Nachvorneneigen ist eigentlich unmöglich. Jeder normale Mensch würde dabei umfallen, weil ihn die Schwerkraft zu Boden zieht. Denn bei einer solchen Neigung liegt der Körperschwerpunkt weit vor den Füßen und das macht das Halten der Balance unmöglich. "Selbst Tänzer mit großer Rumpfkraft erreichen dabei nur ein Maximum von 25 bis 30 Grad Neigung", erklären Nishant Yagnick und Sandeep Mohindra vom Institut für Medizinische Forschung in Chandigarh.
Für Michael Jackson schien dies dagegen kein Problem zu sein. Zunächst vermuteten viele, im Video wäre mittels Special-Effects getrickst worden. Doch Jackson zeigte seine "magische Kippe" auch in Live-Konzerten weltweit. "Generationen von Fans haben seither versucht, diese Bewegung nachzuahmen", so die Forscher. Nicht selten kam es dabei zu Verletzungen. "Aber wie schaffte Jackson das Unmögliche?"
Der Trick dahinter
Des Rätsels Lösung liefert ein Patent, das Michael Jackson damals unter seinem Namen einreichte. In ihm beschreibt er den Trick, der ihm die scheinbar gegen alle Schwerkraft gefeite 45°-Neigung erlaubte. "Zusammen mit seinen Miterfindern hatte Jackson einen Spezialschuh entwickelt, der in der Ferse einen dreikantigen Schlitz besaß", berichten Yagnick und Mohindra. "In diesen Schlitz konnte man einen aus dem Boden ragenden Metallstift einrasten – und so zusätzlichen Halt gewinnen."
Wenn
Michael Jackson seine "magische Kippe" vorführen wollte, ging er auf
der Bühne einfach an eine bestimmte Stelle, in der der Metallstift
eingelassen war. Dieser wurde – für die Zuschauer nicht sichtbar -
ausgefahren und Jackson schob seinen Schuh darüber. Solcherart gehalten,
konnte er sich nun 45 Grad nach vorne neigen, ohne umzukippen. Keine
Magie, sondern ein klassischer Trick.
Allerdings: Einfach war dieser Trick trotzdem nicht. "Diese Bewegung ist unglaublich schwer durchzuführen", betonen die Forscher. Denn selbst mit dem zusätzlichen Halt am Schuh erforderte die 45°-Neigung eine enorme Körperspannung und Kraft im Rumpf. Michael Jackson bewies demnach auch in diesem Fall seine Fitness als Tänzer – und seinen Einfallsreichtum. (Spine, 2018; doi: 10.3171/2018.2.SPINE171443)
Das Problem mit dem Schwerpunkt
Das Aufsehenerregende daran: Ein so weites Nachvorneneigen ist eigentlich unmöglich. Jeder normale Mensch würde dabei umfallen, weil ihn die Schwerkraft zu Boden zieht. Denn bei einer solchen Neigung liegt der Körperschwerpunkt weit vor den Füßen und das macht das Halten der Balance unmöglich. "Selbst Tänzer mit großer Rumpfkraft erreichen dabei nur ein Maximum von 25 bis 30 Grad Neigung", erklären Nishant Yagnick und Sandeep Mohindra vom Institut für Medizinische Forschung in Chandigarh.
Für Michael Jackson schien dies dagegen kein Problem zu sein. Zunächst vermuteten viele, im Video wäre mittels Special-Effects getrickst worden. Doch Jackson zeigte seine "magische Kippe" auch in Live-Konzerten weltweit. "Generationen von Fans haben seither versucht, diese Bewegung nachzuahmen", so die Forscher. Nicht selten kam es dabei zu Verletzungen. "Aber wie schaffte Jackson das Unmögliche?"
Der Trick dahinter
Des Rätsels Lösung liefert ein Patent, das Michael Jackson damals unter seinem Namen einreichte. In ihm beschreibt er den Trick, der ihm die scheinbar gegen alle Schwerkraft gefeite 45°-Neigung erlaubte. "Zusammen mit seinen Miterfindern hatte Jackson einen Spezialschuh entwickelt, der in der Ferse einen dreikantigen Schlitz besaß", berichten Yagnick und Mohindra. "In diesen Schlitz konnte man einen aus dem Boden ragenden Metallstift einrasten – und so zusätzlichen Halt gewinnen."
Allerdings: Einfach war dieser Trick trotzdem nicht. "Diese Bewegung ist unglaublich schwer durchzuführen", betonen die Forscher. Denn selbst mit dem zusätzlichen Halt am Schuh erforderte die 45°-Neigung eine enorme Körperspannung und Kraft im Rumpf. Michael Jackson bewies demnach auch in diesem Fall seine Fitness als Tänzer – und seinen Einfallsreichtum. (Spine, 2018; doi: 10.3171/2018.2.SPINE171443)
(Journal of Neurosurgery Publishing Group, 22.05.2018 - NPO)
Nota. - Er war auch The King Of Hype: Er hat image building zu einer eigenen Kunstform ausgebaut. - Der Antigravity Tilt ist ein uralter Jahrmarkttrick. Freilich verlangt er Übung.
JE
Nota. - Er war auch The King Of Hype: Er hat image building zu einer eigenen Kunstform ausgebaut. - Der Antigravity Tilt ist ein uralter Jahrmarkttrick. Freilich verlangt er Übung.
JE
Sonntag, 13. Mai 2018
Noch einmal über Romantik und bildende Kunst.
Klee
Auf jeden Fall bezeichnet romantisch in der bildenden Kunst keinen Stil - was man vom vorangegangen Rokkoko immerhin noch sagen kann; wenn man auch hizufügen müsste: einen Stil und einen andern zum komplementären Kontrast.
Man kann die Kunst der romantischen Epoche nicht in ästhetischen Begriffen oder besser: Metaphern beschreiben. Es ist nicht ein Geschmack, sondern - in diesem Sinne wird sie 'modern' - der regellose Wettstreit vielern Geschmäcker; selbst der Kitsch wird jetzt zu einem eigenen Genre.
Das ist aber doch auch ein Hinweis auf ihre sozusagen 'meta-ästhetische' Gemeinsamkeit. Die liegt ironischweise in - der Ironie, die als Schlagwort doch nur in der deutschen romantischen Literatur vorkam. Und zwar gerade auch beim Kitsch.
Runge, Ruhe auf der Flucht
Schiller unterschied zwischen naiver und sentimentalischer Kunst. Naiv sei eine Kunst, die die Welt so darstellt, wie sie eben ist, und sich einer wertenden Stellungnahme enthält. Die sentimentalische Kunst dagegen beschreibt die Welt wertend und eigentlich kritisch, und das geschieht als Satire - so fasst er Tragödie und Komödie in einer Kategorie zusammen.
Ironie ist weder das eine noch das andere. Auch sie verhält sich zur wirklichen Welt zwar kritisch; aber nicht in sittlicher, son- dern in ontologischer Hinsicht: Sie macht ihre Wahrheit oder, was in diesem Fall dasselbe wäre, ihre Wirklichkeit fraglich.
Und zwar nicht so, dass ein jedes Werk das wie im Surrealismus selber täte: So ist es in der Literatur, deren Medium die Spra- che ist und daher eine gewisse, noch so facettenreiche Bestimmtheit nicht vermeiden kann. Das einzelne Bildwerk der Roman- tik dagegen mag durchaus positiv und dick aufgetragen sein - aber als die Kunst der Gegenwart machen sie sich alle gegenseitig zum Gespött. Seit der Romantik ist Kunst als solche Ironie. Sie wird endgültig zu dem, was sie latent immer war - zum Gegenpol der Wissenschaft.
Mittwoch, 9. Mai 2018
Gab es eine Romantik in der Malerei?
Carl Rottmann, Schlachtfeld bei Marthon
Es hat sich eingebürgert, von einem Zeitalter der Romantik zu reden, und das hat auch einen guten Sinn, wenn man so eine Grenze nach hinten, zu Rokkoko und Ancien Régime zieht. Aber diesen Sinn hat es eigentlich nur für Deutschland, in Frankreich liegen Revolution und Empire dazwischen; so gründlich dazwischen, dass man fragen darf, ob Romantik zu Frankreich gehört. Delacroix und seine heroische Expressivität hat mit unsern Romantikern eigentlich nur die Abneigung gegen die akademische Form gemein. Und in England ist Turner ganz von allein aus dem Rokkoko in die Moderne geglitten.
Turner, Dolbadern Castle, 1799
Man kann bezweifeln, dass es überhaupt einen Sinn hat, in der Malerei von Romantik zu reden. Jedenfalls nicht in der spe- zifischen Bedeutung wie in unserer Literatur: Die frühe Romantik in Jena hatte sich als deutsches Echo auf die französische Revolution verstanden, und als sie sich gegen die Aufklärung wandten, da nicht, um die Uhren zurückzustellen, sondern im Gegenteil: um sie zu radikalisieren und zu entspießern; nicht als Verleugner der Vernunft haben sie angefangen, sondern als deren Speerspitze, die Philosophie der frühen Romantik wollte die Kant'sche Kritik bis zu ihren letzten Konsequenzen wei- tertreiben. 1799 war plötzlich Schluss, die Romantikergruppe bröselte auseinander, es machte sich zusehends Katzenjammer breit. Eine große Rolle hatte der Atheismusstreit um Fichte gespielt, aber der war selber nur ein Zeichen der Zeit gewesen.
Guardi, Venezianischer Hinterhof
Das hat kein Gegenstück in der Malerei; nicht Runge, nicht Friedrich und schon gar nicht die Nazarener passen in dieses Bild. Idyllik, gotische Schwärmerei und deutsche Innerlichkeit sind Markenzeichen des Biedermeiers und der politischen Restau- ration, denen die Romantik nur insofern den Weg bereitet hat, als sie den bis dahin geltenden Kanon des Guten Geschmacks zerbrochen hat.* Positiv ist sie nicht geworden, aber positiv scheint die Kunst sein zu müssen, wenn sie eine bildende sein will. Eine zersetzende, sprengende Kunst ist die Malerei erst mit den Fauves und den Expressionisten geworden.
*) Die dekadente Malerei eines Fragonard, Guardi oder Füssli hatte schon gründlich vorgarbeitet.
Füssli, The Shepherd's Dream, 1786
Dass die Romantiker die Arabeske theoretisiert haben, ist wohl wahr - uind ein Thema für sich. Den Roman haben sie auch theoretisiert, aber dass einer von ihnen einen bedeutenden Roman hinterlassen hätte, ist nicht bekannt. (Ofterdingen ist weder ein Roman noch bedeutend.) Und was die Arabeske anlangt, könnte man sich fragen, ob das nicht doch eher eine biedermei- erliche Kunstform ist. Aber dann müsste man auch gleich die Frage stellen, was Romantik in der bildenden Kunst überhaupt bedeuten kann, und das, ach, ist ein 'zu weites Feld'; nämlich für die Frankfurter mit ihrem touristenträchtigen "Romantik- museum", das doch nicht kommt.
Carl Julius Milde, Weiblicher Akt in einer Ranke, um 1830
Dass die Arabeske ihren Name dem muslimischen Bilderverbot verdankt, womit sie in den arabischen Ländern die einzige legitime Art von Bildender Kunst wurde, streift der Autor kaum am Rand. Dort wurde sie in der Tat zu eine "Verwandlung der Welt", die zu einem Ozean aus stilisierten Pflanzenranken und Koranversen zusammengepresst wurde. Bizarrerweise hat Kant die arabische Kunst als die gewissermaßen 'reinere', weil nicht an der Darstellung des Gegenstands haftende Schönheit (pulchri- tudo vaga)* aufgefasst, wo sie doch dem Künstler nicht nur die Hände, sondern mehr noch die Einbildungskraft bindet. Von Perspektive, Verteilung der Massen, Hell-Dunkel, Farbe, ja nicht einmal eigentlich von der Linie (von denen es nämlich viel zu viele, nämlich nichts anderes gibt) kann die Rede sein. Es ist eine gefesselte, gewürgte, gequälte Kunst.
*) KU, A/49f.
Ist das noch Rokkoko oder schon romantisch? Der dekadente Gefallen an den starken Reizmitteln hat schon das Ende des Ancien Régime geprägt: schaurig, erhaben oder pittoresk; man denke nur an Wolfs Landsmann Heinrich Füssli, der bei den Engländern Karriere gemacht hat! Und auf eine eigene Weise auch ironisch, ganz für bare Münze darf man das nicht nehmen, man denke nur an Fragonards Schaukel oder an Guardis Ansichten von Venedig; in allem klingt das Nach uns die Sintflut der Gräfin Pompadour mit.
Caspar Wolf, NN
Das
macht den Unterschied zur Romantik aus. Es gibt im Rokkoko so viele
Kunst, die man als verfrühte Romantik, und so vieles in der Romantik,
das wie längst überholte Schäferidylle wirkt. Den Unterschied macht aus,
dass zwischen beiden die Revolution lag. Während die verstohlene Ironie
der einen sarkastisch und resigniert wirkt, weil ja doch nicht mehr viel
Zeit bleibt, ist die Ironie der andern polemisch und herausfordernd, und noch der Quietismus der Naturbesoffenen fühlt sich als Künder einer neuen Zeit.
Doch zurück zu Caspar Wolf: Während seine französischen Vorbilder im Landschaftsbild nach dem Effekt suchten (na ja, nicht nur) und großzügig so viel hinzutaten (na schön, nicht alle), bis es "funktionierte", malt Wolf Landschaftsporträts, Stellen, die es wirklich gibt, sogar (alle?) seine Höhlenbilder. Er malt aber nicht natur- getreu, sondern er holt aus dem, was er sieht, das Ästhetische heraus. Das war zu seiner Zeit noch neu. Und schon ein bisschen romantisch...
Man muss gar nicht wissen, dass C. D. Friedrich einer mystisch-pantheistischen Weltanschauung anhing und ihm ‘die Natur’ als diesseitiges Antlitz Gottes galt – man sieht es ja auf seinen Bildern. Es geht ihm offenbar nicht darum, die Natur so malen, ‘wie sie wirklich aussieht’, und es ging ihm nicht darum, ein ‘schönes Bild’ zu komponieren. Er will etwas zeigen, das den geschäftigen Blicken des Alltags verborgen bleibt, und die Malweise (vgl. die Lichtstudie im oberen Bild) dient dem Zweck, es auf der Leinwand sichtbar zu machen. Er malt die Natur nicht so, wie sie erscheint, sondern als etwas, das hinter ihr steht.
Darum kommen die Menschen auf seinen Bildern eigentlich nicht vor. Bei Claude erschienen sie nur als Staffage und als mythologischer Vorwand für ein triviales Landschaftsgemäde. Bei Corot erfüllen sie später nur eine optische Funktion. Wenn auf Friedrichs Bildern mal ein Mensch vorkommt, dann klein vor einer großen Landschaft, reglos und von hinten: Sie ‘stehen für’ den Bildbetrachter selbst, allein und der Natur gegenüber, und von ihr überwältigt. Und noch lieber würzt er seine Tableaux mit verrottendem Menschenwerk, das an unsere Vergänglichkeit erinnert.
Mit andern Worten, Friedrich frömmelt altmodisch wie die Maler des Mittelalters. Im neunzehnten Jahrhundert geriet er bald in Vergessenheit, und seine Verklärung zum “deutschen” Maler im Dritten Reich hat er nicht wirklich verdient. Aber weltanschaulich ist seine Kunst, das macht sie fungibel, und auch für andere Zwecke als die seinen. Eine neue, verstohlene Popularität gewann sie im Umwelt-, Ganzheits- und Gesundheitskitsch der Achtziger Jahre, und das war so unverdient nicht.
Die heikle Nähe zum Kitsch macht freilich den besonders modernen Reiz von Friedrichs Bildern aus: Man muss aus ironischer Distanz ‘über sie wegsehen’, um ihre ästhetische Qualität wahrzunehmen. Man muss abstrahieren; im Anschauen reflektieren. Das Modernste an Friedrich ist etwas, das er ganz bestimmt nicht beabsichtigt hat.
Mittwoch, 2. Mai 2018
Die älteste Holzskulptur der Welt.
aus derStandard.at, 1. 5. 2018
Riesiges Artefakt entpuppte sich als älteste Holzskulptur der Welt
Die 1894 bei Jekaterinburg entdeckte "Schigir-Figur" wurde neuen Analysen zufolge schon vor 11.500 Jahren angefertigt
Göttingen – Als russische Goldschürfer im Jahr 1894 nördlich von Jekaterinburg im sogenannten Schigir-Moor auf eine riesige Holzskulptur stießen, war schnell klar, dass es sich um einen bedeutenden Fund handelte. Das genaue Alter des Artefakts war jedoch lange unklar. Nun hat ein deutsch-russisches Forscherteam eine systematische Radiokarbondatierung des Fundes vorgenommen. Wie die Wissenschafter im Fachblatt "Antiquity" berichten, ist die Figur mit einem Alter von rund 11.500 Jahren nicht nur deutlich älter als erwartet, sie ist gar die älteste bekannte Holzskulptur der Welt.
Die aus einem Lärchenstamm gefertigte Figur ist heute noch rund 3,80 Meter groß: Auf ihrem mit Ornamenten und anthropomorphen Gesichtern verzierten Körper sitzt ein großer runder Kopf mit geschnitztem Gesicht. Die Forscher konnten nun zeigen, dass das Holz in frischem Zustand mit Steinwerkzeugen bearbeitet wurde. Die Figur stand allem Anschein nach längere Zeit aufrecht und diente vermutlich als ritueller Pfahl, so die Wissenschafter.
Monumentales Kunstwerk
Aus Europa seien aus dieser Zeit vor allem geometrisch verzierte Objekte aus Knochen und Geweih bekannt, nur selten wurden Menschen als kleine Strichmännchen abgebildet, sagte Studienleiter Thomas Terberger von der Universität Göttingen. "Die Schigir-Figur zeigt mit ihrer monumentalen Erscheinung eine bislang unbekannte Seite der Kunst der ersten nacheiszeitlichen Jäger- und Sammler-Gesellschaften."
"Zugleich verdeutliche das Artefakt, wie sich die Höhlenmalereien der Eiszeit in der Nacheiszeit weiterentwickelten und neue Formen annahmen. Bislang galten die etwa 11.000 Jahre alten Steinstelen von Göbekli Tepe im Südosten der Türkei als einzige monumentale Zeugnisse dieser Zeit. "Die Figur aus dem Schigir-Moor zeigt, dass unabhängig davon im Ural ähnlich komplexe Objekte gefertigt wurden", so Terberger. "Die Jäger-Sammler-Gemeinschaften der beginnenden Nacheiszeit erscheinen damit in einem völlig neuen Licht." (red.)
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