aus scinexx van Gogh, Sternennacht
Gute Kunst wirkt nach
Unser Gehirn reagiert in überraschender Weise auf gute Kunst.
Tiefgehender Eindruck: Was passiert in unserem Gehirn, wenn
wir ein Kunstwerk betrachten? Diese Fragen haben nun Forscher erstmals
mittels Hirnscans beantwortet – und Überraschendes entdeckt. Denn bei
Bildern, die wir als besonders beeindruckend empfinden, schaltet sich
ein Hirnnetzwerk ein, dass normalerweise nur unser Innenleben steuert.
Lässt uns das Bild dagegen kalt, bleibt auch dieses „Default Mode
Netzwerk“ stumm.
Schönheit liegt nicht nur im Auge des Betrachters, sondern vor allem
im Gehirn. Denn erst die Reaktion unseres Denkorgans entscheidet, ob ein
ästhetischer Reiz bei uns Wohlgefühl auslöst oder nicht. Studien
zeigen, dass gleich mehrere Netzwerke im Gehirn reagieren, wenn wir etwas als schön empfinden. Auch unser Belohnungszentrum ist beteiligt und ruft das besonders Glücksgefühl hervor.
Blick ins Gehirn beim Kunstgenuss
Doch gerade bei der Betrachtung eines Kunstwerks bleibt unser
Eindruck oft nicht statisch, sondern verändert sich mit der Dauer des
Anschauens. Stellen wir uns vor, wir betrachten van Goghs „Sternennacht“
zum ersten Mal. Vielleicht fällt uns zuerst das Vorherrschen der Farbe
Blau auf. Dann schauen wir genauer hin und entdecken die Sterne und die
Farbringe um sie herum. Schließlich nehmen wir das kleine Dorf und seine
Details wahr. Dabei wirkt das Blau des Himmels immer noch nach.
Was im Gehirn bei einer solchen Kunsterfahrung abläuft, haben nun Amy
Belfi von der Missouri University of Science and Technology näher
untersucht. Für ihre Studie baten die Forscher ihre Probanden, sich
jeweils 15 Sekunden lang ein Kunstwerk auf dem Bildschirm anzuschauen.
Während dieser Zeit zeichnete ein funktioneller Magnetresonanz-Tomograf
(fMRT) die Hirnaktivität der Teilnehmer auf.
Netzwerk fürs Innenleben
Das Ergebnis war überraschend: Immer dann, wenn die Probanden ein
Bild als besonders bewegend oder beeindruckend empfanden, wurde in ihrem
Gehirn das sogenannte Default Mode Netzwerk
(DMN) aktiv. Dieses Netzwerk jedoch feuert normalerweise vor allem
dann, wenn wir uns der inneren Nabelschau hingeben – wenn wir
tagträumen, geistig abschalten oder auch in leichtem Schlaf liegen.
Normalerweise müsste daher die Aktivität des Default Mode Netzwerks
sinken, wenn wir ein Bild betrachten. Denn dann verarbeitet das Gehirn
vornehmlich äußere ästhetische Reize. Tatsächlich blieb das DMN auch
immer dann stumm, wenn die Studienteilnehmer ein Kunstwerk anschauten,
das sie nicht attraktiv fanden, wie die Forscher berichten.
Überraschende Aktivität
Anders aber ist es, wenn ein Kunstwerk uns besonders gefällt: „Finden
wir ein Kunstwerk ästhetisch ansprechend, werden Teile des DMN wieder
aktiv, obwohl der Fokus auf der Außenwelt – dem Kunstwerk – liegt“,
berichtet Koautor Edward Vessel vom Max-Planck-Institut für empirische
Ästhetik. Unser Default Mode Netzwerk bleibt dann über die gesamte Zeit
der Betrachtung aktiv.
Nach Ansicht der Forscher belegt dies, dass die Wirkung eines
besonders beeindruckenden Kunstwerks erst durch die Kombination äußerer
Reize und innerer Reaktionen zustande kommt. Unsere Aufmerksamkeit ist
dabei einerseits auf die Außenwelt, andererseits auf unser Innenleben
gerichtet. „Wir konnten beobachten, dass dieser Hirnzustand relativ
selten eintrat und wahrscheinlich ein Merkmal für bewegende ästhetische
Erfahrungen ist“, sagt Belfi. (NeuroImage, 2018; doi: 10.1016/j.neuroimage.2018.12.017)
Quelle: Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik
28. Dezember 2018
- Nadja Podbregar
Nota. - Was Schiller den "ästhetischen Zustand" genannt hat, gibt es also wirklich, auch für Hirnforschung und empirische Psychologie. In diesem Zustand versinke der Mensch sozusagen im angeschauten Bild. Und er fügt hinzu, im ästhetischen Zustand sei der Mensch also "gleich Null".
Die Untersuchung des MPI für emprische Ästhetik besagt nicht genau dasselbe - fast möchte man sagen: eher das Gegenteil. Denn danach holt der Mensch in der ästhetischen Betrachtung den Gegenstand ganz tief zu sich hinein: dorthin, wo er "ganz bei sich selbst ist"!
Der Haken ist aber der: Wo er 'ganz bei sich selbst' ist, hat er eo ipso keinen Abstand zu sich. Doch ohne Ab- stand zu sich kann er vielleicht sein; aber so kann er sich nicht wahrnehmen. Mit andern Worten: Für sich ist der Mensch im ästhetischen Zustand gleich Null; 'es gibt' dann nur seine Wahrnehmung, und die ist ästhetisch: Zum ästhetischen Versenken in das Bild muss die Reflexion abgeschaltet werden.
PS. Wie der Untertitel erneut zeigt, hätte das MPI für angewandte Ästhetik gern ein objektives Kriterium dafür, 'was Kunst - und gute Kunst zumal - ist'. Aber der Zustand eines Gehirns zeigt allenfalls an, wie es um den Zustand seines (wörtl.) Trägers bestellt ist.
JE