Sonntag, 31. Mai 2015

Malewitch neu bewerten?

aus beta.nzz.ch, 29. 5. 2015                                                                                               Bäuerin, 1930

Der Maler des «Höchsten»
Der Wandel der Rezeption der russischen Avantgarde, insbesondere von Kasimir Malewitsch, zwischen 1989 und heute.

von Bernhard Schulz 

Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier 





Anfang 30er






Malewitchs Frau, 1933



Ernte, wann?


Holzfäller 1912/13




Mann in suprematistischer Landschaft, um 1930



Ernte (Marfa und Wanka) um 1828-29



Zwei Figuren in einer Landschaft, 1931/32




Kopf eines Bauern, 1928/29



Junge, 1930

Bauern, 30 Jahre

Nota. 

Erlauben Sie, dass ich mich wiederhole:

"Es gehört sich, über Malevitch nur Anerkennendes zu sagen. Nichts gegen die Anerkennung; aber man muss auch mal was anderes sagen können. Nämlich: Dass Malevitch es der stalinistischen Kulturpolitik verdankt, dass er nicht selber einsehen musste, wie sehr sich seine suprematistische Manier schon von allein totgelaufen hatte. 

Noch heute ist es ja so, dass einem die erste Begegnung mit Malewitsch sozusagen die Augen auswischt. Bei mir liegt sie nun aber schon eine ganze Weile zurück, und seit es das Internet gibt, habe ich eine Menge gesehen. Und irgendwann war's mir genug. Angefangen bei einem schwarzen Quadrat; und dann hier angekommen: 


Suprematismus N° 56

Da ist nichts mehr klar, nichts mehr radikal, nichts mehr eindeutig-fraglich. Das kann man tausendmal variieren, auf den Kopf stellen, die Seiten verkehren, die Farben ändern, statt der Rechtecke Kreise einsetzen - es istManier.

Und zwar wohl nicht aus malerischen, sondern aus doktrinären Motiven. Das macht die Sache suspekt. Manch anderer ist beim Malen mit einer gewissen Folgerichtigkeit auf die Abstraktion gekommen - die Landschaft hat dabei eine treibende Rolle gespielt. Bei Malevitch habe ich den Eindruck - ich bin kein Kunsthistoriker, ich kann mir solche Mutmaßungen leisten -, als hätte er in jungen Jahren hier mal dies, da mal das ausprobiert, 



























  
und als sich ein eigner Stil partout nicht von alleine einstellen wollte, hat er eine Doktrin übers Knie gebrochen. Natürlich konnte oder musste er auf diesem Weg zunächst einmal ganz originelle Sachen fertigbringen. Aber Ästhetik verträgt keine Doktrin. Dass ihm dann eine andere Doktrin dazwischenfuhr, hat ihn davor bewahrt, einen Holzweg als solchen erkennen zu müssen."


JE

Donnerstag, 28. Mai 2015

Architektur ist zwar keine bildende Kunst, aber die Architekten sind heute mehr Künstler als Maler und Bildhauer.


In der Gegenwart ist der Architekt, wenn er seine Aufgabe erfüllt, eigentlich der künstlerischere Künstler als der Maler oder Bildhauer. Während jene ihre ästhetischen Probleme selber aushecken und lösen, wie es ihnen pläsiert – und dieses ist so unerheblich, so belanglos, so gleichgültig und willkürlich wie jenes –, ist den Architekten ein zumindest in diesem Sinn ob- jektives Problem gegeben, als ein Anderer, ein Auftraggeber, es ihnen vorgegeben hat; und es ist nicht nur ästhetisch – dies sogar erst in zweiter Linie -, sondern sachlich: Die Lösung muss nicht nur funktional sein; will sagen: der Architekt muss verstanden haben, um welche Funktion es geht; sondern auch ökonomisch: Funktion und Aufwand müssen in einem ver- tretbaren Verhältnis zu einander stehen. 



Und außerdem soll sich die Lösung ästhetisch sehen lassen. Irgendeine Form wird die Sache sowieso haben, ob er darauf absieht oder nicht. Die Ingenieure der frühen Industriearchitektur haben anscheinend gar nicht darauf abgesehen – und ihre Lösungen verschlagen uns heut die Sprache (vermutlich, weil uns die damalige Funktionalität postindustriell völlig fremd geworden ist). Der heutige Architekt ist das, was der Bildende Künstler gar nicht mehr sein kann, so sehr er auch so tut: ein Erfinder. Doch die faulen Gecken unter ihnen halten sich für Bildende Künstler und kaprizieren sich auf die Repräsentations-Bauten des Reichtums; die müssen nicht funktionieren, sondern Eindruck machen, und was es kostet, spielt schon gar keine Rolle. 

Ob Frank Gehry als Architekt etwas taugt, wird sich erst sagen lassen, wenn er eine städtischen Wohnanlage zustande ge- bracht haben wird; bisher hat er sich glücklich darum gedrückt.



- Das habe ich unlängst im Andenken an Frei Otto geschrieben. Es ist weniger paradox, als es klingt. Die ästhetischen Proble- me, die sich die zeitgenössischen Maler und Bildhauer stellen, sind an den Haaren herbeigezogen. Die Augen öffnen sie nie- mandem, es ist alles schonmal dagewesen. Ästhetische Qualitäten mögen in den Werken noch immer ihre Platz haben, wenn man auch nicht viel davon zu Gesicht bekommt. Aber Probleme, die einer Lösung harrten, sind sie nicht.

Architektur ist keine bildende Kunst, jedenfalls erst, wenn sie ihren sachlichen Funktionen gerecht geworden ist. Dagewesen ist davon auch das meiste, aber das spielt gar keine Rolle: Um uns die Augen zu öffnen, sind Häuser ja nicht da. Aber die Pro- bleme, die die Architekten zu lösen haben, sind nicht geringer geworden, sondern erheblicher, und zwar sind sie erst in zweiter oder dritter Linie ästhetisch, doch eben deshalb problematischer, nämlich realer als die der bildenden Künstler. 






Dienstag, 19. Mai 2015

Frei Otto.

aus Tagesspiegel.de, 16.05.2015 00:00 Uhr

Architekt der Leichtigkeit
Am Freitag wurde in Miami der renommierte Pritzker-Preis posthum an den Architekten Frei Otto verliehen. Der deutsche Baumeister starb im März 2015 im Alter von 89 Jahren, kurz vor Bekanntgabe der Ehrung. Der deutsche Bundesaußenminister ehrt Otto in einer Hommage.

Von Frank-Walter Steinmeier

"Wir wollen mehr Demokratie wagen." Willy Brandts historisches Plädoyer bei seinem Regierungsantritt 1969 war das Aufbruchssignal für die gesellschaftliche Erneuerung der bis dato strukturell und mental in der Adenauer-Zeit verharrenden Bundesrepublik. Willy Brandt verband damit den Anspruch auf Mut zur Öffnung der Gesellschaft, zu ihrer Modernisierung in allen Bereichen.

Deutscher Pavillon auf der Wetausstellung 1967 in Montreal

Aufbruch, Öffnung, Transparenz, Neues wagen – für all dies steht auch das Werk von Frei Otto, der nun posthum mit dem Pritzker-Preis geehrt wurde, einem der weltweit wichtigsten Architektur-Preise. Wer die laufende Weltausstellung in Mailand besucht, kommt an der Ästhetik des deutschen Pavillons mit seinen Membrandächern, die an keimende Pflanzen erinnern, und seinen Membranflächen mit organischen Fotovoltaik-Zellen nicht vorbei. Diese Art der humanen, geradezu schwerelosen Architektur wäre undenkbar ohne Frei Otto.


Der Sieg der Leichtigkeit über die Schwerkraft

Architekten müssen Visionen haben und die Fähigkeit, sie in exakte Grundrisse, in Räume, Häuser, Städte umzusetzen. Sie müssen das große Ganze und zugleich das kleine Machbare im Kopf haben, müssen zugleich Künstler und Handwerker sein. Ein solcher Künstler und Handwerker war Frei Otto, einer der ganz großen Baumeister des 20. Jahrhunderts, prägend für Generationen von Architekten. Frei Otto ersann bis dahin nie gesehene schwerelose Dachkonstruktionen, allesamt Utopien baulicher Leichtigkeit. Er gab der gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung in Deutschland einen architektonischen Ausdruck, der international für Furore sorgte. Der deutsche Pavillon der Expo 1967 in Montreal, die Mannheimer Multihalle mit ihrer organischen Struktur, die umgedrehten Schirme für die Pink-Floyd-Tournee und insbesondere das Olympiadach in München 1972 wurden zu baulichen Ikonen, zum Sieg der Leichtigkeit über die Schwerkraft, wie Renzo Piano unlängst feststellte.
München, Olympiastadion

Architektur muss die Zeit überstehen, muss relevant bleiben über Jahre und Moden hinweg. In diesem Sinne hat Frei Otto Wegweisendes geschaffen. Der Pritzker-Preisträger Shigeru Ban, der zusammen mit ihm den japanischen Pavillon bei der Expo 2000 in Hannover entwarf, sagte einmal treffend, Frei Otto habe nicht die Ziegelsteine, sondern die Luft gefragt, was sie werden wolle.

Architektur für Menschen, nicht beziehungslose Monumente

Frei Otto stand zugleich für das Ideal einer humanistischen, umweltverträglichen Bauweise. Er kritisierte elitäres Bauen ohne Beziehung zum Menschen und weigerte sich, uns mit Monumenten zu umkleiden. Es ging ihm immer darum, mit seiner Architektur eine Welt abzubilden, in der wir leben möchten. Beispielhaft stehen dafür seine wandelbaren Membrandächer für Schwimmbäder in Paris. Und wenn heutzutage in den Seildächern von Stadien nur noch ein Minimum an Stahl verwendet wird, ist dies auch auf Frei Ottos Vision des ökologischen Bauens zurückzuführen. Diese ist gerade in Zeiten massiv zunehmender Urbanisierung aktueller denn je – laut den Vereinten Nationen werden in den nächsten 15 Jahren fünf Milliarden Menschen in Städten leben. Allein in China werden jedes Jahr mehr neue Wohnungen gebaut, als es Wohnungen in Deutschland gibt.
Mehrzweckhalle Mannheim

Frei Otto: ein Diplomat der Kultur, geehrt mit dem Pritzker-Preis

Frei Otto war mehr als nur ein Pionier der Architektur. Er war ein Universalbürger, ein Vordenker seiner Zeit und ein Schöpfergeist, der seine Architekturästhetik in die Welt trug und sie nach Deutschland rückspiegelte. Er nahm architektonisch vorweg, was wir heute sind – ein weltoffenes, modernes, global vernetztes Land. Seine Vision der Koproduktion, des Zusammenwirkens von Wissenschaft, Architektur und Kunst ist heute zeitgemäßer denn je: In der globalisierten Welt geht es darum, das gemeinsame Schaffen von Bildung, Wissen und Kultur möglich zu machen, die Trennung von Innen und Außen zu überwinden.

Frei Otto war ein Pionier der Architektur, der die Leichtigkeit nach Deutschland und in die Welt getragen hat. Und er war – ja, auch dies – ein Diplomat der Kultur, der den Blick auf Deutschland ein Stück weit veränderte. Dass ihm am Freitag in Miami posthum der Pritzker-Preis verliehen wurde, erfüllt mich mit großer Freude.

Voliere im Tierpark Hellabronn, München 1980

Nota. - In der Gegenwart ist der Architekt, wenn er seine Aufgabe erfüllt, eigentlich der künstlerischere Künstler als der Maler oder Bildhauer. Während jene ihre ästhetischen Probleme selber aushecken und lösen, wie es ihnen pläsiert – und dieses ist so unerheblich, so belanglos, so gleichgültig und willkürlich wie jenes –, ist den Architekten ein zumindest in diesem Sinn objektives Problem gegeben, als ein Anderer, ein Auftraggeber, es ihnen vorgegeben hat; und es ist nicht nur ästhetisch – dies sogar erst in zweiter Linie -, sondern sachlich: Die Lösung muss nicht nur funktional sein; will sagen: der Architekt muss verstanden haben, um welche Funktion es geht; sondern auch ökonomisch: Funktion und Aufwand müssen in einem vertretbaren Verhältnis zu einander stehen.

Und außerdem soll sich die Lösung ästhetisch sehen lassen. Irgendeine Form wird die Sache sowieso haben, ob er darauf absieht oder nicht. Die Ingenieure der frühen Industriearchitektur haben anscheinend gar nicht darauf abgesehen – und ihre Lösungen verschlagen uns heut die Sprache (vermutlich, weil uns die damalige Funktionalität postindustriell völlig fremd geworden ist). Der heutige Architekt ist das, was der Bildende Künstler gar nicht mehr sein kann, so sehr er auch so tut: ein Erfinder. Doch die faulen Gecken unter ihnen halten sich für Bildende Künstler und kaprizieren sich auf die Repräsentations-Bauten des Reichtums; die müssen nicht funktionieren, sondern Eindruck machen, und was es kostet, spielt schon gar keine Rolle.

Ob Frank Gehry als Architekt etwas taugt, wird sich erst sagen lassen, wenn er eine städtischen Wohnanlage zustande gebracht haben wird; bisher hat er sich glücklich darum gedrückt.
JE.


Sonntag, 17. Mai 2015

Die höchstpreisigsteste Kunst aller Zeiten.

aus nzz.ch, 17. 5. 2015

Rekordpreis für Picasso in New York
Das hat nichts mit Kunst zu tun
Die unselige Verquickung von Kunst und Geld: Picassos Rekordbild von 1955 ist zwar ein Meisterwerk. Das gilt aber auch für Nabakovs im selben Jahr erschienene «Lolita», deren Wert rein ideell blieb. 

Kommentar von Philipp Meier

Was war der letzte Preisrekord nochmals? Ach ja, das war im November 2013 für ein Triptychon von Francis Bacon. 142 Millionen Dollar brachten die drei Porträtstudien zu Lucian Freud damals: ungefähr 47 Millionen pro Leinwand – geradezu ein Schnäppchen, könnte man denken, angesichts der neuerlichen Rekordpreise, die nun aus New York vermeldet werden. Dort erzielte ein Bild Picassos 179 Millionen Dollar, eine Bronzeplastik von Alberto Giacometti brachte es auf 141 Millionen. Auch hier erinnert man sich noch: Im Bereich der Plastik war es im Februar 2010, als Giacomettis «Schreitender Mann» mit 104,3 Millionen Dollar einen Rekordpreis für ein plastisches Kunstwerk aufstellte. Und natürlich war Picasso zuvor mit seinem surrealistischen Aktbild von 1932, das 2010 gar 106,5 Millionen einspielte, lange der Rekordhalter überhaupt auf dem Auktionsmarkt – bis dann Munch (2012: 119 Millionen) und eben Bacon kamen. Private Transaktionen mit Klimt (2006: 135 Millionen), Pollock (2006: 140 Millionen) und de Kooning (2006: 137,5 Millionen) hatten diese Auktionspreise indes bereits zuvor relativiert.

Wer solche Zahlen herunterleiert, mögen sie noch so beeindrucken, hat allerdings das Feld der Kunst längst verlassen. Hier geht es nicht mehr um Kunstwerke. Geld richtig anzulegen, mag zwar eine Kunst für sich sein in Zeiten der Negativzinsen. Im obersten Preissegment des Kunstmarkts ist aber auch dies kein wirkliches Kunststück. Auktionshäuser spielen dabei die Verwertungsmaschinen, auch wenn sie sich durch ihren Umgang mit Ikonen der klassischen Moderne gerne nobilitiert wähnen. Geld adelt bekanntlich nicht, und schon gar nicht in seiner unseligen Verquickung mit den Künsten. «Les femmes d'Alger» in der bunten Version von 1955 ist zwar zweifellos ein Meisterwerk. Dies gilt aber auch für Nabokovs im selben Jahr erschienene «Lolita» oder für James Deans «East of Eden» von 1955. Diese Werke haben Literatur- beziehungsweise Filmgeschichte geschrieben.

Es ist offenbar eine Frage des Trägermaterials, ob ein Kunstwerk zu Unsummen handelbar ist oder ob sein Wert rein ideeller Natur bleibt. Weil sie gebunden ist an Leinwand oder Bronze, haftet der bildenden Kunst heute jedenfalls etwas Schizophrenes an: Als Unikat ist sie gespalten in Materie und künstlerischen Inhalt. An der Biennale in Venedig jedenfalls wird dieser Tage über Letzteren debattiert – so ist doch zu hoffen.


Nota. - Das ist halb Kitsch, halb Faschingsdekoration. Ästhetisch kann ich dem gar nichts abgewinnen, aber in welcher Hinsicht denn sonst? Ich kann nur mit dem Kopf wackeln. Das habe ich ja schon mehrfach durchblicken lassen, dass ich an Picasso nicht entfernt so viel finden kann wie anscheinend der ganze Rest des Publikums. Ich werde mich nicht hinreißen lassen und sagen, der hat nix gekonnt. Gekonnt hätte er wohl schon was, das sieht man den frühen Stücken vor der Erfindung der kubistischen Masche an, aber so richtig umwerfend sind auch die nicht. Man hat schon da den Eindruck: Er kann, weiß aber nicht, was er soll. 

Dann hat er das Problem ein für alle Mal gelöst: Er soll das, was Furore macht und auf dem Markt brummt. Dalí hat man zeitlebens verhöhnt, weil er bloß hinterm Gelde herwär: Salvalí Dolar, und für eine steile Hype hätte er seine Großmutter verkauft! Ja, was soll man denn da von Picasso sagen? Alles Masche, alles Manier, jede Saison was Neues, immer nur Rummel. Und die Bilder? Gerade das Zeug aus den Fünfzigern ist mir ein Gräuel. Dalí muss man ja nicht mögen, es wurde gespöttelt, dessen Sachen hätten gar keine Aussage, die täten nur so tiefsinnig, außer der glatten, makellosen Form sei gar nix dran. Eine Aussage darf sich jeder selber denken (aber nicht bei Picassos Fiedenstauben), braucht er aber nicht, gottlob. Die Augen haben jedenfalls stets lange was zum Ansehen, das zählt, verstehen muss man nicht, es ist ja nur Kunst (- was ein künstlerischer Inhalt sein soll, werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr begreifen). - Bei Picasso dagegen muss ich fast immer die Augen zumachen.

So, das habe ich gesagt und meinem Gewissen Ruhe beschert. 
JE

PS. Und dies erwarten Sie ja wohl von mir: Giacometti hat was getaugt, als er sich im Vorfeld der Surrealisten aufhielt, als er direkt bei ihnen war, wurde es schon ein bisschen trivial, und dann hat er nur noch seine Strichmännchen gemacht, eins wie das andere. Das mag man mögen, warum nicht. Aber 141 Millionen - sind die Leute nicht recht bei Trost? (Das haben Bacon und Richter nicht verdient, dass sie auch in der Liga spielen müssen.)


Das Ästhetische ist keine Erkenntnis.


Chardin, Seifenblasen

Mit dem Schönen solle der Mensch nur spielen, und nur mit dem Schönen solle er spielen, schrieb Friedrich Schiller. Nur wenn er spielt, sei der Mensch ganz Mensch. Neben dem Stofftrieb, der auf Nützlichkeit geht und den er mit den Tieren teilt, zeichne den Menschen sein Spieltrieb aus.*

Schiller war ein Künstler, den die Begegnung mit der Transzendentalphilosophie beeindruckt, aber nicht zum Philosophen gemacht hat. Philosoph war Fichte. Er hat die Transzendentalphilosophie zu einem gewissen Abschluss gebracht. Der Nachwelt galt er, zu Unrecht, als Stifter eines sog. Deutschen Idealismus, aber die Zeitgenossen hielten ihn für den Philosophen der Jenaer Romantik.** Neben den Erkenntnistrieb, der die physischen Bedürfnisse befriedigt und zuerst um dieser und nicht um der Erkenntnis willen da ist, setzt er den ästhetischen Trieb. Er entwirft Bilder um ihrer selbst willen: „das [vom ästhetischen Trieb] entworfene Bild würde nicht minder gefallen, wenn es leer wäre, und es gefällt nicht mehr, weil es zufälligerweise zugleich Erkenntnis enthält.“***

Das Gefallen am, das Geschmacksurteil über das Bild ist ohne Verhältnis zu dem, was im Bild von diesem oder jenem gemeint werden könnte. Das ästhetische Vermögen hat es nicht mit der Bedeutung des Bildes – und ob in ihm Dinge vorgestellt werden – zu tun, sondern mit seiner Erscheinung. Ob die Anschauung des Bildes irgend ein Wissen mitteilt, ist in ästhetischer Hinsicht gleichgültig, denn damit hat sie gar nichts zu tun. Wobei ganz ohne Belang ist, ob das Bild in künstlerischer Absicht entworfen oder in zweckfreier Betrachtung empfangen wurde.

Einen andern Sinn kann das ästhetische Anschauen in transzendentalphilosophischer Auffassung nicht haben. Die spätere Vereinnahmung des Schönen durch das Logische bei Hegel war, wie jede „hermeneutische“ Auffassung der Kunst, eine dogmatische, metaphysische Inversion. Sie prägt bis heute das Normalbewusstsein. Natürlich; denn die transzendentale Auffassung ist nicht normal, sondern künstlich. Bis auch sie normal wird, muss auf der Welt noch viel geschehen, und nicht nur im Denken.

______________
*) s. Fr. Schiller, Die ästhetische Erziehung des Menschen…, [mehrere Ausgaben]
**) Er hat in Jena mit den Schlegels unter einem Dach gewohnt.
***) Über Geist und Buchstab in der Philosophie. In einer Reihe von Briefen in: SW VIII, S. 281


Sonntag, 3. Mai 2015

Samstag, 2. Mai 2015

Das ästhetische Urteil fundiert den Verstand.

                                                            aus Rohentwurf


Ästhetische Wahrnehmung unterscheidet sich phänomenal von andern Arten des Wahrnehmens dadurch, daß hier das Zur-Kenntnis-Nehmen von Sinnesdaten "uno actu" zusammenfällt mit deren Bewertung; während beim 'verständigen' Wahrnehmen die Sinnesdaten zunächst in Hinblick auf Begriffe (=vorgegebene Bedeutungs- komplexe) geordnet, und erst danach einem Urteil unterzogen werden. Das ästhetische Wahrnehmen erscheint insofern als primitiv, mindestens naiv, gegenüber dem sachlichen Verstehen von 'Etwas'. Aber das ist eine optische Täuschung. Für den Verstand (cognitio) liegt die 'Wertigkeit' in der relatio des jeweils Wahrgenommenen mit anderen, früher Wahrgenommenen; und muß also, qua Reflexion, erst erdacht werden: nachträglich. Fürs ästhetische Wahrnehmen liegt der 'Wert' dagegen in der qualitas des Wahrgenommenen - und die "zeigt sich" als solche. (Wenn Max Scheler sagt, 'Wertnehmung geht der Wahrnehmung voran', dann heißt das nur, daß sich die ästhetische Wahrnehmungsweise apriori "immer schon" ins verständige Wahrnehmen eingeschlichen hat - welches aposteriori kommt und allenfalls versuchen kann, erstere kritisch zu exorzisieren.)Insofern ist ästhetisches Wahrnehmen nicht 'primitiv', sondern 'fundierend'; wenn auch nicht in jeglicher Hinsicht brauchbar.


*Nachtrag 1. 1. 2014

Historisch wird es andersherum gewesen sein. Das die Familie Homo vor allen Tieren auszeichnende poietische Vermö- gennämlich die Fähigkeit überhaupt, Qualitäten als solche aufzufassen, zu werten und gegeneinander zu gewichten, hat sich mit dem Übergang zu Sesshaftigkeit und Ackerbau, mit dem Aufkommen der Arbeitsgesellschaft, zum verständigen Kalkül der kurz- und langfristigen Vor- und Nachteile vereinseitigt: zum Verstand. Darüber hinausgehende Urteile über das Gute und Schöne wurden als feiertäglicher Luxus beiseitegetan und als legitimierendes Privileg von den herrschen- den Klassen usurpiert. Mit der Entfaltung der Arbeitsgesellschaft zur Großen Industrie hat sich die Nützlichkeit dann auch die inzwischen herrschende Klasse, die Bourgeoisie, ganz unterworfen und hat der Vorteil auch Ethik und Ästhetik durchsetzt; sie überlebten als Erbauung und Erholung vom geschäftigen Alltag.

Mit der Folge, dass ästhetisches Wahrnehmen heute einen besondern Akt der Reflexion voraussetzt.