Montag, 29. Februar 2016

Florentiner Manieristen im Frankfurter Städel.

Bronzino, Hl. Sebastian
aus Badische Zeitung, 29. 2. 2016

"Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici"

von Volker Baumeister

Als unaufhaltsamen Aufstieg hatte Giorgio Vasari die Geschichte der Kunst geschildert, vom Mittelalter bis zur Renaissance. Vasari war es, der in seinen gesammelten Künstlerbiographien diesen Begriff prägte und die toskanische Hauptstadt Florenz zur Hauptstadt der Renaissance erklärte. Von "Maniera" sprach er und "Maniera moderna", modernem Stil. Die Manier Michelangelos sah er als letzten Schluss an. Die institutionalisierte Konsequenz war die Kunstakademie. Doch entwickelte die Kunst in dieser ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch eine forcierte Eigendynamik, in ihren rotierenden Selbstreflexionen, den fortlaufenden Drehungen um die eigene Achse.

Was auf den kurzen Moment der Hochrenaissance folgt und wofür der Kunstschriftsteller Vasari als Architekt und Maler ja auch selbst steht, fasst die Kunstgeschichte unter dem Begriff Manierismus zusammen. Die Ausstellung "Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici" im Frankfurter Städel konzentriert sich auf ein frühes Zentrum und nennt gleich zwei Hauptdarsteller. Jacopo Pontormo und der jüngere Agnolo Bronzino sind herausragende Köpfe einer Kunst gesteigerter Künstlichkeit. Doch Gegenpole sind sie auch, so nah sie sich standen als Lehrer und Schüler, als Freunde.


Treppe in Michelangelos Biblioteca Laurenziana 

Pontormos gewundenen und gestauchten, expressiv büßenden Hieronymus scheinen Welten zu trennen von Bronzinos Märtyrer Sebastian, der den ihn durchbohrenden Pfeil wie ein Piercing zu Schau stellt. Dem Hieronymus, dem einzigen Gemälde Pontormos in einer deutschen Sammlung, hatte "Maniera"-Kurator Bastian Eclercy an dessen Standort in Hannover schon eine monographische Ausstellung gewidmet. In Frankfurt zeichnet er den Horizont viel weiter. Ein frühes Werk Raffaels markiert den Punkt, von dem alles ausgeht und abweicht.


Pontormo, Hieronymus als Büßer

Zeugnisse einer unruhigen Zeit

Die "Madonna Esterházy" verkörpert das Renaissance-Ideal von Ruhe und Ausgleich. Zu einer Pyramide fügen die Jungfrau, ihr Kind und Sankt Johannes sich wie für die Ewigkeit. Bei Rosso Fiorentino (der mit Pontormo das Geburtsjahr 1494 und den Lehrer Andrea del Sarto teilt) zerfällt das schöne Gebäude in der Hitze des Augenblicks. Doch nicht nur die metaphorische Architektur negiert den festen Körperbau. Als veritable Kaskade stellt sich die Treppe im Vestibül von Michelangelos Biblioteca Laurenziana dar [s. o.]; die "Maniera" verblüfft mit einem Raummodel im Maßstab 1:3.


Raffael, Madonna Esterházy

Der grandiose Zeichner Pontormo lässt nun auch die Triebkraft schöpferischer Dynamik sichtbar werden. Und von Bewegung und Ausdruck der nordeuropäischen Druckgrafik ist er sichtlich berührt. Für Vasari ein stilgeschichtlicher Rückfall. Der Kunstrichter wirft ihm vor, Dürer verfallen zu sein. Doch ist der nur eine Option. Den Zugriff auf Leonardo hält Pontormo sich ebenso offen, Michelangelo nähert er sich unmittelbar, wenn er Kartons von ihm zum Gemälde ausarbeitet. Die Affinität ist unübersehbar auch in seinem "Martyrium der Zehntausend", dem Eclercy Fassungen von Bronzino und Perino del Vaga zur Seite stellt. Zeugnisse einer unruhigen Zeit. Nachdem Truppen Karls V. 1527 Rom geplündert hatten, wo mit Clemens VII. ein Medici-Papst residierte, verlor die Familie in Florenz ihre Macht. Eine Florentiner Republik wurde ausgerufen – und blieb ein Intermezzo. Ein rasches Bündnis der Feinde Karl und Clemens führte zur Belagerung und blutigen Eroberung der Stadt. "Kein Schimmer jenseitigen Lichts" (wie der Pontormo-Forscher Kurt W. Forster bemerkte) erhellt Pontormos Massaker. 



Pontormo, Martyrium der Zehntausend.

Im frisch installierten Florentiner Medici-Herzogtum stieg Bronzino zum ersten Porträtisten und Hofmaler auf. Ein glänzender Mann, der es verstand, Glanz zu verbreiten. Er selbst erklärte sich mit überlegener Coolness zum Meister der Oberfläche. Man sieht in der makellosen Malhaut den Illusionismus selbst am Werk – die Malerei sich selbstgewiss mit der konkurrierenden Bildhauerei messen. Wie eine malerisch belebte Statue wirkt die im Städel beheimatete "Dame in Rot": ein raffiniert synthetisches Wesen. Unnahbar mit ihrem glasklaren Blick. Die hohlgebrannten Augen Pontormos sprechen eine andere Sprache.


Pontormo, Dame in Rot

Dass Kunst nichts Geringeres als "Schöpfung" sei, waren sich die Protagonisten einig. Doch für Vasari galt Pontormo, der sich mit seinem hohen Anspruchquälte, auch zeitweise blockierte, als ein abschreckendes Beispiel. Vasari war ein Kunstunternehmer, Aufsteiger, Hofmann mit Stil. Pontormo in seinen Augen der melancholische Sonderling. Es ist das der Graben, den der Manierismus aufreißt. Er kreiert auf der einen Seite den Künstlerstar, auf der andern den Künstler als Außenseiter.


Rosso Fiorentino, Mars, Venus und Cupido

Am Schluss des sehr lohnenden Frankfurter Ausflugs in die Geschichte der Kunst und ihrer Selbstentwürfe finden wir zwei Bücher. Die Künstlerviten Vasaris, in der erweiterten Ausgabe von 1568, und Pontormos "libro mio". Ein kärgliches Tagebuch der letzten Lebensjahre (1554–1556). Eine Aufzählung der Mahlzeiten mit und ohne Bronzino. Voll Klage über Schmerzen und Unwohlsein. Pontormo ist der eigene Körper eine Bastion. Oder Gefängnis. Und die Tätigkeit seines Darms bedeutend wie sein Tagwerk in der Medici-Kirche San Lorenzo. Mit seinem über Wände 
ausgebreiteten Figurengedärm da im Chor huldigt er noch einmal dem Michelangelo. Und stellt ihn Kopf, den Gott Vasaris! Es ist die letzte Drehung im Gewinde seiner Kunst. Geblieben sind nur die Zeichnungen dazu. Das Werk hat der Unverstand längst zerstört. Und ist nicht Pontormo überhaupt einer, der die Irritation in der Geschichte der Kunst etablierte? Vasari behauptete vom hohen Ross herunter, dass er vor den Fresken in San Lorenzo fürchte, "verrückt" zu werden.


Pontormo, Auf dem Weg nach Golgatha, Fresko in San Lorenzo


Städel Museum Frankfurt. Bis 5. Juni, Di bis So 10-18 Uhr, Do, Fr 10-21 Uhr.

Nota. - Nach Vasari zeichnet sich die Kunst der Renaissance vor der vorangegangenen Maniera greca durch die Prinzipien Schönheit und Natürlichkeit aus. Mit Pontormo und seinen Florentiner Zeitgenossen kommt als Prin-zip die Freiheit der Kunst hinzu; Schönheit und Natürlichkeit müssen klein beigeben.
JE




Sonntag, 28. Februar 2016

Zugänge.


















Nota.- Die obigen Fotos gehören mir nicht. Wenn nicht anders angezeigt, habe ich sie im Internet gefunden. Sollten Sie einer der Eigentümer sein und deren Verwendung sn dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Mitteilung auf diesem Blog.

Freitag, 26. Februar 2016

Russische Avantgarden in der Albertina.

Vervollkommnetes Portrait von Iwan Kljun, 1913Malewitch, Vervollkommnetes Portrait von Iwan Kljun, 1913 
aus Die Presse, Wien, 26.02.2016 
                                                                   
Die Kunst der Verleugnung der Schwerkraft
Eine prächtige, epische Ausstellung erzählt von der extremen Zeit der russischen Avantgarde, von Chagall und Malewitsch, von zehn Jahren, in denen so viel Aufbruch, Kampf, Leiden(schaft) geschah, wie nie sonst in der Kunstgeschichte.

von Almuth Spiegler

Man merkt das Herzensanliegen des Albertina-Direktors – diese Ausstellung hat Klaus Albrecht Schröder zumindest im Geiste seit Jahrzehnten vorbereitet, er sei Ausstellungen der russischen Avantgarde immer schon rund um die Welt regelrecht nachgefahren, erzählt er. Das kann er sich jetzt sparen, er muss nur in den zweiten Stock der Albertina gehen. Ab heute ist hier in selten epischer Breite die Geschichte der innovativsten Zeit der Moderne, wahrscheinlich sogar der spannendsten Zeit in der ganzen Kunstgeschichte, zu sehen. Und es ist eine prächtige Schau geworden.

Die blaue Kuh, 1911
Natalia Gontscharowa, Die Blaue Kuh, 1911

130 Gemälde, ein paar Skulpturen und Papierarbeiten hat Kurator Schröder vor allem aus dem Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg ausgeliehen. Diese ungewöhnliche Konzentration auf die Malerei ist es auch, die diese Ausstellung so bestechend macht. Denn schnell kann man sich verzetteln als Kurator angesichts des Anspruchs der russischen Künstler in der Kernzeit von 1910 bis 1920, Kunst und Leben zu verbinden. Was zu einer unvergleichlichen Fülle an Medien führte, in denen man versuchte, der bolschewistischen Revolution zu dienen, von deren gesellschaftlicher Utopie die Künstler erst einmal begeistert waren. Fotografie, Buchdruck, Stoffmuster, Theater, Aufmärsche, Plakate, alles musste im Geist der neuen Sache gestaltet werden. Der Künstler sollte Forscher und Produzent sein, nicht einsam im Atelier werken, was die meisten dennoch taten.

Phantasie, 1925
Kus'ma Petrow-Wodkin, Phantasie 1925


Gleichberechtigte Künstlerinnen

Auf genau das wirft Schröder sie jetzt zurück, die ganze Multimedialität lässt er beiseite. Genauso wie die besondere Rolle der Künstlerinnen, die sich einzigartig in den modernen Avantgarden dank neuer Gesetze gleichberechtigt neben ihre Kollegen stellen konnten, was unlängst in der Paare-Ausstellung im BA-Kunstforum beleuchtet wurde. Die Bilder der Malerinnen hängen in der Albertina nun in einer derart nonchalanten Selbstverständlichkeit dazwischen, dass der Unterschied zu anderen europäischen Moderne-Präsentationen, in denen man Frauennamen lang sucht, noch markanter ist.

Aviator, 1914 Malewitch, Aviator, 1914

Aber auch auf diesen Gender-Sidestep lässt sich die Albertina-Ausstellung nicht ein, es geht alles um diese frappierende Gleichzeitigkeit der Stile, um die rasante Abfolge von Schulen, das Sichtbarmachen der existenziellen Spannungen zwischen den Künstlern, die schließlich alle um einen Trog, um einen einzigen Auftraggeber rittern mussten, den Staat. Es gab einfach keine Sammler, keine Galerien, die hier halbwegs friedliche Parallelentwicklungen unterstützt hätten, wie es in Paris oder Berlin der Fall war.

Jude in Rot, 1915
Chagall, Jude in Rot, 1915

Es ist also die Politik, in deren Dienst sich diese Avantgarden stellten und die daher auch unvergleichlich großen Einfluss nahm auf die Kunst. Was auch innerhalb der Gesamtwerke einzelner Künstler zu teilweise absurden stilistischen Volten führte. So zum Beispiel bei Natan Altmann, der 1914 ein elegantes, kubistisch nur angehauchtes Porträt der Dichterin Anna Achmatowa schuf. Sieben Jahre später erkennt man seine Handschrift nicht wieder bei einem geometrisch-abstrakten, mit Schrift versetzten Agit-Prop-Schild. Umgekehrt geht das weiter, 1922 malte Wladimir Lebedew noch eine in all ihre kubistischen Einzelteile zerlegte Wäscherin. 1935 dann ein rosig-nackiges Renoir-Mädchen. Wie viele andere war er nach Stalins Machtergreifung in die innere Emigration gegangen, 1932 hatte das Zentralkomitee der KPdSU die Auflösung aller künstlerischen Gruppierungen beschlossen, die nicht dem Sozialistischen Realismus entsprachen.

Aktmodell, 1935
Lebedew, Aktmodell 1935
Der erste Raum der Ausstellung ist anhand von vier Bilderpaaren der Demonstration solcher wilden stilistischen Sprünge gewidmet. Geht man weiter, geht man mitten hinein in die Geschichte – vor sich sieht man schon eine Büste Lenins, dreht man sich um, sieht man zwei Büsten des letzten Zarenpaares, Nikolaus II. und Alexandra. In diesem Fegefeuer wird klar, dass der Beginn der russischen Avantgarden bereits vor der Revolution anzusiedeln ist, beim Künstlerpaar Natalia Gontscharowa und Michail Larionow mit ihrem betont nationalen Primitivismus.

Mensch + Luft + Raum, 1913 Ljubow Popowa, Mensch + Luft + Raum, 1913


Und schon beginnt die rasante Rallye der Ismen: Rayonismus, Kubofuturismus, Suprematismus, Konstruktivismus, Supranaturalismus etc. Hinter all diesen spröden Begriffen stehen enorme Leidenschaft und kämpferische Geister wie Wladimir Malewitsch, Vladimir Tatlin, Alexander Rodtschenko. In diesen Machtkämpfen blieb kein Auge trocken, es war beinhart, so wechselte etwa 1920 die gesamte Klasse an der Kunst-Uni in Witebsk, an der Marc Chagall unterrichtete, geschlossen zu Konkurrent Malewitsch – gegenständlich zu malen galt plötzlich als altmodisch.

Einblick in die Ausstellungshalle


Wunderschöner Chagall-Raum

Chagall, dem ein wunderbarer Raum gewidmet ist, u. a. mit dem Hauptwerk des „Grünen Geigers“, das laut Schröder vielleicht das letzte Mal vom Stedelijk Museum Amsterdam verliehen wurde, musste schließlich nicht nur die Kunst-Uni, an die er Malewitsch ursprünglich sogar berufen hatte, sondern auch Russland wieder verlassen. Genau wie Wassily Kandinsky, der mit seiner lyrischen Abstraktion und seiner großbürgerlichen Herkunft im bolschewistischen System nicht weiterkam. Was aber alle verbindet, so Schröder, ist die Ablehnung der Vergangenheit, die sich in einer Art Schwerelosigkeit ausdrückt, in einer Negation der Gravitationskräfte.

Der Geigenspieler, 1912Chagall, Der Geigenspieler 1912

Das hat sein Ende mit der Machtübernahme Stalins, mit dem Sozialistischen Realismus sinkt alles wieder schwer zu Boden. Das letzte Bild der Ausstellung steht in seiner Totenstille für diese alles zudröhnende Doktrin: Wladimir Malagis' Bild von 1933 zeigt Arbeiter, die sich um einen Tisch versammelt haben. Auf ihm steht ein Lautsprecher, das Bild heißt „Man lauscht der Rede Stalins“.

Bis 26. Juni, tägl. 10–18 h, Mi. 10–21 h



Mittwoch, 24. Februar 2016

Was erlauben...?


Das verschlägt Ihnen die Spucke, was? Doch wer das sieht und hat einen Fotoapparat zur Hand, hat nicht das Recht, es nicht zu knipsen. Aber wozu knipsen, wenn man es nicht zeigen will? 

Ich hab es nicht geknipst, ich habe keine Entschuldigung, ich zeige es Ihnen einfach so; vielleicht ist es mir schon morgen peinlich.  



Dienstag, 23. Februar 2016

Aber gut gemacht, kann man nicht anders sagen.

Robert Cottingham  Joy Theatre 2014 

Robert Cottingham is known as a photorealist, but his meticulous paintings and drawings of pre-digital Americana border on abstraction. Cottingham depicts mid-20-century signs, typefaces, manual cameras, railroad boxcars, and mechanical components, or what he has called “tools of the Everyman,” in various dynamic compositions with intensified color and light. The artist has described his fascination with signs as originating from trips to Times Square as a child: “I think that’s when the seed was planted, when I saw the kind of activity going on above the ground level.” Obsessed with the precise geometry of his subjects, Cottingham’s process incorporates a series of steps that can include sketches, photographs, shapes mapped onto grids, and model construction. His crisp, often-monumental canvases celebrate and accentuate the forms of his subjects while remaining devoid of nostalgia. He lists Franz Kline, Edward Hopper, and the New Realists among his influences.

Paul Beliveau, Vanitas (Splash) 2015

What does Marilyn Monroe have in common with Albert Einstein; Elvis Presley with Mao Zedong, or Federico Fellini with Tintin (the Belgian cartoon character)? Not much at a glance - but in fact they all have something in common with each other: they have been tainted, that is in the sense to say painted, by one very special Canadian brush. Indeed, they all appear in the paintings by Paul Beliveau, a Canadian artist whose exclusive focus in art is to paint books, book spines especially, some from his own book collection, but most from his own extensive library of imagination.

See: www.paulbeliveau.com/home/


Steven Mill, Folded, 2015

Born in 1959 in Boston, Massachusetts and raised as a child on Martha’s Vineyard, his family moved to Walpole, MA as a young teen though he has continued to summer on Martha’s Vineyard. Influenced by the works of Andrew Wyeth, his early paintings consisted mostly of landscapes. After seeing the work of Richard Estes at a show in Boston, Photorealism became his passion. Today his interests are somewhat varied though his main focus is on the “extraordinarily-ordinary”. Mills takes your eye to a place where most would need a magnifying glass. Getting in so tight the viewer can see the stressed metal in a bottle cap or the texture of a newspaper.

See: stevemillsart.com/

Richard Estes, The Plaza 1991 

Bilder und Texte aus Gandalf's Gallery


Nota. - Nein, meine Überschrift ist nicht gehässig, das bestreite ich. Sie soll aber eine tragikomische Situation verdeut-lichen.

Ob heute mehr Talente geboren werden als früher - wer wollte das beurteilen. Aber gewiss werden durch die Explosion der visuellen Medien heute unvergleichlich mehr Talente animiert, aus ihrem Talent etwas zu machen; am besten eine Erwerbsmöglichkeit, damit sie auch die Zeit finden, aus ihrem Talent etwas zu machen. Und sicher waren für einen begabten Maler die Möglichkeiten, sein Talent handwerklich so auszubilden, wie es das verdient, nie besser als heute.  

Die Rückseite der Medienexplosion ist freilich: Man hat heute schon alles gesehen. Nicht nur, weil das Internet bis zu den Kykladen reicht und selbst bis Altamira und Lascaux. Sondern auch, weil der PC und Fotoshop jedem Talentierten die Möglichkeit bietet, aus längst sattgesehenen Bilder doch immer noch 'n bissel was Neues zu machen. Was also soll einer heute aus seinem Talent machen?!

Der Hyperrealismus ist dabei ein ehrenwerter Weg, sich aus der Affäre zu ziehen. Aber viel mehr als ehrenwert eben nicht. Richard Estes hat der Manier zum Durchbruch verholfen, indem er ungewöhnliche Blickwinkel gewählt hat. Aber das macht jeder Fotograf heute auch, und die vornehmeren verzichten schon wieder darauf. Bleibt schließlich nur übrig: Aber gut gemacht, kann man nicht anders sagen.
JE

Samstag, 20. Februar 2016

De Chirico in Ferrara.


aus Badische Zeitung, 19. 2. 2016                                                       Chirico, Metaphysisches Intérieur mit großer Fakrik 1916

De Chirico beeindruckt in Stuttgart 
BZ-Leserfahrt zur Staatsgalerie Stuttgart am 7. April / Inklusive Führungen. 

sth. Eine große Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart vom 18. März bis zum 3. Juli 2016 widmet sich Giorgio de Chirico (1888–1978) und seiner Bedeutung für die Kunst der europäischen Avantgarde. Eine BZ-Leserfahrt am 7. April 2016 beinhaltet Führungen durch die Schau "Giorgio de Chirico – Magie der Moderne" und die Sammlung der Staatsgalerie. Danach bleibt Zeit für den eigenen Rundgang. BZ-Kunstexperte Volker Bauermeister führt in die Ausstellung ein und reflektiert sie. All dies und die Busfahrt sind mit BZCard für 59 Euro pro Person inklusive (regulärer Preis: 67 Euro).

Als de Chirico in Ferrara, einst ein Zentrum der italienischen Renaissance, stationiert ist, entwickelt er von 1915 bis 1918 eine Bildsprache voller symbolischer Anspielungen und verstörender Elemente: die "pittura metafisica". Diese metaphysische Malerei breitet sich nach 1918 in ganz Europa aus. Viele Künstler gestalten nun mit mysteriösen Objekten bevölkerte Innenräume und greifen Motive de Chiricos auf. Die Stuttgarter Ausstellung begibt sich in diese spannende Periode und dokumentiert einen der wichtigsten Wendepunkte der Kunst im 20. Jahrhundert. Meisterwerke de Chiricos begegnen hier Arbeiten von Carlo Carrà, Giorgio Morandi, René Magritte, Max Ernst oder Salvador Dalí, die direkt auf die "pittura metafisica" reagierten. Noch nie wurden so viele und so hochwertige Werke dieser Künstler in einer Ausstellung gezeigt.


Chirico 
 L'angelo ebreo

 Il grande metafísico

Solitudine

Hektor und Andromache

I progetti della fanciulla

Il linguaggio del bambino

Il sogno di Tobia

Il trovatore

La malinconia della partenza  


La révélation du solitaire

 
Le muse inquietante 



Camara incantata

Carlo Carrà

Natura morta con la squadra


La musa metafísica

L’ovale delle apparizioni  

Il figlio del costruttore 

 Il cavaliere occidentale


Il dio ermafrodita


 Giorgio Morandi
Natura morta



Salvador Dalí

Piaceri illuminati, 1929

Gradiva ritrova le rovine antropomorfe (fantasia retrospettiva), 1931-32

René Magritte
La condition humaine, 1933


Nota.  – Da könnte man auch sagen: Ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Aber eben: an den Haaren, will sagen: gesehen hatte man sowas zuvor noch nicht. Ist Neuheit eine ästhetische Qualität? Nein, es ist eine künstlerische Quali-tät  – fast möchte man sagen: die künstlerische Qualität  –, dem Publikum die Augen zu erneuern. Und so oft die obigen Sachen inzwischen nachgemacht worden sind: die Originale sehen heute noch so aus, als sähe man sie zum ersten Mal.
JE