Mittwoch, 28. August 2013

Das Motiv in Fotografie und Malerei.

Alex McLean

In den Jahren 2007-2008 habe ich mich, obwohl ich selber nicht fotografiere, an den Bild-Diskussionen der FotoCommunity* beteiligt; einer Plattform, wo (einige) Berufsfotografen und (viele) Amateure ihre Aufnahmen öffentlich ausstellen können. Die FC hat verschiedene ‘Kanäle’, unter anderm einen für Landschaftsfotos. Während meiner Beschäftigung mit der Bedeutung der Landschaftsmalerei für die Freisetzung ‘des Ästhetischen’ im Welt- und Lebensverständnis der Moderne stieß ich auf die Frage, ob sich die Gesichtspunkte, die ich in der Geschichte der Landschaftsmalerei herausgefunden hatte, ebenso in der Landschaftsfotografie bewähren würden; also die Frage, was davon spezifisch zur Landschaft, und was spezifisch zur Malerei gehört.
 
Hier ein Auszug aus einem Brief:

Inge Rambow 
7. 9. 07 
…Ich suche auf Bildern nicht nach einer Aussage.
 
Ich muß vorweg sagen: Ich bin an die FC durch ein eigentümliches, fast ‘theoretisches’ Erkenntnisinteresse geraten. Ich suche dort im Gegenteil nach Bildern, die ‘gar nichts aussagen’. Oder anders gesagt, ich suche nach dem rein-Ästhetischen an den Bildern. Darunter verstehe ich Dasjenige, was vom Bild sichtbar bleibt, wenn man von allen möglichen Bedeutungen außerhalb des Bildrahmens abgesehen hat; also von Allem, was sich irgendwie aufs ‘wirkliche Leben’ bezieht – und aus diesem Grund irgendwie meine Vor- oder Nachteile betrifft. Also Das, was nicht ‘interessiert’, sondern ‘bloß erscheint’. Nach Kant (das ist mein Fach, den darf ich nicht nur, den muß ich zitieren) ist “das Schöne” (=der damals übliche Name für das ästhetisch-Erhebliche) dasjenige, das ‘so erscheint, als ob’ es seinem Zweck restlos entspricht, ohne offenbar aber einen Zweck überhaupt zu haben! ‘Zweckmäßigkeit ohne Zweck’ oder, schlichter gesagt, das, was als Zweck seiner selbst erscheint, das ist das ästhetisch Gerechtfertigte, das rein-Ästhetische. 

Olaf Otto Becker 

Dabei handelt es sich im Grunde nur um eine ‘Idee’, denn streng genommen ‘gibt es’ das rein-Ästhetische natürlich nicht. Schon die Farben selbst haben (von irgendwelchen hirnphysiologischen Vorgängen ganz abgesehen) immer irgendeine ‘lebensweltliche Bedeutung’. Weiß ‘bedeutet’ zum Beispiel für einen Eskimo sicher etwas anderes als für einen Amazonasindianer, so wie umgekehrt grün. Nun, und erst Rot oder Blau oder Gold! Von Schwarz nicht zu reden. Ebenso macht es einen Unterschied, ob regelmäßige geometrische (‘Kunst’-) oder unregelmäßige (‘Natur’-) Formen verwendet werden. – Das Ästhetische ist also besten falls relativ ‘rein’ und nicht absolut. Dieses relativ Reine aber kann man ‘finden’, wenn man es darauf ‘abgesehen hat’! 

Beate Güldner

Mit der “Gemäldegalerie” in meinem Fotohome versuche ich darzustellen, wie die (unbewußte) ‘Suche nach dem rein-Ästhetischen’ die Bildende Kunst – das war damals hauptsächlich die Malerei – auf den Weg der Abstraktion geführt hat: das bloße Verhältnis von Flächen, Farben, Linien und Hell-Dunkel-Werten. Wobei man immer im Kopf behalten muß: Auch ein “rein abstraktes” Bild kann ‘wild’ oder ‘harmonisch’ , ‘heiter’ oder ‘düster’ wirken – und hat also immer noch einen ‘Bezug zum wirklichen Leben’ und seinen Interessen. Wie gesagt: Das rein-Ästhetische ‘gibt es’ am Ende doch nicht. Deshalb hat sich die Abstrakte Malerei schließlich als Sackgasse erwiesen (die allerdings erst gegangen werden mußte, um sich erweisen zu können; und was damals entstanden ist, war Kunst, während es bloß dekorativ wäre, wenn es heute entstünde. XY aus der FC, der als Fotograf auf meiner Buddy-Liste steht, malt solche Bilder, aber ich trau mich nicht, ihm was dazu zu sagen.) 

Nelly Nolte

Ja, soviel zur Malerei. Aber in der FC geht’s ja gerade nicht um Gemälde, sondern um Fotos, und mir ist klar, daß meine Sehweise dort nur am Rande eine Rolle spielen darf. Das Fotografieren ist entweder – für ganz viele – ein ‘Hobby’ oder – für einige – ein Broterwerb; und wenn einer sie im Stillen für (s)eine Kunst hält, traut er’s sich nicht zu sagen. Und sie ist es auch wirklich nur (würde ich sagen) im äußersten Fall. Nämlich in einigen, nicht sehr häufigen Glücksfällen, sofern man es nicht darauf anlegt. (Denn wenn einer mit der Kamera ‘Kunst’ machen will, kommt fast immer nur Kitsch oder Manierismus oder manierierter Kitsch zustande; dafür findet man in der FC reichlich Beispiele.) 


Antja Wagler

Das Foto hängt in ganz anderer Weise als das Gemälde am Gegenstand. Der Maler sitzt vor einer kahlen Fläche, und alles, was am Ende zu sehen sein soll, muß er selber dazutun; was er nicht haben will, läßt er einfach weg. Der Fotograf hat sein ‘Motiv’. Er hat es selbst gewählt, wohl wahr. Aber er hat es nun mal, ‘wie es ist’. Will er was daran ändern, muß er was draufsatteln, sei’s vorab durch die Kameraeinstellung, sei’s danach mit Photoshop. Wenn er dann sein Motiv so verändert, daß man’s nicht wiedererkennt, darf man ruhig fragen: Wieso hat er’s dann gewählt? Soll er’s doch wegwerfen und sich ein andres wählen! 

Will sagen: Durch die bildnerische Technik, die er gewählt hat – die Fotografie eben – hat der Fotograf sich darauf eingelassen, aus Dingen, die da sind, dasjenige herauszuholen, was ihm bedeutend erscheint; bedeutend genug, um es gegebenenfalls mit den Möglichkeiten der modernen Technik so hervorzuheben, wie es auf ‘natürliche’ Weise nicht möglich wäre. (Wenn er stattdessen was ganz anderes zeigen will, soll er zu Pinsel und Farbe greifen.) 

Jörg Bierwirth

Aber da liegt ein Haken: Für den Maler (nämlich wenn er ein Künstler sein will) ist es klar, daß sein Gemälde Kunst sein soll. Und da erwartet man heute (zu recht), daß nur das Ästhetische ihm ‘bedeutend’ genug ist, um es auf die kahle Fläche aufzutragen. Ist es die Sensation, das Dekorative, die Anekdote, ein Witz, die ihm ‘bedeutend’ sind, so wird man von Gebrauchskunst oder Kunsthandwerk reden. Dem Fotografen muß dagegen klar bleiben, daß sein Foto einen Gegenstand darstellt. Und dafür gibt es eine ganze Reihe von Legitimationen, wovon die Kunst die allerletzte ist, nämlich im glücklichen Ausnahmefall. Die Fotografie ist auch als Reklame gerechtfertigt, als Illustration, als entlarvende Kritik (an der Zeit, an der Kultur), als Reportage und bestimmt noch einiges andere, aber vor allen Dingen eben auch hier: als Hobby, zur Erinnerung, als Kuriosum. Und aus allen diesen Motiven heraus kann man seine Fotos in der FC veröffentlichen. Das ist mir mit meinem Blickwinkel klar und ich bemühe mich bei meinen Kommentaren (meistens) um Takt. Aber veröffentlichen heißt: an die ÖFFENTLICHKEIT bringen. Und da lauere auch ich mit meinem Blickwinkel, damit muß man rechnen. Daß einige beleidigt waren, das nehme ich mit philosophischer Gelassenheit. 

Matthias Jakob


*) Die FC hat seither nachgelassen. Aber ein paar gute Bilder finden sich immer wieder.




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