Samstag, 12. Dezember 2015
Menzel nun auch in der Alten Nationalgalerie.
Unter der Überschrift Ein Dämon in seinem Garten bespricht in der heutigen FAZ Andreas Kilb nicht nur die Menzel-Ausstellung im Märkischen Museum, sondern die unlängst ebenfalls eröffnete Menzel-Würdigung im Kupferstichkabinett der Alten Nationalgalerie.
...In der Ausstellung „Blinde Blicke“, die das Berliner Kupferstichkabinett in der Alten Nationalgalerie präsentiert, ist es die „Ansprache Friedrichs des Großen vor der Schlacht bei Leuthen“, die gegenüber vom Sonderausstellungssaal des Museums hängt. Auch dieses Bild hat der Maler unfertig hinterlassen, nur dass er mit ihm noch härter verfuhr als mit dem Kreuzberg-Panorama. Nach 1861 hing die „Ansprache“ im Berliner Schloss, wo Menzel das Krönungsbild Wilhelms I. malte. Der Maler wollte seinem Mäzen auch das Friedrich-Gemälde verkaufen, aber Wilhelm fand die Figur des Preußenkönigs zwischen seinen Generälen zu klein. Menzel nahm sein Werk wieder mit und ließ den Bildraum, der für den Alten Fritz vorgesehen war, weiß. Später gab er einem Gehilfen den Auftrag, bei mehreren Offiziersporträts die Augen auszukratzen. Derart verstümmelt, hängt das Bild nun in der Menzel-Halle der Nationalgalerie, zwischen dem „Eisenwalzwerk“ und dem „Flötenkonzert von Sanssouci“. ...
Friedrich der Große mit seinen Generälen vor der Schlacht von Leuthen.
Das Fragmentarische, ob in „Alt-Berlin“ oder Alt-Preußen, führt auf die Spur der Widersprüche in Menzels Leben und Werk. Der Wunsch, als Künstler zu glänzen, den Markt zu beherrschen und bei Hof zu reüssieren, trifft bei dem kleinwüchsigen Menzel auf einen Charakter, dem Gefallenwollen aus Prinzip verhasst ist. Noch als geadelter Staatsmaler wahrt er die Distanz des Außenseiters, der von schräg unten auf die Verhältnisse schaut. In den böhmischen Lazaretten zeichnet er die Hölle des Preußisch-Österreichischen Krieges, in der Reichshauptstadt Berlin malt er den Limbus des Bürgertums. An Friedrich dem Großen, dessen Welt er mit dem Eifer eines Botanikers erforscht, fasziniert ihn die Einsamkeit des Musenfürsten; als das Publikum, durch die Siege der Bismarckzeit entzündet, von ihm den Kriegshelden verlangt, entzieht er sich.
Friedrichs Tafelrunde
Deshalb muss die „Ansprache“ ein Torso bleiben; und deshalb findet Menzel, anders als Corot, nicht den Weg in die Verklärung, ins „Alt-Berlin“ der Nostalgie. Seine Palette bleibt kühl, metallisch, funkensprühend, durch seine Gärten weht ein Hauch von kaltem Frühling. Die malerische Wärme, die er übrig hat, spart er für seine Schwester und deren Kinder auf; ihr Münchner Ölporträt, das 1847, im Jahr des Kreuzberg-Bildes, entsteht, markiert den Hitzepunkt in seinem Werk.
Grausam beschnitten, verstümmelt, kastriert
In der Ausstellung im Märkischen Museum kann man sehen, wie alles begann. Im Jahr 1832, kaum zwei Jahre nach dem Umzug der Familie nach Berlin, stirbt Menzels Vater an der Cholera. Der sechzehnjährige Adolph muss die neu gegründete Lithographiewerkstatt allein weiterführen. Er schlägt sich mit Einzelarbeiten durch, Neujahrskarten, Vignetten, Illustrationen, bis der Auftrag, Franz Kuglers „Geschichte Friedrichs des Großen“ zu illustrieren, ihm Luft verschafft. In der Künstlergesellschaft „Tunnel über der Spree“, in der er mit Kuglers Hilfe aufgenommen wird, trägt er den Namen „Rubens“. Eine „ganze Arche Noäh“ habe er gemalt, schreibt Fontane, ebenfalls Mitglied, in einem Gedicht auf Menzels siebzigsten Geburtstag. Er meint aber nicht dessen Berliner Landschaften und Hinterhöfe, auch nicht das „Balkonzimmer“, das zum Fetisch der Menzel-Gemeinde geworden ist, sondern die Bilder aus der Welt des Alten Fritz. Bis in Menzels Greisenjahre haben sie den wichtigeren Teil seines Werks verdunkelt. Erst die Verehrung Liebermanns und die Neuentdeckung durch Beckmann und Grützke haben den Deutschen klargemacht, dass es dort, wo in Frankreich Corot, Courbet, Manet aufeinanderfolgten, bei ihnen nur Adolph Menzel gab, dass er fünfzig Jahre lang allein die Avantgarde der deutschen Malerei verkörperte.
Anhalter Bahnhof im Mondlicht, 1846
Und ihre Schattenseite. In der Kabinettausstellung der Alten Nationalgalerie bekommt man einen Eindruck von den Kräften, die Menzels Kunst unter Verschluss hielt. Sieben der vierundzwanzig hier gezeigten Zeichnungen, Gouachen und Lithographien hat der Maler grausam beschnitten, verstümmelt, kastriert. Bei einem Männerporträt - es zeigt den Physiologen Emile du Bois-Reymond - trennte er mit spitzer Schere das linke Auge, bei einem Frauenbildnis die gesamte Augenpartie ab. Einem Fahnenträger fehlt die obere Schädelhälfte, einer Mutter mit Kind das Gesicht und der Säuglingskopf.
Als wollte er gleich ein Messer zücken
Das ist nicht die weiße Bildmagie, die Werner Busch in seiner Biographie bei Menzel am Werk sieht. Es ist die schwarze Magie eines Dämons. Für den stark kurzsichtigen Menzel waren Augen mehr als ein Instrument des Sehens. Sie waren, wie die Kuratorin Frida-Marie Grigull in ihrem klugen Katalogaufsatz zeigt, der Ort, an dem sich Verführungskraft und Verletzlichkeit des Individuums auf einen Punkt zusammenzogen. Deshalb trieb er immer wieder sein Spiel mit dem Hinschauen, Wegschauen und Angeschautwerden, sei es bei den Bären im Zoo oder den Logengästen in der Oper. Und deshalb schnitt er seinen Porträts die Augen weg, damit sie die Nachwelt nicht mehr anschauen konnten.
Selbstbildnis mit Zahnrose, 1892
Sich selbst porträtiert Menzel 1892 als Einäugigen mit „Zahnrose“. Die vertrauten Gesichtszüge, vom Zahnschmerz aufgequollen, sind auf der linken Seite ausradiert. Nur das rechte Auge brütet hinter dem Brillenglas vor sich hin, als wollte es gleich ein Messer zücken. Aber das Messer hat Menzel ja schon gezückt. Es ist seine Kunst.
Blinde Blicke. In der Alten Nationalgalerie; bis zum 21. Februar 2016. Der Katalog kostet 19 Euro.
Nota. - Das ist mal ein guter Einfall: Wo bei den Franzosen Corot, Corbet und Manet aufeinanderfolgten, musste Adolph Menzel in Deutschland fünfzig Jahre lang ganz allein die Avantgarde verkörpern. Das ist ästhetisch gesehen noch treffender als kunsthistorisch.
JE
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