Freitag, 11. November 2016

Ist Manierismus der Modus der Krise?


aus nzz.ch, 6.11. 2016, 05:30 Uhr                                                                   Parmigiano, Madonna mit der Rose

Manierismus und Krise
Der Verlust der Mitte
Die moderne Gesellschaft befindet sich – wie einst die Epoche des Manierismus – in einer Krise, die die Vorstellung eines sich automatisch vollziehenden Fortschritts hat fragwürdig werden lassen. 

von Peter Bürger 

Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier 


Bacchus And Venus Painting - Bacchus And Venus by Bartholomaeus SprangerBartholomäus Spranger Bacchus und Venus 



Michelangelo, Ein Ignudo in der Sixtinischen Kapelle

 Cornelis van Haarlem, Sintflut, 1592 


 Correggio, Die Madonna des Hl. Georg 


Hans von Aachen Venus, Cupido und Satyr

Tintoretto, Herkules wirft den Faun aus dem Bett der Omphale.


Nota. - Das Ästhetische interessiert ihn so gut wie gar nicht: "Überdehnung des menschlichen Körpers und Fragmentie- rung des Raums". Stattdessen eine Art historischer Kunstsoziologie, angereichert mit Spuren von histoire des mentalités. Warum nicht, ist ja auch nicht uninteressant.

Warum nicht? Hier nicht, weil es eitles Orakeln über die rein akademische Frage vom 'Fortschritt in der Kunst' legitimiert. Das ist ein Thema von Ideologen für Ideologen. In ästhetischer Hinsicht würde stattdessen zu allererst auffallen: "Renaissance" bedeutet nach Vasari, der inzwischen selber zu den Manieristen gezählt wird, Schönheit und Natürlichkeit. Von der Natürlichkeit waren Raffael und Leonardo längst abgewichen, wozu sonst das sfumato? Auf Schönheit legte Michelangelo schon auch keinen Wert mehr, soweit es nicht die strotzende Kraft nackter Männerleiber betraf. 

Ob man das als einen Fortschritt in wertendem Sinn ansehen kann, ist natürlich diskutabel. Aber einen Fortschritt in dem Sinn, dass auf diesem Weg die bildende Kunst befreit wird aus den Fesseln ihr selber äußerlicher Bestimmungen - das lässt sich ja nun doch nicht leugnen. 'Schönheit und Natürlichkeit' waren für Vasari die Brecheisen gewesen, mit denen er der rein kultischen und repäsenativen Maniera greca zu Leibe gegangen war. Aber Schönheit hieß in der Renaissance Harmonie und Versöhnung und war der ideologische Kontrapunkt zur macchiavellischen italienischen Wirklichkeit. 

Mit der Natürlichkeit ist es offenbar komplizierter. Es wird bei Vasari gar nicht klar, was er darunter versteht, denn um der Schönheit willen hat er selber wie alle seine Zeitgenossen bedenkenlos an der Natur gebogen und gebrochen. Kam sie vielleicht zu neuen Ehren, als der Zwang zur Schönheit nachließ? (Caravaggio hat sich hinter die Manieristen zurück wieder der Natürlichkeit zugewandt.) 

Fest steht, dass erst nach dem Ende der Renaissance und nach dem Ende des Manierismus eine eigene Landschaftskunst entstehen konnte, die außer modischen und mentalen auch eigene gedankliche Vorgänger hatte.

Wahr ist auch, dass durch eine solche kleinteilige Verortung des Manierismus im Fortschreiten der Kunst weg vom Sachlich-Thematischen und hin zum rein-Ästetischen der große Wurf einer überhistorischen (geheimen!) "Korrespondenz der Epochen" an Farbe verliert und die schmucke Idee von einem Modus der Krise prosaisch erblasst; und einen 'Zugang zum Unverstandenen unserer Zeit' kann man noch lange suchen.
JE 



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