Samstag, 30. März 2019

Joaquín Sorolla in London.

aus Tagesspiegel.de, 29. 3. 2019                                                                                Rückkehr vom Fischfang 1894

Meister des Lichts

Die National Gallery London widmet dem erfolgreichen spanischen Salonmaler Joaquín Sorolla eine Ausstellung. Sie gerät so kulinarisch wie die Malerei um 1900. 


Im Jahr 1908 pries die Londoner Kunsthandlung Grafton eine Ausstellung unter der Schirmherrschaft des spanischen Königspaares als eine des „größten lebenden Malers der Welt“ an. Mag das bloße Reklame gewesen sei, so bestand doch Einigkeit darüber, dass der Spanier Joaquin Sorolla (1863-1923) zu den führenden zeitgenössischen Künstlern zählte. Als Sorolla im Jahr darauf in New York gastierte, zählte seine Ausstellung 160 000 Besucher, und sage und schreibe 195 Werke wurden verkauft.

  
110 Jahre später muss man den Namen buchstabieren. In Spanien kennt man ihn, doch auch dort als historische Größe, nicht mehr als ästhetischer Maßstab. Sorolla malte in jenem opulenten Stil, der sich aus Impressionismus und Akademie gleichermaßen speiste und um und nach 1900 in vielerlei Abstufungen in allen westlichen Ländern gepflegt wurde. Deutscherseits könnte man an Max Liebermann denken; näher noch stehen Sorolla der amerikanische, in Europa lebende Gesellschaftsmaler John Singer Sargent sowie dessen enger Freund, der Schwede Anders Zorn. Zorn malte seinerseits amerikanische Größen wie den 27. US-Präsidenten Howard Taft – der wiederum auch Sorolla Modell saß.


Um in diese gehobene Sphäre vorzudringen und mit seiner Malerei regelrecht reich zu werden, bedurfte es einer sehr zielgerichteten Karriere. Es bedurfte einer ganzen Reihe von Gemälden, die Sensation machten und den Namen des Künstlers in die Welt hinaustrugen. Davon kündet die Retrospektive, die die Londoner National Gallery dem Spanier jetzt unter dem Titel „Der spanische Meister des Lichts“ ausrichtet – der ersten Ausstellung in London seit 1908.


Großformate zu gesellschaftlichen Themen

Man kann es einerseits mutig nennen, dass ein auf die Spitzenleistungen der abendländischen Malerei abonniertes Haus wie die National Gallery einen in die Geschichtsbücher abgesunkenen Künstler so herausstellt. Man kann andererseits darauf hinweisen, dass der Museumsdirektor, der ungeachtet seines italienischen Namens gebürtige Brite Gabriele Finaldi, seit jeher ein Bewunderer alles Spanischen ist und einige Jahre am Madrider Prado gewirkt hat, bevor er 2015 den Londoner Chefposten übernahm. Jedenfalls reiste die spanische Königin Letizia eigens zur Eröffnung an, bei welcher Gelegenheit sich auch Prinz Charles zeigte, der als Schirmherr der National Gallery eine Position einnimmt wie weiland Kaiser Friedrich über die Berliner Museen.

 

Das war natürlich allerbeste Reklame für eine Ausstellung, von der die englischen Massenmedien sonst nicht gleichermaßen Notiz genommen hätten. Doch was bleibt nach dem königlichen Auftritt? Nun, Sorolla steht stellvertretend für jene breite Strömung der Kunst um 1900, die ein bürgerliches Publikum sowohl mit gekonnter Malerei als auch mit teils gefälligen, teils anstößigen Themen versorgte. Sorolla wurde mit Großformaten zu gesellschaftlichen Themen berühmt. Seine umfangreiche spätere Produktion bestand dann vorwiegend in heiteren Szenen mit weißgekleideten Damen am Strand oder in üppiger Natur. Sorolla malte anfangs eine Kindesmörderin auf dem Weg zum Gericht; eine Gruppe körperbehinderter Jungen, die von den Anstaltspatres zum Baden im Meer begleitet werden; die harte Arbeit der Fischer seiner Heimatstadt Valencia.


 
Inspiriert von Velázquez

Zumal diese „Rückkehr vom Fischfang“ [s. o.] ist eine kompositorische Meisterleistung, zudem von malerischer Delikatesse in der Wiedergabe von Licht und Reflexen – etwas, wofür Sorolla zeitlebens berühmt war. Das drei auf vier Meter messende Bild wurde beim Pariser Salon von 1895 mit einer Goldmedaille bedacht und daraufhin vom französischen Staat angekauft.


Das eher heitere Großformat der „Segelmacherinnen“ hingegen, eine Etude von Weiß in Weiß, wurde anfangs gerade wegen seiner Problemlosigkeit kritisiert, machte dann aber bei der Biennale von Venedig 1905 Eindruck und wurde von der Stadt für ihr Museum der Moderne im Ca’Pesaro erworben.

Fortan war Sorolla als Portraitist gesucht. So malte er unter Bezugnahme auf Velázquez den ersten spanischen Nobelpreisträger von 1904, José Echegaray. Seine drei Kinder stellte er in einem Großformat dar, das von vorneherein für Ausstellungstourneen gedacht war und dem Künstler die gewünschte Anerkennung wie die entsprechenden Aufträge eintrug.


In diesem Kinderbildnis kommt er dem gleichaltrigen Sargent malerisch ganz nahe, und das Londoner Publikum versteht einen entsprechenden Hinweis, bewahrt doch die Tate Gallery ein vergleichbares Gemälde des amerikanischen Ex-Pats. Sodann malte Sorolla immer wieder Strandszenen; manche, wie „Der junge Fischer“ von 1904, mit leisem sozialkritischen Touch: Denn während der Fischerjunge seinen Fang an den Strand trägt, baden im Hintergrund die Abkömmlinge eben jener leisure class, die doch Sorollas Bilder so sehr schätzte.


Eine gute Gelegenheit, über den Wechsel von Ästhetik nachzudenken

Es ist schwer zu sagen, warum genau der Stern dieser Malerei sank. Der Verweis auf Sorollas Landsmann Picasso hilft nicht weiter, auch wenn der Siegeszug des Kubismus ab 1910 mit dem Niedergang der Bravura-Malerei von Sorolla & Co. einhergeht. Denn natürlich gingen die Sammler des älteren Spaniers nicht mit fliegenden Fahnen zum jüngeren über.


Eher muss man den (Ersten) Weltkrieg nennen, der die Welt der Bourgeoisie, in der Sorolla in jeder Hinsicht angekommen war, so nachhaltig erschütterte, dass sie danach an Opulenz und deren Zurschaustellung keine rechte Freude mehr fand. Insofern ist die Londoner Ausstellung, über deren Erfolg man sich in Anbetracht der Beliebtheit des Hauses keine Gedanken machen muss, eine gute Gelegenheit, um über den Wechsel ästhetischer Vorlieben, den Wechsel des Geschmacks nachzudenken. Wäre dies jedoch die Absicht des hispanophilen Direktors gewesen, es hätte eine ganz andere und womöglich spannendere als diese denn doch eher kulinarische Ausstellung ergeben können – und müssen.

London, National Gallery, Trafalgar Square, bis 7. Juli. Katalog 25 GBP. – Mehr unter www.nationalgallery.org.uk


Nota. - Ein Kunstkritiker hat seine eigenen Gründe, eine Ausstellung zu besuchen, und wärs nicht sein Beruf, unterließe er es manchmal vielleicht. Unter den Ausstellungsbesuchern gibt es sicher manche, die nur hingehen, um schöne Bilder zu sehen. Das ist ja kein schlechter Grund. Will der Rezensent andeuten, in London habe man zu sehr an letztere gedacht und zu wenig an ihn?

Wenn alle gezeigten Bilder von der Art waren, die Bernhard Schulz erwähnt, dann hat er wohl recht. Die bei den Zeitgenossen erfolgreichsten werden wohl die gefälligsten gewesen sein, und denen sieht man seine akademische Herkunft an. Seinen ästhetischen Übertritt zu den Impressionisten hätten sie etwas deutlicher zeigen können, wenn sie, wie ich, mehr auf die Landschaften geschaut hätten. Sehen Sie selbst:










 JE

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