Kosmos Kubismus im Kunstmuseum Basel
Keine andere Kunstrichtung hat die Malerei je mehr revolutioniert als der Kubismus. Die ganze Strahlkraft dieses künstlerischen Quantensprungs wird jetzt – parallel zur Picasso-Ausstellung in Riehen – im Basler Kunstmuseum spürbar.
Von Annette Mahro
Mit alten Gewohnheiten wurde in der Kunst immer wieder gebrochen. Waren da eben noch die Impressionisten und der Vater der Moderne, Paul Cézanne, auf den sich auch Pablo Picasso und Georges Braque beriefen, so gingen diese beiden Mittzwanziger ab 1907 einen radikalen Schritt weiter. Die beiden Künstler, die den neuen Stil so intensiv Hand in Hand entwickelten, dass sich viele ihrer Arbeiten kaum auseinanderhalten lassen, warfen alles über Bord, was sie an Traditionellem für verzichtbar hielten, und ebneten einer völlig neuen Kunstauffassung den Weg.
Braque, 1905?
Die Ausstellung "Kosmos Kubismus. Von Picasso bis Léger", eine Kooperation des Basler Kunstmuseums mit dem Pariser Centre Pompidou und zusätzlich maßgeblich unterstützt durch das dortige Musée Picasso, versammelt 130 Werke, die vornehmlich aus der Zeit von 1908 bis 1918 stammen. Sie vollzieht den Weg der beiden Hauptakteure nach und nimmt anhand von Beispielen unter anderem von Fernand Léger, Juan Gris, Francis Picabia, Henri Le Fauconnier oder Sonia und Robert Delaunay zusätzlich diejenigen in den Blick, die den ihnen zugespielten Ball aufgenommen haben.
Braque
Zwar können die Basler aus dem Vollen schöpfen, zählt der Kubismus dank einer bedeutenden Schenkung des Mäzens Raoul La Roche doch seit den 1960er Jahren zu den tragenden Säulen des Kunstmuseums. Gleichwohl ist die Ausstellung, die jetzt im zweiten Stock des Neubaus gezeigt wird, seit Paris von einst 330 Werken merklich geschrumpft. Die Konzentration auf sichtbare Bezüge der Exponate untereinander oder auf Inkunabeln, zu denen etwa die erste Collage der Kunstgeschichte, Picassos "Stillleben mit Rohrstuhlgeflecht" von 1912 zählt, gerät ihr aber nicht zum Nachteil.
Braque
Die Basler Kuratorin Eva Reifert kann denn auch ihre Begeisterung vor einer ganzen Reihe von richtungsweisenden Werken kaum zügeln. Da wären neben der schon erwähnten Collage und der ersten kubistischen Skulptur "Frauenkopf (Fernande)", die Picasso 1909 in Paris modellierte, auch seine Bronzegüsse von Absinthgläsern mit echtem Löffel von 1914. Wird hier doch ein Alltagsgegenstand zum Kunstobjekt, dieser gleichzeitig aber noch einmal spielerisch neu geformt, in Bronze gegossen, bemalt und schließlich durch eine echte Zutat, den Blechlöffel, ergänzt. Da hatte einer ganz offensichtlich gar keine Ehrfurcht mehr vor dem traditionellen Kunstbegriff – und viele sind ihm gefolgt.
Braque, 1931
Die Ausstellung ist teils chronologisch, teils thematisch aufgebaut. Sie beginnt mit dem Einfluss der iberischen und afrikanischen Skulptur, der etwa 1907 bei Picassos "Les Demoiselles d’Avignon" sichtbar wird, aber auch schon 1906 bei seinem Bildnis der Gertrude Stein. Das Werk, das das New Yorker Metropolitan Museum of Art erstmals seit 40 Jahren wieder ausgeliehen hat, ist ein weiteres Highlight. Hier zeichnet sich bereits ab, dass nicht mehr die objektive Darstellung im Vordergrund steht, sondern das tiefe Eintauchen in den Bildgegenstand. Die Schriftstellerin wirkt ohne typisches Attribut, dafür aber versehen mit dem typischen "Picasso-Auge" sinnierend für sich selbst.
Braque, 1942
Später werden die Figuren und Motive zerlegt, verschiedene Ansichten zu einem Ganzen kombiniert. Daniel-Henry Kahnweiler, der legendäre Galerist der Kubisten, hat die Begriffe des analytischen (ab etwa 1910) und synthetischen Kubismus (ab 1912/1913) geprägt. Hatten Picasso und Braque damit begonnen, die Fläche zu facettieren, begannen sie bald, die geschlossene Form der Figur aufzubrechen, was an den Rand der Abstraktion rührte. Ab 1911 wurden unter anderem Zahlen und Buchstaben eingefügt, die für den Betrachter ein "Entziffern" zuließen.
Auch neue Materialien kamen hinzu und damit neue Anekdoten. Da wäre etwa Georges Braques Entdeckung einer Tapete mit Holzmuster, die er zerschnitt, um Teile daraus in seine Werke einzukleben – eine Idee, die Picasso umgehend kopierte. Bald kamen Zeitungsausschnitte und schließlich ganze Seiten zum Einsatz, Musikinstrumente holten, etwa mit dem stilisierten Klangloch einer Gitarre, den Klang ins Bild. Verschmitzt drehten die Kubisten das Rad aber auch wieder zurück, indem sie das vorher Eingeklebte, wie etwa die Holzimitation, in doppelter Täuschung wieder in Öl ins Bild hineinmalten.
Picasso, Femme assise, 1909
Es war dennoch nicht allein die Kunst, die das neue Zeitalter einläutete. Umgekehrt brach der technische Fortschritt auch in die Bildwelt ein, was die Ausstellung jetzt exemplarisch etwa an zwei Arbeiten der beiden Delaunays zeigt. So greift etwa Sonia in ihren Prismenbildern die Einführung der elektrischen Straßenbeleuchtung auf. Robert malt eine Hommage an den Luftfahrtpionier Louis Blériot, der 1909 als Erster den Ärmelkanal überflog. Für Fernand Léger, der als Franzose anders als der Spanier Picasso in den Krieg ziehen musste, spiegelte sich im Kubismus aber auch die neue zerstörerische Fragmentierung der Welt. Hätte sich das nicht Vorstellbare, etwa ein auf dem Schlachtfeld in vier Teile zerrissener Mensch, ansonsten doch jeder Darstellbarkeit entzogen.
Picasso, Mädchen mit Reifen, 1919
Nota. - Geburtsstunde einer Moderne der abwegigen Art: Zum erstenmal in der Geschichte wurde ein neuer Malstil buchstäblich an der Haaren herbei gezogen. Dass ihn viele neugierig ausprobierten, als er einmal in der Welt war, ist verständlich und waren die Künstler sich schuldig. Das entschuldigt nicht die, die ihn vom Zaun gebrochen haben. Braque kam von den Fauves her, für den waren die Kuben eine disziplinierende Übung, und die war fällig. Aber der geschäftstüchtige Picasso war schon ständig auf der Sucher nach einer neuen Masche, ästhetische Maßstäbe hatte er nicht, und während seine blauen und rosa Nettigkeiten ihm das Wohlwollen der Pariser Käufer eingetragen hatte, konnte er sich mit diesem letzten Schrei auch noch den Ruf eines künstlerischren Neuerers erwerben.
Natürlich hat die Masche nicht lang gehalten. Während Braque zur Farbe und zur Linie zurückkehrt und und vor einer dekorativen, malerischen Darstellungweise nicht zurückschreckt, setzt Picasso seine lukrative Manierenzockerei aufs Erfolgreichste fort und macht sich zum Genie der Moderne.
JE
Picasso, Frau mit Hut 1939
PS. Ein Tipp an Frau Mahro: Quantensprung bedeutet nicht, was sie meint.
JE
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