Donnerstag, 4. April 2019

Neue Sachlichkeit und Neues Sehen bei Bucerius in Hamburg.


aus Tagesspiegel.de, Carl Grossberg Der gelbe Kessel 1933

 Rückkehr zur Stofflichkeit der Dinge
„Welt im Umbruch“: Eine Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum vergleicht neusachliche Malerei und Fotografie der 20er Jahre.
 
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Die Fernsehserie „Babylon Berlin“ hat neuerlich den Blick auf die bewegten 1920er Jahre geöffnet. In der Ausstellung „Welt im Umbruch“ im Hamburger Bucerius Kunst Forum lässt sich jetzt die Sicht auf die kurze Epoche zwischen den beiden Weltkriegen reizvoll intensivieren.

Die Schau beleuchtet, wie sich damals extreme Gegensätze, Elend und Hoffnung, Dekadenz und Fortschrittsglauben auch in der Kunst mischten, und in welcher Weise speziell Malerei und Fotografie diese gesellschaftlichen Befindlichkeiten bildlich registrierten. Die beiden bislang eher getrennt betrachteten Kunstgattungen werden dazu bewusst miteinander konfrontiert. Erstmals sind Gemälde und Druckgrafiken der „Neuen Sachlichkeit“ mit „Fotografien des Neuen Sehens“ aus der Zeit zwischen 1923 bis 1936 in eine direkte Beziehung gesetzt.

 Hannah Höch, Gläser, 1927,

Die Gegenüberstellung rückt einen Stil in den Mittelpunkt, der mit realitäts- und alltagsnaher, nüchterner Darstellungsweise zur führenden Kunstrichtung der Weimarer Republik avancierte. Zu sehen sind Werke von Malerlegenden wie Otto Dix, Christian Schad, Conrad Felixmüller und Hannah Höch, dazu die legendären Fotografen László Moholy-Nagy, Albert Renger-Patzsch, August Sander und Germaine Krull. 

Dabei zeigen Stillleben, Bilder von Architektur, Industrie und Technik bis zur politischen Montage, dass in den 1920er Jahren plötzlich alles wert war, gemalt und fotografiert zu werden – Maschinen, Gebäude, ein einzelner Kaktus, Wassergläser, ja selbst ein Putzeimer. Im Zentrum allerdings steht das figurative Interesse am Menschen: Hingucker in der Ausstellung sind die vielen Aktbilder und Selbstbildnisse, allen voran Christian Schads altmeisterlich gemalte, nackte 20er-Jahre-Schöne mit dem schwarzen Bubi-Kopf. Sie gilt als Sinnbild der selbstbewussten „Neuen Frau“, die wenig später auch Karl Hubbuch, Sasha Stone und Germaine Krull in Gemälden und Fotografien darstellten.

Christian Schad, Halbakt, 1929

Eine zurückgenommene, fast emotionslose Wiedergabe

In der Aktmalerei dieser Zeit scheint die neusachliche Entzauberung des veränderten weiblichen Erscheinungsbildes deutlicher fortgeschritten: Realistische, unterkühlte Darstellung hat die Anmutung von Erotik und Verführungskunst gebrochen. Schads entblößte Geliebte wie auch Hubbuchs als hüllenloser Drilling variierte Ehefrau zeigen frei und selbstbewusst ihre nackten Körper, ohne Koketterie. Als zentrale Motive in der Fotografie fallen die Materialität der Haut und die Form des weiblichen Körpers auf. Das gilt besonders für Germaine Krull, die in ihren Aufnahmen auf kühne Weise die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen thematisierte. Ganz anders die ungeschönten Gesichter vom Notar bis zum Bäcker in August Sanders Fotografien.

 
August Sander, Konditor, 1928 

Den Bildern gemeinsam ist ihre zurückgenommene, fast emotionslose Wiedergabe. Für beide Sparten war es ein Neubeginn. Denn beide hatten sich zu diesem Zeitpunkt von ihrer Vorphase emanzipiert, die Malerei vom Expressionismus, die Fotografie vom Pictoralismus. Die Rückkehr der zwei Gattungen in den 1920er Jahren zum Gegenstand, zur Stofflichkeit der Dinge und zu höchster Präzision in der Darstellung führt zu einer nah verwandten Ästhetik von Malerei und Fotografie, die erstaunt.

Bis 19.5., Bucerius Kunst Forum, Hamburg


aus welt.de, 8. 2. 1219

„Welt im Umbruch“
Was hat das Neue Sehen in der Fotografie mit der Neuen Sachlichkeit in der Malerei zu tun? Die Schau „Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre“ im Hamburger Bucerius Kunst Forum gibt erste Antworten.

 

Wie ein König, der Zepter und Reichsapfel zum Zeichen der Macht trägt, hält Otto Dix auf einem Selbstbildnis von 1931 Palette und Pinsel als Insignien seines Künstlertums in den Händen. Sein Blick scheint einen Gegenstand außerhalb des Bildraumes zu fixieren, während die Hand sich in Richtung Leinwand bewegt. Dort ist noch kein Gemälde entstanden, doch was Dix kann, hat er mit dem Porträt bereits bewiesen: Im Stil der Alten Meister und in traditioneller Öllasurtechnik gab der deutsche Maler alle im Bild vorkommenden Oberflächen, etwa Glas, Holz und Stoff, wirklichkeitsgetreu wieder.
Otto Dix, Selbstbildnis 1931
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Doch die Verankerung in der malerischen Tradition Europas ist nur ein Charakteristikum von Dix‘ Malerei. Im Werk des Künstlers, der sich nach dem Ersten Weltkrieg vom Expressionismus ab- und der Neuen Sachlichkeit zuwandte, sind zugleich die typischen Merkmale zu finden, die auch die Fotografie seiner Zeit ausgemacht hat – darunter Prägnanz, Klarheit, Präzision und Objektivität.

Maler arbeiten mit Fotografen zusammen

Mit dem Porträtfotografen Hugo Erfurth, einem Vertreter des Neuen Sehens, arbeitete Dix viele Jahre lang zusammen. Die Anregungen waren gegenseitig. Was die Künstler erprobten, etwa die Reduktion der Bildelemente, ungewohnte Ausschnitte oder neuartige Lichtregie, übertrugen sie von einem Medium ins andere. 

 
László Moholy-Nagy, Militarismus, Kollage 1929

„Die Maler und Fotografen der Zwischenkriegszeit griffen die selben Bildsujets auf und visualisierten ihre Vorstellungen in einer vergleichbaren Bildsprache“, erklärt Ulrich Pohlmann vom Münchner Stadtmuseum. Mit der bisher noch nie untersuchten Wechselbeziehung zwischen der Neuen Sachlichkeit in der Malerei und dem Neuen Sehen in der Fotografie beschäftigt sich jetzt die Ausstellung „Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre“ im Bucerius Kunst Forum, die von Pohlmann und der Forumskuratorin Kathrin Baumstark konzipiert wurde.

Exponate aus der Zeit von 1918 bis 1936

Die rund 180 ausgestellten Fotografien, Gemälde, Zeichnungen und Grafiken stammen ausschließlich von Künstlern, die zwischen 1918 und 1936 in Deutschland gewirkt haben. Das Land erlebte mit der Weimarer Republik eine Epoche der Gegensätze – Euphorie und Zukunftsangst, Technikbegeisterung und -kritik, Großstädte im Rausch der „Roaring Twenties“ und Arbeitslosigkeit, Modernestreben und rechtsextreme Rückwärtsgewandtheit.

Alber Renger-Patzsch, Gläser, um 1927

Beide, die Kunst und die Fotografie, hatten einen Emanzipationsprozess hinter sich: Die Kunst schloss mit der expressionistischen Subjektivität ab, die Fotografie trat aus dem Schatten der Malerei, der sie zuvor als Piktorialismus gehuldigt hatte. Vereint bemühten sich beide Darstellungsformen nun darum, in der labilen Gesellschaft durch Gegenständlichkeit, Wirklichkeitsnähe, Illusionslosigkeit und sachliche Klarheit stabilisierend zu wirken.

„Die Dynamisierung der Perspektive“

Um den Tatsachen nah zu kommen, wagten Künstler und Fotografen laut Pohlmann etwas absolut Neues: „Die Dynamisierung der Perspektive“. Wie sich dieser neue Blick zusammen mit den anderen neusachlichen Merkmalen ausnahm, offenbart die Schau in sieben Kapiteln. Der Rundgang beginnt im Untergeschoss mit den Stillleben. Banale, alltägliche Gegenstände wie Haushaltsgeräte werden nüchtern erfasst, isoliert abgebildet und in ihrer Textur genau untersucht. 

 Albert Renger-Patzsch, Laborgläser, Jahr?

Herausragend sind dabei die Fotografien von Albert Renger-Patzsch. Aus verschiedenen Blickwinkeln richtete er das nüchterne Auge seiner Kamera zum Beispiel auf Pflanzen oder Glasgefäße. Gemälde wie Hannah Höchs „Gläser“ oder das „Frühstücksstillleben“ von Bernhard Dörries greifen die analysierende Sichtweise auf. Weil die Maler sich unter Anwendung der Lasurtechnik intensiv mit der Stofflichkeit der Materialien befassten, wirken die Gläser und Teller fast greifbar.

Akte und Selbstbildnisse

Im Zentrum des Oktogons hängt eine Auswahl neusachlicher Akte.Von Karl Hubbuch stammt das großformatige Gemälde „Die Drillinge“: Da der Maler verschiedenen Wesenszüge seiner Frau untersuchen wollte, bildete er sie gleich dreimal auf der selben Leinwand ab. Gegenüber beeindruckt der „Halbakt“ von Christian Schad. Das Gesicht der posierenden jungen Frau unter dem Kurzhaarschnitt ist entspannt, die nackte Haut leuchtet zart und rosig, ohne entblößt zu wirken. Hier geht es um das Selbstbewusstsein der Neuen Frau, nicht um Verführungskunst oder Erotik, Natürlichkeit und Echtheit wurden zum Bildthema.

 Otto Umbehr, Selbstbildnis

Neben den Akten sind die Selbstbildnisse zu sehen, allen voran Porträts von Dix und Erfurth. Gerade in diesem Genre bot das Neue Sehen Raum für Experimente. So erforschten die Fotografen alle Möglichkeiten ihrer Kamera und reflektierten das eigene Selbstverständnis. Otto Umbehr schoss, auf dem Boden liegend, mit ausgestrecktem Arm ein Selfie, während Germaine Krull, vor einem Spiegel stehend, ihr Gesicht komplett hinter dem Fotoapparat versteckte.

Technikfaszination als Motor der Sujetwahl

Unorthodoxe Ansichten wählten auch die Fotografen, die sich mit der Architektur der Weimarer Republik befassten. Der Kölner Werner Mantz zum Beispiel nahm sich die sozialreformerisch gedachten Siedlungen des Neuen Bauens vor, wobei er stets Ausschnitte wählte, den Rhythmus der baulichen Elemente betonte und Schatten spannungsvoll einsetzte. Ein Sonderbereich der Architektur waren Industrieanlagen.

Reinhold Nägele, Weißenhofsiedlung Stuttgart bei Nacht, 1928

Viele Künstler und Fotografen thematisierten in ihren Werken die Technikfaszination der Epoche und stellten Produktionsstätten von innen und außen dar. Carl Grossberg malte auf nüchterne Weise ein Gewirr aus weißen und metallisch glänzenden Röhren sowie ein Schwungrad mit Treibriemen. Auch Renger-Patzsch ist wieder vertreten: Die Isolatoren, die er ohne schmückendes Beiwerk im Detail aufnahm, sind ebenso prägnant wie seine Glasgefäße.

Albert Renger-Patzsch, Faguswerk in Alfeld/Leine

Prominente im fotografischen Porträt

Im Obergeschoss des Bucerius Kunst Forums, das im Juni umzieht und mit dieser Schau zum letzten Mal die alten Räume bespielt, sind Individualporträts und Typenbildnisse zu sehen. Das Allgemeine zeigt sich hier im Besonderen, der zeittypische Mensch der Weimarer Republik tritt im Einzelbildnis zutage. In einem Kabinett hängen einige von August Sanders „Menschen des 20. Jahrhunderts“, darunter ein Notar, ein Konditor und drei Jungbauern. Weitere Porträts zeigen Intellektuelle und Künstler – etwa Klaus und Erika Mann von Lotte Jacobi – sowie arbeitslose Arbeiter und Prostituierte.

 Georg Scholz, Arbeit schändet, 1921

Ein großartiges Porträt von Conrad Felixmüller stellt einen ausgemergelten Jüngling vor, der die „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“ feilhält. Ganz hinten hängen zwei Werke der nationalsozialistischen Fotografin Erna Lendvai-Dircksen von 1932, die in ihren Modellen typische „Arier“ sah – auch sie gehören zum komplexen Gesicht der Zwischenkriegszeit. 


Conrad Felixmüller, Zeitungsjunge 


Nota. - Der Weg der Kunst führt, seit sie nicht mehr eine handwerkliche Zunft unter anderen, sondern etwas Besonderes sein wollte, nämlich seit der Renaissance, fort von den weltlichen oder geistlichen Themen hin zur reinen Ästhetik, hin zum bloßen - schönen oder 'erhabenen' - Schein. Es konnte nicht ausbleiben, dass die Bewegung als eine weg von den Gegenständen aufgefasst wurde. Die ungegenständliche Malerei erwies sich schnell als eine Sackgasse, sie trat bald auf der Stelle und verlor sich im Dekorativen. 

 Felixmüller, Klöckner-Hochofen-Werk, Haspe vom Wohnzimmerfenster Familie Wulf, 30er Jahre

Zurück zu den Anfängen? Mindestens zurück zu "den Sachen". Neue Sachlichkeit ist mehr eine Programm- losung als eine ästhetischen Richtung. Corad Felixmüller und Otto Dix hatten der  Abstraktion nie gehuldigt und haben ihre expressionistische Herkunft auch nie verleugnen mögen. Otto Schlemmer, der oben gar keine Erwähnung findet, kehrt halbherzig zum Kubismus zurück, aber wirklich heimisch ist keiner der Maler in der neu-alten Richtung geworden. Malen wie in der Renaissance? Chirico hat einen längeren Abstecher versucht, aber froh ist er damit auch nicht geworden und hat sich schließlich selbst plagiiert. Immerhin ist ihnen eingefallen, wenigstens die Perspektive, jenes Schlachtross der Renaissance, zu dynamisieren, aber auch nur ein bisschen, jedenfalls nicht mehr als Tintoretto. 

Neue Sachlichkeit war eine Verlegenheitslösung, die ohne den braunen Feldzug gegen die Entarteten vielleicht ganz in Vergessenheit geraten wäre.

Interessant ist nämlich, dass es fast gleichzeitig in Nordamerika, wo die Abtraktion noch gar nicht gelandet war, im Precisionism eine Parallelbewegung gab, die nicht ein geschmacklicher Pendelausschlag war, sondern eine originäre ästhetische Strömung. Der inzwischen in Europa bewunderte Edward Hopper gehört ebenso dazu wie die noch bis vor kurzem tätige Georgia O'Keefe und - Andrew Wyeth! 

Andrew Wyeth, Christina's world, 1948

Und wenn wir schon bei der Familie Wyeth sind, darf Winslow Homer nicht übergangen werden. Und muss der große Einfluss erwähnt werden, den Reklame und Gebrauchsgraphik in Amerika anders als in Europa von Anfang an auf die bildende Kunst gehabt haben. Man möchte meinen, dass das Bedürfnis nach einer rein ästhetischen Kunst dort noch gar nicht aufgekommen ist. Dann beurteilt man vielleicht auf Jeff Koons und Damien Hirst nachsichtiger; und versteht Cy Twombly besser.
JE 
Winslow Homer, The Green Hill aka On the Hill


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