Einundfünfzig Schattierungen von Grau
Vilhelm Hammershøi war alles andere als ein dänischer Provinzler: Er bereiste Frankreich, Italien, Deutschland und England und entwickelte einen rätselhaften Stil, der sich jeder Psychologisierung entzieht.
Von Bettina Wohlfarth, Paris
Meist wird sie in Rückenansicht gezeigt, in Gedanken versunken oder in eine unsichtbare Lektüre vertieft. Das Licht fällt hell auf ihren Nacken und eventuell, wie im Gemälde „Rast“ von 1905, auf gekräuselten Haarflaum, der dem aufgesteckten Dutt entkommt – ein erotischer Höhepunkt bei Hammershøi. Die Titel geben trockene Beschreibungen zur Ortung der Gemälde: „Interieur mit Ecke vom Esszimmer Strandgade 30“, „Interieur mit Frau in Rückenansicht“, „Interieur mit Frau, die Blumen in eine Vase stellt“ et cetera.
Und doch sind
diese Zimmerbilder alles andere als realistische Darstellungen.
Hammershøi leert den Raum von allem Wohnlichen, nimmt ihm lebendige
Farben, dämpft die verbleibenden braunen, grünen oder blauen Töne mit
einem deutlichen Einschlag ins Graue ab, bis hin zu einer Palette
zwischen Beigeweiß und Grauschwarz. Oft lässt er die Konturen in seinen
strengen Kompositionen verschwimmen.
Meister der dänischen Malerei
Meister der dänischen Malerei
Diese leise Unschärfe trägt dazu bei, seinen Szenen einen irrealen, rätselhaften und entfremdenden Charakter zu geben. Denn bei Hammershøis Gemälden blickt man auf mehr als nur vordergründig karge Zimmerfluchten, auf mehr als befriedete häusliche Szenen, in denen die Kunst der protestantischen Sparsamkeit nichts als Tugend wäre. Der Betrachter dringt mit jedem Gemälde in einen wie schallgedämpften Seelenraum des Malers ein, dessen Stille beunruhigend wirkt.
Das
Erstaunliche an Vilhelm Hammershøi ist, dass er keinerlei erklärenden
Kommentar zu seiner Malerei hinterlassen hat. Es gibt kein
künstlerisches Statement, kein Manifest, und einer Tendenz seiner Zeit
lässt er sich schon gar nicht zuordnen, weder den biederen, im
Akademischen verhaftet bleibenden dänischen Interieur- und
Landschaftsmalern des achtzehnten Jahrhunderts noch etwa den
Symbolisten. Gänzlich unberührt blieb er von den Avantgarde-Bewegungen
seiner Zeit, von Impressionismus, Fauvismus oder Kubismus. Der 1864
geborene Hammershøi ist ein wortkarger Solitär in der Malereigeschichte,
der sich auch jeder postumen Psychologisierung entzieht. Seinen
Nachlass hat er vernichten lassen, als er 1916 mit 52 Jahren an Krebs
starb. So wenig kommunikativ der Maler gewesen ist, so rätselhaft bleibt
sein Werk. Umso mehr fasziniert es.
Nachdem Hammershøi nach seinem Tod allmählich in Vergessenheit geriet und erst in den neunziger Jahren wiederentdeckt wurde, gab es 1997 im Pariser Orsay-Museum und 2003 in der Hamburger Kunsthalle Retrospektiven. Es wurde Zeit für eine neuerliche umfassende Ausstellung. Das Pariser Musée Jacquemart-André zeigt mit etwa vierzig Gemälden eine repräsentative und noch dazu wunderschön – thematisch – gehängte Schau des „Meisters der dänischen Malerei“. Er war ein langsam und gründlich arbeitender Künstler und hat, obwohl er schon sehr jung mit der Malerei anfing, nur weniger als vierhundert Werke hinterlassen. Aufschlussreich an der Pariser Ausstellung ist es, dass die beiden Kuratoren, Jean-Loup Champion und Pierre Curie, Hammershøis Werk auch mit Gemälden seiner engen Malerfreunde und seines ebenfalls malenden Bruders Svend konfrontieren.
Nachdem Hammershøi nach seinem Tod allmählich in Vergessenheit geriet und erst in den neunziger Jahren wiederentdeckt wurde, gab es 1997 im Pariser Orsay-Museum und 2003 in der Hamburger Kunsthalle Retrospektiven. Es wurde Zeit für eine neuerliche umfassende Ausstellung. Das Pariser Musée Jacquemart-André zeigt mit etwa vierzig Gemälden eine repräsentative und noch dazu wunderschön – thematisch – gehängte Schau des „Meisters der dänischen Malerei“. Er war ein langsam und gründlich arbeitender Künstler und hat, obwohl er schon sehr jung mit der Malerei anfing, nur weniger als vierhundert Werke hinterlassen. Aufschlussreich an der Pariser Ausstellung ist es, dass die beiden Kuratoren, Jean-Loup Champion und Pierre Curie, Hammershøis Werk auch mit Gemälden seiner engen Malerfreunde und seines ebenfalls malenden Bruders Svend konfrontieren.
Es
macht seinen einzigartigen Stil im Spannungsfeld zwischen Tradition und
Modernität deutlich, bis hin zu einer abstrahierenden Behandlung des
Raumes. Gerade im Vergleich zu Carl Holsøe oder Peter Ilsted etwa fällt
die Geometrisierung der Bildräume auf. Hammershøi verwendet seine
Wohnung als Atelier, aber, das zeigen Fotos in der Ausstellung, es
interessiert ihn dabei nicht, sein wirkliches Interieur darzustellen. In
der von allem „Pittoresken“ bereinigten Bildszene findet nur Gnade, was
der Linienführung oder der Arbeit an der Wiedergabe des Lichtes dient.
Man könnte eine
Parallele zu Jan Vermeer ziehen und überhaupt zu den Zimmerfluchten mit
offenen Türen und lichtspendenden Fenstern der niederländischen
Interieurmalerei. Aber der Vergleich mit den Künstlern aus Hammershøis
Umgebung macht auch dessen eigenwillige malerische Konzentration auf die
Fläche deutlich. Auf nur vordergründig leeren Wänden und freien
Bodenflächen arbeitet er an der Empfindung von Licht und schafft
meisterhafte Farbtexturen auf seine Leinwand, die an monomanische Maler
wie Giorgio Morandi denken lassen.
Der
kunsthistorisch hochgebildete Vilhelm Hammershøi war alles andere als
ein dänischer Provinzler. Er reiste nach Frankreich, Italien,
Deutschland und England. Immer wieder stellte er auch im Ausland aus und
erfuhr schon frühzeitig Anerkennung. Dennoch ist er mit seiner Malerei
immer in seiner direkten Umgebung geblieben. Wie den Interieurs nimmt er
seinen weithin unbelebten dänischen Landschaften jegliche Farbigkeit,
gibt ihnen einen entfremdenden Stich ins Graugrüne, Graublaue, Fahle.
Nur an der Horizontlinie „passiert“ etwas, eine ferne Reihe Bäume etwa
trennt die flache Weite der Wiesen und Felder von den hohen Himmeln
seiner Heimat.
1888
Für Porträts und die Figuren seiner Zimmerbilder stehen von Anfang an die Familie und enge Freunde Modell. 1890 malt er seine Verlobte Ida Ilsted, Schwester des Malerfreundes Peter Ilsted. Sie steht daraufhin für fast alle weiblichen Figuren Modell. Rainer Maria Rilke begeisterte sich vierzehn Jahre später in einer Düsseldorfer Ausstellung für dieses erstaunliche Porträt, in dem Ida wie abwesend und für sich – keinesfalls für einen Betrachter – auf einem Stuhl sitzt. Er besuchte daraufhin Hammershøi in Kopenhagen.
1888
Für Porträts und die Figuren seiner Zimmerbilder stehen von Anfang an die Familie und enge Freunde Modell. 1890 malt er seine Verlobte Ida Ilsted, Schwester des Malerfreundes Peter Ilsted. Sie steht daraufhin für fast alle weiblichen Figuren Modell. Rainer Maria Rilke begeisterte sich vierzehn Jahre später in einer Düsseldorfer Ausstellung für dieses erstaunliche Porträt, in dem Ida wie abwesend und für sich – keinesfalls für einen Betrachter – auf einem Stuhl sitzt. Er besuchte daraufhin Hammershøi in Kopenhagen.
Auch
Hammershøis Hauptwerk aus der Stockholmer Thielska Galleriet ist in
Paris zu sehen. Das monumentale Gemälde „Fünf Porträts“ zeigt in einem
radikalen Bildaufbau und mit dunklen Farbnuancen die engen Freunde des
Malers, wobei jeder für sich in eine andere Richtung schaut. Sie sitzen
an einer weißgedeckten Tafel (der Gedanke an einen Sarg kommt dennoch
auf), die nichts als ein paar Gläser ziert. In dieser seltsam morbiden
Atmosphäre eines Letzten Abendmahls entschärfen nur die aufmüpfig auf
einen Hocker hochgelegten Füße Carl Holsøes – die Schuhsohlen strecken
sich groß in den Vordergrund – den strengen Geist dänischer
Protestanten.
Hammershøi, le maître de la peinture danoise. Im Musée Jacquemart-André, Paris; bis zum 22. Juli. Der Katalog in französischer Sprache kostet 39 Euro.
Nota. - Ausgerechnet bei der Kunstredaktion der FAZ habe ich mich seinerzeit unbeliebt gemacht, und sie hat es streng geahndet. Doch Hammershøi ist ein alte Liebe von mir. Da versuch ich mal, ob sie's mir inzwischen nachgesehen hat. -
Er malt gar keine Intérieurs - keine Räume, keine Möbel; er malt eigentlich nicht einmal Licht und Schatten. Er malt Flächen in unterschiedlichen Hell-Dunkel-Valeurs, mit Vorliebe Rechtecke aller Art, und menschliche Figuren bringt er nur zum Schein dazwischen unter - um den Eindruck kubistischer Manier aufzulockern.
Zum Schein: Um den ästhetische Schein geht es allerdings, aber nicht die ungetrübte Phantasie der leichtsinnigen Kunst. Es geht um den wirklichen Schein an den wirklichen Dingen. Und das sind eben Zimmer, Möbel, Türen, Fester, Licht und Schatten. Das ist kein Verbindungsstück zwischen Tradition und Moderne, das ist vielmehr radikalere Moderne als die der Abstrakten ein Jahrzehnt später. Er ist eine Art William Turner der Innenräume (was dem einen das Gelb, ist dem andern das Grau). Nicht die Gegenstände werden aus den Bildern entfernt, sondern lediglich ihre Gegenständlichkeit; sie selber bleiben, aber ausschließlich als Erscheinung, abstrahiert aus jedem außerästhetischen Bezug.
Der Gedanke an Vermeer ist ganz am Platz. Nicht nur hat Hammershøi aufmerksam die Innenräume der holländischen Barockmalerei und ganz besonders des damals vergessenen Vermeer studiert. Er hat mit seiner Radikalisierung auch einen deutlichen Beitrag zur Lösung des 'Rätsels Vermeer' geliefert.
JE
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