Den Vergleich zwischen Vilhelm Hammershøi im vorigen Eintrag mit William Turneer habe ich ersnt gemeint. Natürlich nicht, was den Malstil betrifft. Der eine hat in so vielen Bildern die Linie abgeschafft, der andere hat auf vielen Bildern zugunsten der Linie fast alles andere abgeschafft; bei dem einen flirrts und flackerts, beim anderen sieht es oft aus wie in Kohle geschnitzt; der eine schwelgt in Farbe, mal krass und mal in Pastell, der andere malt grau in grau, und so weiter.
Aber den Raum lassen sie beide verschwinden und die Zeit steht bei beiden still - selbst wenn das Londoner Parlament brennt und eine Lokomotive durchs Bild rauscht. Und die Menschen! Bloßer ästhetischer Vorwand bei beiden.
William Turner, Great Western Railway (1844)
Dass einer wohl die Gegenstände malen, dabei aber ihre Gegenständlichkeit aufheben kann, habe ich zum erstenmal bei Turner gesehen. Danach ist mir nach und nach vieles Verwandte aufgefallen, alles in der Fluchtlinie: In der bildenden Kunst ist eine Bewegung im Gange von den thematischen Aussagen fort, hin zum bloßen ästhetischen Schein. Doch nicht zum frei erfundenen, sondern zum ästhetischen Schein am Wirklichen, was viel radikaler ist, weil es das Wirkliche nicht beiseite tut, was es kalt lässt, sondern von Innen nach Außen krempelt, was es zum Schwitzen bringt.
Turner, Brennendes Schiff auf hoher See
Gegenstände malen und ihre Gegenständlichkeit fragwürdig machen, das war der Verfallsprozess der Malerei von, sagen wir, Botticelli bis Tintoretto. Aber er stieß an die Grenze des vom Bild verlangten Themas. Caravaggio rehabilitierte den Raum und die Linie, aber er löste die Prosa der genauen Wiedergabe im Drama von Hell und Dunkel auf. Ob der optische Konflikt das Thema zurückdrängt oder im Gegenteil erst ins Auge springen lässt, ist eine offene Frage, und die macht Caravaggios Kunst so... beispiellos? Nein, beispielhaft. So viele haben sich an ihm ein Beispiel genommen, solange, bis es trivial wurde und das graziöse Rokkoko Erleichterung schaffte.
Giacomo Galli, Die büßende Maria Magdalena, um 1630
Nein, im Mainstream war kein Loskommen der Malerei vom Thematischen zu finden, nicht, solange die Auftraggeber aus Klerus und Adel kamen, bei denen Repräsentation zur Existenzweise gehört. Das konnte erst wieder vorwärtsgehen, als im holländischen Bürgertum ein Markt entstand, wo Preise für das bloße Betrachten gezahlt wurden: die Anschauung selbst und nicht ihre denk baren Interpretationen. Das Thema, welches sich dazu eignete, weil es gar keines ist, war die Landschaft.
Camille Corot
Damit bin ich zurück bei Turner. Zwar hat er keine Schule begründet; aber er hat, nach Gainsborough und Constable, die Landschaft zu einem salonfähigen Sujet gemacht, und damit waren die Schleusen geöffnet.
Eine Radikalisierung hat Hammershøi vollbracht, indem er die Landschaft auf seine vier Wände, Fenster, Türen und drei oder vier Wohnrequisiten reduzierte, die lediglich unter verschiedenen Blickwinkeln und Beleuchtungen arrangiert werden. Das ist abstrakte Kunst an den Gegenständen.
Hammershøi Intérieur, Strandgade 30 1905
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