Donnerstag, 2. Juli 2015

Klee und Kandinsky in Bern

aus beta.nzz.ch, 2.7.2015                                                                    Kandinsky, Gegenklänge, 1924 

Zwei Spieler und Freunde – mit Differenzen
Mit 200 Werken aus den Jahren zwischen 1900 und 1940 zeichnet das Zentrum Paul Klee in Bern die wechselvolle Geschichte der künstlerischen Beziehung zwischen Paul Klee und Wassily Kandinsky nach.

von Hans Christoph von Tavel

Das war längst fällig: die Gegenüberstellung von Paul Klee und Wassily Kandinsky. In den 1920er Jahren wirkten sie nebeneinander am Bauhaus in Weimar und Dessau, waren freundschaftlich verbunden, regten sich gegenseitig an und konkurrenzierten sich. Schritt für Schritt ist diese komplexe Beziehung von der ersten Begegnung zur Zeit des «Blauen Reiters» 1911/12 bis zum Tod der Künstler 1940 bzw. 1944 anhand von zweihundert Werken im Zentrum Paul Klee in Bern und anschliessend in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München zu verfolgen.

Paul Klee Architektur der Ebene 1923. 

Kandinsky, Außer Gewicht, 1929

Frühzeit in München

War die künstlerische und kollegiale Beziehung zwischen den beiden Künstlern schon längst bekannt, so wird sie hier nun erstmals detailreich bis zu deren Spätwerken ausgebreitet. Die Veranstaltungsorte Bern und München liegen auf der Hand. In Bern hat Klee seine Jugend und seine letzten Jahre verbracht; sein Nachlass wird heute im Zentrum Paul Klee verwahrt und bearbeitet. In Bern lebte auch Hermann Rupf, der schon zu Lebzeiten der beiden Werke von ihnen erwarb, die sich heute neben den bedeutenden Bildern einer Schenkung von Nina Kandinsky, der Witwe des Künstlers, im Kunstmuseum Bern befinden. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre hat Max Huggler, der spätere Direktor des Kunstmuseums, Einzelausstellungen von Klee und von Kandinsky in der Berner Kunsthalle veranstaltet. 

Kandinsky, Reitendes Paar, 1906/07

Klee, Föhn im Marc'schen Garten

In München verbrachten Klee und Kandinsky viele Jahre ihrer Frühzeit. Dort lernten sie sich 1911 persönlich kennen und waren erstmals beide nebeneinander vertreten in der Ausstellung: «Der Blaue Reiter, Schwarz-Weiss» in der Kunsthandlung Hans Goltz. So ist das Lenbachhaus mit seiner einzigartigen Sammlung von Werken Kandinskys ein idealer Partner für die Ausstellung «Klee & Kandinsky». Kuratoren der Ausstellung und Herausgeber der Begleitpublikation sind Michael Baumgartner im Zentrum Paul Klee, Annegret Hoberg im Lenbachhaus und Christine Hopfengart, ehemals Kuratorin im Zentrum Paul Klee. Sie ist es, die das Projekt am längsten und besonders intensiv vorangetrieben hat. Die Begleitpublikation erschien im Verlag Prestel in München; sie enthält eine mit Fotos bebilderte synoptische Biografie der beiden Künstler, die ganzseitige Abbildung sämtlicher ausgestellten Werke, dazu wissenschaftliche Aufsätze.

Klee, Eroberer, 1930

Kandinsky, Bilder einer Ausstellung, Bild II, Gnomus, 1928 Gouache, Aquarell und Tusche auf Papier 

Peter Fischer, Direktor des Zentrums Paul Klee, und Matthias Mühling, Direktor des Lenbachhauses, bezeichnen im Vorwort des Kataloges Klee und Kandinsky als eine «der bemerkenswertesten und fruchtbarsten Künstlerfreundschaften der Kunstgeschichte». Gleichzeitig betonen sie, dass diese Freundschaft nicht nur durch gegenseitige Hochachtung, sondern auch durch «gegenseitige Abgrenzung» und «Unterschiedlichkeit» gekennzeichnet sei. Dies wird in der Ausstellung vorbildlich veranschaulicht. Die mannigfaltigen Gesichtspunkte, unter denen die Beziehungen zwischen den beiden Künstlern zu betrachten sind, werden in thematischen Kapiteln in der Ausstellung und im Katalog veranschaulicht. So wird der Betrachter durchwegs zum Vergleich der Arbeit der beiden Künstler herausgefordert.

Klee, Artistenbildnis, 1927

Kandinsky, Entwicklung in Braun, 1933

Der Rundgang durch die Ausstellung wird durch die unvergleichliche Fülle von Beziehungen zwischen einzelnen Werken und Werkgruppen der beiden Künstler zum grossen Erlebnis eines Kapitels der Kunst im 20. Jahrhundert und des einzigartigen Beispiels einer Künstlerfreundschaft. Diskret präsentierte Dokumente in Vitrinen ergänzen die Werke, die ohne störende Beschriftungen an den Wänden betrachtet und studiert werden können. Die einzelnen Themen folgen bald historischen, bald thematischen Ansatzpunkten, so etwa «Blauer Reiter», «Bauhaus in Weimar», «Schicksalsjahr 1933», dann aber auch «Farbe!», und unter dem Übertitel «Bauhaus-Dialog»: «Spritztechnik», «Quadratbilder», «Konstruktiv-Figurativ», «Balance und Bewegung», «Am Rande der Natur». – Ausstellung und Katalog schliessen mit «Spätwerk und Neubeginn». Als Prolog sind Exponate aus dem Frühwerk nebeneinandergestellt. Diese verraten noch keine wesentlichen Beziehungen zwischen den Künstlern, die beide in München lebten, sondern zeigen ihre individuelle Herkunft und Eigenart auf. Alle folgenden Kapitel regen in der Ausstellung und im Katalog den Betrachter zum Vergleich der Arbeit der beiden Maler an. Als Beispiel sei das Thema «Musik» gewählt.

Kandinsky, Impression III (Konzert) 1911

Klee, Früchte auf Rot, 1930

Enge Beziehung zur Musik

Die engen und wesentlichen Beziehungen der beiden zur Welt des Klangs kommen in verschiedenen Zusammenhängen zum Ausdruck. Unter «Musik» hängt in der Ausstellung eines der eindrücklichsten Werke: «Impression III (Konzert)» von 1911 von Kandinsky. Annegret Hoberg bezeichnet im Katalog dieses Bild, das auf das Erlebnis eines Schönberg-Konzertes zurückgeht, als «ein herausragendes Beispiel für die synästhetische Gestaltung eines akustischen Erlebnisses». Weitere Werke wie «Fuga» von 1914, «Gegenklänge» von 1924 oder «Drei Klänge» von 1926, dann aber auch vier Gouachen aus der Folge von sechzehn Bühnenentwürfen zur szenischen Aufführung der «Bilder einer Ausstellung» von Mussorgsky 1928 in Dessau vermitteln einen Eindruck von der Bedeutung der Musik in Kandinskys bildnerischem Schaffen. Auch unter anderen Themen, etwa «Blauer Reiter», kommen musikalische Motive vor. Die Bildtitel «Improvisation» und «Komposition» lassen Kandinskys Anliegen erkennen, Malerei und Musik einander anzugleichen.

Kandinsky, Im Blau, 1925

Klee, Vorhaben, 1938

Da die beiden Künstler im Katalogvorwort als «Gründerväter der abstrakten Kunst» bezeichnet werden, hätte man gerne etwas mehr über ihre Beziehung zu den «Gründervätern» der Musik des 20. Jahrhunderts, Arnold Schönberg und Alban Berg, erfahren. Der Beitrag «Klee, Kandinsky und die Musik» von Peter Vergo im Katalog gibt dazu zwar interessante, aber nur spärliche Hinweise. Im Gegensatz zu Kandinsky, dem Theoretiker in Bezug auf die Musik, war Klee ein ausübender Violinspieler, der anfänglich zwischen dem Beruf des Musikers und des Malers geschwankt hatte. Der Vergleich mit Kandinsky zeigt überraschende Annäherungen – etwa von der Darstellung eines Glockenspiels in Klees «Lied des Spottvogels» zu den glockenartig übereinander getürmten Dreiecken in Kandinskys «Drei Klängen». Beiden Künstlern gemeinsam, so erkennt der Besucher an diesem Beispiel, ist die Bedeutung des Spielerischen in der Kunst. Kandinsky treibt sein Spiel mit frei erfundenen, ungleichartigen, im Raum schwebenden Formgebilden und unterwirft diese geometrischer, kompositorischer und farbtheoretischer Präzision, während Klee die zeichnende und malende Hand sowohl in den ungegenständlichen wie in den erzählerischen Darstellungen freier gewähren lässt.

Klee, Die Maske mit dem Fähnchen, 1925

Kandinsky, Autour du cercle, 1940

Klangvolles Intermezzo

Unübersehbar ist, dass sich Klee in vielen Werken von der Geometrie der Formen Kandinskys inspirieren lässt, während dieser seine Kompositionen zuweilen in Stimmungen taucht, die Klee nahekommen. Die Frage, ob die beiden Künstler zu Recht als «Gründerväter der abstrakten Kunst» gelten, begleitet den Besucher auf Schritt und Tritt. Im Kapitel «Bauhaus: Dialog/Quadratbilder» wird ersichtlich, dass beide Künstler auf ihre Weise auf die Lehre und die Arbeiten von zwei unbestrittenen «Gründervätern der abstrakten Kunst», Theo van Doesburg und Piet Mondrian, reagiert haben. 1924 wurde ihre Lehre in den Bauhausbüchern 5 und 6 publiziert. Hier überzeugt die Isolation des Künstlerpaars «Klee & Kandinsky» nicht. Das Einstreuen von Werken anderer Künstler wäre eine willkommene Ergänzung der Ausstellung. Zum Schluss die Frage: In welchem Sinne waren Klee und Kandinsky «Gründerväter»? Kandinsky war es gewiss mit seinen Arbeiten aus der Zeit des «Blauen Reiters», Klee mit seinem Spätwerk, beide unabhängig voneinander. Ihr Zusammenwirken am Bauhaus erweist sich in der Ausstellung «Klee & Kandinsky» als ein besonders klangvolles Intermezzo in der Kunst des 20. Jahrhunderts.

Klee & Kandinsky. Zentrum Paul Klee, Bern. Bis 27. September 2015. Ab dem 21. Oktober in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München. Katalog Fr. 48.–.

Klee, Pfanzenwachstum, 1921

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