Mittwoch, 29. Juli 2015

Zurbarán in Madrid.

    aus nzz.ch, 29.7.2015, 05:30 Uhr                                                                         Das Martyrium des heiligen Serapion 1628

Asketisch und sinnlich, lebensvoll ergeben
Das Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid zeigt Francisco de Zurbarán in repräsentativer Breite, stellt neue Forschungsergebnisse vor und gibt einen Einblick in seinen Werkstattbetrieb.

von Caroline Kesser

Nach der Überdosis El Greco, die einem die Feiern zu dessen 400. Todestag im vergangenen Jahr bescherten, ist ein Quantum Francisco de Zurbarán (1598–1664) gerade das Richtige. Die Motive sind etwa dieselben – Christus, Maria, Heilige, Mönche und Kirchenväter –, doch welch ein Unterschied an physischer Präsenz, an Materialität und Sinnlichkeit. Sind Grecos Gestalten in Sphären entrückt, zu denen man nur von tief unten aufschauen kann, teilen Zurbaráns Protagonisten den Boden mit uns. Nehmen wir nur die Darstellung des heiligen, über einem Totenschädel meditierenden Franziskus, die beide Maler immer wieder beschäftigte. Grecos Heiliger ist schon in Ekstase oder nahe daran, so dass jedes Anrufen sinnlos wäre, wogegen Zurbaráns Franziskus selbst beim Meditieren noch ansprechbar scheint. Wie er in einem Gemälde aus der Londoner National Gallery in seiner groben Kutte vor einem Tisch kniet, in der einen Hand den Schädel, die andere über einem Buch in einer Geste des Zeigens, die ein Wundmal in seiner Handfläche offenbart, macht er den Eindruck eines durchaus weltlichen Gelehrten. Zu gerne zupften wir ihn am Ärmel mit dem grossen klaffenden Loch, um ihm seine Erkenntnisse zu entlocken.


Hl. Franziskus in Meditation (London)

Neue Forschungsergebnisse

«San Francisco en meditación» aus dem Jahr 1639 ist eines der Paradestücke der Ausstellung «Zurbarán: una nueva mirada», die das Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid diesen Sommer dem grossen Realisten aus dem «Siglo de oro», Spaniens goldenem Zeitalter, widmet. Exemplarisch veranschaulicht es die Besonderheit seines Stils: die Lebensnähe seiner Figuren in einer unerhörten Plastizität und Stofflichkeit, das starke Helldunkel und die harmonische, reich abgestufte Farbgebung. Einzig als Kolorist kommt er in dieser brauntonigen Malerei nicht voll zur Geltung. Francisco de Zurbarán war ja auch einer der begnadetsten Weissmaler und verstand sich auf prächtige Farbkombinationen, die in ihrer Flächigkeit oft zum Abstrakten tendieren. Durch das ganze Werk hindurch leuchtet immer wieder ein Scharlachrot signalhaft auf.


(Selbstporträt als Hl. Lukas)
Der Untertitel der Ausstellung – «una nueva mirada» (ein neuer Blick) – ist irreführend. Zurbaráns Werk erscheint nicht in neuem Licht. Odile Delenda, die Autorin des Werkverzeichnisses, und Mar Borobia, Chefkonservatorin am Thyssen-Museum, präsentieren neben bekannten (und selten gezeigten) Meisterwerken aus allen Epochen aber die Ergebnisse der Forschung seit dem Jubiläumsjahr 1998, wozu Authentifizierungen und Neuzuschreibungen sowie Erkenntnisse über Mitarbeiter seiner Werkstatt gehören. Letzteren wurde ein eigener Saal eingerichtet. Einer von Zurbaráns begabtesten Mitarbeitern war sein früh verstorbener Sohn Juan, der in dieser Ausstellung mit sieben Früchtestillleben erstmals als Malerindividuum in Erscheinung tritt.


Juan de Zurbarán, Stillleben
Der aus dem Provinznest Fuente de Cantos in der Extremadura stammende, zur Hauptsache in Sevilla tätige Francisco de Zurbarán war einer der erfolgreichsten Maler des spanischen Barock, blieb aber immer im Schatten des gleichaltrigen Diego Velázquez. Das gilt nicht nur für sein Ansehen am Hof, wo dieser der absolute Star war, sondern auch für seinen Nachruhm. Wurde Velázquez von verschiedensten Warten aus als Wegbereiter gefeiert, verdankt Zurbarán seine Wiederentdeckung der (französischen) Romantik, die ihn als Vertreter des von ihr idealisierten archaischen Spanien bewunderte. Dieses Image haftete ihm lange an und spielte auch noch im Urteil von Salvador Dalí mit, der ihn als unerschöpfliche Quelle für die Moderne pries. Der Kubist Juan Gris dürfte der erste Avantgardist gewesen sein, der sich auf ihn berief und dessen Kompositionsprinzipien – das Strenge, Flächige und die dramatisierende Lichtführung – für sich nutzbar machte. – Zurbaráns Auftraggeber waren zur Hauptsache Ordensgemeinschaften, vor allem die Dominikaner, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Sevilla auf Expansionskurs waren. Zum einen galt es, Kirchen und Klöster mit einem den Beschlüssen des Konzils von Trient entsprechenden Bildprogramm auszustatten, zum anderen verlangten die neuen Niederlassungen in Amerika nach passendem künstlerischem Schmuck. Zurbarán, der sich auch in Bildhauerei auskannte und das Handwerk des Polychromierens beherrschte, was sich auf seine Malerei ausgewirkt haben dürfte, konnte die Nachfrage nur mithilfe eines grossen Werkstattbetriebs befriedigen.


Die Wunderheilung des Sel. Reginald von Orleans
Ein Erneuerer war er kaum. Gemäss der Vorstellung einer stetig fortschreitenden Stilfolge waren das Velázquez, Murillo, Alonso Cano und alle anderen, die eine freiere, spontanere Malerei durchsetzten. Da dieser neue Stil je länger, je mehr dem allgemeinen Geschmack entsprach, passte sich ihm Zurbarán in seinem letzten Lebensjahrzehnt immer wieder erstaunlich gut an. Mit Bildern wie der duftigen «La Inmaculada Concepción» von 1658 zöge er uns aber kaum noch in seinen Bann. Wir bewundern heute den «konservativen», in seiner einfachen Montagetechnik und den klar voneinander abgegrenzten Farbfeldern an mittelalterliche Malerei erinnernden Zurbarán. Den Maler kompakter Körper und stofflicher Reize mit dem Sinne für das stille Leben noch der kleinsten Dinge. Denjenigen, der aus Vorgegebenem Unverwechselbares machte.


Stillleben
Man hat nachgewiesen, dass sich Zurbarán auf italienische und deutsche Drucke zu stützen pflegte, von denen er eine Vielzahl besass. Komplexe Kompositionen waren nicht seine Sache, in vielfigurigen Szenen wird immer wieder deutlich, dass er kein Meister der Perspektive war. Dafür stattete er seine Heiligen mit einer Lebensfülle aus, die ihresgleichen sucht. Bei aller Diesseitigkeit sind sie aber von einer Monumentalität erfüllt, die nach Distanz verlangt. Das gilt vor allem für seine reich geschmückten weiblichen Heiligen aus den dreissiger und vierziger Jahren, die er als stolze Aristokratinnen vor einem unbestimmten dunklen Hintergrund theatralisch beleuchtet posieren lässt.
Sinnlich und harmonisch

Wie sehr ihm an einem harmonischen Menschenbild gelegen war, zeigt sich in seinen Darstellungen von Martyrien, die ihn notgedrungen beschäftigen mussten. Konsequent vermeidet Zurbarán die Schilderung körperlicher Verletzungen. Geschundene Leiber gibt es bei ihm nicht, sieht man vom Christus am Kreuz ab, bei dem er sich jedoch, wie im Fall des «Cristo muerto en la cruz» (1638–40), auf minime Blutspuren beschränkt und die Einsamkeit und Verlorenheit dieses Körpers thematisiert. Keine Spur von Folter auch bei dem frühen Meisterwerk «San Serapio» [Kopfbild], dem in einem makellosen weissen Habit an den Handgelenken aufgehängten Märtyrer, der seinen Kopf zur Seite geneigt hat und ergeben darauf wartet, dass sein Geist entweicht. Einen geradezu grotesken Zug nimmt seine Scheu vor der Darstellung von Gewalt in der Figur der heiligen Agatha an, die als engelsgleiches Mädchen in hingebungsvoller Haltung ihre abgeschnittenen Brüste wie Puddings auf einem Tablett präsentiert.


Hl. Catalina von Alexandria
Zurbarán war bei seinen religiösen Auftraggebern insofern am besten aufgehoben, als sie keine mythologischen Szenen mit den unvermeidlichen nackten Körpern erwarteten. Offensichtlich bereitete ihm Nacktheit Mühe, in jeder Form. Nicht zufällig gehört der Zyklus der «Arbeiten des Herkules», den er für den Königspalast Buen Retiro realisieren konnte, zum Schwächsten seines Werks. – Etwas vom Berührendsten in der Madrider Ausstellung sind die Szenen aus der Kindheit von Maria und Jesus. Liebevoll und weitgehend unsentimental evoziert Zurbarán eine häuslichen Atmosphäre, in der jedem Ding der Charakter eines Stilllebens zukommt. Da denkt man unweigerlich an Teresa von Avila, die den weltabgewandten Gläubigen zu verstehen gab, dass der Herr auch zwischen den Kochtöpfen wandelt.
Zurbarán: una nueva mirada. Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid. Bis 13. September. Katalog € 38.–. Die Schau reist anschliessend ins Museum Kunstpalast in Düsseldorf, das Zurbarán die erste Retrospektive in Deutschland widmet (vom 10. Oktober bis 31. Januar 2016).


Herkules tötet den nemeischen Löwen

Nota. - Man kann also über Zurbarán schreiben, ohne dass der Name Caravaggio fällt. Aber man sollte nicht. War er selber kein Neuerer? Aber immerhin hat er seinem italienischen Vorbild energisch in Spanien Platz geschaffen. Ach, aber seine Kompositionen sind weder so originell noch so dynamisch? (Und nackte Haut konnte er schon gar nicht malen?) Ich finde gerade den Herkules-Zyklus überraschend modern, eben weil diese Spannung besteht zwischen dem dynami- schen Sujet und der statischen Ausführung. Ich muss an Franz von Stuck denken, wenn ich das sehe - ein terrain vague zwischen Expressionismus und Symbolismus. Es mag ja sein, dass er den Effekt seinem Konservatismus verdankt, aber originell ist es doch.
JE


Herkules und die lernäische Hydra

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen