Mahlzeit!
Einladung zum „Slow Food“: Das Mauritshuis in Den Haag präsentiert eine delikate Ausstellung mit Essens-Stillleben.
von Udo Badelt
Bröckelig. Welches Wort würde die Konsistenz des Käses in Clara Peeters’ „Stillleben mit Käsen, Mandeln und Brezeln“ (1615) besser beschreiben? Die Maserung, die Risse – als Folge des Schneidens –, das kreisrunde Loch, das entstand, als eine Probe entnommen und die Schale wieder verschlossen wurde: Sie alle sind derart fotografisch exakt wiedergegeben, dass man meint, diesen salzigen, schon etwas mürbe gewordenen Gouda auf der Zunge zu spüren. Der golden schimmernde Käse bildet den Mittelpunkt des Gemäldes, darum gruppiert: weitere Käsesorten, ein Porzellanteller mit Mandeln, Rosinen und Feigen, ein Weinkrug und ein kostbares, halb mit Wein gefülltes Glas.
Das Mauritshuis in Den Haag hat Peeters’ Bild 2012 erworben und präsentiert es jetzt in der kleinen, exquisiten Ausstellung „Slow Food“ mit anderen, stilistisch eng verwandten Werken. Die 22 Gemälde stammen aus den Beständen des Mauritshuis oder sind Leihgaben vom Prado oder dem Rijksmuseum. Chefkurator Quentin Buvelot plädiert dafür, einen eigenen Begriff für sie einzuführen: „Maaltijdstilleven“ („Mahlzeitstillleben“). Verblüffenderweise wurden sie noch nie zusammen ausgestellt.
Eine Frau ist Pionierin des Genres: die großartige Malerin Clara Peeters
Die Faszination, Essen abzubilden, ist uralt und erlebt gerade jetzt im Instagram-Zeitalter eine fulminante Renaissance. Trotzdem war das Stillleben lange eine gering geschätzte, eher belächelte Gattung der Malerei. Weil es, anders, als der Name suggeriert, meist nur tote Dinge zeigt: Blumen, Vasen – oder eben Essen. Wer die Werke im Mauritshuis studiert, kann das schlechte Image beim besten Willen nicht nachvollziehen. Die Bilder bersten vor Detailfreude, erzählen sinnlich-haptisch von den Essgewohnheiten und den Lebensumständen einer bestimmten Schicht von Bürgern im 17. Jahrhundert, sind Fenster in eine ferne Epoche in Flandern und den Niederlanden, in der sich das Stillleben als Kunstform zu emanzipieren begann.
Pieter Claesz Stillleben mit Tazza 1636
Wovon, das demonstriert im Mauritshuis eindrucksvoll die „Küchenszene mit Christus in Emmaus“ von Joachim Beuckelaer (um 1560). Ein überreich gedeckter Tisch mit totem Fasan, Blumenkohl, Birnen, Weintrauben und teuren Stoffservietten. Im Hintergrund, unter einem kleinen Torbogen: drei Figuren, der wiederauferstandene Christus mit den Emmausjüngern – kaum zu erkennen. Das Gemälde ist Dokument eines Übergangs: Die Speisen drängen in den Vordergrund, die biblischen Figuren sind nur noch Alibi. Man muss schon sehr genau hinschauen, um sie zu sehen.
Jahrhundertelang
war es unvorstellbar, profane Lebensmittel anders denn als Beiwerk für
religiöse Motive zu zeigen, klassischerweise im letzten Abendmahl.
Eine Frau, das für sich genommen ist schon spektakulär, war Pionierin dieser Entwicklung. Von Clara Peeters (1594–1658) stammen allein sechs der 22 Werke im Mauritshuis. Die Ausstellung rückt damit eine weitgehend unbekannte Malerin in den Fokus, über deren Leben fast nichts bekannt ist. Antwerpen war ihre Heimat, das legen Markierungen auf den silbernen Messern nahe, die sie in ihren Stillleben häufig zeigt und die damals beliebte Hochzeitsgeschenke waren.
Joachim Beuckelaer, Küche mit Christus in Emmaus
Clara Peeters beherrschte auch das Spiel mit dem Licht
Rund 40 Werke sind von Peeters bekannt. Wie atemberaubend sie ihre Kunst beherrschte, zeigen nicht nur die naturalistischen Abbildungen, sondern auch das – sehr barocke – Spiel mit Licht und Reflexionen, am virtuosesten in „Stillleben mit Blumen und Süßigkeiten“ (1611). Eine Schnabelkanne aus Zinn steht am rechten Rand. Auf der glatt polierten, bauchigen Oberfläche spiegelt sich das Fenster des Ateliers, in dem das Bild gemalt worden sein muss, und das Antlitz der Künstlerin selbst, nicht weniger als sechs Mal. Peeters gilt als erste Malerin nördlich der Alpen, die diesen Selbstporträt-Effekt in Stillleben einbaute.
Clara Peeters, Stillleben mit Blumen, goldenem Kelch, Mandeln, getrockneten Früchten, Bonbons, Keksen, Wein und ein Zinnkrug, 1611
Bei den anderen Malern findet es sich nicht, nicht bei Floris van Dijk, Osias Beert, Nicolaes Gillis oder Jacob van Hulsdonck. Aber sie alle spielen mit dem Gegensatz von Rohem und Gekochtem, präsentieren Austern, Weintrauben, Fische, einen gerösteten Hahn. Schalen von halb geschälten Zitronen ringeln sich die Tischkante hinab wie Rapunzels Haar. Manchmal krabbeln Insekten über die Teller, die einzigen Lebewesen auf diesen Bildern. Und immer wieder: Stapel von Käse als Blickfang, kunstvoll aufgetürmt, als sei dies keine Nahrung, sondern Architektur. Eine wahre Foodopie.
Detail
Die Bilder künden von Reichtum und Wohlstand im Goldenen Zeitalter der Niederlande. Nur wer es sich leisten konnte, bezog sein Essen aus verschiedenen Quellen. Arme Leute warfen zusammen, was da war, und kochten Eintopf daraus.
Eine Frau, das für sich genommen ist schon spektakulär, war Pionierin dieser Entwicklung. Von Clara Peeters (1594–1658) stammen allein sechs der 22 Werke im Mauritshuis. Die Ausstellung rückt damit eine weitgehend unbekannte Malerin in den Fokus, über deren Leben fast nichts bekannt ist. Antwerpen war ihre Heimat, das legen Markierungen auf den silbernen Messern nahe, die sie in ihren Stillleben häufig zeigt und die damals beliebte Hochzeitsgeschenke waren.
Clara Peeters beherrschte auch das Spiel mit dem Licht
Rund 40 Werke sind von Peeters bekannt. Wie atemberaubend sie ihre Kunst beherrschte, zeigen nicht nur die naturalistischen Abbildungen, sondern auch das – sehr barocke – Spiel mit Licht und Reflexionen, am virtuosesten in „Stillleben mit Blumen und Süßigkeiten“ (1611). Eine Schnabelkanne aus Zinn steht am rechten Rand. Auf der glatt polierten, bauchigen Oberfläche spiegelt sich das Fenster des Ateliers, in dem das Bild gemalt worden sein muss, und das Antlitz der Künstlerin selbst, nicht weniger als sechs Mal. Peeters gilt als erste Malerin nördlich der Alpen, die diesen Selbstporträt-Effekt in Stillleben einbaute.
Clara Peeters, Stillleben mit Blumen, goldenem Kelch, Mandeln, getrockneten Früchten, Bonbons, Keksen, Wein und ein Zinnkrug, 1611
Bei den anderen Malern findet es sich nicht, nicht bei Floris van Dijk, Osias Beert, Nicolaes Gillis oder Jacob van Hulsdonck. Aber sie alle spielen mit dem Gegensatz von Rohem und Gekochtem, präsentieren Austern, Weintrauben, Fische, einen gerösteten Hahn. Schalen von halb geschälten Zitronen ringeln sich die Tischkante hinab wie Rapunzels Haar. Manchmal krabbeln Insekten über die Teller, die einzigen Lebewesen auf diesen Bildern. Und immer wieder: Stapel von Käse als Blickfang, kunstvoll aufgetürmt, als sei dies keine Nahrung, sondern Architektur. Eine wahre Foodopie.
Detail
Die Bilder künden von Reichtum und Wohlstand im Goldenen Zeitalter der Niederlande. Nur wer es sich leisten konnte, bezog sein Essen aus verschiedenen Quellen. Arme Leute warfen zusammen, was da war, und kochten Eintopf daraus.
Was
wohl zeitgenössische Betrachter in diesen Bildern gelesen haben mögen,
die von Schönheit, Pracht und Genuss künden? Nur wenige transportieren
auch noch eine moralische Botschaft. Pieter Claesz etwa integriert eine
Uhr in sein Arrangement, klassisches barockes Vanitas-Symbol, Erinnerung
an die Vergänglichkeit des Essens wie des Lebens.
Pieter Claes, Stillleben mit umgestürztem Silberbecher und goldener Uhr
Kostbare Gegenstände, Trinkgefäße, sind manchmal die Hauptsache auf den Bildern
Claesz ist der andere Protagonist der Ausstellung, er brachte die Kunst der „Maaltijdstilleven“ von Antwerpen nach Haarlem. Neben der Uhr liegt eine umgekippte Schale, die sogenannte Tazza. Diese kostbaren Gegenstände, auch Trinkgefäße wie Gläser, Kannen und Krüge, sind fast so bedeutsam wie die Speisen. Die Maler müssen sie nicht unbedingt selbst besessen haben. Wahrscheinlicher ist, dass sie sie untereinander austauschten, denn exakt dieselben Requisiten tauchen bei verschiedenen Künstlern auf. Das Mauritshuis hat einige der Objekte im Original aufgetrieben und in einer Vitrine versammelt, sie wurden damals massenhaft hergestellt. „Wir hätten sie auch direkt neben den Gemälden platzieren können, aber dann wäre die Versuchung zu groß, das Original mit dem Abbild zu vergleichen und herauszufinden, wie ,gelungen‘ es ist“, sagt Chefkurator Buvelot.
Willem Claesz. Heda, Stillleben mit vergoldetem Bronzekelch, 1635
In einem der eindrucksvollsten Werke, Willem Hedas „Stillleben mit Bronzekelch“ (1635), werden die Gefäße sogar zu Hauptdarstellern. Ein schlichtes, aber vielsagendes Bierglas – Bier sieht man hier sonst fast nie –, ein gläsernes Essigkännchen, ein Salznäpfchen, ein grünlich schimmerndes Weinglas, der sogenannte Römer, ein vergoldeter Bronzekelch und eine Zinnkanne mit geöffnetem Deckel bilden ein Dreieck mit ungleichen Schenkeln. Die Aufwärtsbewegung, die sie beschreiben, kreuzt rechtwinklig die Abwärtsbewegung des Lichtstrahls von oben, der dem Bild eine Aura von Helligkeit und Freundlichkeit verleiht. In den übrigen Werken sind die Hintergründe oftmals schwarz. Die überwältigende, bis ins kleinste Detail sich erstreckende Genauigkeit der Darstellungen zieht den Betrachter in Bann.
Die Bilder sind auch Slow Food für die Augen
Slow Food: Das ist heute eine Mode, eine Gegenbewegung zum meist hastig heruntergeschlungenen Fast Food. Vor 400 Jahren war die Langsamkeit selbstverständlich: Es brauchte Zeit, um die Speisen zuzubereiten. Der klug gewählte Titel der Ausstellung hat noch eine zweite Bedeutung, sind diese Bilder doch auch Slow Food für die Augen. Wer nur flüchtig hinschaut, dem entgehen die Details. Wer sich Zeit nimmt, kommt auf den Geschmack.
Den Haag, Mauritshuis, bis 25. Juni; Infos: www.mauritshuis.nl
Nota. - Muss ich wohl noch kommentieren.
JE
Pieter Claes, Stillleben mit umgestürztem Silberbecher und goldener Uhr
Kostbare Gegenstände, Trinkgefäße, sind manchmal die Hauptsache auf den Bildern
Claesz ist der andere Protagonist der Ausstellung, er brachte die Kunst der „Maaltijdstilleven“ von Antwerpen nach Haarlem. Neben der Uhr liegt eine umgekippte Schale, die sogenannte Tazza. Diese kostbaren Gegenstände, auch Trinkgefäße wie Gläser, Kannen und Krüge, sind fast so bedeutsam wie die Speisen. Die Maler müssen sie nicht unbedingt selbst besessen haben. Wahrscheinlicher ist, dass sie sie untereinander austauschten, denn exakt dieselben Requisiten tauchen bei verschiedenen Künstlern auf. Das Mauritshuis hat einige der Objekte im Original aufgetrieben und in einer Vitrine versammelt, sie wurden damals massenhaft hergestellt. „Wir hätten sie auch direkt neben den Gemälden platzieren können, aber dann wäre die Versuchung zu groß, das Original mit dem Abbild zu vergleichen und herauszufinden, wie ,gelungen‘ es ist“, sagt Chefkurator Buvelot.
In einem der eindrucksvollsten Werke, Willem Hedas „Stillleben mit Bronzekelch“ (1635), werden die Gefäße sogar zu Hauptdarstellern. Ein schlichtes, aber vielsagendes Bierglas – Bier sieht man hier sonst fast nie –, ein gläsernes Essigkännchen, ein Salznäpfchen, ein grünlich schimmerndes Weinglas, der sogenannte Römer, ein vergoldeter Bronzekelch und eine Zinnkanne mit geöffnetem Deckel bilden ein Dreieck mit ungleichen Schenkeln. Die Aufwärtsbewegung, die sie beschreiben, kreuzt rechtwinklig die Abwärtsbewegung des Lichtstrahls von oben, der dem Bild eine Aura von Helligkeit und Freundlichkeit verleiht. In den übrigen Werken sind die Hintergründe oftmals schwarz. Die überwältigende, bis ins kleinste Detail sich erstreckende Genauigkeit der Darstellungen zieht den Betrachter in Bann.
Willem Claesz Heda, Nachtisch
Die Bilder sind auch Slow Food für die Augen
Slow Food: Das ist heute eine Mode, eine Gegenbewegung zum meist hastig heruntergeschlungenen Fast Food. Vor 400 Jahren war die Langsamkeit selbstverständlich: Es brauchte Zeit, um die Speisen zuzubereiten. Der klug gewählte Titel der Ausstellung hat noch eine zweite Bedeutung, sind diese Bilder doch auch Slow Food für die Augen. Wer nur flüchtig hinschaut, dem entgehen die Details. Wer sich Zeit nimmt, kommt auf den Geschmack.
Den Haag, Mauritshuis, bis 25. Juni; Infos: www.mauritshuis.nl
Nota. - Muss ich wohl noch kommentieren.
JE
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