Samstag, 29. April 2017

Wie konnte man solchen Bildern überhaupt eine rein erotische Intention nachsagen?

aus Badische Zeitung, 18. 4. 2017

Auftakt des Gedankjahrs
Die Wiener Albertina zeigt Egon Schieles Kunst in neuem Licht
Der österreichische Künstler Egon Schiele galt als das "enfant terrible" der Wiener Moderne. 100 Jahre nach seinem Tod erscheint sein Kunst in der Albertina in neuem Licht

von Friederike Zimmermann 

Er hat den eleganten schwarzen Anzug hervorgeholt, den er über der gemusterten Weste und der stilvollen Halsbinde trägt. Wirr steht ihm das Haar vom Kopf, doch aufrecht wie in sonst keinem seiner Konterfeis blickt der Künstler im "Selbstbildnis mit Pfauenweste" (1911) den Betrachter aus seiner hellen Aureole heraus selbstbewusst, geradezu herausfordernd an: Ja, der österreichische Künstler Egon Schiele (1890-1918) galt als das "enfant terrible" der Wiener Moderne. 



Dass er bereits im Alter von sechzehn Jahren als jüngster Student in die Wiener Kunstakademie aufgenommen wurde, befeuerte sein künstlerisches Ego. In den 28 Jahren seines Lebens fertigte er sage und schreibe 170 Selbstporträts an. Die meisten zeigen ihn nackt, mit ausgemergeltem Körper und irrem Blick. War er deshalb aber ein manischer Narzisst?


Viele bisherige Deutungen wollten genau das glauben machen, stilisierten den Maler als jungen, sexbesessenen Wilden, der sich, in der Absicht, die Spießbürger so richtig erzittern zu lassen, in den sozialen Abgründen Wiens verlor. Anders die Albertina, die als Auftakt zum Gedenkjahr 2018 bereits jetzt mit 160 seiner schönsten Gouachen und Zeichnungen eine umfassende Ausstellung von Egon Schieles Werk zeigt und den Künstler auf der Grundlage der Forschungen von Johann Thomas Ambrózy in einen völlig neuen Zusammenhang stellt.



Gewiss: Die zu Papier gebrachte Nacktheit als eigenständiges Genre war zu Schieles Zeit neu und galt als absoluter Tabubruch. Obwohl er auch Landschaften, Städtebilder, Porträts, Stillleben und allegorische Arbeiten schuf, wurde der Künstler zeitlebens auf seine Aktdarstellungen festgelegt. Erst gegen Ende wurde ihm jene Anerkennung zuteil, die ihn neben Kokoschka und Klimt, der zeitweise sein Lehrer war, als bahnbrechenden Avantgardisten der Wiener Moderne auswies.


Schuld an den verspäteten Lorbeeren hatte auch sein kantiger Stil. Dieser war weniger dazu angetan, die Schönheit seiner meist sehr jungen Modelle zu mehren, als vielmehr deren Armut und Versehrtheit zu betonen – in rot entzündeten Lidern oder verschrofelten Handknochen. Dadurch haftet den erotischen Darstellungen immer etwas Gequältes oder Getriebenes an. Manche wirken in ihrer zeichnerischen Reduktion (vor allem ab 1914) fast hölzern. Wieder andere erscheinen in ihrer eruptiven Bewegung vor monochrom-flächigem Hintergrund wie haltlos. Nun freilich fragt man sich: Wie konnte man solchen Bildern überhaupt eine rein erotische Intention nachsagen? In diesem Widerspruch zeigt sich einmal mehr die Doppelmoral des Fin de Siècle und weit darüber hinaus: Wenn schon nackt, dann, bitte sehr, schön nackt.

Andacht

Zu diesen Bildern setzt die Albertina erstmals eine bislang verkannte Werkgruppe in Beziehung, die Schieles Schaffen mit neuem Licht überstrahlt: Zwischen 1912 und 1918 schuf er eine Reihe von Werken, die – wie sich herausstellte – den Heiligen Franziskus und sein Wirken zum Thema haben. Die Bilder tragen pathetische Titel wie "Erlösung", "Andacht" oder "Die Wahrheit wurde enthüllt" und zeigen Männer in ärmlichen Gewändern. Schiele habe sich völlig mit Franz von Assisis asketischem Armutsideal identifiziert und seine Menschenbilder als Aufschrei und Protest wider den Materialismus und Luxus seiner Zeit erschaffen, heißt es. Aber kann man deshalb allen Werken – selbst jenen, die Schieles (vorurteils)freie Sicht auf die geschlechtliche Realität zur Schau stellen – einen ethischen Hintergrund nahelegen?

Kreuzigung, 1917

"Auch das erotischste Kunstwerk hat Heiligkeit", war Schiele überzeugt. Zumindest erklärt sich so der helle Konturrahmen, der viele seiner Figuren wie eine Aura umgibt. Dazu passt ein weiterer Aspekt, dem die Schau große Aufmerksamkeit widmet: In vielen (Selbst-)Bildern Schieles taucht ein ostentatives, enigmatisches Handzeichen auf, die sogenannte V-Geste, bei der die flach ausgestreckte Hand Zeige- und Mittelfinger zur V-Form aufspreizt. Wie sich nun herausstellt, übernahm Schiele diese Geste aus der christlichen Kunst, mit der er die Dargestellten einschließlich seiner selbst zu einer Art Schöpfergott stilisiert.


Selbst als hl. Sebastian

"Ich bin so reich, dass ich mich fortschenken muss", vertraute der Künstler seinem Freund Arthur Roessler einmal an. Gerade in der Aussparung zeigt sich, was er damit meinte. Etwa in "Umarmung" (1914) ist lediglich eine nackte stehende Frau mit nach vorn gebeugten Armen zu sehen. Alles andere – der oder die Umarmte – ist nicht von künstlerischem Interesse. Worauf es Schiele ankommt, ist ihr Gefühl – ihre Sendung. Kein Empfänger, keine Paargeschichte, kein Glück. Nur einsames, hingegebenes Menschsein.

Albertina, Wien. Bis 18. Juni. Täglich 10-18 Uhr, Mi 10-21 Uhr.



Vier Kommentare.

Nota. - Ich nehme an, diese Sorte von Schiele-Bildern kennen Sie alle. Finden Sie das erotisch? Ich sehe gar nichts Aufreizendes darauf, eher das Gegenteil. Was ihn am menschlichen Körper am meisten fasziniert zu haben schint, war seine capability zur Hässlichkeit; wenigstens dazu, als hässlich dargestellt zu werden.

Dass Schiele heute fast so populär ist wie van Gogh in den 50er Jahren, kann man nur begrüßen. Dass sich aber diese Popularität aber immer noch auf seine schrundigen Nackten beschränkt, ist zu beklagen. Daran hat die Ausstellung in der Albertina nichts geändert, und wohl auch nicht ändern wollen.

 

 
Die Werke der Kunst aus den Biographien der Künstler, aus ihren Schickalen und Vorlieben zu interpretieren, ist weit verbreitet und verschafft kustgeschichtlich manchen Aufschluss. Aber es muss sich in den meisten Fällen ans Motivische halten; eigentlich ästhetische Einsichten sind so nicht zu erlangen. Das ist aber das, was mich mehr interessiert. Und da ist es mir ziemlich gleichgültig, ob er ein pädophile Pornograph oder ein religiöser Schwärmer war. Und da interessieren mich seine Landschaften, Hausansichten und Stillleben mehr als das welke nackte Fleisch. Vielleicht sollte ich mir im Internet meine eigene Schiele-Ausstellung zusammensuchen?
JE



Nota. - Als Lucian Freud starb, habe ich mich gefragt: Warum muss ich mir sowas ansehen? Dass es mehr hässliche als schöne Menschen gibt, weiß ich längst, man muss ja nur mal am Nachmittag in den Stadtpark gehen. Eine ästhetische Offenbarung ist es jedenfalls nicht. Ist es aber eine message? Dann ist es erstens keine dringend benötigte, und zweitens würde Kunst, wenn sie sich ästhetisch rechtfertigen könnte, eine solche nicht brauchen: Es ist einfach veraltet. 


Anders als der Autor nehme ich nicht jede Gelegenheit wahr, Schiele-Bilder zu sehen; nämlich nicht die - ganz unero- tischen - Aktbilder: Dass es mehr hässliche als schöne Menschen gibt, usw. ... Aber nun erfahre ich: Es ist die metaphy- sische Unbehaustheit, die existenzielle Geworfenheit, the ontological insecurity des modernen Menschen, die hier zu sehen ist. War: zu der Zeit, als die Belle Époque gerade in den Weltkrieg abrutschte. Es ist wahr, ein Künstler wäre als Mensch nicht ernstzunehmen, wenn ein solcher Zeitbezug seinen Bildern nicht anzumerken wäre, aber vollständig kann das eine ästhetische Rechtfertigung nicht ersetzen. Muss es bei Schiele auch nicht, die Expressivität ist selber eine ästhetische Qualität und braucht als solche keine Erklärung. 

Lucian Freuds Nackte sind nicht existenziell geworfene Haut und Knochen, sie sind etwas zu prall im Leben, sie illustrieren nur die Selbstreflexivität der allermodernsten Kunst: 'Was kann man heute noch malen?'

 

Lucian Freud, Two japanes wrestlers by a sink, 1983/87

Freud hat wie Schiele eine Antwort aber gekannt, doch keine, die beim Publikum durchdringt und auch keine, die sie als solche selber wahrgenommen hätten - es sind ihre mehr beiläufigen Landschafts-, Architektur- und Pfanzenstudien, die in Wahrheit auf Motiv und Message verzichten, indem sie die Gegenstände ganz in ihrem ästhetischen Schein versinken lassen.
JE

 
Nota. - Wenn ich so rumhöre: Schiele ist außerordentlich populär; ich meine, weit über den Kreis der auch sonst Kunstbeflissenen hinaus. Seit wann ist das so, wie ist es dazu gekommen? Ich fürchte ja, weil ihm ein bisschen was Anrüchiges anhaftet, und dazu passen die vielen Arbeiten, die wg. Nacktheit als erotisch gelten, obwohl sie, wie die Schinken von Lucian Freud, eher die Hässlichkeiten von menschlichen Körpern darstellen; bloß zeitgemäß dürr statt fett. 

Das ist zwar ein großer, aber doch nur ein Teil seiner Arbeit. Mindestens so zahlreich sind seine Landschafts- und Ortsansichten, die seinen ästhetischen Eigensinn viel stärker zum Ausdruck bringen. Vom Jugendstil fehlt der Kitsch, vom Expressionismus fehlt das Pathos. Und eigenartig: immer ist Herbst, sogar auf den Stillleben.
JE 


 
...An Egon Schiele habe ich mir unlängst den Mund verbrannt. Ich habe behauptet, an seinen nackerten Buidln wär gar nix Erotisches, was ihn am menschlichen Körper am meisten fasziniert habe, sei seine Fähigkeit zur Hässlichkeit gewesen, lediglich bei seiner Ehefrau habe er mal eine Ausnahme gemacht.

Das ist nicht wahr, ich nehme es zurück. In meinem Eifer, Landschafts- und Dorfbilder von ihm zu sammeln, habe ich auf seine Nackten nur einen Seitenblick geworfen, und aufgefallen sind mir dabei nur die Hässlichen - die Wohlgestalteten sind ja eher konventionell. Aber erotisch waren sie schon gemeint, ich habe mir die Sammlung auf meiner Festplatte in Ruhe angesehen und gebe es zu.  


28. 3. 2017 




 

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