aus Die Presse, Wien,
Schön wird etwas erst im Kopf
Wenn das Gehirn anderweitig beschäftigt ist, kann es nicht ästhetisch urteilen.
Wann ist etwas schön? Und wann ist etwas angenehm? Wenn man Immanuel Kant grob verkürzen darf, entscheidet über Ersteres das Denken: Das Schöne ist Angelegenheit von Geschmacksurteilen, das Angenehme eine Sache der Sinne, es zielt auch auf Sinnliches, gutes Essen etc.
Das Schöne hingegen läuft etwa von den Augen, die ein Bild sehen, ins Gehirn, das sich darauf konzentriert, interesselos, das ein Urteil des Geschmacks von einem der Erkenntnis unterscheidet, das von seinem Gegenstand etwas wissen will. Von diesem Gerüst gingen die Psychologen Aenne Brielmann und Dennis Pauli (New York) aus, als sie Probanden ins Labor baten, sie aber nicht mit „philosophischem Gepäck“ belasten wollten, sondern sie einfach fragten: „Hatten Sie das Gefühl der Schönheit von diesem Objekt?“
Als Objekte gab es Bilder für die Augen – abgestuft von besonders schönen bis zu solchen aus Ikea-Katalogen –, Schokolade für den Gaumen und Teddybären mit unterschiedlichen Bezügen für das Tasten.
In der ersten Runde wurde einfach genossen, dann kam eine zweite, in der die Probanden noch eine Aufgabe lösen mussten, die mit den Genüssen nichts zu tun hatte, aber das Gehirn leicht forderte. Das ließ bei den Bildern die Empfindung, sie seien schön, weithin verschwinden. Die Forscher nehmen das als Beleg für Kant: Etwas als schön empfinden ist ein Urteil des Gehirns, das nicht anderweitig beschäftigt sein darf (Current Biology, 11. 5.).
Die Schokolade hingegen schmeckte auch bei beschäftigtem Gehirn, der Plüsch fühlte sich dann auch angenehm an. Zum Erstaunen der Forscher – und gegen Kant – empfanden die Probanden aber auch das als „schön“ bzw. „beautiful“. (jl)
Nota. - Schön wird etwas erst im Kopf; süß und sauer aber auch! Ohne das Zentralorgan, das Gehirn, geht gar nichts. Die Sinneszellen mögen melden, was sie wollen; wenn die Neuronen es nicht weiterverarbeiten, gibts weder Sinn noch Ver- stand. Gibt es keine Geschmacks- noch andere Urteile.
Der springende Punkt wäre nach Kant die Reflexion: dass sich das Gehirn auf das, was 'schön' sein könnte, konzentriert und von allem andern absieht; von allen andern Sinnesreizen sowieso, aber von allen anderen Urteilen auch: namentlich von Urteilen über mögliche Brauchbarkeit. Der Zweck, sei es ein sachlicher oder ein moralischer, ist das bestimmte Gegenteil des ästhetischen Selbstwerts. Worauf 'reflektiert' also, wer nach dem Schönen Ausschau hält? Auf das Fehlen von Zweck. Schön ist es, wenn es "ohne Interesse gefällt", sagt derselbe Kant, und darauf wird reflektiert
Aber wenn es gefällt, und vielleicht mehr als das, bekommt einer manchmal eine Gänsehaut:
aus Die Presse, Wien,
Warum bekommen wir bei Musik manchmal eine Gänsehaut?
Melodien,
die wir kennen und die besonders abwechslungsreich sind, gehen am
ehesten unter die Haut. Aber nur, wenn man aufmerksam hinhört.
von Alice Grancy
Es muss nicht unbedingt kalt oder besonders gruselig sein, damit sich uns die Haare aufstellen oder ein leichter Schauer über den Rücken läuft. Das kann auch Musik bewirken. „Sie aktiviert dieselben Hirnareale, die bei Belohnung oder Motivation involviert sind“, erklärt die Grazer Musikpsychologin Sabrina Sattmann. Jedenfalls geht damit ein gewisser Grad an Aktivierung – die Forscher sprechen von Arousal (Erregung, engl.) – einher.
Was diese herbeiführt, unterscheidet sich freilich nach Person und ihren Vorlieben und Gewohnheiten. „Manche Menschen bekommen eine Gänsehaut, wenn sie daheim mit dem Kopfhörer auf der Couch liegen und Musik hören, andere beim Livekonzert“, so Sattmann. Und nicht jeder kennt dieses Phänomen: „Nur etwa 70 Prozent der Menschen bekommen Gänsehaut, während sie Musik hören“, erklärt Sattmann. „Nebenbei“ bekomme sie jedenfalls keiner: „Wer von einem Termin zum anderen hetzt oder beim Einkaufen im Hintergrund Musik hört, erlebt das kaum.“
Solostimmen bringen Schauer
Aus der Forschung weiß man, dass vor allem abrupte Wechsel dieses körperliche Phänomen auslösen: wenn beispielsweise die Musik plötzlich lauter wird oder melodisch einen Höhepunkt erreicht, etwa beim höchsten Ton eines Stücks. Auch Solostimmen oder -instrumente können die sogenannten Chills, also Schauer, erwirken, so Sattmann. Die Musik sollte jedenfalls vertraut sein: Wer nie Klassik hört, werde dabei wahrscheinlich auch keine Gänsehaut bekommen, meint die Flötistin, die selbst mit Heavy Metal nur wenig anfängt.
Sie stellte kürzlich auf einer Tagung zu „Musik und Leidenschaft“ die Ergebnisse einer Studie vor, an der 20 Personen teilnahmen. Diese waren eingeladen, drei „Gänsehautstücke“ mitzubringen und auf die Passagen zu verweisen, bei denen sie eine Gänsehaut bekamen. Auch die Stellen direkt vorher interessierten Sattmann, die sich mit den Probanden 118 Stellen in 60 Stücken anhörte. Von Klaviersolos (Ludovico Einaudi: „Fly“) über Songs aus der US-Fantasyfernsehserie „Game of Thrones“ (Ramin Djawadi: „Mhysa“) bis zu Liedern von Queen („It's Late“) oder Pink Floyd („Time“). Sie beobachtete, dass die Wahrscheinlichkeit für eine körperliche Reaktion zunimmt, wenn auf einen in Melodie, Rhythmus oder Harmonie eher monotonen Abschnitt ein Höhepunkt folgt und sich so der Unterschied zu diesem vergrößert.
Die Psychologin und Musikwissenschaftlerin befragte die Teilnehmer in der Untersuchung auch auf ihre Emotionen im jeweiligen Moment: Die meisten gaben an, sich fasziniert, stark, befreit, glücklich oder gefesselt zu fühlen. Kaum jemand meinte, traurig oder angespannt zu sein. Mehrere Versuchspersonen berichteten, dass sie beim Musikhören Kraft schöpfen oder sich selbstbewusster fühlen, insbesondere, wenn der Alltag sie sehr fordert.
Das könnte sich auch für die Praxis nutzen lassen: etwa für Therapien oder die Motivation beim Sport. Beides gibt es zwar schon, Sattmann plant aber, die Rolle der Persönlichkeit und der Emotionen in ihrer Dissertation genauer zu erforschen. „Da gibt es noch wenig systematische Untersuchungen.“ Mehr Grundlagenwissen könnte jedenfalls helfen, Musik künftig noch gezielter einzusetzen. Das ist aber noch Zukunftsmusik.
Nota. - "...Musik künftig noch gezielter einzusetzen": Da bekomme ich eine Gänsehaut!
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