Dienstag, 2. Mai 2017

Gegenständlichkeit, die Linie und die Perspektive.

Giotto, Josephs Traum

Es hängt ja die Gegenständlichkeit des Gegenstands an der Linie: Eingangs, zu Beginn der abendländischen Kunst, war sie Kontur, wie die Anekdoten am Anfang des Artikels belegen, die die Res extensa umreißt, sie situiert die Dinge im Raum, ohne Linie keine realistische Perspektive. Und keine 'naturgetreue' Malerei; doch naturgetreu (und schön) sollte die Kunst seit der Renaissance sein.


G. Lange, Der junge Giotto zeichnet einen Widder

Diese Bedeutung hat die Linie freilich erst für die mimetische - abbildende, nachbildende, wiedergebende - Kunst der europäischen Antike, muss man einschränkend hinzufügen. Die bloß vorstellende oder repräsentative Kunst der Vor- und Frühzeit war noch (oder schon) rein symbolisch, da können Linien auch ganz eigene 'Bedeutungen' haben, die mit der Stellung der Dinge im Raum gar nichts zu tun hat.

chinesich, frühzeitlich

Der Schritt zu einer reinen, nicht an die Gegenstände gebundenen, ästhetischen Kunst (pulchritudo vaga) verlangte den Verzicht auf die Kontur, und das Übungsfeld war, wie ich gezeigt habe, die Landschaftsmalerei von den Alten Holländern über Turner und die Impressionisten bis hin zur Abstraktion des 20. Jahrhunderts: Formen können die Farben ganz alleine haben, sie brauchen dafür keine Ränder: Die Zeichnung tritt allenthalben in den Hintergrund. 


Kandinsky, Binz auf Rügen, 1901

Im selben Maße aber, wie die Linie für die Gegenstände entbehrlich wurde, weil die Gegenstände entbehrlich geworden waren, war sie nun ihrerseits von den Gegenständen befreit. Sie konnte selbst zum - ästhetischen - Gegenstand werden, und folgerichtig haben Kunsthistoriker die Linie als Mutter der Abstraktion erkennen wollen - nicht die Farbe! Der springende Punkt sei die Entdeckung der japanischen Kunst für Europa gewesen: Im Jugendstil habe die Linie sich verselbständigt.


Obrist, Alpenveilchen - Peitschenhieb

Nachdem aber die Scheidung einmal eingetreten und die Kunst reinästhetisch geworden war, konnten die Linien und die Farben ganz unbefangen wieder zusammenfinden; von den Fauves über die Kubisten bis zum deutschen Expressionismus. 

Kandinsky, Bei Murnau
Den Höhe-, allerdings auch Schlusspunkt dieser Geschichte hat Malewitch gesetzt.




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