Freitag, 27. September 2013

Das Schöne ist die Lösung eines artistischen Problems

José Villegas Cordero, Self-Portrait                                                                                                                                                     aus Rohentwurf, 31.
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Die Bildung der ‚Kunst’ zu einem besonderen [‚Lebensbereich’?] [‚Dimension’?] ist ein Erzeugnis der (westlichen) Moderne (Renaissance). - Indes: Die „Verselbständigung“ der Kunst ‚besteht’ in nichts anderem, als daß sie zu einem Problem wird: „Was ist überhaupt Kunst?“!

a) Das Schöne ist die Lösung eines artistischen Problems; b) das artistische Problem: Was ist Kunst? c) Das Schöne ist die Antwort auf die Frage: Was ist Kunst. d) Das Schöne ist das, was durch Kunst entstand; Kunst ist, was Schönes schafft; das Naturschöne ist das, was so aussieht, als ob ein Künstler es erschaffen hätte... Wodurch aber wird ein Problem zu einem „artistischen“? Dadurch, daß ein Künstler es sich stellt! Nämlich die Frage: Was ist das Schöne? - Ein Existenzialist avant la lettre. Atemberaubend. - Aber in meinen Worten kann ich es so sagen: Das Schöne „ist“ nur als Problem, und wer es sich „zum Beruf macht“, ist ein Künstler. 

Genauer besehen ist aber auch die ‚Verselbständigung’ der Kunst ‚nichts anderes’ als die Herausbildung des Künstlers zu einem besondern Phänotyp („Existenzweise“) - wiederum seit der Renaissance. Daß aber Kunst zum Problem wird, ‚setzt sich zusammen’ a) aus der ‚Verselbständigung’ des Künstlers; und b) dem Vordringen des „ästhetischen Erlebens“ auf Kosten des ökonomischen Bedürfnisses (d. h. Fortschritt der ‚Freiheit’). - Beides gehört in der „ästhetischen Theorie“ gesondert betrachtet; um sich hernach (evtl.) als „zwei Seiten derselben Medaille“ zu erweisen, nämlich ‚Wachstum und (ipso facto) Selbstüberwindung der Arbeitsgesellschaft’; Eingreifen des Überflusses ins Reich der Notwendigkeit. 

Kunst ist die reine Form der Tätigkeit: Tätigkeit aus Freiheit.
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Donnerstag, 26. September 2013

Der Künstler als Gelehrter.

aus NZZ, 18. 9. 2013                                                                      Jacopo de Barbari, Porträt des Fra' Luca Pacioli (1495)

Die Verwissenschaftlichung der Kunst
Bernd Roeck über gelehrte Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance

von Hans-Albrecht Koch 

Der an der Universität Zürich lehrende Neuzeithistoriker Bernd Roeck hat sein Interesse vielfach dem Bereich der Überschneidung von politischer Geschichte und Kunstgeschichte zugewandt, etwa im 2004 erschienenen Werk «Das historische Auge», das «Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit» befragt, und in der 2006 publizierten Studie zu einem Gemälde des Piero della Francesca, das eine Geisselung darstellt. Die Szene, so das Resultat von Roecks geradezu kriminalistischer Untersuchung, setzt den Mord ins Bild, durch den Federico da Montefeltro, einer der bekanntesten Condottieri Italiens im 15. Jahrhundert, seinen Bruder aus dem Weg geräumt hat.

Piero della Francesca, Geißelung Christi
In seiner jüngsten Arbeit nun untersucht Roeck, auf welche Weise die bildenden Künstler der Renaissance allmählich zu dem gelehrten Wissen gelangt sind, aufgrund dessen sie in ihre Werke immer stärker vielsagende Anspielungen auf die Welt der antiken Götter, Heroen und Philosophen einbauen konnten. Waren die Künstler in traditioneller Sicht und auch in ihrem Selbstverständnis Vertreter der sogenannten «artes mechanicae», Handwerker also, die ihr Metier im «training on the job» erlernten, so wurden sie in der Renaissance allmählich zu Männern, die ihre - gewachsene - Bildung aus der Beschäftigung mit den «artes liberales» erworben hatten. Zu diesen freien - eines freien Mannes würdigen - Künsten gehörten unter anderem die Sprachkunst der Poetik und die den mathematischen Grundlagen der Harmonie nachspürenden Fächer Geometrie und Musik.
 
 Leonardo, Schädel 

In ihren Arbeiten verwiesen die Künstler auf die Quellen ihrer neuen Gelehrsamkeit, so etwa Federico Zuccaro, der sich in seinem römischen Palazzo auf einem Selbstporträt als Leser eines Buches inszeniert. Aus lesenden Künstlern wurden bald auch solche, die ihr Wissen schriftlich niederlegten. An einer Reihe herausragender Künstler der Renaissance zeigt Roeck, wie die «Verwissenschaftlichung» in der Arbeit an ihren Werken ständig zunimmt. Mit Optik und Sehstrahlen beschäftigte sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts Lorenzo Ghiberti, der 
 
Ghiberti, Opferung Isaaks

Schöpfer der Paradiespforte des Baptisteriums zu Florenz. Um dieselbe Zeit entwickelte Leon Battista Alberti eine detaillierte, nicht an den antiken Standbildern als Idealfiguren, sondern an den Massen eines konkreten Menschen orientierte Proportionenlehre und wurde recht eigentlich der Begründer der neuzeitlichen Kunsttheorie. Der bereits genannte Piero della Francesca repräsentiert eine ganze Gruppe malender Mathematiker; sein spezielles Interesse galt der Lehre von den Polyedern. - Die Rezeption Platons, in der Übersetzung des Marsilio Ficino, bereicherte das vom aristotelischen Rationalismus geprägte Denken der Künstler seit der Hochrenaissance um spekulatives Denken. Das schlug sich zum Beispiel bei Leonardo da Vinci im Konzept der gelehrten Hand («docta manus») nieder, die Natur auf vollkommenere Weise erzeuge als die Poesie - und der Maler könne mit Dante ein «Enkel Gottes» heissen. 
Piero della Francescas Polyeder

Raffael und Dürer für die Hochrenaissance, Michelangelo für die Spätrenaissance sind weitere Stationen in Roecks Betrachtungen, bis er mit dem Multibiografen Giorgio Vasari beim «Vater» der Kunstgeschichte anlangt. Bei dem Alleskönner Benvenuto Cellini, dem Meistergoldschmied und Mörder, dessen Autobiografie Goethe ins Deutsche übertragen hat, führt Roeck den Leser zum Theoretiker des Kunstgewerbes, entlässt ihn aber zum Schluss auf das weite Feld der immer auf den Römer Vitruv rekurrierenden Architekturschriftsteller, unter ihnen Andrea Palladio, aber endlich auch Nichtitaliener in der ersten Reihe, wie etwa Juan de Herrera und Hans Vredeman de Vries.

Andrea Palladio, Villa im Veneto

Das reich bebilderte Buch quillt über von historischem Wissen, das der Autor aber nachgerade mitreissend zu präsentieren vermag. Immer wieder wird die Darstellung aufgelockert durch die Demonstration von Bezügen der behandelten Kunstwelt zu so vertrauten Beispielen wie der Form des Meringels in der Konditorkunst oder auch durch Gegenüberstellungen der Posen von Renaissance-Potentaten und zeitgenössischen Politikern.

Bernd Roeck: Gelehrte Künstler. Maler, Bildhauer und
Architekten der Renaissance über Kunst.
Wagenbach, Berlin 2013. 233 S., Fr. 30.90.

 Hans Vredeman de Vries, Perspektivstudie, 1604/05

Mittwoch, 25. September 2013

Kokoschka in Rotterdam.

aus Der Standard, 20. 9. 2013


Große Kokoschka-Ausstellung in Rotterdam 
Gemälde "Private Property" wird erstmals öffentlich ausgestellt  

Rotterdam - Mit einem bislang nie öffentlich gezeigten Gemälde des österreichischen Malers Oskar Kokoschka (1886-1980)  - "Private Property" hang in den vergangenen 60 Jahren bei einem niederländischen Privatsammler - eröffnet das Rotterdamer Kunstmuseum Boijmans Van Beuningen am Samstag seine große Herbstausstellung. 


 
Kokoschka hatte das 1939 im Exil in England gemalte Bild einst einer niederländischen Stiftung zur Verfügung gestellt, die es zugunsten der Opfer der Flutkatastrophe in den Niederlanden 1953 versteigert hatte. "Private Property" zeigt eine Frau, die ihren Fischfang bewacht, im Hintergrund eine alte Frau beim Spaziergang am Strand. Der Maler wollte laut der Mitteilung des Museums vom Donnerstag die Gleichgültigkeit der Engländer angesichts des drohenden Krieges anprangern.

In der Ausstellung "Oskar Kokoschka - Menschen und Tiere" (21. September bis 19. Jänner) sind insgesamt rund 150 Gemälde und Zeichnungen (APA)


















Nota.

Es werden ein paar Bilder darunter sein, die Sie nicht auf der Rotterdamer Ausstellung finden können. Ich wollte zeigen: Manchmal malt er wie ein fauve, der gestern erst den Impressionimus hinter sich gelassen hat, und noch nicht einmal ganz.
J.E

Montag, 23. September 2013

Nur Skulptur in der Kunsthalle Mannheim.

aus NZZ, 21. 9. 2013


Die Sammlung ist der Star 
Ein Plädoyer für die Plastik in der Kunsthalle Mannheim

Die Kunsthalle Mannheim präsentiert derzeit ihre Skulpturensammlung mithilfe von Künstlerkuratoren in einem abrissreifen Gebäude und erhofft sich dadurch neue Impulse für eine Kunstgattung, die mehr und mehr ins Hintertreffen zu geraten scheint.

von Christian Saehrendt

Glaubt man den Kuratoren der gegenwärtigen Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim, muss es schlecht um die Gattung der Skulptur stehen. Man wolle mit der Schau nicht weniger als zur «Erneuerung der Existenzform der Gattung Skulptur im Museum» beitragen, heisst es im Begleitheft. Tatsächlich muss man sich fragen, welche Zukunft vor allem die figürliche Plastik ausserhalb der Sphären der politischen Repräsentation, der touristischen Stadtmöblierung des kommerziellen Grosskitsches haben kann. Anders als die Malerei, deren antike Vorbilder verloren sind, muss die Skulptur sich bis heute an den überlieferten Werken der Antike messen und setzt deren Überlieferung zwangsläufig und zwanghaft fort. Die wenig erforschte Geschichte des Ausscheidens der figürlichen Plastik aus dem Kanon der Gegenwart steht hier wieder im Raum: Mehr als die Malerei musste sich die Skulptur in der Nachkriegszeit neu erfinden, ein Prozess, der längst nicht abgeschlossen ist und seit 1945 einerseits abstrakte, andererseits minimalistische und selbstreflexive Tendenzen in der Bildnerei beflügelt hat.

 
Missratene Museumsarchitektur 

Anlass der Mannheimer Schau «Nur Skulptur» ist der bevorstehende Abriss eines Teils der Kunsthalle - der erst 1983 fertiggestellte Gebäudeteil ist ausschliesslich der Plastik vorbehalten gewesen. Der aussen mit roten Sandsteinplatten verkleidete sogenannte Mitzlaffbau erwies sich als ein klimatechnisch und raumästhetisch unzulängliches Ausstellungshaus. Es ist ein typisches Beispiel missratener Museumsarchitektur - und man darf gespannt sein, wie viele der hochambitionierten Neubauten unserer Gegenwart in wenigen Jahrzehnten ebenfalls Abrisskandidaten geworden sein werden: Hohe Unterhaltskosten, Materialermüdung, zu unflexibel und beschränkt, was die Aufnahme der Kunstwerke betrifft.

Die Chance, ein museales Gebäude mit einer finalen Ausstellung ruinieren zu dürfen - das ist sicher ein Traum vieler Künstler, die raumbezogen, performativ, prozessual arbeiten oder sich auf irgendeine sonstige Weise radikal gebärden. Man muss sofort an Gordon Matta-Clark denken und sich kühne Architektur-Decollagen vorstellen, mit Abrissbirnen modellierte Trümmerlandschaften, mit Farb- und Kunststoffmassen überzogene Fensterfronten, ja man träumt von kontrollierten Sprengungen und farblich akzentuierten Staubwolken.


Leider aber findet dies alles nur im Westentaschenformat statt. Der Schweizer Künstler Roman Signer durfte ein kreisrundes Loch in den Betonboden bohren, durch das später ein kleines ferngesteuertes Fahrzeug ins Untergeschoss fiel und dabei zerschellte - immerhin. Thomas Hirschhorn sprühte einen Raum mit schwarzer Farbe aus, um Russbildung nach einem Feuer zu simulieren, Performance-Professor John Bock liess wieder einmal ein nettes Chaos inszenieren, bei dem allerlei Kram durch die Gegend getragen und durcheinander gebracht wurde, und Thomas Rentmeister durfte ein wenig mit seiner bewährten Schokocrème herumpatschen.

Wo die Gegenwartskunst in ihrer erstarrten marktkonformen Rebellenpose nur noch langweilt, reizt der Blick in die Vergangenheit. Hier zeigt sich der Charme der Schau, die neben der zeitgenössischen Kunst Sammlungsbestände wie Fragmente, Stapel- oder Schwemmgut vergangener Konzepte und ästhetischer Moden präsentiert. Allein schon der zum Teil dicht gruppierte Bronzebüstenbestand versammelt auf engstem Raum Porträts aus der Hand von Rodin, Claudel, Maillol, Kolbe oder Fritz Cremer, dessen Leninbüste als Leihgabe der DKP-Zentrale Mannheim in die Sammlung gelangte. Ebenso staunt man über Rudolf Bellings Porträtkopf des legendären Kunsthändlers Alfred Flechtheim (1927), der nur aus Adlernase und dünnen Tellerlippen besteht.

Bedeutende Sammlung 

Man wundert sich über die Schätze, die sich hier auf verschlissenen Teppichböden und in verbautem Ambiente offenbaren. Die Industrie- und Rheinhafenstadt Mannheim stand kulturell stets im Schatten des romantischen Heidelberg und des mit Museen reich gesegneten Frankfurt. Nahezu unbemerkt ist hier jedoch eine der bedeutendsten bürgerschaftlichen Sammlungen der deutschen und internationalen Moderne zusammengetragen worden - mit einem einzigartigen Schwerpunkt auf der Plastik. Der Reichtum und die Vielfalt der Sammlung wird in dem riesigen Depotregal veranschaulicht, das mitten in der Kunsthalle aufgebaut wurde und dicht gepackt 150 Werke unterschiedlicher Herkunft, Materialität und Qualität vereint. Dem Riesenregal gegenüber steht - mitten im leeren Raum - auf einem schlanken Sockel die Miniaturplastik von Henry Moore («Kopf», 1955). Das ist sehr effektvoll inszeniert, und es mag sein, dass hier und an anderen Stellen der Ausstellungschoreografie das «Auge des Künstlers» als Hilfskurator gute Dienste geleistet hat. Die Sammlung ist in dieser Ausstellung nicht nur Materialfundus und Ressource, sie wird angesichts ratloser Kuratoren und Künstlerkuratoren selbst zum Thema: Sie erzählt ihre Geschichte selbst, eine Geschichte wechselhafter Erwerbungsstrategien, wechselhafter Geldströme und wechselnder Wertschätzungen.

Schritt für Schritt  
Die Kuratoren waren laut Begleitheft angetreten, die «altbekannten kunsthistorischen Meistererzählungen und eingeübten musealen Präsentationsformate auf den Prüfstand» zu stellen. Das ist zum Teil durchaus gelungen, wie dieser kleine Spass am Rande des Ausstellungsbesuchs offenbart: Man tritt mitten in einen Rentmeisterschen Nutellafladen hinein und verteilt die Crème dann auf dem Teppich zu einem abstrakten, pastosen Gemälde. Schritt für Schritt schmiert sich der Schuh auf diese Weise wieder sauber - und nebenbei wird der passive Betrachter zum aktiven Mitkünstler.
 
Nur Skulptur. Kunsthalle Mannheim bis 17. November 2013

Lieber Leser,
entschuldigen Sie bitte, dass ich zu den Bildern keine Künstler- und Titelangaben machen kann: Sie waren im Internet nicht zu finden. Max Ernst, Boccioni, Moore erkenne ich ja selber, und Sie wahrscheinlich auch, aber bei Maillol und Giacometti bin ich mir schon nicht mehr sicher. Interessanter sind ja sowieso die, die man nicht kennt. Durch die Anonymität bekommen sie nun einen zusätzlichen Reiz, der weniger ästhetisch wirkt als gespreizt - so wie der Nussnougatcrème-Spaß am Eingang der Ausstellung...  


















Sie sehen: Ein bisschen leichter als die zeitgednössischen Maler haben es die Bildhauer doch. Da hat man vielleicht noch nicht alles gesehen. Denn immerhin steht ihnen eine ganze Dimension mehr zu Verfügung! Da kann man dieselbe Skulptur ruhig ein paarmal in demselben Band abbilden; vom Internet ganz zu schweigen.
J.E.