aus NZZ, 18. 9. 2013 Jacopo de Barbari, Porträt des Fra' Luca Pacioli (1495)
Die Verwissenschaftlichung der Kunst
Bernd Roeck über gelehrte Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance
von Hans-Albrecht Koch
Der an der Universität Zürich lehrende Neuzeithistoriker Bernd Roeck
hat sein Interesse vielfach dem Bereich der Überschneidung von
politischer Geschichte und Kunstgeschichte zugewandt, etwa im 2004
erschienenen Werk «Das historische Auge», das «Kunstwerke als Zeugen
ihrer Zeit» befragt, und in der 2006 publizierten Studie zu einem
Gemälde des Piero della Francesca, das eine Geisselung darstellt. Die
Szene, so das Resultat von Roecks geradezu kriminalistischer
Untersuchung, setzt den Mord ins Bild, durch den Federico da
Montefeltro, einer der bekanntesten Condottieri Italiens im 15.
Jahrhundert, seinen Bruder aus dem Weg geräumt hat.
Piero della Francesca, Geißelung Christi
In seiner jüngsten Arbeit nun
untersucht Roeck, auf welche Weise die bildenden Künstler der
Renaissance allmählich zu dem gelehrten Wissen gelangt sind, aufgrund
dessen sie in ihre Werke immer stärker vielsagende Anspielungen auf die
Welt der antiken Götter, Heroen und Philosophen einbauen konnten. Waren
die Künstler in traditioneller Sicht und auch in ihrem Selbstverständnis
Vertreter der sogenannten «artes mechanicae», Handwerker also, die ihr
Metier im «training on the job» erlernten, so wurden sie in der
Renaissance allmählich zu Männern, die ihre - gewachsene - Bildung aus
der Beschäftigung mit den «artes liberales» erworben hatten. Zu diesen
freien - eines freien Mannes würdigen - Künsten gehörten unter anderem
die Sprachkunst der Poetik und die den mathematischen Grundlagen der
Harmonie nachspürenden Fächer Geometrie und Musik.
Leonardo, Schädel
In ihren Arbeiten verwiesen die
Künstler auf die Quellen ihrer neuen Gelehrsamkeit, so etwa Federico
Zuccaro, der sich in seinem römischen Palazzo auf einem Selbstporträt
als Leser eines Buches inszeniert. Aus lesenden Künstlern wurden bald
auch solche, die ihr Wissen schriftlich niederlegten. An einer Reihe
herausragender Künstler der Renaissance zeigt Roeck, wie die
«Verwissenschaftlichung» in der Arbeit an ihren Werken ständig zunimmt.
Mit Optik und Sehstrahlen beschäftigte sich um die Mitte des 15.
Jahrhunderts Lorenzo Ghiberti, der
Ghiberti, Opferung Isaaks
Schöpfer der Paradiespforte des
Baptisteriums zu Florenz. Um dieselbe Zeit entwickelte Leon Battista
Alberti eine detaillierte, nicht an den antiken Standbildern als
Idealfiguren, sondern an den Massen eines konkreten Menschen orientierte
Proportionenlehre und wurde recht eigentlich der Begründer der
neuzeitlichen Kunsttheorie. Der bereits genannte Piero della Francesca
repräsentiert eine ganze Gruppe malender Mathematiker; sein spezielles
Interesse galt der Lehre von den Polyedern. - Die Rezeption Platons, in
der Übersetzung des Marsilio Ficino, bereicherte das vom aristotelischen
Rationalismus geprägte Denken der Künstler seit der Hochrenaissance um
spekulatives Denken. Das schlug sich zum Beispiel bei Leonardo da Vinci
im Konzept der gelehrten Hand («docta manus») nieder, die Natur auf
vollkommenere Weise erzeuge als die Poesie - und der Maler könne mit
Dante ein «Enkel Gottes» heissen.
Piero della Francescas Polyeder
Raffael und Dürer für die
Hochrenaissance, Michelangelo für die Spätrenaissance sind weitere
Stationen in Roecks Betrachtungen, bis er mit dem Multibiografen Giorgio
Vasari beim «Vater» der Kunstgeschichte anlangt. Bei dem Alleskönner
Benvenuto Cellini, dem Meistergoldschmied und Mörder, dessen
Autobiografie Goethe ins Deutsche übertragen hat, führt Roeck den Leser
zum Theoretiker des Kunstgewerbes, entlässt ihn aber zum Schluss auf das
weite Feld der immer auf den Römer Vitruv rekurrierenden
Architekturschriftsteller, unter ihnen Andrea Palladio, aber endlich
auch Nichtitaliener in der ersten Reihe, wie etwa Juan de Herrera und
Hans Vredeman de Vries.
Andrea Palladio, Villa im Veneto
Das reich bebilderte Buch quillt
über von historischem Wissen, das der Autor aber nachgerade mitreissend
zu präsentieren vermag. Immer wieder wird die Darstellung aufgelockert
durch die Demonstration von Bezügen der behandelten Kunstwelt zu so
vertrauten Beispielen wie der Form des Meringels in der Konditorkunst
oder auch durch Gegenüberstellungen der Posen von Renaissance-Potentaten
und zeitgenössischen Politikern.
Bernd Roeck: Gelehrte Künstler. Maler, Bildhauer und
Architekten der Renaissance über Kunst. Wagenbach, Berlin 2013. 233 S., Fr. 30.90.
Hans Vredeman de Vries, Perspektivstudie, 1604/05