Die Verwissenschaftlichung der Kunst
Bernd Roeck über gelehrte Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance
Bernd Roeck über gelehrte Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance
von Hans-Albrecht Koch
Der an der Universität Zürich lehrende Neuzeithistoriker Bernd Roeck
hat sein Interesse vielfach dem Bereich der Überschneidung von
politischer Geschichte und Kunstgeschichte zugewandt, etwa im 2004
erschienenen Werk «Das historische Auge», das «Kunstwerke als Zeugen
ihrer Zeit» befragt, und in der 2006 publizierten Studie zu einem
Gemälde des Piero della Francesca, das eine Geisselung darstellt. Die
Szene, so das Resultat von Roecks geradezu kriminalistischer
Untersuchung, setzt den Mord ins Bild, durch den Federico da
Montefeltro, einer der bekanntesten Condottieri Italiens im 15.
Jahrhundert, seinen Bruder aus dem Weg geräumt hat.
Piero della Francesca, Geißelung Christi
Piero della Francesca, Geißelung Christi
In seiner jüngsten Arbeit nun
untersucht Roeck, auf welche Weise die bildenden Künstler der
Renaissance allmählich zu dem gelehrten Wissen gelangt sind, aufgrund
dessen sie in ihre Werke immer stärker vielsagende Anspielungen auf die
Welt der antiken Götter, Heroen und Philosophen einbauen konnten. Waren
die Künstler in traditioneller Sicht und auch in ihrem Selbstverständnis
Vertreter der sogenannten «artes mechanicae», Handwerker also, die ihr
Metier im «training on the job» erlernten, so wurden sie in der
Renaissance allmählich zu Männern, die ihre - gewachsene - Bildung aus
der Beschäftigung mit den «artes liberales» erworben hatten. Zu diesen
freien - eines freien Mannes würdigen - Künsten gehörten unter anderem
die Sprachkunst der Poetik und die den mathematischen Grundlagen der
Harmonie nachspürenden Fächer Geometrie und Musik.
Leonardo, Schädel
In ihren Arbeiten verwiesen die Künstler auf die Quellen ihrer neuen Gelehrsamkeit, so etwa Federico Zuccaro, der sich in seinem römischen Palazzo auf einem Selbstporträt als Leser eines Buches inszeniert. Aus lesenden Künstlern wurden bald auch solche, die ihr Wissen schriftlich niederlegten. An einer Reihe herausragender Künstler der Renaissance zeigt Roeck, wie die «Verwissenschaftlichung» in der Arbeit an ihren Werken ständig zunimmt. Mit Optik und Sehstrahlen beschäftigte sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts Lorenzo Ghiberti, der
In ihren Arbeiten verwiesen die Künstler auf die Quellen ihrer neuen Gelehrsamkeit, so etwa Federico Zuccaro, der sich in seinem römischen Palazzo auf einem Selbstporträt als Leser eines Buches inszeniert. Aus lesenden Künstlern wurden bald auch solche, die ihr Wissen schriftlich niederlegten. An einer Reihe herausragender Künstler der Renaissance zeigt Roeck, wie die «Verwissenschaftlichung» in der Arbeit an ihren Werken ständig zunimmt. Mit Optik und Sehstrahlen beschäftigte sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts Lorenzo Ghiberti, der
Ghiberti, Opferung Isaaks
Schöpfer der Paradiespforte des Baptisteriums zu Florenz. Um dieselbe Zeit entwickelte Leon Battista Alberti eine detaillierte, nicht an den antiken Standbildern als Idealfiguren, sondern an den Massen eines konkreten Menschen orientierte Proportionenlehre und wurde recht eigentlich der Begründer der neuzeitlichen Kunsttheorie. Der bereits genannte Piero della Francesca repräsentiert eine ganze Gruppe malender Mathematiker; sein spezielles Interesse galt der Lehre von den Polyedern. - Die Rezeption Platons, in der Übersetzung des Marsilio Ficino, bereicherte das vom aristotelischen Rationalismus geprägte Denken der Künstler seit der Hochrenaissance um spekulatives Denken. Das schlug sich zum Beispiel bei Leonardo da Vinci im Konzept der gelehrten Hand («docta manus») nieder, die Natur auf vollkommenere Weise erzeuge als die Poesie - und der Maler könne mit Dante ein «Enkel Gottes» heissen.
Piero della Francescas Polyeder
Raffael und Dürer für die
Hochrenaissance, Michelangelo für die Spätrenaissance sind weitere
Stationen in Roecks Betrachtungen, bis er mit dem Multibiografen Giorgio
Vasari beim «Vater» der Kunstgeschichte anlangt. Bei dem Alleskönner
Benvenuto Cellini, dem Meistergoldschmied und Mörder, dessen
Autobiografie Goethe ins Deutsche übertragen hat, führt Roeck den Leser
zum Theoretiker des Kunstgewerbes, entlässt ihn aber zum Schluss auf das
weite Feld der immer auf den Römer Vitruv rekurrierenden
Architekturschriftsteller, unter ihnen Andrea Palladio, aber endlich
auch Nichtitaliener in der ersten Reihe, wie etwa Juan de Herrera und
Hans Vredeman de Vries.
Das reich bebilderte Buch quillt über von historischem Wissen, das der Autor aber nachgerade mitreissend zu präsentieren vermag. Immer wieder wird die Darstellung aufgelockert durch die Demonstration von Bezügen der behandelten Kunstwelt zu so vertrauten Beispielen wie der Form des Meringels in der Konditorkunst oder auch durch Gegenüberstellungen der Posen von Renaissance-Potentaten und zeitgenössischen Politikern.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen