Donnerstag, 26. September 2013

Der Künstler als Gelehrter.

aus NZZ, 18. 9. 2013                                                                      Jacopo de Barbari, Porträt des Fra' Luca Pacioli (1495)

Die Verwissenschaftlichung der Kunst
Bernd Roeck über gelehrte Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance

von Hans-Albrecht Koch 

Der an der Universität Zürich lehrende Neuzeithistoriker Bernd Roeck hat sein Interesse vielfach dem Bereich der Überschneidung von politischer Geschichte und Kunstgeschichte zugewandt, etwa im 2004 erschienenen Werk «Das historische Auge», das «Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit» befragt, und in der 2006 publizierten Studie zu einem Gemälde des Piero della Francesca, das eine Geisselung darstellt. Die Szene, so das Resultat von Roecks geradezu kriminalistischer Untersuchung, setzt den Mord ins Bild, durch den Federico da Montefeltro, einer der bekanntesten Condottieri Italiens im 15. Jahrhundert, seinen Bruder aus dem Weg geräumt hat.

Piero della Francesca, Geißelung Christi
In seiner jüngsten Arbeit nun untersucht Roeck, auf welche Weise die bildenden Künstler der Renaissance allmählich zu dem gelehrten Wissen gelangt sind, aufgrund dessen sie in ihre Werke immer stärker vielsagende Anspielungen auf die Welt der antiken Götter, Heroen und Philosophen einbauen konnten. Waren die Künstler in traditioneller Sicht und auch in ihrem Selbstverständnis Vertreter der sogenannten «artes mechanicae», Handwerker also, die ihr Metier im «training on the job» erlernten, so wurden sie in der Renaissance allmählich zu Männern, die ihre - gewachsene - Bildung aus der Beschäftigung mit den «artes liberales» erworben hatten. Zu diesen freien - eines freien Mannes würdigen - Künsten gehörten unter anderem die Sprachkunst der Poetik und die den mathematischen Grundlagen der Harmonie nachspürenden Fächer Geometrie und Musik.
 
 Leonardo, Schädel 

In ihren Arbeiten verwiesen die Künstler auf die Quellen ihrer neuen Gelehrsamkeit, so etwa Federico Zuccaro, der sich in seinem römischen Palazzo auf einem Selbstporträt als Leser eines Buches inszeniert. Aus lesenden Künstlern wurden bald auch solche, die ihr Wissen schriftlich niederlegten. An einer Reihe herausragender Künstler der Renaissance zeigt Roeck, wie die «Verwissenschaftlichung» in der Arbeit an ihren Werken ständig zunimmt. Mit Optik und Sehstrahlen beschäftigte sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts Lorenzo Ghiberti, der 
 
Ghiberti, Opferung Isaaks

Schöpfer der Paradiespforte des Baptisteriums zu Florenz. Um dieselbe Zeit entwickelte Leon Battista Alberti eine detaillierte, nicht an den antiken Standbildern als Idealfiguren, sondern an den Massen eines konkreten Menschen orientierte Proportionenlehre und wurde recht eigentlich der Begründer der neuzeitlichen Kunsttheorie. Der bereits genannte Piero della Francesca repräsentiert eine ganze Gruppe malender Mathematiker; sein spezielles Interesse galt der Lehre von den Polyedern. - Die Rezeption Platons, in der Übersetzung des Marsilio Ficino, bereicherte das vom aristotelischen Rationalismus geprägte Denken der Künstler seit der Hochrenaissance um spekulatives Denken. Das schlug sich zum Beispiel bei Leonardo da Vinci im Konzept der gelehrten Hand («docta manus») nieder, die Natur auf vollkommenere Weise erzeuge als die Poesie - und der Maler könne mit Dante ein «Enkel Gottes» heissen. 
Piero della Francescas Polyeder

Raffael und Dürer für die Hochrenaissance, Michelangelo für die Spätrenaissance sind weitere Stationen in Roecks Betrachtungen, bis er mit dem Multibiografen Giorgio Vasari beim «Vater» der Kunstgeschichte anlangt. Bei dem Alleskönner Benvenuto Cellini, dem Meistergoldschmied und Mörder, dessen Autobiografie Goethe ins Deutsche übertragen hat, führt Roeck den Leser zum Theoretiker des Kunstgewerbes, entlässt ihn aber zum Schluss auf das weite Feld der immer auf den Römer Vitruv rekurrierenden Architekturschriftsteller, unter ihnen Andrea Palladio, aber endlich auch Nichtitaliener in der ersten Reihe, wie etwa Juan de Herrera und Hans Vredeman de Vries.

Andrea Palladio, Villa im Veneto

Das reich bebilderte Buch quillt über von historischem Wissen, das der Autor aber nachgerade mitreissend zu präsentieren vermag. Immer wieder wird die Darstellung aufgelockert durch die Demonstration von Bezügen der behandelten Kunstwelt zu so vertrauten Beispielen wie der Form des Meringels in der Konditorkunst oder auch durch Gegenüberstellungen der Posen von Renaissance-Potentaten und zeitgenössischen Politikern.

Bernd Roeck: Gelehrte Künstler. Maler, Bildhauer und
Architekten der Renaissance über Kunst.
Wagenbach, Berlin 2013. 233 S., Fr. 30.90.

 Hans Vredeman de Vries, Perspektivstudie, 1604/05

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