Cy Twombly, School of Athens, 1964.
Wir
leben in einer Epoche, wo - nicht allein, aber auch nicht zuletzt -
die Neuen Medien dafür sorgen, dass kein Bild mehr an die Öffentlichkeit
gelangen wird, das nicht - so oder ein bisschen anders - schonmal dagewesen
ist. Alles, was in der zeitgenössischen Kunst etwas taugt, von Gerhard
Richter über Cy Twombly* bis zu den amerikanischen Hyperrealisten, sind
nur Variationen zu dem Thema Was kann man heute noch malen? Und ihr jeweiliger anschaulich-ästhetischer Gewinn besteht eben in der Variation und nicht im Werk. Mit andern Worten: Wenn es je sinnvoll gewesen wäre, 'Kunst' an der Qualität (Washeit) ihrer Produkte zu definieren - dann ist das heute vorbei.
Man
hätte sagen können: Kunst ist eine bildnerische Praxis, die, wenn sie
gelingt, die Augen der Zeitgenossen öffnet für ästhetische Qualitäten,
die zuvor noch nicht sichtbar waren.
Richard Estes, Urban Landscapes, bridge
Das ist verführerisch, aber es ließ immer die Frage offen: Wer oder was entscheidet darüber, was in der Kunst gelungen ist und was mißraten? Und das ist ein Fass ohne Boden. Was Kunst ist, definieren zu wollen durch ihre ästhetische Qualität, läuft darauf hinaus, Kunst nicht definieren
zu können. Und recht besehen war das auch der Zweck der definitorischen
Übung; denn sie ging immer aus von den unmittelbar Interessierten: den
Künstlern selbst und ihren... nun ja, Agenten. Diente das epochale Werk
Giorgio Vasaris etwa nicht der Propagierung - Marketing heißt das
heute - des aufkommenden Manierismus in der italienischen Malerei? Wird
einer behaupten, er habe sich um 'Objektivität' überhaupt bemüht? Er
postulierte die Maßstäbe, denen er in seinem eigenen Werk selber gefolgt
war und weiter zu folgen gedachte. Anders ist Kunstgeschichte unter dieser Prämisse auch gar nicht möglich, und darum wurde sie auch niemals ohne Interesse betrieben.
Kunst war erstens ein sozialgeschichtliches Phänomen und wurde zweitens zu einer kulturellen Instanz.
Da ist zuerst das Aufkommen des Künstlers als Phänotyp. Als
Professioneller nämlich, zünftig organisiert und gegen andere
Berufsgruppen privilegiert. So jedenfalls im Abendland, wo Kunst in specie
entstanden ist, unterm Protektorat einer feudalen Amtskirche zunächst
und bald auch zum Lob und Preis weltlicher Herrschaft. Ihre Entfaltung
verdankt sie nicht unwesentlich ebendieser ambivalenten Stellung als
Dienerin zweier Herrn mit konkurrierenden Interessen. Und erst recht ihren
Aufstieg - parallel zum Aufstieg des Gelehrtenstandes - zur
autoritativen Instanz, die wie die Wissenschaft eine autonome Stellung
zwischen den Mächten geltend macht. Und nur darum konnte die eine nichts als die Wahrheit und die andere das Schöne selbst zu ihrem (fast) ausschließlichen Geschäft machen und den Zwiespalt des menschlichen Geistes als reflektierende Absicht und als zweckfreie Betrchtuung objektivieren. Wie der Erfinder und der Gelehrte erscheint der Künstler mit der Renaissance als Held, der mit den Aristokraten auf Du ist, seit die (in Italien) keine Blaublütler, sondern nur noch Parvenüs sind.
Tizian, Selbstporträt, 1547
Natürlich
hält diese Stellung der folgenden Entwicklung zur bürgerlichen
Gesellschaft nicht stand, denn zwischen Bourgeoisie und Bourgeoisie ist
schlecht schweben. Als Geschäftspartner stehen weder der Künstler noch
der Gelehrte dem Kapitalisten ebenbürtig gegenüber, denn während Kirche
und weltliche Herren auf die öffentliche Repräsentation ihrer Herrschaft
durch Schönheit und Wissen dauerhaft angewiesen waren, kann der
Bourgeois als Privatmann auf die Hohe Kunst verzichten und sich mit
einem kitschigen Surrogat begnügen. Der Wissenschaftler konnte sich als
Supervisor des Technikers unabkömmlich machen, was sich der Kapitalist
als Geschäftsmann etwas kosten lässt, aber dem Künstler blieb nur das
Abenteuer der Bohème; wenn er nämlich auf der Kunst um ihrer selbst willen
beharrte und sich zum Serienfertiger wohlfeiler Massenware zu vornehm
blieb. (Vorher gab es keine Unterscheidung zwischen Kunst und Kitsch).
So entstand die Avantgarde, seit der Romantik eigentlich, und der Romantiker verstand den Künstler als Genie, und rückblickend verklärte Ludwig Tiecks Franz Sternbald noch den Zunftgesellen der mittelalterlichen Malerwerkstatt dazu.
Als Kunst gilt seit rund hundert Jahren nur noch das, was zu der Frage Ist das überhaupt noch Kunst? Anlass
gibt. Kunst ist avantgardistisch - oder akademische Afterkunst. In den
fünfziger, sechziger Jahren waren erkennbare Gegenstände auf den Bildern
regelrecht untersagt. Abstrakt war nicht erst die Avantgarde, sondern noch der Tross.
Willi Baumeister, Zwei Laternen, 1955 (Avantgarde oder Tross?)
Die
Abstraktion musste sich bald totlaufen, denn bloße Farben und Formen
sind erschöpflich, und Varianten im Mikrobereich sind irgendwann
langweilig. Bleibt das dekorative Bemalen von Leinwänden in Wandgröße,
aber originell ist das nun auch nicht mehr. Wohl oder übel müssen
die Gegenstände wieder hergenommen werden - wenn man schon das Malen
nunmal nicht lassen kann. Welch eine Verlegenheit! Man sieht sie
allenthalben. Ihr von Sotheby und Christie's gekrönter König ist Gerhard
Richter, der offenkundig alles kann (wie kein zweiter), aber ebenso
offenkundig nicht weiß, was er wollen soll.
(Merke: Das Tafelbild hat es nicht immer gegeben.)
*) Der überrascht Sie an dieser Stelle? Es ist ja auch kein ästhetisches Urteil. Was er gemacht hat, "taugt" nur als Variation zu diesem Thema. - Na ja, ein paar Sachen taugen schon noch etwas mehr.
Gerhard Richter, Seascape (Wave), 1969
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