16173840 aus Rohentwurf, 1
Vollkommenheit ist eine ästhetische Kategorie.
Was denn sonst?
Funktionalität mißt sich an einem
jeweiligen Zweck. Wie genau etwas funktionieren muß, ist eine Frage des
Zwecks: Im wirklichen Leben reichen Grade des Ungefähr. Funktionalität hat ihr
Maß außer sich. Was aber die Zwecke
taugen, läßt sich nicht funktional bestimmen.
In der Logik gibt es richtig und falsch.
Ihr Maß ist immanent: das richtige Verfahren, die formale Richtigkeit. Das
Falsche ist nicht unvollkommen, sondern nicht-richtig. Was die Resultate jedoch
selber 'wert' sind, ist keine Frage der Logik.
Vollkommenheit hat kein Maß außer ihr, aber
auch nicht in sich: sie hat kein Maß. Man könnte sagen, sie ist Maß. Ist sie
aber nicht. Denn dazu müßte sie bestimmt werden können, kann sie aber nicht
(denn wäre sie durch etwas, dann wär
sie nicht vollkommen). Sie ist keine Vorstellung, sondern eine Idee, qualitas qualitatium. Ihre Bestimmtheit ist eben, daß sie unbestimmbar ist;
ihr Wesen ist, daß sie fehlt. Sie ist
die ästhetische Idee schlechthin. Sie ist die Suche nach der Guten Figur. Ist
sie gefunden, erweist sie sich nach längerer Betrachtung [sic] als
unvollkommen.
Die Idee der Vollkommenheit hat die Ethik
aus der Ästhetik geborgt; Vollkommenheit des Handelns ohne Absicht auf einen
Zweck; 'Zweckmäßigkeit ohne Zweck'. (In der philosophischen Schulsprache wurde
die Idee der Vollkommenheit zum 'Begriff' des Absoluten substantifiziert; so
als ob es 'sei': Kant, De mundo
sensibilis atque intelligibilis... Bei Fichte: das logisch Absolute ist „vollständige
Wechselwirkung“.)
Und umgekehrt ist der Grund des Ästhetischen
ein ethischer: Etwas erscheint vollkommen, wenn es so ist, wie es sein soll.
(So läßt sich ein jedes Ding unter ästhetischem Gesichtspunkt betrachten: als
ob es so sei, wie es sein soll; wobei der Ursprung des Sollens ein Rätsel
bleibt.)
Der spezifisch ästhetische Name der
Vollkommenheit ist Schönheit. Das Schöne ist Bild des Vollkommenen. Paradox:
als dieses Bild ist es nur eines; ist
bestimmt, also unvollkommen: Bestimmung des Unbestimmbaren.
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