Samstag, 14. September 2013

Gauguin.

aus NZZ, 14. 9. 2013


Auf dem Weg in die Südsee 
Paul Gauguins «Jakobs Kampf mit dem Engel oder Vision nach der Predigt».  

Von Angelika Overath 

Aber so war es nicht. Wir sind nicht dagestanden und haben fromm und ergriffen hingeschaut. Das war allein seine Idee. Gut, in der Kirche hat der Pfarrer aus der Bibel gelesen. «Furt» weiss ich noch. Und «Mann». Und «Ringen» und «Hüfte». Und «Mensch und Gott» und: «Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.» Aber wer sagt, dass uns das interessiert hätte? Er.

 
Wir haben ihm gepasst für seine Vision. Vor allem farblich. Ein frisch gestärkter Bogen aus weissen Hauben um dieses glühende Rot. (Aber so rot war der Sandplatz vor der Kirche dann doch nicht. Auch wenn er glühte.) Und in das Rot hinein setzte er die zwei kämpfenden Männer. Jakob und den Engel. Oder wer diese winzigen, durchtrainierten Kerle auch gewesen sein mögen. In Blau und in Grün. Und der eine hatte gelbe Flügel. Dann hat er die junge Kuh dazugemalt, auf der anderen Seite des Apfelbaums, der mit lichtbunten Blättern in den Himmel stieg. Die Beine des Tieres sind komisch verdreht. Wenn man von der Kuh auf die Kämpfenden schaut, sieht man gleich, dass auch sie nur ein Körper sind. Nur eine einzige Gestalt. (Und ich verstand auch, warum.) Und selbst der Pfarrer, der nichts sah, nichts verstand, muss etwas geahnt haben. Von Pont-Aven haben sie ihm das Bild hinaufgeschleppt, durch Kornfelder, Kastanienwälder, bis in die Kirche von Nizon. Er, der ernste Maler, und seine zwei jungen Freunde. Dann stellten sie das Gemälde feierlich in das stickige Dunkel unter die frommen hölzernen Heiligen. Und von den Deckenbalken grimassierten geschnitzte Gesichter. Mit dieser mittelalterlichen Kirche wollten sie es aufnehmen, mit dem Christentum und dem heidnischen Gegenzauber.

 
Als der Pfarrer, das Brevier in der Hand, aus dem Garten auftauchte, reichte ihm ein Blick. Er blieb höflich. Aber für nichts in der Welt wollte er dieses Bild in seiner Kirche haben.
  

Uns hat keiner gefragt. Haube an Haube ein Rahmen seiner Vision. Gestärktes, kühles Weiss, heiss gebügelt mit Eisen, die glühende Kohlen im Bauch hatten. Wir Bauernmädchen aus der Bretagne. Reine Motive. Auf der Leinwand, diesem anderen Linnen. Geduldig. Alle diese Maler, die kamen, haben uns gezeichnet. Unsere Hauben. Sie fanden uns pittoresk. Frisch, die Wangen gerötet vom salzigen Wind. Pont-Aven war ein exotisches Nest, wenn man aus Paris, Brüssel, New York kam. Maler war. Und wir, wir waren neugierig, geschmeichelt von diesen jungen Herren. Und nervös. Und hingerissen.

 
Er kannte mein Gesicht. Aber er malte es nicht. So, wie er mich gemalt hat, steht er direkt hinter mir. Wir beide sehen dasselbe, das wir nicht sehen. Ich spüre seinen Atem im Nacken. Zu jung, nicht erfahren wie Florence, die mit den Malern machte, was sie wollte. Gegen jeden Pinselstrich. Doch auch ich weiss, welche Furt er meinte.


Dagelegen bin ich wie ein Strom unterm Apfelbaum. Aber es war nicht Liebe, wie denn auch! Es war nichts, was mit dem Leben zu tun hatte, nur mit der Leinwand.


Er hat uns genommen wie Farben, als schönes Material. Und dann malte er, wie wir sehen, was er malt. (Aber wir sahen es nicht.) Er malte, wie unser Leben ist. (Aber das war es nicht.) Nicht auf dem Sandplatz vor der Kirche, nicht auf der Wiese im Tanz, nicht beim Wäschewaschen. Und er malte es doch. Aus meiner Haube (ein Helm, eine kleine Leinwand) hat er Haare herausschauen lassen, Kringel. Niemandem fällt das auf. Hat er es gemalt, damit ich mich erinnere, wie er mein Haar kannte, dieses so schlecht zu bändigende Haar? Hat er es für mich gemalt? Auch wenn er mir kein Gesicht gegeben hat? Wie Florence; Florence schon. Wie konzentriert sie auf diesen komischen Ringkampf schaut, als müsse sie ihn beglaubigen.

  
Florence! Die mit Schwung die Wasserkaraffe auf den Tisch setzte, die Weingläser. Die das knusprige Brot schnitt, dass die dünne Kruste absplitterte. Die sich umdrehte in der langen Schürze. Die Hände abstreifte am steifen Stoff. Und er, der sie festhielt am Arm. Florence. Ich habe mich nicht gewundert, als ich sie auf dem Bild sah. Sehend. Als Einzige von uns.
 

Und der Pfarrer schlägt die Augen nieder. Vor allem! Glaubte er wirklich, wir hätten ihn nicht erkannt! Nichts ist fromm auf diesem Bild, und am wenigsten der Pfarrer, der nur darauf zu warten scheint, dass Florence ihn auf die Stirn küsst. Alle, die dabei waren in diesen Tagen, haben es gesehen: Der Mann unten rechts ist der Maler, der sich unter uns geschmuggelt hat. Und das geflügelte Ringen: Auch das ist er! Da ringt er mit sich. Das wussten wir, bevor er uns malte. Er musste ein Maler werden. Endlich ein richtiger Maler. Und er beugt, wie ein Pfarrer, sein Haupt vor diesem Kampf. Frau und Kinder zurückgelassen! Das hat ihn nicht irritiert. Aber dieser Engel, der etwas von ihm wollte. Der schon.


Kann man sich das vorstellen! 40 Jahre alt, verheiratet, fünffacher Vater, erfolgreich bei einer Pariser Bank. Und Autodidakt. Seine dänische Frau lebte jetzt mit den Kindern in Kopenhagen bei ihrer Familie. Und doch kamen Briefe für ihn. Kleine Umschläge, zierlich beschriftet, frankiert mit blassbunten Marken aus dem nördlichen Land.


Als ich das Bild sah, das sie nach Nizon schleppten, wusste ich, er würde gehen. Bankangestellter, Familienvater! Das war vorbei. Aber auch Pont-Aven war schon vorbei. Er hatte den Engel zum Segen gezwungen. Nun hatte er einen neuen Namen, wurde ein Lebensnomade, der Leinwände schleppt bis ans andere Ende der Welt. Arles als Etappe. Ein Zwillingsgestirn. Aufeinander losgegangen sollen sie sein. Blitzende Sternenhimmel. Schreiende Stühle. Sie haben sich gesegnet und verletzt. Und der andere war schwächer. Oder stärker? Schneidet sich ein Ohr ab. Nimmt sich das Leben. Doch er, der gescheiterte Börsenmakler, der Spekulant, der Hobbymaler: Er sollte durchkommen. In der Korona unseres frommen Schauens erhob er sich zum Maler. Verrenkt und geflügelt. Ein europäischer Wilder, Prophet einer neuen Kunst, auf dem Weg in die Südsee. Zu anderen Frauen, anderer Furt. Fehlfarbensicher, sagte Florence und schenkte uns Rotwein in die kleinen Gläser.

Angelika Overath lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Sent. 2012 erschien im Luchterhand-Verlag der Geschichtenband «Fliessendes Land».


Nota.
In der Bretagne hätte er bleiben sollen.
J.E. 


 

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