Sonntag, 15. September 2013

Anton Graff in Winterthur.

aus NZZ, 14. 9. 2013                                                                                                   letztes Selbstbildnis 

Grandioser Meister des subtilen Porträts
 
Anton Graffs «Gesichter einer Epoche» im Museum Oskar Reinhart in Winterthur

Zweihundert Jahre nach Anton Graffs Tod ermöglicht eine umfassende Ausstellung in Winterthur eine Wiederentdeckung des bedeutendsten Porträtisten der deutschen Aufklärung: Gezeigt werden über siebzig Gemälde und Zeichnungen.

von Suzanne Kappeler

Vor fünfzig Jahren, 1963 und 1964, fanden in Ostberlin und Dresden Retrospektiven zum 150. Todestag des grossen Porträtisten Anton Graff (1736-1813) statt. Das Museum Oskar Reinhart, das unter anderem im Besitz des monumentalen Familienbildes des Künstlers von 1785 ist, zeigte 1986 eine Werkauswahl aus Winterthurer Sammlungen. Die lange Ausstellungspause könnte ein Grund dafür sein, dass Graff den heutigen Betrachtern wenig bekannt ist. Die sorgfältig kuratierte und präsentierte Ausstellung in Winterthur stellt deshalb ein umso erfreulicheres Ereignis dar.

Familienporträt, 1785

Der Seelenmaler

Die von Marc Fehlmann eingerichtete Präsentation ist thematisch unterteilt in Graffs Selbstbildnisse, seine Porträts aus dem Umfeld von Winterthur und Zürich, seine Leipziger Freundschaftsbildnisse für den Verleger Philipp Erasmus Reich und in die Porträts von Mitgliedern der internationalen Aristokratie und des Bürgertums. Ein kleines, aber feines Konvolut von Kreidezeichnungen und einige Mezzotinto-Stiche bilden den Abschluss der Schau. Auf taubenblau gestrichenen Wänden gehängt, erhalten die Bildnisse in der im Ausstellungsraum neu eingerichteten Beleuchtung einen subtilen Glanz, was Graffs Ruf als «Seelenmaler», der nicht an der Repräsentation, sondern am Innenleben der Dargestellten interessiert ist, unterstützt.

Johann Friedrich Bause (1807). 
Drei monumentale Figurenbilder werden in der Raummitte auf mattem Rot besonders hervorgehoben. Landschaftsbilder, denen sich Graff gegen Ende seines Lebens zuwandte, sind bedauerlicherweise keine zu sehen.

1736 als Kind eines Zinngiessers in Winterthur geboren, besuchte Anton Graff von 1753 bis 1756 die neu gegründete Zeichenschule von Johann Ulrich Schellenberg. Für die Porträtmalerei entschied er sich bereits in der dreijährigen Lehrzeit, wahrscheinlich weil diese als einzige Gattung einem Künstler ein gesichertes Einkommen ermöglichte. Beim Augsburger Kupferstecher Johann Jacob Haid und beim Hofmaler Johann Leonhard Schneider in Ansbach setzte er seine Ausbildung fort und kehrte 1765 in die Schweiz zurück. Einige Monate verweilte er beim Maler und Dichter Salomon Gessner in Zürich, wo ihn das Angebot aus Dresden erreichte, sich als Hofmaler zu bewerben. Graff sandte darauf das «Jugendliche Selbstbildnis» von 1765 ein und wurde damit begeistert aufgenommen und zum kurfürstlich sächsischen Hofmaler und Professor an der Kunstakademie berufen.

Selbstbildnis von 1765

Selbstbefragungen

Abgesehen von häufigen Reisen, vor allem nach Leipzig und Berlin, verbrachte Graff sein ganzes Leben in Dresden. Dort entwickelte er den für seine Bildnisse charakteristischen Stil, der nicht die soziale Stellung des Dargestellten, sondern Individualität, Gemütszustand und Menschlichkeit ins Zentrum rückt. Anton Graff wurde gerühmt für seine Beobachtungsgabe, welche Gesichter, Kleider und Haltung der Porträtierten natürlich und lebensnah erscheinen lässt. So wurde der Künstler zum Maler der Aufklärung; seine internationale Vernetzung bescherte ihm zahlreiche Aufträge und materiellen Wohlstand. Einen Ruf an die Berliner Kunstakademie schlug er aus, wurde indes 1812 zum Ehrenmitglied der Akademien in München und Wien ernannt. Als er im Juni 1813 an Typhus starb, hinterliess Anton Graff über 2000 Gemälde und Zeichnungen.

 
In einer Serie von eindrücklichen Selbstbildnissen, von denen Graff über achtzig malte, wird neben dem Lebensalter auch die künstlerische Entwicklung dokumentiert. Am Anfang steht das Selbstbildnis im Alter von siebzehn Jahren (1754) mit Pinsel und Zeichenmappe, das noch akademisch streng wirkt, während dasjenige von 1756-58 mit Palette und Pinsel bereits viel dynamischer und souveräner erscheint. Eindrücklich sind die Licht- und Schattenspiele im Gesicht und in der Draperie des Gewands.

Meisterhafte Figurenbilder

Im schon erwähnten meisterhaften jugendlichen Selbstbildnis (1765) sitzt der Künstler mit übergeschlagenen Beinen und übereinandergelegten Händen vor einer imposanten Leinwand. Die Farbgebung von Kopfbedeckung, Jacke und Kniebundhose ist fein abgestuft, der Blick zum Betrachter selbstbewusst und gleichzeitig empfindsam, fragend.

Selbstporträt im Alter von 58 Jahren

Das letzte Selbstbildnis von 1813 mit Augenschirm vor der Staffelei [s. Kopfbild] malte der Künstler wenige Monate vor seinem Tod. Der Schirm diente ihm zur Linderung des Augenleidens, das ihn am Ende des Lebens fast erblinden liess. Die darstellerische Kraft im wachen Antlitz sammelt sich in einem intensiven, durch den weissen Glanzpunkt im Auge betonten Blick. Die Freiheit der Malweise mit einem locker flockigen Pinselduktus wirkt modern, die vorherrschenden Brauntöne sind hell und transparent.

Earl of Elgin

Neben den zahlreichen Brustbildnissen oder Halbfigurenbildern mit Händen schuf Graff auch einige Ganzfigurenbilder, eingebettet zum Beispiel in eine weite Landschaft, die ihn auf Augenhöhe von Zeitgenossen wie Joshua Reynolds (1723-92) oder Thomas Gainsborough (1727-88) zeigen. Da ist etwa sein Bildnis des aus der Schweiz stammenden Landschaftsmalers Adrian Zingg. Auf einem Stein unter einem Baum sitzend, die Zeichenmappe auf dem Oberschenkel aufgestützt und die rechte Hand mit dem Pinsel vor dem Gesicht, erscheint Zingg in dieser von souveräner Malweise geprägten und gleichsam erzählerischen Darstellung.

Adrian Zingg

Einen anderen Bildtypus wählt Graff bei der Darstellung des Earl of Elgin (1788), den er als 
standesbewussten Adligen in einer schottischen Offiziersuniform mit rotem Rock und heller Kniebundhose zeigt. Der Dargestellte hält die Beine gekreuzt, die rechte Hand auf den Säbel gestützt und die Linke mit dem Hut angewinkelt in der Hüfte, und so wirkt dieses Porträt mit lediglich angedeuteter Landschaft im Hintergrund klassizistisch schnörkellos.

Winterthur, Museum Oskar Reinhart (Stadthausstrasse 6), bis 29. September. Katalog Fr. 48.-.

Graffs brühmtestes Bild, 1781

Nota.

Nachdem sich Graff in Deutschland zum berühmtesten Porträtisten, zum "deutschen van Dyck" emporgearbeitet hatte, versuchte er sich schließlich an seinem Lebensende in - Landschaftsmalerei. Die ist nämlich Antipode und Zwillingsschwester der Porträtkunst. 

Antipode gewiss: alle andern Genres liegen irgendwie zwischen den beiden. Aber Zwillingsschwester? Denn beide sind auf ihre Art die radikale Abkehr von einer Kunst, die etwas zu bedeuten hat und eine Geschichte erzählt, die weit über den Bilderrahmen hinausreicht.* 

Man muss sich nicht davon irritieren lassen, dass auf manchem Porträt der Prunk und die Rangabzeichen des Konterfeiten sein Gesicht in den Schatten zu stellen scheinen. Denn wenn der Porträtist irgendwas taugt, dann war er schon immer, zur Not heimlich, "nicht an der Repräsentation, sondern am Innenleben der Dargestellten interessiert". Und das ist: das Individuellste, was sich überhaupt abbilden lässt - außer eben dieser einen Landschaft bei dieser einen Beleuchtung, die nichts bedeutet außer sich.

 Anton Graff, Elbe bei Blasewitz, 1800

De singularibus non est scientia, sagten die Scholastiker, und deshalb bringen Landschaftsmalerei und Porträt die Kunsthistoriker etwas in Verlegenheit. Sie können immer nur vergleichen, wie Vergleichbares hier und ganz anders da dargestellt wurde. Was dargestellt ist, muss als gegeben vorausgesetzt werden und wird allenfalls wie eine Geschichte erzählt. Der Kunsthistoriker ist, anders als der Ästhetiker, ein Wissenschaftler. Jener kann nur betrachten und um Worte ringen, um das, was er gesehen hat, wenigstens anklingen zu lassen. Wobei ihm das Porträt immerhin die Ausflucht in psychologische Spökenkiekerei erlaubt, während die singuläre Landschaft ihm nur Stammeln und Drucksen gewährt

Die Elbe bei Blasewitz oberhalb Dresdens am Morgen

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Anton Graffs späte Ausflüge ins Landschaftsfach etwas unbeholfen ausgefallen sind.

*) Sie sind in derselben Epoche entstanden: dem späten Mittelalter mit seiner Hinwendung zum lebendig-Einzelnen; wobei das Porträt früher und besser nördlich, die Landschaft früher und besser südlich der Alpen gediehen ist. Letzteres ist seinerseits bemerkenswert...
J.E.

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