Freitag, 20. September 2013

Matisse und Les Fauves in der Albertina.

aus Die Presse, Wien, 20. 9. 2013                                                                   André Derain The Pool of London, 1906-07,

Als die Malerei rockte: Matisse und die Wilden

Die große Herbstausstellung widmet sich nur drei Jahren Kunstgeschichte: als Henri Matisse und die "Fauves" die reine Farbe feierten. Edel gemacht. Aber ziemlich akademisch. Der Funke springt nicht über.

von ALMUTH SPIEGLER

Hier in der Albertina liegt er zur Zeit also begraben, der Spruch vieler Maler von heute: Es geht nicht um das Motiv. Es geht um die Malerei an sich. Es waren die ersten „Wilden“ der abendländischen Kunstgeschichte, die „Fauves“, die damit begannen, uns schlichte Gemüter dermaßen zu verwirren. Grüne Nasen. Rote Schatten. Gelbe Bäume. Vordergrund und Hintergrund fügen sich gleichberechtigt aneinander. Figur und Umraum verschmelzen zu einer Fläche, ja, wilder Malerei.

Als wäre ein Farbkübel über den Köpfen der Besucher ausgeleert worden, schimpfte ein Kritiker 1905. Als im Pariser Herbstsalon plötzlich diese Bilder auftauchten, die alle anti-akademischen malerischen „Unarten“, die van Gogh, Gauguin, Cézanne sich bereits ausgedacht hatten, ins Extreme führten. Die Freiheit der Farbe, des Farbauftrags, der Form. Weg vom Abbild, hin zum subjektiven Ausdruck. Die erste Avantgarde der Moderne rockte, trotz Vollbärten und Pfeifen. Und zwar im „Käfig“, im Saal VII der Salon-Ausstellung, so genannt, weil ein Kritiker angesichts einer noch recht klassischen Skulptur inmitten des Raums ausgerufen haben soll: „Sieh da, Donatello umgeben von wilden Bestien.“ 

André Derain  Porträt des Henri Matisse, 1905

Die Ehefrau darf es ausbaden 

Im Zentrum der Kritik, die auch handgreiflich zu werden drohte, stand ein mittlerweile berühmtes Porträt: eine Dame mit üppig ausladendem Hut; ein wenig grün im Gesicht sieht sie dem Betrachter recht streng entgegen. Es ist die Gattin von Henri Matisse, ein Frauenkörper, der hier wieder einmal den Spott ertragen und zur Erneuerung der Malerei herhalten musste (so weit zur feministischen Kunstgeschichte). Mit seinen 36 Jahren war dieser Matisse, Sohn eines Drogisten und Samenhändlers aus dem Norden Frankreichs, der Anführer der kleinen Gruppe, die hier an die Öffentlichkeit stürmte. Neben Matisse zeigten auch André Derain, Albert Marquet, Henri Manguin, Othon Friesz, Jean Puy, Louis Valtat, Maurice de Vlaminck, Charles Camoin und Kees van Dongen im „Käfig“ ihre Werke. Nur knapp drei Jahre hielt diese in sich sehr unterschiedliche Gruppe. 1907/08 löste sie sich wieder auf – ein Grund war die Erfindung des Kubismus von Picasso und Georges Braque, der ebenfalls für kurze Zeit zur Gruppe um Matisse gestoßen war.

Matisse, Die Dächer von Collioure, 1905

Es sind diese wenigen Jahre, die jetzt sozusagen im großen Herbstsalon der Albertina konzentriert sind. Keine im Reigen Tanzenden von Matisse, keine Scherenschnitte, kein dekorativer Jazz, für den der Maler heute populär ist, findet man hier. Man sollte nicht enttäuscht sein, sondern wissen, dass man bei der Albertina immer auch das Kleingedruckte auf den Plakaten lesen sollte– die groß „Matisse“ schreien. Und klein „und die Fauves“ hinzufügen.

Matisse, Frau mit Hut, 1905

Auch die „Frau mit Hut“ ist aus San Francisco nicht angereist. Genauso wenig wie das frühe Hauptwerk „Lebensfreude“ von 1906, mit dem Matisse sein Lebenswerk zu zählen beginnt. Es bleibt sicher verwahrt in der Barnes Foundation in Philadelphia. Eine gewichtige Matisse-Ausstellung ist in Europa nun einmal nicht zu verwirklichen. Eine gewichtige Fauves-Ausstellung schon, die Albertina schlägt sich gut, auch optisch: Den Farbexplosionen der Bilder setzt man eine Wandfarbe in sattem Lila entgegen. Die historische Empathie aber vernachlässigt man sträflich – nur wenig Biografisches, keine Anekdoten, kein Fotomaterial dürfen die akademisch gehaltene Erzählung befeuern. Man verlässt sich rein auf die Kunst, etwa auf die Porträts der Maler voneinander, die 1905 im Küstenort Collioure entstanden. Hierher hatte sich Matisse mit dem elf Jahre jüngeren André Derain, dem zweiten Hauptvertreter des Fauvismus, zurückgezogen. Derain zeigt Matisse mit Vollbart und gelber Pfeife in sich ruhend. Matisse Derain mit Schnurrbart, Kappe, seitlich gewandtem Gesicht viel dynamischer. 

Georges Braque, Seascape, 1906

Das „wilde“ London um 1906

Ein Höhepunkt der mit 120 Gemälden, Papierarbeiten und Skulpturen bestückten Ausstellung ist der London-Zyklus von Derain, den der Kunsthändler Ambroise Vollard bei ihm, dem jungen Wilden, in Auftrag gegeben hat. Durchaus mit dem Erfolg von Monets London-Bildern im Hinterkopf. 1906 und 1907 reiste Derain mehrmals über den Kanal und malte schließlich 30 Gemälde nach seinen Skizzen. Sie werden sein größter Erfolg. Von großer Wildheit aber sprechen sie nicht mehr, sie sind eher die zivilisierte Zusammenführung aller Stile, von denen die Fauves ausgegangen waren. Wenig später lernte Derain Picasso und sein Umfeld kennen, war aus nächster Nähe dabei, als das erste Bild auf dem Weg zum Kubismus entstand, die „Demoiselles d'Avignon“. Stark inspiriert von afrikanischen Masken.

Eine Faszination der Moderne, die auch die Fauves, Matisse, Derain und Maurice de Vlaminck teilten. Aus ihren Sammlungen haben die Kuratoren Heinz Widauer und Claudine Grammont Masken und Figuren zusammengetragen. Im Zentrum des Kapitels ein monströses geschnitztes Holzbett, das Derain für Händler Vollard anfertigte. Inspiriert von der Kunst der „Primitiven“, wie sie genannt wurde. Auf ihre Kraft bettet sich die Moderne. Wortwörtlich in diesem Fall.

Bis 12.Jänner. Tägl. 10–18h, Mi bis 21h.

Henri Matisse, La Moulade, 1905-06


aus Der Standard, Wien, 20. 9. 2013

Berauschter Aufbruch in die Wildnis

Zwar heißt die große Herbstausstellung der Albertina "Matisse und die Fauves", die Arena für die "wilden Tiere" bietet aber auch Matisse' wilden Kollegen wie André Derain, Maurice de Vlaminck, Raoul Dufy, Kees van Dongen oder Othon Friesz großzügigen Auslauf

von Anne Katrin Feßler

Wien - Selbst- und Fremdsicht, sie waren im Grunde gar nicht so different: "Ich war ein verliebter ungestümer Barbar", beschrieb sich Maler Maurice de Vlaminck selbstkritisch. Von Übertreibung und dem Rausch der Farbe spricht er, vom Komponieren aus dem Instinkt, dem Verschmieren von teurem, auf Pump gekauften Ultramarin und Zinnober, von "orgiastischer Schwelgerei mit Farbe" ein Kritiker 1905.

Maurice de Vlaminck; Fauvistische Landschaft bei Chatou, um 1907

Ein echt wilder Hund also, einer der "Fauves" - wie die als leuchtende Farbgewalt bei der Pariser Herbstausstellung 1905 in Erscheinung getretene Gruppe von Ungezähmten, von Kritiker Louis de Vauxcelles beschimpft wurde. Aber der Namensgeber war nicht der Einzige, der über die Vernachlässigung der illusionistischen Farbwirkung zugunsten expressiver Kompositionen aus Farbflächen polterte: Mit Malerei habe dies nichts zu tun, ereiferte man sich über die "gebrüllten, zufälligen Farbkleckse" der "Wahnwitzigen", es sei primitiv, naiv, ohne ästhetischen Wert.

Derain, Collioure, le port de pêche

Mit diesen medialen Rüffeln beginnt man auch die Ausstellung Matisse und die Fauves in der Albertina, deren Titel man - das Schema kennt man schon - am bekanntesten Protagonisten, quasi dem dienstältesten Rudelführer, aufgehängt hat: Henri Matisse (1869-1954) zählt neben Pablo Picasso (1881-1973) zu den bedeutendsten Künstlern der Moderne. Picasso ist Matisse zwar in der Gunst des Publikums wie des Marktes stets überlegen, der zwölf Jahre ältere Kollege war aber zeitlebens der Einzige, dem er Ebenbürtigkeit attestierte.

Was mit Matisse definitiv gelingen wird, ist, rekordverdächtige Besucherzahlen zu lukrieren: Ob so hoch wie 2006 und 2010 mit Picasso (rund 350.000), wird sich zeigen. Ein kleines Zahlenspiel: Die große Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art lockte 1993 zum Beispiel knapp 900.000 Besucher an; 1980 hatte dort Gigant Picasso 1,1 Millionen vorgelegt. Und gemeinsam (Matisse-Picasso, 2002/2003) brachte man es sowohl im Pariser Grand Palais als auch in der Tate London auf mehr als eine halbe Million Besucher.

Henri Matisse, Das offene Fenster, 1905 

Der Auftakt in der Albertina mit den Tadel-Tiraden ist jedenfalls psychologisch weise gewählt: Sie fordert die Besucher geradezu heraus, diesen Anschuldigungen noch heftiger zu widersprechen. Denn die "Schönheit" dieser sich von der Naturnachahmung emanzipierten Wegbereiter der Moderne ist heute nahezu gesellschaftliche Übereinkunft.

Es ist aber nicht nur der Zeitgeschmack, der sich auf Betrachteraugen der Gegenwart positiv auswirkt, auch die inzwischen ausgefeilte Lichttechnik steigert in der Ausleuchtung der Gemälde die Strahlkraft des ohnehin schon leuchtenden, satten Kolorits.

Raoul Dufy, Strand in Sainte-Adresse, 1906,

Dies wirkt sich bereits im ersten von sieben Kapiteln aus, das sich der Vorgeschichte des Fauvismus widmet. Hier wird mit farbigen Schatten das Wurzeln im Impressionismus deutlich - etwa in Matisses eher düsterem Akt mit rosa Schuhen (1900) oder den der schönen Linie verpflichteten Nackedeien Henri Manguins. "Matisse malt wie ein verrückter Impressionist", bemerkte der Maler Evenpoël bereits 1899 in einem Brief. 

Matisse, Nue aux souliers roses

Idyllen in der Wildnis

Als "Aufbruch in die Wildnis" hatte Matisse diese nur drei Jahre andauernde Explosion der Avantgarde 1908 beschrieben; er sprach vom Erschüttern der "Tyrannei des Pointillismus". Trotz aller Dynamik war Matisse' Werk jedoch von Verrücktheit weit entfernt: "Ich träume von einer Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe", schrieb er später. Zwar tritt der dekorative Zug seines Oeuvres erst später zutage, die Motive sind jedoch bereits zur Zeit der Fauves beschaulich: landschaftliche oder sexuelle Idyllen.

Vlaminck, Chaville, l´Etang de l´Ursine, 1905

Mengenmäßig ist Matisse zwar der Matador der mit weit gereisten Leihgaben (etwa aus St. Petersburg oder New York) gespickten Schau, trotzdem stiehlt ihm ein anderer die Show: André Derain (1881-1954) trumpft insbesondere mit einer Vielzahl von Gemälden auf. Gelb blitzt seine Ansicht von Collioure, dem kleinen südfranzösischen Fischerdorf, das als Geburtsort des Fauvismus gilt. Ein Radikaler ist Derain bei seinen monumentalen, enorm flächigen Aquarellen, die mit 50 mal 64 Zentimetern Gemäldeformat besitzen: Wie Pfützen umgibt die Tanzenden im Blatt Musik (1905) das Himmelblau. Und dann folgt noch das Kapitel London, dessen Beispiele mit dem städtischen Repertoire - mit Reklame, Kränen, Brücken, Masten - ungleich moderner wirken.

Definitiv: ein guter Ort fürs Schwelgen in Farbe in herbstgrauer Zeit

André Derain Les deux pêniches 1906

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