Dienstag, 17. September 2013

Traditionell bauen, II.

aus Badische Zeitung, 26. August 2013                                                       Taberma, Tata, Togo; photo Deidi  van Schaewe

Lernen von traditioneller Baukultur
Ausstellung bei Vitra in Weil  

Exemplarische Beispiele traditionellen Bauens mit Holz, Stein, Lehm, Stroh, Schilfrohr, Bambus sind in der Ausstellung des Vitra Design Museums „Learning from Vernacular“ in Weil zu sehen.

von Roswitha Frey

Bei seiner Reise durch den Tschad sah der Schriftsteller André Gide die Hütten der Massa und war beeindruckt von deren vollkommener, natürlicher Schönheit. Die Hütte sei, schreibt Gide in "Rückkehr aus dem Tschad", wie eine Vase ganz mit der Hand erstellt, keine Maurer-, sondern Töpferarbeit. Die Lehmhütten in Afrika, die einen starken Eindruck auf den Dichter gemacht haben, sind nur ein Beispiel für traditionelle Bauweisen verschiedenster Kulturen. Es sind Bauten, die sich ganz der Natur anpassen, die aus den regional vorhandenen Materialien und Naturstoffen schöpfen und auf die oft extremen klimatischen und landschaftlichen Bedingungen abgestimmt sind – sei es in der Wüste, in den Bergen oder im Regenwald.

Exemplarische Beispiele dieses traditionellen Bauens mit Holz, Stein, Lehm, Stroh, Schilfrohr, Bambus sind in der Ausstellung des Vitra Design Museums "Learning from Vernacular" in Weil zu sehen. Im Buckminster Fuller Dome sind 40 detailgenaue Modelle aufgebaut, ergänzt durch Fotografien, Pläne, Filme und Informationen auf Texttafeln, die auf anregende und inspirierende Weise ein nachhaltiges Bauen und schonenden Umgang mit Ressourcen vor Augen führen: traditionelle Architektur in Afrika, Asien, dem Nahen Osten und auch Europa, die eng mit der Natur verbunden ist. Kuratiert wurde diese Schau von Pierre Frey, Professor an der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, aus deren Sammlung die Modelle und Dokumente stammen. Dem Besucher eröffnet sich ein faszinierendes Panorama traditioneller Architektur. So sieht man ein lang gestrecktes Gemeinschaftsgebäude aus Papua-Neuguinea für 15 Familien, das vollständig aus biegsamen, geschmeidigen Materialien wie Lianen, Bambus und Schilfrohr gebaut ist. Eine tunnelartige Gebäudekonstruktion aus dem irakischen Marschland besteht aus Palmgras. Interessant sind auch die Bauwerke aus Afghanistan mit ihren Elementen aus Stein und Holz oder der komplexe Pavillon aus Korea. Das Wohnhaus im indischen Ladakh ist von Bauweise und Material so ausgerichtet, dass es extremen Temperaturschwankungen standhält.

Housing at Leh, Ladakh, India; ph. Deidi van Schaewen
 

Auf das extreme Klima zugeschnitten sind auch die Bauarten auf der indonesischen Insel Sumatra. Die Batak-Häuser sind in Form eines Bootes gebaut, mit kunstvoll mit Schnitzwerk verziertem Giebel und weit nach oben gezogenem First. Diese schiffsförmigen Häuser mit ihren gebogenen Satteldächern schützen vor Monsun und Feuchtigkeit und sind gut durchlüftet. Auch die soziale Bedeutung der Bewohner drückt sich in den indonesischen Bauten aus, so in dem imponierenden, turmartig aufragenden "Chiefs House", das vom Oberhaupt der Dorfgemeinschaft bewohnt wird.
Batak Dwelling, Sumatra, Indonesia; photo Deidi van Schaewen

Ein weiteres Kapitel widmet sich Lehmbauten in Afrika. Die Formen der Hütten aus Togo, Mali, Kamerun oder der Elfenbeinküste sind von archaischer Kraft und Naturverbundenheit geprägt. In den Parzellen der Kassena in Burkina Faso findet sich ein komplexes System zum Ableiten des Regenwassers. Die Form der Anlage spiegelt aber auch Hierarchien und Familienkonstellationen. In vielen Kulturen gibt es Gebäude, deren Wohnräume sich um zentrale Innenhöfe gruppieren – was die soziale Interaktion und den Zusammenhalt fördert. Auch von diesen Bauweisen sind detailgetreu nachgebildete Modelle ausgestellt: etwa ein Stadthaus aus dem Nahen Osten, das in der urbanen Umgebung Rückzugsräume bietet.


Das Bauen mit Holz, Stein und dem, was die Natur hervorbringt und bedingt, zeigt sich auch in turmartigen Bauten aus dem Jemen, ebenso wie in den Trulli-Häusern der italienischen Region Apulien aus regionalem Kalkstein mit ihren spitz zulaufenden Kegeldächern. Auch die mit Schilfrohr bedeckten Black Houses in den schottischen Highlands, in denen ständig ein Torffeuer rauchte, sind Beispiele für Bauen im Einklang mit der Natur.
Hakka Dwelling Unit, Fujian, China; ph.Terence Prout
Inzwischen gibt es wieder eine Strömung in der Architektur, die die traditionellen Bauweisen aufgreift. Architekten, die mit regionalen Materialien arbeiten und einfühlsam mit Ressourcen und Natur umgehen. Die alten Baukulturen ferner Völker werden wieder entdeckt, man lernt und verbindet diese mit modernen Techniken. Zeitgenössische Beispiele dieser "New Vernacular Architecture" aus den USA, Südafrika, Indien, Kolumbien und Frankreich runden den inspirierenden und ästhetisch präsentierten Einblick in Wohnwelten rund um den Globus ab.
 

Vitra Design Museum, Weil am Rhein. Bis 29. September, täglich 10–18 Uhr.

 Shibam, Yemen; ph. Pietro Laureano

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