Donnerstag, 5. September 2013

Der vergessene Lieblingsmaler der Deutschen.

aus NZZ, 5. 9. 2013                                                                                                       Mainlandschaft, auch Frühling genannt, 1874
 
Bilder zum Duzen
 
Der Maler Hans Thoma im Frankfurter Städel-Museum

Zu Lebzeiten in Deutschland so beliebt wie kaum ein anderer Maler, wird Hans Thoma (1839-1924) heute fast ganz ignoriert. Das Frankfurter Städel zeigt nun eine knallig inszenierte Thoma-Schau aus eigenen Beständen, die man nicht mit einer Retrospektive verwechseln sollte.

von Ursula Seibold-Bultmann

Da segelt er, der goldige Knirps, hoch oben über der heilen Heimat auf dem Rücken einer Schwalbe dahin. Sein Woher ist klar: Unten sehen wir Pappeln im besonnten Talgrund, stille Bauernhöfe, ein Dorf mit Kirchturm. Doch wo wollen die beiden hin? Zielen sie auf ein neues Kunstideal, oder wollen sie nur der Mutter einen Gruss bringen? Bei aller Wonnigkeit: Ganz unverdächtig wirkt Hans Thomas Ölgemälde «Ritt auf dem Vogel»
(1885) nicht, wenn man weiss, dass es vom Frankfurter Städel im unheilvollen Jahr 1939 erworben wurde - zu einer Zeit also, als der heute meist nur noch als Schwarzwaldmaler erinnerte Thoma schon vierzig Jahre lang als deutschester aller deutschen Künstler umjubelt war. Die derzeit im Städel gezeigte, komplett aus eigenen Beständen bestückte Thoma-Schau will in erster Linie zeigen, wie der Maler zu dieser fatalen Rolle kam. Das ist zwar für die Kunstgeschichte an sich keine neue Frage, doch tönt sie in der Ausstellung erheblich lauter als sonst und ein bisschen nach dem Hit eines Musicals: Gleichsam beflügelt wie die Elfen und Putti auf Thomas schlechtesten Bildern, schreitet man auf grünem Kunstrasen durch knallorange und violett gestrichene Räume von Werk zu Werk.

Wotan und Brünnhilde

Gefährliche Freunde

Neben der Karlsruher Kunsthalle besitzt das Städel mit mehr als 80 Gemälden und über 400 Arbeiten auf Papier, von denen in der Schau je rund fünfzig gezeigt werden, den weltweit grössten Thoma-Bestand - was nicht überrascht, da der Maler von 1877 bis 1899 in der Mainmetropole lebte und arbeitete. Dennoch trifft die Versicherung der für die jetzige Schau verantwortlichen Kuratoren, man könne auf dieser Basis den «ganzen Thoma» zeigen, nicht völlig zu. Zwar umfasst die Auswahl der Exponate alle Schaffensphasen, technischen Genres und Bildgattungen von Landschaften über Porträts bis hin zu mythologischen und religiösen Sujets, beginnend bei Wotan und endend beim heiligen Christophorus. Aber der Bestand im Städel, der sich zu einem Grossteil aus der ehemaligen Frankfurter Privatsammlung Eiser-Küchler zusammensetzt, spiegelt mit seiner 

 Dr. Otto Eiser,1897

vergleichsweise grossen Zahl inhaltsschwerer idealistischer Figurenbilder aus Thomas mittleren und späten Jahren mehr den Kunstgeschmack seiner zu Lebzeiten wichtigsten Förderer, als dass er einen ausgewogenen Überblick über die Gesamtleistung des Malers böte. Will man sich einen solchen verschaffen, kann man zumindest für die Gemälde nach wie vor auf den Katalog der Retrospektive zu Thomas 150. Geburtstag (1989) in Freiburg im Breisgau zurückgreifen.

Die Berge von Carrara

Vor allem drei Frankfurter waren es, die den aus einfachen ländlichen Verhältnissen stammenden Thoma vor den Karren ihrer germanischen kulturellen Identität spannten: der Arzt Otto Eiser, der Kaufmann Eduard Küchler und der Architekt Simon Ravenstein. Doch am verderblichsten erwies sich für den Maler die exaltierte Bewunderung, die ihm seitens des Kunsthistorikers Henry Thode entgegenschlug. Von 1889 bis 1891 war dieser ehrgeizige Schwiegersohn Cosima Wagners Direktor des Städel und dann Professor für Kunstgeschichte in Heidelberg. Seine flammende Kunstideologie machte Thoma, der sich als junger Mann für den Realismus eines Gustave Courbet und anschliessend für Arnold Böcklin begeistert hatte und sich auch später diversen internationalen Eindrücken nicht ganz verschloss, zu einer Galionsfigur des völkisch gesinnten deutschen Bildungsbürgertums.

 Henry Thode

Rumpelkammer des Deutschtums

Urdeutsch an Thomas Kunst waren aus Sicht der genannten Kreise Ernsthaftigkeit und volkstümliche Schlichtheit, Natur- und Heimatnähe, besonders aber die in ihr zum Ausdruck gebrachte «echte, reine Empfindung». Naivität verwandelte sich hier in ein dickes Plus. Um es mit Thode zu sagen: «Wollen wir (Thomas) Kunst uns ganz zu eigen machen, so müssen wir selbst wieder Kinder werden. Dann erwirbt, wie allezeit in Kinderaugen, auch für uns die Natur wieder ihren Unschuldstag.» Kunst zum Duzen also, wie sie ein anderer Zeitgenosse vergleichend auch bei Dürer sah.

Cupido als Landschaftsmaler

In seiner «Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst» (1904) bemerkte der weltläufige Berliner Kunstkritiker Julius Meier-Graefe vernichtend: «Rührte (Thoma) nicht an dieses Gefühl aus der Rumpelkammer des lieben Deutschtums, würde man kaum auf ihn achten.» Beim Besuch der Frankfurter Schau stellt sich die Frage, ob er denn als Künstler inzwischen wieder Beachtung verdiente, wenn man von der bedenklichen Wirkungsgeschichte seines Werkes absähe. Der Katalog, in dem die Exponate leider nicht vollständig erfasst sind, konzentriert sich wie die Ausstellung selbst auf den historischen Kontext seiner Arbeiten; deren künstlerischer Charakter wird weniger genau untersucht. Zu kurz kommen beispielsweise Thomas epigonales Verhältnis zur deutschen Romantik mit Caspar David Friedrich, Runge und Moritz von Schwind, der genaue Stellenwert seines malerisch etwas stumpfen Echos auf das Werk von Kollegen wie Wilhelm Leibl und Hans von Marées sowie seine

Satan als Caesar, nach 1880
 
Auseinandersetzung mit der Kunsttheorie Conrad Fiedlers oder des Bildhauers Adolf von Hildebrand. Aufschlussreich wäre auch ein Seitenblick auf die viktorianische Malerei und Grafik in England gewesen, wohin der Künstler einige Beziehungen hatte.

Badende

Thoma war ein Maler mit vielschichtiger Persönlichkeit, der sich von zahlreichen Seiten beeinflussen liess. Zu technischer Virtuosität oder koloristischem Glanz gelangte er dabei selten. Seine zwischen Vielfalt und Einfalt gefangene Kunst strahlt heute vor allem eines aus, nämlich Melancholie.

Hans Thoma. Lieblingsmaler des deutschen Volkes. Städel-Museum, Frankfurt am Main. Bis 29. September 2013. Katalog € 24.90.

Acht Tänzerinnen mit Vogelkörpern

aus FAZ,

"Ein geborener Realist, wollte ich nichts anderes malen, als was ich selber gesehen, ja selber gelebt hatte - wo ich hinschaute, sah ich auch Schönes genug.“ Das schrieb Hans Thoma in seinen Erinnerungen „Herbst des Lebens“. Und immer wieder hat er betont, die Kunst sei eigentlich doch nur ein „frohes Spiel, welches der Künstler zumeist für sich selber zu seiner eigenen Befriedigung ausführt“.

Ausstellung im Städel

Nota.

Das ist die richtige Frage, die die Autorin stellt: Wenn man von seiner Wirkungsgeschichte absieht - verdient Thoma dann Beachtung? Aber eine Antwort gibt sie, abgesehen von dem verschämten Hinweis auf  'Melancholie', nicht. Naiv - das ist treffend, wie das Zitat aus der FAZ unterstreicht. Ein sehr ordentlicher Handwerker, aber kein Neuerer, weder stilistisch noch hinsichtlich der Sujets. Kunstgeschichte hat er nicht geschrieben, aber darauf hat er anscheinend auch keinen Wert gelegt; nicht ganz zu Unrecht, denn das ist Sache der Kunsthistoriker und nicht der Künstler. Und dass er von sich aus ein Deutschtümler gewesen sei, kann man bei der Vielfalt seiner Sujets nicht behaupten. Ein bißchen epigonal, das ja, aber eher dem Realisten Courbet verpflichtet als dem Frömmler C. D. Friedrich; überhaupt kein Wichtigtuer und sich nicht zu schade, fürs gemeine Volk auch Postkarten zu illustrieren. So schlecht finde ich das gar nicht, sie treffen nur eben nicht meinen Geschmack.
J.E. 

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