Mittwoch, 27. August 2014

Hendrick van Goltzius im Frankfurter Städel.

aus nzz.ch, 21.8.2014, 05:30 Uhr                                                                  Ikarus, Detail


Druckgrafik von Hendrick Goltzius im Frankfurter Städel
Einfach der Grösste



Der Haarlemer Zeichner und Kupferstecher Hendrick Goltzius wetteiferte mit den grössten Meistern der europäischen Kunst. Das Städel in Frankfurt zeigt nun eine Bestandsschau zur Druckgrafik des selbstbewussten Manieristen.
 
Herkules

Nichts als Muskelpakete, garniert mit Schnurrbart, Keule und einem fetzigen Löwenfell: An so viel männlicher Kraft kommt niemand so leicht vorbei. Die im Landschaftshintergrund von Hendrick Goltzius' (1558–1617) Kupferstich «Der grosse Herkules» (1589) dargestellten Abenteuer des Helden – sein Kampf mit dem Riesen Antäus und sein Sieg über den in Stiergestalt angetretenen Flussgott Acheloos – wirken eher beiläufig, geht es doch hier primär um das reine Prinzip geerdeter physischer Präsenz. Der Verdacht, dass das Blatt ironisch gemeint sein könne, wird in der neueren Literatur zugunsten einer etwas bemüht anmutenden politischen Interpretation zurückgestellt, laut welcher der Kraftprotz die nationale Stärke der damals eben gerade zur Republik erklärten Niederlande verkörpern soll.
 
Stolz und Hybris

Es mag überraschen, dass derselbe Künstler, der das Bild dieses sichtlich gewaltbereiten Bodybuilders und die wunderliche Aktdarstellung verantwortete, auch als Intellektueller und Liebhaber höfischer Stilformen in Erscheinung trat. Doch Hendrick Goltzius, 1558 nahe Venlo geboren und in Xanten bei dem Kupferstecher und Schriftsteller Dirck Volckertsz. Coornhert ausgebildet, war befreundet mit dem Kunsttheoretiker Karel van Mander und dem Maler Cornelis van Haarlem, mit denen zusammen er in dieser nordholländischen Stadt an einer Art Akademie beteiligt war. Van Mander machte ihn Mitte der 1580er Jahre mit Zeichnungen des Prager Hofmalers Bartholomäus Spranger (1546–1611) bekannt. Um dessen elegante Figuren mit ihrer erotischen Aura im Medium des Kupferstichs wiedergeben zu können, entwickelte Goltzius eine besondere Technik: an- und abschwellende, den Körperformen folgende Linien, die – zu virtuosen Schraffuren verdichtet – plastische Werte betonen.

Bacchus

Hier, wo der grafische Duktus partienweise an elastische Netze denken lässt, die Figuren wie Landschaft überziehen, werden das Medium und die Virtuosität der Darstellung fast ebenso sehr zum Thema wie das eigentliche Motiv. Stolz bildet das Grundgefühl: der Stolz des Künstlers auf das eigene Können, der Stolz der Dargestellten auf ihren Auftritt – und die menschliche Hybris, wie sie in der vierteiligen Folge der «Himmelsstürmer» (um 1588) mit spektakulären Stürzen aus schwindelnder Höhe bestraft wird.

 
 Ikarus
 Ixion
Phaeton
 Tantalus

Eine Italienreise gab Goltzius 1590/91 Gelegenheit zu ausgiebigem Antikenstudium, in dessen Folge sich sein vormals so exaltierter Stil deutlich beruhigte, und zur direkten Auseinandersetzung mit Künstlern wie Raffael oder Michelangelo. Herkules erscheint nun in Rückenansicht, und zwar in Gestalt des Hercules Farnese – der berühmten, 1540 in den Caracalla-Thermen in Rom ausgegrabenen Kolossalstatue. Zwar rückt dieses Blatt durchaus wieder die Körperkraft des Helden in den Blick, aber mehr noch die Betrachtung von Skulptur – ein in der damaligen Kunsttheorie geläufiges Thema.

Hercules farnese

Zurück in Haarlem, setzte Goltzius mit frisch gesteigertem Selbstgefühl zum Wettstreit mit den grössten Künstlern der Vergangenheit an: Seine sechs sogenannten Meisterstiche sind stilistisch an den prominentesten seiner Vorgänger orientiert. So bezieht sich die «Beschneidung Christi» (1594) aus dieser Folge auf den entsprechenden Holzschnitt in Dürers «Marienleben», während die «Anbetung der Könige» mit etwas weniger imitatorischem Glück ein Blatt von Lucas van Leyden paraphrasiert.
 
 
Beschneidung Christi aus 'Marienleben' (Der Mann neben dem Pfeiler, Mitte rechts, ist ein Selbstporträt.)

Schüler und Nachfolger

Das Frankfurter Städel zeigt derzeit eine mit rund hundert Blatt bestückte Auswahl aus dem guten hauseigenen, überwiegend schon aus dem 19. Jahrhundert stammenden Goltzius-Bestand einschliesslich vier Zeichnungen des Meisters und einer Auswahl von Arbeiten aus seinem Umkreis, etwa von Jacob Matham, Jan Saenredam und vor allem von Jan Harmensz Muller (1571–1628), der Goltzius' spezielle Kupferstichtechnik effektvoll weiterentwickelte.

Jan Harmensz. MullerDie Erschaffung der Welt, 1589nach Hendrick Goltzius - See more at: http://www.staedelmuseum.de/sm/index.php?StoryID=1985#sthash.GXU7LaKU.dpuf
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an Harmensz. Muller
Gott erschafft Himmel und
Jan Harmensz. Muller, Gott erschafft Himmel und Erde, nach van Goltzius

Besonders schön sind Mullers sieben Stiche nach Goltzius' ikonografisch präzedenzloser Zeichnungsfolge «Die Erschaffung der Welt» (1589). Die Schau bietet einen soliden Überblick über alle Themenbereiche in Goltzius' Schaffen, vom Porträt über Soldaten-Darstellungen und Landschaften bis hin zu mythologischen und biblischen Szenen, und schliesst auch Reproduktionsgrafik und Farbholzschnitte ein. Dass in einer Bestandsausstellung bestimmte Blätter fehlen oder im Einzelfall nicht im besten Abdruck zu sehen sind, liegt in der Natur der Sache.

o. T.

Bedauerlicher ist, dass die Schau im Frankfurter Städel-Museum weder von einem Katalog noch einer Broschüre begleitet wird, wie es bei anderen Goltzius-Präsentationen der letzten Jahre (zzn Beispiel Wallraf-Richartz-Museum, Köln 2012; National Gallery of Scotland, Edinburgh 2009; Hamburger Kunsthalle 2002) der Fall war. So bleibt man insbesondere auf den ausführlichen Hamburger Katalog von 2002, «Die Masken der Schönheit», angewiesen.

Stil und Vollendung. Hendrick Goltzius und die manieristische Druckgrafik in Holland. Städel-Museum, Frankfurt am Main. Bis 14. September 2014. Kein Katalog.

Phaeton, Detail

Nota.

Als Manierismus - von maniera moderna - bezeichnet man die Übergangsphase zwischen Renaissance und Barock, insbesondere in Italien, wo der aus der Klassik gewonnene Dreiklang Natur-Schönheit-Zeichnung schon außer Kurs geraten war und sich noch keine neue Perspektive aufgetan hatte. Sie ist gekenntzeichnet von einem Hang zu Originalitätssucht und Extravaganz, namentlich in  Sachen Anatomie und Perspektive, wo unnatürliche Verdrehungen und Verrenkungen selbstverständlich wurden (wogegen Caravaggio die realistische, Guido Reni die klassizistische Reaktion darstellte). In diesem kunsthistorischen Sinn ist nicht jede Kunst, die wir heute als maniriert bezeichnen würden, "manieristisch". Aber die Kunst des Manierismus war, o ja, maniriert.

Jede Kunstepoche hat ihre eigenen ausgezeichneten ästhetischen Qualitäten, die man nach einer gewissen Zeit zu schätzen lernt. Aber eine solche Epoche war der Manierismus nicht, er war eben nur eine Übergangsphase, seine auszeichnende Qualität ist das Kuriose. Aus dem Abstand der Jahrhunderte wirkt es freilich allenfalls interessant; und - wenn ich von mir reden darf - auch das nur ein bisschen.
JE

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