Dienstag, 28. Juni 2016

Matisse; drei Landschaften.

Le goûter. Golfe de St.Tropez 1904

Pfad im Bois de Boulogne, 1902

Notre Dame am Nachmittag 1902

Warum ich Ihnen das zeige? Wegen der Farben.



Montag, 27. Juni 2016

Die "Gläserne Kette" in der Berlinischen Galerie.



aus Tagesspiegel.de, 27. 6. 2016                                 Bruno Taut, Glashaus auf der Werkbundausstellung in Köln 1914,                                                       

Ausstellung in der Berlinischen Galerie
Mit Glas zum Weltfrieden
„Visionäre der Moderne“: Bruno Taut, Paul Goesch und Paul Scheerbart gehörten zur "Gläsernen Kette", einer Künstlergemeinschaft unter Architekten. Die Berlinische Galerie zeigt ihre Werke.

von Bernhard Schulz

Bruno Taut konnte 1914 bei der Werkbund-Ausstellung in Köln einen Pavillon errichten, der die Möglichkeiten des Bauens mit Glas auslotete. „Das bunte Glas zerstört den Hass“, stand über dem Eingang graviert, ein Hinweis darauf, dass es Taut (1880–1938) um mehr ging als um die Verwendung industrieller Materialien. Während des bald ausbrechenden Krieges flüchtete sich Taut in Visionen einer gläsernen Baukunst, die ganze Länder überdecken und schließlich die Menschheit im Frieden vereinen sollte.

Daraus erwuchs in den stürmischen Monaten der Revolution von 1918/19 die „Gläserne Kette“, eine Brieffreundschaft, an der Architekten und Künstler mit ähnlichen Vorstellungen teilnahmen und sich wechselseitig Skizzen ihrer fantastischen Baugedanken schickten. Einer der Autoren war Paul Goesch (1885–1940), eher Künstler als Architekt. Er hat ein umfangreiches Oeuvre an Papierarbeiten hinterlassen, aus dem Eberhard Roters 1976 ein Konvolut von 240 Blättern für die von ihm gerade erst gegründete Berlinische Galerie erwerben und bald auch ausstellen konnte.


Ohne Titel, Gouache von Paul Goesch, 1920.

Goesch war ein Außenseiter, eine Randfigur der Kunstgeschichte; und erst jetzt, in der Zusammenschau der Ausstellung „Visionäre der Moderne“, die die Berlinische Galerie derzeit unter dem Roters-Nach-Nachfolger Thomas Köhler zeigt, wird der geistige Zusammenhang deutlich, in dem Goesch seine produktivste Zeit erlebte. Mit Goesch und Taut ist Paul Scheerbart der Dritte im Bunde der Visionäre; zwar früh, bereits 1915, gestorben und also an der „Gläsernen Kette“ nicht mehr beteiligt, war der 1863 geborene Dichter doch ein großer Anreger. Er war es, der Taut auf das Glas nicht nur als Material, sondern als Medium aufmerksam machte, als Medium des Geistigen. In Goesch, der über seine jugendliche Hinwendung zum Katholizismus schrieb, „die betäubende Pracht der Kirche“ habe ihn „überwältigt“, hatte er einen gleichgesinnten Nachfolger.

Paul Goesch zog sich nach seiner Blüte zurück

Die jetzige Ausstellung ist vor allem Goesch und seinen zarten Zeichnungen und starkfarbigen Gouachen gewidmet. Bruno Tauts Werk ist vertreten durch Leihgaben der Akademie der Künste, die den Nachlass bewahrt. Auch Scheerbart hat gezeichnet, einiges ist zu sehen, während seine in immer fantastischere Welten ausgreifenden Dichtungen wie „Lesabéndio. Ein Asteroidenroman“ der Lektüre vorbehalten bleiben müssen. Immerhin hat Scheerbart den Begriff der „Glasarchitektur“ bereits 1914 in einem Buch ausgebreitet. Unabdingbar zum Verständnis ist jetzt der Katalog, in dem Ausstellungskuratorin Annelie Lütgens eine Einführung auch in Scheerbarts doppeltes Werk als Dichter und Zeichner gibt.


Paul Scheerbart, Jenseits, 1907

Bruno Taut hat vor dem Ersten Weltkrieg mit seinen vorausschauenden Ausstellungsbauten und danach mit seinen Wohnsiedlungen kräftige Spuren hinterlassen. Das war Goesch nicht vergönnt, obgleich er doch als Architekt ausgebildet war und bis 1917 in der Bauverwaltung gearbeitet hatte. Psychisch labil, zog er sich nach der kurzen Blüte der „Gläsernen Kette“, als seine Blätter immerhin auch zahlende Sammler fanden – „wenn ich auch (...) höhere Preise erträumt hatte“, bemerkte er 1919 –, immer mehr zurück und verbrachte sein Leben in Anstalten. Er fiel 1940 den Euthanasie-Mordaktionen der Nazis zum Opfer. Einmal konnte er mit Taut zusammenarbeiten, er leistete die Ausmalung des Speisesaals in Tauts (zerstörtem) „Ledigenheim“ in Schöneberg – einer Fotografie zufolge ein wild wucherndes Farb- und Formenspiel, wie es auch Goeschs Papierarbeiten in der Ausstellung vorführen.

Was dort ausgespart bleiben muss, ist das dichterische Pathos der Künstler, der hohe Ton, in dem die Pamphlete gehalten sind, als Aufrufe am besten gleich an die ganze Menschheit. Vielleicht kommt ein wenig davon zum Tragen im „Salon der Großen Pläne“, den die Berlinische Galerie für den 30. Juni (17 Uhr) ankündigt.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128, bis 31. Oktober. Katalog im Verlag Scheidegger & Spiess, 29,80 €. – Informationen unter wwww.berlinischegalerie.de

Bruno Taut, Glashaus, rekonstruiert, Wien 2005




Samstag, 25. Juni 2016

Rembrandts radikalstes Stück.


Rembrandt, Mann in einem Raum, 1630; auch als Der Philosoph bekannt.

Zwar habe ich immer vorangeschickt, dass ich ihn unter den Porträtisten für den größten halte, aber auch kein Hehl daraus gemacht, dass ich darüberhinaus die übliche Verehrung für Rembrandt nicht teilen kann; schon gar nicht, wenn man ihn unter den Zeitgenossen mit Caravaggio und unter seinen Landsleuten mit den Landschaftsmalern vergleicht. Ich glaube im Ernst, vom Porträtieren abgesehen konnte er es nicht so gut wie sie.

Natürlich ist ihm auch vieles geglückt, aber stets scheinen außerästhetische Gesichtspunkte noch eine größere Rolle zu spielen als bei manchem Kollegen. Das obige Stück ist wohl sein radikalstes, aber auch da haben wohl kunsttheoretische Überlegun-gen die reine Anschauung überschattet; und wenn es nur die Absicht war, diesmal 'bis zum Äußersten' zu gehen.


Ich glaube, er hat versucht, wie Caravaggio durch bloßes Hell-Dunkel (doch nicht ganz, ohne Linien zu brauchen), eine räumliche Tiefe zu konstruieren. Wenn es so war, dann müsste er wohl die durchgängige Plattheit seiner Figuren (aber nicht seiner Landschaften!) als einen Mangel erkannt haben.




Hodler, Der Genfer See von Chexbres aus.


1904


1895


1904


1911


1898


1905


nach 1905?

Ferdinand Hodler, Der Genfer See von Chexbres aus



Donnerstag, 23. Juni 2016

Der Waldkult der Deutschen.


aus Die Presse, Wien, 23. 6. 2016                                                                                               C. D.Friedrich, Abend 1821

Der „deutsche Wald“ und seine dunklen Geister

von Anne-Catherine Simon

Das ist der Teutoburger Wald, den Tacitus beschrieben, das ist der klassische Morast, wo Varus stecken geblieben (...) Die deutsche Nationalität, sie siegte in diesem Drecke“: So dichtete Heinrich Heine 1844 über die mehrtägige Schlacht im Teutoburger Wald zwischen römischen Truppen und germanischen Stämmen. Diesen war der sumpfige, unwegsame Wald vertraut, für die ganz andere Natur gewohnten Römer war er feindliches Territorium.

Wer weiß, ob der deutsche Nationalismus ohne die Schlacht den Wald so unermüdlich vereinnahmt hätte, wie es keine andere Nation Europas getan hat? Ohne diesen martialischen deutschen Gründungsmythos, ist der deutsche Historiker Johannes Zechner jedenfalls überzeugt, hätte der Wald als Bestandteil „deutscher“ Identität nie so eine zentrale Rolle erlangt. So umfassend wie bisher wohl keiner hat Zechner im soeben erschienenen Buch „Der deutsche Wald“, das aus seiner Dissertation entstanden ist, die faszinierende und zunehmend düstere Ideengeschichte dieses „deutschen Waldes“ verfolgt.

Die Deutschen, ein „Waldvolk“?

Sie beginnt um 1800 mit den Romantikern, speist sich aber aus vielen älteren Wurzeln. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist sie allmählich in der geschichtlichen Versenkung verschwunden, klang hier und da in der Diskussion um das „Waldsterben“ noch einmal nach und ist heute vergessen – das heißt, nicht ganz: Noch 2012 gab es in Rostock einen heftigen Streit um eine Eiche, die (wegen ihrer Langlebigkeit) als Friedenszeichen und zur Erinnerung an rechtsextreme Pogrome 20 Jahre davor gesetzt worden waren; eine antifaschistische Gruppe sägte sie ab, weil Eichen einst ein „Symbol für Deutschtümelei und Militarismus“ gewesen seien.


A. Kiefer, Winterland, 2010

Tatsächlich wurden im Nationalsozialismus gern „Hitler-Eichen“ gesetzt, Jahrhunderte vorher feierte sie der Dichter Klopstock als Verkörperung germanisch-deutschen Wesens, viel früher noch schrieb der Humanist Conrad Celtis über die religiös motivierten „germanischen Eichen-Haine“. Und berief sich dabei auf Tacitus. Die Eiche war der deutsche Paradebaum, der Wald überhaupt aber stand für das deutsche Volk.

Auch anderswo hat man Wald und Baum als Symbole für kollektive Identitäten verwendet, in waldreichen skandinavischen Regionen etwa oder bei den zionistischen Siedlungsprojekten im Nahen Osten; aber nirgendwo, meint Zechner, wurde der Wald so exklusiv vereinnahmt wie seit der Wende zum 20. Jahrhundert vom deutschen Nationalismus. „Wir Deutschen sind von alters her ein Waldvolk gewesen und in unserem innersten Wesen bis heute geblieben“, hieß es noch in einer deutschen Anthologie vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch Robin Hood, den englischen Nationalhelden, schützte der Wald, der Freiheit bedeutete und Rebellion gegen die Normannen, trotzdem waren die idyllischen Wiesen das wichtigere Element englischer Identität. In der Schweiz hatten die Alpen einen vergleichbaren Stellenwert, in den USA war es die Wildnis.

Städter mystifizieren verlorene Natur

All diesen Natursymbolen ist gemeinsam, dass Städter sie kreiert haben. Sie mystifizierten eine Landschaft, die ihnen längst unvertraut geworden war – und im Fall des Waldes zugleich zunehmend zum ökonomisch genutzten Territorium wurde. Die Waldsymbolik der deutschen Romantiker war noch individuell und vielschichtig. Über ein Jahrhundert später war das „deutsche Volk“ zum „Waldvolk“ geworden, das dem slawischen „Steppenvolk“ beziehungsweise dem jüdischen „Wüstenvolk“ entgegengesetzt wurde. Was lag dazwischen, wie wurde Tiecks und Eichendorffs „deutscher Wald“ zum platten Propagandainstrument? Die Waldbilder des Anselm Kiefer, von denen einige vor Kurzem in einer Ausstellung in der Wiener Albertina zu sehen waren, thematisieren künstlerisch diese Pervertierung; Johannes Zechner zeichnet diesen in Details wenig bekannten Weg als Historiker nach.


C. D. Friedrich, Nachmittag

Da erfährt man zum Beispiel von den breitenwirksamen Schriften des Universitätsprofessors Wilhelm Heinrich Riehl, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutschen Wald und deutsches Volk gleichsetzte, den „deutschen Baum“ als Gegensatz zur „Mollusken-Existenz“. England und Frankreich identifizierte er abwertend mit Feldern und Parks.

Nicht nur bei ihm hatte die deutsche Waldverherrlichung eine antifranzösische, antirevolutionäre Stoßrichtung – so sehr, dass Zechner die napoleonischen Kriege als eigentliche Geburtsstunde des deutschen Silvanationalismus, wie er es nennt, ansieht. In all den Erschütterungen seit dem Ende des Heiligen Römischen Reichs und angesichts der territorialen Zersplitterung sollte der „deutsche Wald“ Beständigkeit und kollektive Einheit signalisieren. Auch nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918 war der Wald im rechten politischen Lager ein wichtiges Symbol, für die Verwurzelung und Stärke, die man wiedergewinnen sollte, für das „deutsche Wesen“, gegen das Demokratisch-„Nomadische“, aber auch gegen die „Gefahr aus dem Osten“. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Feldmarschalls Paul von Hindenburg 1923 gegründete „Deutsche(r) Wald e. V.“, der sich der „Wehr und Weihe des Waldes“ verschrieben hatte. Von da zum „Waldrassismus“ (Zechner) des Nationalsozialismus war es nur noch ein kleiner Schritt.

Johannes Zechner: „Der deutsche Wald. Eine Ideengeschichte zwischen Poesie und Ideologie 1800−1945“ (Verlag Philipp von Zabern/Wissenschaftliche Buchgesellschaft). 446 Seiten, 69,95 Euro.

Anselm Kiefer

Nota. - Klingt brav und bieder und vor allem politisch korrekt.Warum gebe ich es wieder? Wegen eines winzigen Details:

Dass der Wald und gar erst le waldsterben woanders lange nicht so prominent sind wie bei den Deutschen, ist ein alter Hut. Auch, dass bei uns Parks lange nicht so beliebt sind wie in England und barocke Gärten längst nicht so, wie in Frankreich -  springt ins Auge, sobald man darauf hingewiesen wird. Doch dass beides zusammenhängt, darauf muss einer erst mal kommen; danke, Herr Riehl.
JE






Mittwoch, 22. Juni 2016

Aufgefallen.

Jan Toorop The Connoisseur of Prints 1900


Julian Trevelyan  Untitled (Abstract Figure with Eye) 1935 


 Camille Pissarro, Bauern auf dem Feld, Éragny 1890

Emma Ekwall Interior with Lace-Making Girl


Louis Valtat, Blumenvase 1945


Violinist and Young Woman [c.1871] 

Sie sollen ja nicht denken, mir fielen immer nur Landschaften auf.



Alle Bilder aus Gandalf's Gallery






Samstag, 18. Juni 2016

Die Maler und der Beginn der Fotografie.























aus Die Presse, Wien, 19. 6. 2016

Hey, Klimt - wer fürchtet sich vor der Fotografie?
Die Erfindung der Fotografie Anfang des 19. Jahrhunderts hat die Maler erblassen lassen. Erst einmal. Doch die Stars von Historismus und Jugendstil nutzten das neue Medium schließlich schamlos als Werkzeug für ihre Kunst.

von Almuth Spiegler

Die Malerei ist nicht umzubringen. Weder Computer noch Internet oder gar Selfiewahn – nichts von all diesen Neuen Medien hat uns bisher davon abgehalten, die älteste Kunstform, die wir haben, auch als die erste, die hochwertigste zu sehen, die Malerei, immer noch, immer wieder. Ihre alles aufsaugende, hemmungslose Vampirhaftigkeit wird in Wien zurzeit nachgerade gefeiert. Das Wiener Museum moderner Kunst will in der Riesenausstellung „Painting 2.0“ zeigen, wie die Malerei das Informationszeitalter nicht nur überlebt, sondern für sich ausgebeutet hat, beginnend mit Andy Warhol.

Zwei Ausstellungen im Unteren Belvedere gehen einen Schritt weiter zurück und zeigen, wie auch die Fotografie, ziemlich rasch nach ihrer Erfindung, von den Malern für ihre Kunst vereinnahmt wurde. „Inspiration Fotografie“, eine für die Orangerie ungewöhnlich große, vielteilige Schau, wurde vorige Woche eröffnet, sie ist kuratiert von der Wiener Fotografiespezialistin Monika Faber, vormals Albertina-Fotosammlung, heute Leiterin des privaten Fotoinstituts Bonartes.

Stuck, der exzentrische Fotofürst. 

Die andere Ausstellung steht in direktem Zusammenhang, harrt aber noch ihrer Eröffnung: Ab 30. Juni zeigt man in den großen Galerien des Unteren Belvedere „Sünde und Secession. Franz von Stuck in Wien“. Der Münchner Maler, eine Art Pendant zum Wiener Malerfürst Hans Makart, zeichnete sich durch einen besonders exzessiven, experimentellen und auch exzentrischen Umgang mit der Fotografie als Vorlage aus. Es sei so auch eines seiner Hauptanliegen in der Ausstellung gewesen, so Alexander Klee, Belvedere-Kurator für das 19. und 20. Jahrhundert, diese spezielle Arbeitsweise von Stuck, dem Münchner Vorbild der Wiener Secessionisten, nachvollziehbar zu machen. Franz von Stuck, der mit seiner provokant entblößten „Sünde“ eines der Skandalbilder seiner Zeit schuf, war in Wien damals schwer angesagt und präsent. 1892 hatte er seine erste wirklich große Einzelausstellung gerade in Wien, im Künstlerhaus. Die Kollegen – Maler und Fotografen, von Klimt angefangen bis zu den malerischen Piktoralisten (Fotografen wie Heinrich Kühn) – kannten seine dunklen, auf uns heute in ihrer Symbolik oft schwülstig wirkenden Bilder also nur zu gut.


Stuck, Die Sünde

Ein Foto der „Sünde“. 

Die berühmte „Sünde“ allerdings, mit nackter Brust und fetter Schlange um den Hals, die heute in der Münchner Pinakothek verwahrt wird, bekamen die Wiener schon anno dazumal nicht leibhaftig zu sehen. Sie hing in der Künstlerhaus-Ausstellung nur als, ja, Fotografie. Die Vorteile der Fotografie als Marketing-Tool haben die Maler schnell erkannt. So kursierten etwa auch von Hans Makart schon Fotografien seiner großformatigen „Nackten Weiber“ schon lang bevor die eigentliche Präsentation des Spektakels stattfand.

Was die Wiener Kollegen aber nachhaltig beeindruckte an der Stuck-Ausstellung, waren seine dunklen Landschaftsbilder mit den hochgezogenen Horizonten, wie man es später auch von Kühn oder von Klimt kennt. Diese von unten aufgenommene Perspektive, die alles auffällig flächig wirken lässt, konnte Stuck nur dadurch erreichen, dass er seine Kamera für die Aufnahmen, die ihm als Vorbild dienten, auf den Feldweg gelegt habe, erklärt Kurator Klee.

Eine Karikatur von Stuck bei einer Faschingsausstellung im Wiener Künstlerhaus zeigt den Maler nackt auf einem Pferd reitend, wie seine berühmte Amazonen-Statue, die Klee ebenfalls zeigen wird. Statt eines Speers in der Hand, hat Stuck in der Zeichnung aber eine Kamera um den Hals hängen. Gezeichnet hat diese Karikatur übrigens Franz Matsch, früher Gefährte von Klimt, noch aus dessen Maler-Kompanie-Zeiten. Matsch hat Stuck bestens verstanden, er war selbst ein Fotograf, der viele seiner Vorbilder sogar höchst-persönlich fotografierte (die anderen ließen fotografieren, wie zum Beispiel der Freiluftmaler August von Pettinkofen, der Briefe mit genauen Skizzen der von ihm in der ungarischen Pampa gewünschten Kuh-Aufstellungen an ungarische Fotografen schickte.) Matsch aber fotografierte selbst, so wie übrigens auch der große Stimmungsimpressionist Emil Jakob Schindler, Alma Mahlers Vater, der im Tagebuch schrieb, nie ohne Apparat das Haus zu verlassen. Bei Schindler waren es Landschaftdetails, bei Matsch war es seine Familie, seine Frau Anna Kattus, Tochter des Sektfabrikanten, und die zwei Kinder. Seinen Sohn etwa ließ er in stolzer Haltung posieren und malte ihn 1907 dann als „Prinz Ludwig von Ungarn“. Bis auf den secessionistisch-ornamentalen Hintergrund fast eine Art Abmalen.
Die Fotografie als Mätresse. 

Es war die Zeit ab 1900, als die Liebe der Maler zur Fotografie nicht mehr derart vorbehaltlos goutiert wurde, erzählt Faber, nicht einmal in Wien, wo man von Beginn an total aufgeschlossen war, wo die Maler völlig offen ihre Verwendung von Vorlagen thematisierten. Anders als in Frankreich, wo die Fotografie eher wie eine Mätresse behandelt wurde – man liebt sie zwar, aber im Verborgenen.


 Carl Johan Peyfuss; Modell in Peyfuss‘ Atelier, um 1895

Jetzt, um 1900 aber, begann man sogar in Wien zu mäkeln, so Faber. Die Gesichter der Porträtierten, die auf Fotos als Vorlage beruhten, wirkten plötzlich so „leblos“ etc. Der Grund für diese neue Skepsis war, dass die Fotografie plötzlich tatsächlich als Konkurrenz für die traditionelle Kunst gesehen wurde, sie wurde etwa in der Secession gleichwertig zur Malerei ausgestellt. Bis dahin galt, so Faber, was einer der Gründer des Museums für angewandte Kunst, Rudolf von Eitelberg gesagt hatte: „Die Fotografie ist das Beste, was der Malerei hat passieren können. Aber sie kann nie selbst Kunst sein.“ Aus heutiger Sicht muss man sagen: Es ist noch nicht so viele Jahre her, dass Fotokunst tatsächlich einen Fixplatz in den Moderne-Museen bekam, wie jetzt in der neuen Dauerausstellung der Tate Modern. Bei Eröffnung der Tate vor rund 15 Jahren war das Gleichgewicht noch ein ganz anderes. Auch diese Ausstellung, betont Faber, ist die erste in einer historischen Gemäldegalerie überhaupt, die der Bedeutung der Fotografie als Werkzeug der Maler nachgeht.

Metternich ließ Fotos ausstellen. 

Diese Vorreiterrolle hat Tradition in Wien, schon Metternich ließt die ersten Daguerreotypien, die in Frankreich erfundene Urform der Fotografie, die schon in ihrem Erfindungsjahr 1839 nach Wien kam, nicht irgendwo, sondern in der Akademie der Künste ausstellen. Die Akademie begann 1855 auch selbst Fotografie zu sammeln, steckte „eine Unmenge Geld“ hier hinein. Was zur „bedeutendsten historischen Fotosammlung des Landes führte“, konstatiert Faber – und sie weiß so etwas. Gerade diese Sammlung war vergessen, wurde erst beim Umzug des Kupferstichkabinetts in den Akademiehof in Kisten verpackt entdeckt. Erstmals sind jetzt einige Meisterwerke, vorwiegend Architekturen, ausgestellt, die Aufarbeitung harrt der Finanzierung. Faber war bei der Hebung dieses Schatzes dabei, die Kisteninhalte waren verstaubt, aber unversehrt. Nur die mit „Akte“ beschriftete Kiste war – bis auf Staub – leer. Hier hat sich wohl ein besonders fotoaffiner Connoisseur bedient.


Carl Rahl, Nero während des Brandes von Rom, 1860. Bleistift, Aquarell in Bister und Tusche auf Papier, kaschiert auf Karton 

Insofern lustig, weil gerade Wien im 19. Jh. das Zentrum der Aktfotografie in ganz Europa war. Verkauft wurden die Bilder dann in Paris, denn ausstellen durfte man in Wien derartige „Nuditäten“ sowieso nicht. Produzieren aber zuhauf, die Fotografen Hermann Heid und Otto Schmidt schufen gemeinsam rund 10.000 Nacktfotos. Per Katalog konnten Künstler diese dann als Vorlagen ordern. Was wohl auch die Akademie getan hat, dereinst.

Vieles lernt man hier. Vieles davon wird auch nach der Ausstellung bleiben – es entstand einer der schönsten Ausstellungskataloge der jüngsten Zeit, in Ringbuchform, an ein Fotoalbum erinnernd, mit Kartoneinlegeblättern und semitransparenten Einlagen zum Vergleich von Foto und Gemälde etc.

Ignorieren konnten und wollten die Maler die Fotografie damals alle nicht. Ihr Zugang war dennoch völlig unterschiedlich. Manche Gemälde, kann man heute feststellen, waren wie Collagen von Fotomotiven. Manche Ateliers wie das von Makart, der, bevor er Maler wurde, schon als Foto-Retouchierer arbeitete, quollen über von Fotovorlagen. Klimt selbst nutzte die Fotografie eher zur Selbstinszenierung, er zeichnete wohl einfach zu gern. Zu malen hat jedenfalls kein Einziger aufgehört, wie es 1839, im Jahr der Fotografie-Erfindung die Zeitschrift „Der Humorist“ vorhersah: „Wer wird künftig malen, wenn das Daguerreotyp alle Bilder der Welt heißhungrig verschlingt?“


Unbekannter Fotograf; Tableau Vivant nach Hans Makarts 'Siesta am Hof der Medici', 1898.

Orangerie im Unteren BelvedereHier ist seit voriger Woche die Ausstellung „Inspiration Fotografie. Von Makart bis Klimt“ zu sehen, kuratiert von der Wiener Fotoexpertin Monika Faber (Fotoinstitut Bonartes). Geöffnet ist bis 30. Oktober, tägl. 10–18 h, Mittwoch 10–21 h. Der Eintritt ins Untere Belvedere kostet zwölf Euro.

Unteres Belvedere: „Sünde und Secession“
So heißt die große Sommerausstellung über den Münchner Maler Franz von Stuck, Vorbild der Wiener Secessionisten, die Alexander Klee, Belvedere-Kurator für das 19. und 20. Jh., kuratiert. Sie eröffnet am 1. Juli und dauert bis 9. Oktober.

Freitag, 17. Juni 2016

Macht Schluss mit den Wolkenkratzern!

aus nzz.ch, 17. 6. 2016                                                                                                           Paris - La Défense 

Hochhaus-Kritiker Jan Gehl
Die faulen Architekten
Für den dänischen Architekten und Städteplaner Jan Gehl sind Wolkenkratzer ein Symbol für die ortlose Verallgemeinerung von Architektur. Mit den Erbauern geht er hart ins Gericht.

von Robert Kaltenbrunner

Extrembergsteiger werden oft gefragt, warum sie die enormen Belastungen und Risiken auf sich nehmen, um die Gipfel der höchsten Berge zu erklimmen. Eine geläufige Antwort lautet: «Weil sie da sind.» Überträgt man dies auf die Frage nach der Motivation zum Bau von immer höheren Hochhäusern, könnte man sagen: «Weil es möglich ist.»

Das freilich ist für Jan Gehl keine akzeptable Haltung. Der dänische Architekt und international gefragte Städteplaner vertritt im Gespräch mit der NZZ ganz dezidiert die Auffassung, dass Wolkenkratzer nichts anderes seien als ein Symbol für die ortlose Verallgemeinerung von Architektur. Zudem widersprächen sie komplett der menschlichen Sinneswahrnehmung. Beides bündelt er in dem provokanten Satz: «Hochhäuser sind des faulen Architekten Antworten auf die Frage nach Dichte.» ...


Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier



London



 Dubai


Shanghai




 o Gott, Frankfurt



Kuala Lumpur



Mittwoch, 15. Juni 2016

Gauguin's Worlds in Kopenhagen.

aus nzz.ch, 26.5.2016 

Mischen impossible
Eine klug gemachte Ausstellung in Kopenhagen zeigt, wie Paul Gauguin sein Leben und sein Werk rund um das «Primitive» konstruiert.

von Samuel Herzog

Gauguin war kein Meister. Vor allem nicht in seiner Zeit, die eine Zeit der Meister war. Es gab jene, die noch die schamhaargenaue Malerei der klassischen Akademien beherrschten. Und es gab die anderen, die mit Tubenfarbe, Tempo und Talent dem Leuchten der Felder und den Rauchschwaden der Moderne folgten. Gauguin aber war borniert. Und also nicht von der Überzeugung abzubringen, die Kunst sei der beste Weg für ihn, zu Geld und Ansehen zu kommen. Er unternahm viel, der Welt zu gefallen, sich ihr zu verkaufen – mit mässigem Erfolg allerdings. Erst hat er versucht, es so gut wie die anderen zu tun – und ist auf den Spuren seines Lehrers Pissarro oder den Pfaden von Cézanne gewandelt, hat sich zugleich aber auch um einen Platz im offiziellen Salon beworben. Dann hat er jahrelang an seiner Unique Selling Proposition gewerkelt, ist dafür mehrfach um die halbe (französischsprachige) Welt gereist und hat dabei Geld und Gesundheit aufs Spiel gesetzt – auch dies ohne durchschlagende Wirkung.

Aus der Not

Dabei war Gauguin keiner, dem das Schaffen von Kunst sonderlich leicht gefallen wäre. Im Gegenteil: Er stiess öfter als andere an seine Grenzen. Er konnte sich auch nicht einfach ins Grüne hinaussetzen und mit ein paar genialen Strichen seine Impressionen notieren – wenn er etwas malen wollte, dann musste er sich schon sehr konzentrieren. Und selbst dann war das Resultat oft nicht überzeugend. Allerdings mag das mangelnde Talent mit ein Grund gewesen sein, dass er jene Vereinfachungen seiner Bildsprache erfand, für die ihn die Welt heute liebt und verehrt. So gesehen könnte man sagen, Gauguin habe aus der Not vielleicht keine Tugend gemacht, aber doch einen eigenen Stil entwickelt.


In Pontoise, 1868 [hier hat Pissarro noch mitgemalt...]

Trotz der offensichtlichen Beschränktheit von Gauguins Möglichkeiten als Maler, neigen Institutionen immer noch dazu, ihn zu heroisieren, wenn auch nur selten den Menschen (er war wohl ein ziemliches Ekel), so doch wenigstens das künstlerische Genie. Anders eine Ausstellung, die gegenwärtig in der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen stattfindet. Das im Kern neoklassizistische Haus, in dessen Zentrum einer der hinreissendsten Wintergärten der Welt in Richtung Glaskuppel wächst, besitzt ein eindrückliches Konvolut von Werken aus der Hand von Paul Gauguin. Das hat nur sehr indirekt etwas damit zu tun, dass Gauguin mit der Dänin Mette Gad verheiratet war und fünf Kinder mit ihr zeugte – sein Gastspiel in Kopenhagen war kurz und nur wenig erfolgreich. Die starke Präsenz in der Sammlung verdankt sich in erster Linie Helge Jacobsen. Der Sohn des Glyptotek-Gründers Carl Jacobsen und zweite Direktor des Hauses war ein grosser Bewunderer der Kunst des Franzosen, sorgte für diverse Ankäufe und schenkte dem Haus auch Stücke aus seiner privaten Kollektion. Um Haaresbreite wäre auch «D'où venons-nous? Que sommes-nous? Où allons-nous?» in die Sammlung gelangt – neben der «Nafea» sicher Gauguins berühmtestes Bild. Doch in der entscheidenden Sitzung wurde Helge von der Kommission überstimmt, und man kaufte stattdessen den «Buveur d'absinthe» von Manet.

Nun hätte die Kuratorin der Ausstellung für viel Geld ein paar der hinlänglich bekannten Werke Gauguins dazu ausleihen und einen grossen Augenschmaus mit viel Bretagne-Charme und Südsee-Flair inszenieren können. Doch Line Clausen Pedersen entschied sich für einen anderen Weg und liess sich von der hauseigenen Sammlung zu einer Ausstellung inspirieren, die eine ganz eigene Geschichte erzählt. Das Interesse der Schau gilt ganz zentral dem «Primitiven» in Gauguins Werk. Sie zeigt, dass der Künstler diesen Stoff, aus dem die exotischsten Träume gewoben werden, nicht nur gesucht und ab und zu gefunden, sondern in erster Linie konstruiert hat – und dies von Beginn seiner Karriere an, also lange vor seiner ersten Reise nach Tahiti.

Tahitian woman with a flower, 1891

Im ersten Raum konfrontiert die Ausstellung eines der Hauptwerke der Sammlung, «Tahitian Woman with a Flower» von 1891, mit einem grossen Holzgestell, auf dem all die Quellen versammelt sind, aus denen sich Gauguins Konzept des Primitiven genährt hat: balinesische Figuren, ägyptische Reliefs, etruskische Vasen, altorientalische und indische Plastiken, chinesische Buddhastatuen, japanische Holzschnitte, russische Ikonen, Fotos von den grossen Weltausstellungen, Postkarten mit Bildern europäischer Altmeister und natürlich auch Werke einiger Zeitgenossen. Ein «unmögliches Mischen und Maschen», wie ein Besucher es nennt.

Dass es Gauguin bei seinem Primitiv-Cocktail nicht um ethnografische Fragen ging, versteht sich von selbst – ja man kann vermuten, dass ihn die Welt, wie sie ist, generell nicht sonderlich neugierig machte. Diesen Schluss legt im zweiten Raum der Blick auf ein frühes Werk nahe, mit dem Gauguin erstmals eine gewisse Beachtung fand: «Women Sewing» von 1880. Das Bild ist eine Mischform aus Akt und Porträt, gleichzeitig aber weder noch. Denn Gauguin interessiert sich für den Körper nur insofern, als er seine an Pissarro geschulte Kunst des Modellierens mit kleinen, hektisch nebeneinander gesetzten Strichen vorführen kann – und gestaltet den Rest des Bildes auf die genau gleiche Weise. Auch das Modell als Person muss Gauguin gleichgültig gewesen sein: Ihr Gesicht wirkt schematisch, und nirgends ist der Versuch spürbar, etwas von ihrem Charakter herauszuarbeiten.


Suzanne cousant 1880


Ein paar Jahre später malt Gauguin «Skaters in Frederiksberg Gardens». Die Malerei ist um einen schräg durch den Raum gelegten Baum herum organisiert – ein immer wieder vorkommendes Motiv. Mit kurzen, flirrenden Pinselstrichen stellt er einen Wald vor uns hin, der eben dabei ist, sein farbiges Herbstlaub abzuwerfen. Der Boden ist übersät davon – ein leuchtender Teppich in Rot, Orange, Gelb und Grün. Von rechts schiebt sich das Ende eines kleinen Sees ins Bild. Die Oberfläche ist gefroren, und Schlittschuhläufer gleiten übers Eis. Es braucht einen Moment, bis man merkt, was hier nicht stimmt: Wenn das Herbstlaub noch rot an den Bäumen hängt, dann dürften auch in den Gärten von Kopenhagen die Seen noch nicht zugefroren sein. Wir haben es also hier ganz und gar nicht mit einer Impression zu tun, sondern im Gegenteil mit einer reinen Konstruktion. Es geht Gauguin auch hier nicht um das, was er sieht, sondern um das, was er sehen will, um das Typische. Und ist das Typische nicht der Zwilling des Primitiven?


Schlittschuhläufer in Frederiksberg Garden 1881

Die Ausstellung zeigt, wie Gauguin zu dem Maler geworden ist, der seit über hundert Jahren die Südsee-Phantasien in seinen Betrachtern anregt und den eigentümlichen Klang fremder Welten in die Museen bringt. Und sie tut das, indem sie uns Bilder vorführt, die zwar nicht zu den Spitzenwerken gehören, die uns aber diese Entwicklung mit eigenen Augen nachvollziehen lassen.

So präpariert, schauen wir uns dann natürlich auch die ersten Gemälde aus Tahiti mit etwas anderen Augen an. Zu den schönsten Beispielen der Schau gehört hier sicher das frisch restaurierte «The Amusement of the Evil Spirit» von 1894. Auch quer durch dieses Bild hat Gauguin einen Baumstamm gelegt. Davor ruhen sich zwei junge Frauen am Boden aus, dahinter sehen wir eine schematische Figur, wahrscheinlich aus Holz – und ganz im Hintergrund scheinen zwei Einheimische mit Röckchen und blossem Oberkörper miteinander zu diskutieren. Die Landschaft ist weitgehend in wolkige Farbflächen aufgelöst, die das Bild sehr bunt machen – und auch eine geisterhafte Farberscheinung in der rechten unteren Bildecke wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen lassen. Die Haltung, Kombination und Interaktion der Figuren strahlen eine grosse Künstlichkeit aus, und es ist anzunehmen, dass wir es auch hier mit einem reinen Phantasieprodukt zu tun haben. Zweifellos hat Gauguin auf Tahiti «Primitives» gefunden. Seine Bilder aber wollen nicht davon erzählen – sie wollen vielmehr selbst «primitiv» sein und sollen jene Vitalität ausstrahlen, die der Maler an der von ihm verehrten Kunst so sehr schätzte.


Vergnügungen des bösen Geistes 1894

Gut möglich, dass er so auch weniger stark unter seinen malerischen Grenzen litt, gegen die er in früheren Bildern offensichtlicher zu kämpfen suchte. Bei den amüsierten Geistern etwa klemmt das Bein der liegenden Frau wie amputiert auf ihrer Hüfte. Solche Pannen finden sich oft bei Gauguin – und seine Versuche, sie zu vertuschen, sind nicht immer sehr geschickt. Umso erstaunlicher sind die Keramiken des Künstlers, die das Museum dank einem umfangreichen Ankauf im Jahr 1996 in grosser Anzahl vorführen kann. Der «Portrait Head of a Martinique Woman with Kerchief» von 1987/88 etwa stellt ein ebenso natürliches wie lebendiges Porträt einer jungen Frau dar. Selbstbewusst und klar erscheint sie vor uns – ja fast glaubt man, sie müsse jeden Moment ihre leicht gesenkten Augen heben und ihre entspannten Lippen öffnen. Noch bezaubernder ist die peruanisch inspirierte Vase in Form einer Frauenbüste mit Schlangen-Gürtel – ihre Züge können es leicht mit der Anmut einer Nofretete aufnehmen. Und diese Keramiken soll wirklich dieselbe Hand geschaffen haben, die malend oder zeichnend bei fast allem scheiterte, was sich nicht flach und parallel zur Bildoberfläche bewegte? Man traut seinen Augen nicht.


Tête de jeune martiniquaise 1884

Auch das Geschäftsmodell Künstlerkeramik hat bei Gauguin nicht funktioniert – und so wurde das Geld immer knapper. Auf seiner zweiten Reise in die Südsee trocknete seine Börse dann so vollständig aus, dass er auf den Marquesas-Inseln strandete – ohne Mittel für die Rückfahrt nach Frankreich. Allerdings blieb er auch auf Empfehlung seines Galeristen Ambroise Vollard der Heimat fern – denn der spürte, dass der von Gauguin konstruierte «Primitivismus» ganz allmählich beim Publikum zu greifen begann. Also bat der Künstler seinen Händler, ihm Leinwände zu senden und dazu Samen europäischer Blumen. Denn in den letzten Jahren seines Lebens sass Gauguin gerne in seinem Haus und malte dort ein Bouquet von Sonnenblumen nach dem anderen. Das Primitive war ihm offenbar plötzlich über und die Sehnsucht nach dem Vertrauten gross.


Gehörnter Kopf

Es ist wahrlich eine ungewohnte Geschichte, die in Kopenhagen inszeniert wird. Es ist die Erzählung einer Leben und Werk umfassenden Konstruktion, die ihren Schöpfer letztlich verschlingt. Das hört sich nach grosser Verkrampfung an – aber ist denn das, was wir heute so gerne als Lebensgestaltung preisen, so weit von einer solchen Konstruktion entfernt? Paul Gauguin hat um die Gestaltung seiner selbst gerungen – und diesen Kampf hat er meisterlich geführt.

Bis 28. August 2016. Katalog.


Nota. - "Allerdings mag das mangelnde Talent mit ein Grund gewesen sein, dass er jene Vereinfachungen seiner Bildsprache erfand, für die ihn die Welt heute liebt und verehrt. So gesehen könnte man sagen, Gauguin habe aus der Not vielleicht keine Tugend gemacht, aber doch einen eigenen Stil entwickelt" - das muss man sich als Kritiker erstmal zu schreiben trauen! Um dann auch noch hinzuzufügen, dass er persönlich wohl ein ziemliches Ekel war. Dass er alles auf zwei Dimensionen plattgedrückt und dann flach unter die Bildfläche gelegt hat, weil er's nicht besser konnte, hätte ich nichtmal zu denken gewagt. So kühn kannte ich S. Herzog noch gar nicht, man muss ihm gratulieren, und auch zu der klaren Sprache, die er auf einmal findet.

Und nun werde ich mir die Gauguin-Sammlung auf meiner Festplatte nochmal genauer ansehen, ob ich auch so viele Fehler finde wie der Kritiker. Die Südsee-Bilder habe ich noch nie leiden können, aber unter den Sachen aus der Zeit von Pont Aven habe ich einige gute Stücke - Landschaften, was sonst! - gefunden; vielleicht aus Trotz? Habe ich mich von den Preziösen bluffen lassen und dem Gedanken stattgegeben: Wen so viele Kenner verehren, wird wohl schon ein Meister gewesen sein - ? 

Ich frage mich, ob Hr. Herzog bei van Gogh auch so kritisch wäre. Oder womöglich bei Cézanne?!
JE


FRANCE-ART-PAINTING-POST-IMPRESSIONISM

aus Die Presse, Wien, 07.05.2016 

Gauguin, genialer Stratege
Eine außergewöhnliche Ausstellung in Kopenhagen entlarvt Paul Gauguin als einen berechnenden Kunstmarktstrategen. Sein Plan ist (spät) aufgegangen.

   
Seine Werke erreichen auf dem Auktionsmarkt Spitzenpreise, die kleine Zeichnung der Rückenansicht eines Tahiti-Mädchens aus den Jahren 1901–02 brachte bei Sotheby's 2011 rund 577.000 Pfund, ein Ölgemälde mit einem Südseemädchen wechselte voriges Jahr laut Medienmeldungen per Privatverkauf für geschätzte 300 Mio. Dollar den Besitzer. Paul Gauguin (1848–1903) ist heute einer der bekanntesten Impressionisten. Zu seinen Lebzeiten war das allerdings anders. Einige seiner Kollegen schätzten den Maler keineswegs, Edgar Degas und Paul Cézanne verbaten ihm sogar den Zutritt zu ihren Ateliers. Den Grund dafür erfährt man jetzt in einer außergewöhnlichen Ausstellung in Kopenhagen: „Gauguin's Worlds“ in der Carlsberg Glyptothek zeigt anhand von 71 Werken, dass der berühmte Gauguin weniger ein genialer Maler war denn ein knallharter Kunststratege, der seine Bildmotive nach dem Markt ausrichtete.

Brosche für Frau Mette

Gauguin gelangte über Umwege zur Malerei. Mit 17 Jahren trat er als Offiziersanwärter in die Handelsmarine ein, wechselte zur Kriegsmarine und wurde später Börsenmakler. Damals sammelte er bereits Werke von Delacroix bis Courbet und begann, selbst zu malen. Aus dieser Zeit stammt auch das früheste Werk, das im Besitz der Glyptothek ist und jetzt erstmals ausgestellt wird: eine kleine Brosche aus Metall und Glas, in die Haare eingearbeitet sind. 1879 hat Gauguin das Stück für seine Frau Mette gebastelt. 1882 verlor Gauguin wegen eines Börsenkrachs seine Stellung und der 34-jährige Vater von vier Kindern – das fünfte war gerade unterwegs – entschied sich ganz für die Malerei. Er hatte damit gerechnet, schnell bekannt und wohlhabend zu werden. 


Was läuft gut bei den Kollegen? 

Der Plan ging nicht auf. Warum ihm der Erfolg so lang verwehrt geblieben ist, erklärt die Kuratorin der Glyptothek, Line Clausen-Pedersen: „In der Maltechnik ist Gauguin ein Moderner gewesen, in seinen Motiven nicht.“ Statt seinen Stil auszubilden habe er immer geschaut, was bei den Kollegen gut läuft. Denn Gauguin war nicht der geniale Maler, sondern eine Art früher Jeff Koons: „Er war sehr berechnend, wollte unbedingt Erfolg haben und Geld verdienen“, fasst die Kuratorin zusammen. So probierte er, neben der Malerei einen Markt für Grafiken, Holzschnitte und sogar Keramiken aufzubauen. Heute kennt man 60 dieser faszinierenden Grotesken, die als Gefäße mit Henkeln und Ausguss geformt sind. In Motivik und Verarbeitung erinnern sie an Volkskunst, manche zeigen Gesichter, andere sind nahezu abstrakte Formen. Wahrscheinlich waren es insgesamt 200 Keramiken, 15 davon besitzt heute die Glyptothek.

In „Gauguin's World“ wird gerade bei diesen Werkgruppen offensichtlich, dass der Maler schon lang vor Tahiti das Ursprüngliche gesucht hat – nicht aus ethnografischem Interesse, sondern als Motive für seine Kunst. 1891 schiffte er sich dann nach Tahiti ein auf der Suche nach „glücklichen Bewohnern eines unbeachteten Paradieses“, wie er in einem Brief schrieb. Die Realität sah anders aus: Es war eine französische Kolonie mit Wellblechhütten, westlicher Kleidung und Armut. In einem Brief an seine Frau schreibt Gauguin, der auf Tahiti mit einer 13-Jährigen zusammenlebt: „Hier ist das Leben sehr teuer, und ich ruiniere meine Gesundheit, da ich nicht esse. Ich spüre, wie ich alt werde, und zwar schnell.“ In seiner Malerei aber erschuf er sich die erträumte exotische, farbenprächtige Welt eines primitiven Lebens – und erfand sich nicht nur die perfekten Sujets, sondern erntete endlich den ersehnten Erfolg. Aber Clausen-Perdersen betont: „Er malte in der Südsee, aber immer mit Paris im Kopf.“ Aus einem Briefwechsel weiß man, dass er sich nicht nur Leinwände und Farbpigmente, sondern auch Blumensamen für Sonnenblumen und Lilien schicken ließ. Tahiti war eine Fiktion, und zwar dezidiert für den Pariser Kunstmarkt.

Der Erfolg verbot ihm eine Rückkehr. 


Bald verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, seine Beine waren zerfressen von Ekzemen, eine Folge seiner Syphilis. Gauguin wollte zurück nach Frankreich. Doch damit hätte er seine eigene Legende vom Leben im Paradies zerstören. „Sie sind jetzt dieser seltsame, legendäre Künstler, der aus der Tiefe Ozeaniens seine bestürzenden, unnachahmlichen Werke schickt“, schrieb ihm ein Freund aus Paris. „Sie dürfen nicht wiederkommen.“ Am 8. Mai 1903 starb Gauguin mit knapp 55 Jahren in Atouana auf La Dominique. Damals befand sich noch keines seiner Werke in Dänemark, obwohl seine Frau Mette bereits seit 1884 mit den Kindern in Kopenhagen lebte. Sie war aus Geldnot zu ihrer Familie zurückgekehrt. Aber erst 1914 begann der damalige Direktor Helge Jacobsen für die Glyptothek Werke Gauguins anzukaufen, schenkte dem Haus später acht weitere aus seinem Privatbesitz. Heute besitzt die Glyptothek 54 Werke des Meisters, und es wird weiter angekauft. Drei der 15 Keramiken wurden unlängst auf Auktionen erworben. Diese Skulpturen sind weitaus weniger gefragt als die Malerei, erklärt Direktor Flemming Friborg, die Objekte „kosteten zusammen unter 500.000 Euro“. Für das Verständnis des Malers allerdings, das beweist diese Ausstellung, sind sie von 

Bis 28. 8., Ny Carlsberg Glyptotek.