Dienstag, 19. Juli 2016

Das Foto als Mätresse der Maler.

aus Der Standard, Wien, 20.7.2016

Verspielte, gefährliche Mätresse der Malerfürsten
Welch vielfältige Beziehungen die Maler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Fotografie unterhielten, zeigt die Ausstellung in der Orangerie des Belvedere

von Roman Gerold

Wien – Der Ringstraßen-Malerfürst Hans Makart hat's getan, der Landschaftsmaler Franz Alt ebenso. Selbst Klimt: schuldig. "Schmerzlich enttäuschend" fand es Heinrich Schwarz, Belvedere-Kurator in der Zwischenkriegszeit, dass sich noch die Größten unter jenen Malern befanden, die für ihr Handwerk "Unterstützung bei der Fotografie gesucht" hätten.

Sie hatten, salopp gesagt, die anspruchsvolle Dame Malerei mit der jungen, billigen Mätresse Fotografie hintergangen. Der Historienmaler Adolf Hirémy-Hirschl etwa, der die Figuren seiner dramatischen Gemälde nicht – wie Schwarz es wohl lieber gesehen hätte – aus dem Gedächtnis oder nach Skizzen, sondern auf Basis von Fotos gemalt hatte.


Fotovorlage für Franz Matschs Porträt vom Sohn des Künstlers als 'Prinz Ludwig von Ungarn'; s. o.

Nun steht der desillusionierte Schwarz für eine Anschauung, die sich erst im 20. Jahrhundert entwickelte – nachdem die Fotografie als vollwertige Kunstgattung anerkannt war. Solange man sie als "Spielerei, von keinem Einfluss auf die Kunst" auffasste – so das Urteil von Wiens erstem Ordinarius für Kunstgeschichte, Rudolf Eitelberger -, war der Umgang mit ihr keineswegs skandalisiert, sondern sogar äußerst verbreitet.

Dies zeigt nun die Ausstellung Inspiration Fotografie im Belvedere, die sich bewusst ist, an ein bis heute nachwirkendes "Tabu" zu rühren, wie Kuratorin Monika Faber sagt. Ja, in der Tat: Wer nicht glauben kann, dass fast alle Maler des späten 19. Jahrhunderts da und dort auf die Fotografie zurückgriffen, muss in der Orangerie ganz, ganz stark sein.



Thematisiert wird etwa Leopold Carl Müllers Monumentalgemälde Markt in Kairo (1875-1879). Die detailreiche Szene beruht weniger auf Zeichnungen, die anzufertigen ob Hitze und Staubs sehr mühsam gewesen sei, wie der Künstler in einem Brief bekannte. Vielmehr lichtete Müller Architektur, Menschen und ein Dromedar gesondert ab, um sie dann malerisch zusammenzustöpseln.


Müller, Markt in Kairo

In der Orangerie vergleicht man nun fotografische Vorlagen direkt mit dem fertigen Gemälde. Selbigem meint man das Gestückelte denn auch anzusehen, etwa angesichts lichtsetzerischer Ungereimtheiten. Man vollzieht aber auch den verklärenden Orientalismus der Zeit nach: Müller überhöhte mitunter seine Gegenstände, ließ etwa Bauten ein wenig glanzvoller erscheinen, als sie sich ihm darboten.


Müller, Marktplatz in Kairo

Die Fotografie steht nicht zuletzt als Antagonistin der Malkunst in den Geschichtsbüchern. Denn akkurate Porträts oder Landschaftsbilder konnte das von Louis Daguerre 1839 erfundene und rasch immer weiterentwickelte optisch-chemische Verfahren besser und schneller. So war es letztlich ein wichtiger Faktor dafür, dass sich die Malerei neu definieren musste, gen abstrakte Moderne aufbrechen konnte.


Leopold Carl Müller, Markt in Kairo um 1878 

Inspiration Fotografie führt nun in jene spannende Phase, in der die Maler ihre spätere Unterlegenheit allenfalls ahnten. In Wien war man selbstbewusst – die Diskussion über das Kunstpotenzial der Fotografie sollte hier später einsetzen als in England oder Frankreich. Derweil steckten die meisten die Kamera als Mittel zum malerischen Zweck in die Tasche. Sie könne "die Hand des Menschen nie entbehrlich machen", versicherte die Grätzer Zeitung 1842.

Malerei als Maß der Dinge

Und so waren Fotos nicht nur Gedächtnisstütze, Sammelhilfe, Vorlagenspender. Maler nutzten sie ebenso für Reproduktion und Vertrieb ihrer Gemälde oder für die Selbstinszenierung. Auch dem später aus England importierten Piktorialismus galt die Malerei noch als Maß der Dinge: Fotografen wie Heinrich Kühn strebten danach, ihre Fotos wie Gemälde aussehen zu lassen – etwa durch komplexe Drucktechniken oder bewusst eingeführte Unschärfen.


Tilla Durieux als Circe

Wie weit man den Einfluss der neuen Technologie auf die Malerei fassen kann, zeigt das Beispiel Klimts: Die Verwendung eines Teleguckers, der dem Anvisierten jede räumliche Tiefe nimmt, prägte die flächige Ästhetik von dessen Landschaftsbildern mit.

Inspiration Fotografie (sowie der empfehlenswerte Katalog) steckt voller Anekdoten, die vergnüglich zu entdecken sind – und die man sich auch zweimal durch den Kopf gehen lassen kann: Die Geschichte vom Umgang mit revolutionären Technologien könnte für uns Heutige – trotz veränderter Vorzeichen – durchaus allgemein Relevantes enthalten.


Franz von Stuck, Tilla Durieux als Circe

Belvedere, bis 30.10.


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