Mittwoch, 20. Juli 2016

Hat Rembrandt optische Hilfsmittel verwendet?

„Lachender Rembrandt“. So sah er sich selbst – aber wie konnte er sich so sehen?



















                  aus Die Presse, Wien, 20. 7. 2016                                                           Selbstporträt als der "lachende Philosoph" Demokrit

Rembrandts Selbstporträts: Spiegeltricks?
Der Streit darüber, ob selbst die größten Meister sich heimlicher Hilfsmittel bedienten, ist neu belebt.

Von Jürgen Langenbach

Kann man ein Porträt von sich malen, wenn man gerade herzlich lacht oder die Augen weit aufreißt? Rembrandt konnte es – etwa im frühen „Lachenden“ –, aber wie? Er konnte ja nicht auf Dauer den Mund oder die Augen aufreißen und zugleich malen, was er im Spiegel sah. Dazu brauchte es technische Hilfe, optische Instrumente. Die wurden in der bildenden Kunst seit 1530 breit verwendet: Kepler etwa empfahl eine von ihm ersonnene Camera obscura zur präzisen Abbildung von Landschaften, Galileo lehnte das ab – „es ist für die, die nicht wissen, wie man die Natur mit dem Geist erfasst“ –, nutzte aber konkave Spiegel, Velázquez hatte gleich zehn davon.

Das brachte den Maler David Hockney und den auf Optik spezialisierten Physiker Charles Falco 2001 auf den Verdacht, seit der Renaissance hätten viele Meister mit dem heimlichen Gebrauch von Spiegeln und Linsen hyperrealistische Details in ihre Bilder gezaubert. Das weckte Widerspruch, Hauptkritiker der „Hockney-Falco-Hypothese“ war ein anderer Optikspezialist, David Stork.

Er und Falco sind auch in der jüngsten Runde mit dabei: Francis O'Neil, ein britischer Maler, sieht in vielen Selbstporträts von Rembrandt angewandte Optik am Werk. Zugang hätte der Niederländer haben können: Sein Landsmann und Förderer, der Astronom Huygens, hatte Spiegel und Linsen, und van Leeuwenhoek, der Erfinder des Mikroskops, war ein Nachbar vor Vermeer. Der wieder war Chef einer Gilde in Delft, in der Künstler und Glasmacher vereint waren, auch Rembrandt war Mitglied, und dass er zumindest einen Spiegel hatte, ist verbürgt. Für sein Lachen und Augenrollen brauchte er aber zwei: Er setzte sich, mit grell beleuchtetem Gesicht, in einem dunklen Raum vor einen konkaven Spiegel, der warf das Bild auf einen flachen Spiegel, von dort ging es auf die Leinwand (bzw. das Kupfer: Rembrandt nutzte es nicht nur zum Stechen, sondern bisweilen auch als Maluntergrund). Das brachte Präzision und zugleich Chiaroscuro, den starken Hell-Dunkel-Kontrast, den viele Werke Rembrandts zeigen.

„Der Befund zeigt, dass Rembrandt für Selbstporträts optische Instrumente nutzte“, schließt O'Neil (Journal of Optics 13. 7.). Falco sieht sich bestätigt, aber Stork lässt nicht locker: Das Bild hätte durch die Spiegel auf dem Kopf projiziert und später umgedreht werden müssen. Aber Rembrandt habe für gewöhnlich von oben nach unten gemalt, ergo: Die Pinselführung der Porträts müsste nach oben zeigen. Das tue sie nicht.



aus scinexx 

Nutzte Rembrandt optische Hilfsmittel?
Projektionen mit Spiegeln und Linsen halfen dem Maler wahrscheinlich bei seinen Werken

Raffinierte Technik: Der holländische Maler Rembrandt könnte für seine Selbstportraits mehr als nur Pinsel und Farbe genutzt haben. Denn neuen Erkenntnissen nach erstellten er und einige weitere Künstler seiner Zeit ihre Selbstbildnisse wahrscheinlich mit Hilfe optischer Projektionen – erzeugt mit Linsen und konkaven Spiegeln. Diese Technik könnte auch erklären, warum gerade Rembrandt in seinen Bildern so starke Hell-Dunkel-Kontraste malte.

Typisch für Rembrandts Portraits: Starker Hell-Dunkel-Kontrast und viele feine Details in den Gesichtern.
Typisch für Rembrandts Portraits: Starker Hell-Dunkel-Kontrast und viele feine Details in den Gesichtern.

Der 1606 im niederländischen Leiden geborene Künstler Rembrandt von Rijn gilt als einer der großen Meister realistischer Portraits und Selbstportraits, aber auch als Meister des Chiaroscuro, eines Stils, der sich durch starke Hell-Dunkel-Kontraste in den Bildern auszeichnet. Ungewöhnlich an Rembrandts mindestens 50 Selbstportraits ist auch, dass er sich immer wieder mit verschiedenen Gesten und emotionalen Gesichtsausdrücken darstellte – und das extrem detailliert.

Verräterische Eigenheiten

"Rembrandts Selbstportraits beim Lachen und mit weit offenen Augen hätten eine unglaubliche körperliche Disziplin erfordert, wenn er diese Mimik immer wieder vor dem Spiegel genauso reproduzieren musste, unterbrochen vom Wegschauen und konzentrierten Malen", erklären die britischen Forscher Francis O'Neill und Sofia Palazzo Corner.

Hinzu kommt eine weitere Auffälligkeit: "Die Augen des Künstlers schauen einen in diesen Bildern nie direkt an, sondern blicken stets ein wenig zur Seite", so die Forscher. Hätte Rembrandt sein Selbstportrait jedoch durch abwechselnde Blicke in Spiegel und Leinwand gemalt, müssten die Augen direkt aus dem Bild herausschauen – so, wie er es auch beim Blick in den Spiegel gesehen hätte.

Auf Du und Du mit Pionieren der Optik

Eine Erklärung für diese malerischen Eigenheiten liefert nach Ansicht der Forscher eine zu Rembrandts Zeit noch relativ neue Technologie: große optische Linsen und konkave Spiegel. Denn mit ihrer Hilfe könnten Rembrandt und einige seiner Zeitgenossen optische Projektionen erstellt haben – Abbilder ihres Gesichts, die direkt auf die Leinwand oder die Metallplatte für den Kupferstich geworfen wurden.

Zwei Spiegel und eine Projektionsfläche: So könnte Rembrandt seine Selbstportraits gemalt haben.
Zwei Spiegel und eine Projektionsfläche: So könnte Rembrandt seine Selbstportraits gemalt haben.

Dass Rembrandt durchaus Zugang zu dieser optischen Technologie gehabt haben muss, belegen historische Aufzeichnungen. Demnach waren Linsen im Holland des frühen 17. Jahrhunderts leicht erhältlich – und in Rembrandts Bekanntenkreis besonders verbreitet. So gehörte der Astronom Constantijn Huygens zu den Förderern des Malers und der Mikroskop-Pionier Antoni van Leeuwenhoek lebte im Nachbarhaus.

Konkave Spiegel und ein dunkler Raum

Die Forscher haben mindestens fünf verschiedene Kombinationen von optischen Hilfsmitteln zusammengestellt, die Rembrandt für seine Werke genutzt haben könnte. Im einfachsten Falle kombinierte er einen konkaven und einen flachen Spiegel, die er jeweils zu beiden Seiten von sich aufstellte, und nutzte eine helle Leinwand oder eine reflektierende Metalloberfläche wie bei Kupferstichen üblich als Projektionsfläche.

"Bei solchen Projektionen muss das Gesicht hell beleuchtet sein, während der Raum so dunkel wie möglich bleibt, damit die Projektion sich gut von der Unterlage abhebt", erklären die Wissenschaftler. Genau dieses Prinzip des Chiaroscuro aber findet sich bei Rembrandt in sehr vielen Gemälden wieder.

Dieses Selbstbild beim Lachen mit aufgerissenen Augen wäre mit herkömmlicher Technik schwer zu realisieren gewesen.
Dieses Selbstbild beim Lachen mit aufgerissenen Augen wäre mit herkömmlicher Technik schwer zu realisieren gewesen.

Projektion statt Vorzeichnung

Verräterisch auch: Viele von Rembrandts Gemälden tragen keine Spuren von detaillierten Vorzeichnungen oder Übermalungen. "Die offensichtliche Sicherheit, mit der Rembrandt einige seiner Werke produzierte, sind ein Indiz für die Verwendung von Projektionen", sagen O'Neill und Corner. Denn die Projektion selbst lieferte sozusagen die Vorzeichnung für diese Bilder.

Ein weiterer Hinweis ist die Detailtiefe der Portraits selbst bei sehr kleinen Stichen und Bildern: "Nutzt man nur einen einfachen Spiegel, ist die Entfernung, die man braucht, um mehr als nur das Gesicht darzustellen, zu groß, um viele Details wahrzunehmen", so die Forscher. Auffallend sei zudem in einigen Bildern des Meisters eine Krümmung der Perspektive und ein Verschwimmen der Details zum Rand hin – ganz ähnlich, wie es bei Projektionen zu sehen ist.

"Durchaus üblich"

"Die Belege sprechen dafür, dass Rembrandt Linsen und Projektionen nutzte", konstatiert O'Neill. "Die Ähnlichkeit seiner Bilder zu Projektionen, vor allem in der Lichtgebung und dem weichen Fokus, stützen dies ebenso, wie die dokumentierte Nutzung der Linsentechnologie durch seine Zeitgenossen." Auch bei anderen Malern dieser Zeit sei es durchaus üblich gewesen, solche Hilfsmittel für ihre Werke zu verwenden.

Einige von Rembrandts Schülern beschrieben später sogar in ihren Aufzeichnungen, wie sich Spiegel, Lochkameras und Ähnliches in der Malerei einsetzen lassen – eine Technik, die sie von ihrem Meister gelernt haben könnten. (Journal of Optics, 2016; doi: 10.1088/2040-8978/18/8/080401)

(IOP Publishing , 18.07.2016 - NPO)



Nota. - Dass ich nicht zu Rembrandts Verehrern zähle, habe ich gelegentlich erwähnt. Doch jedesmal habe ich hinzugefügt oder gar vorausgeschickt, dass ich ihn unter den Porträtmalern, die ich kenne, für den größten halte. Ob er technische Hilfsmittel verwendet hat, spielt dabei keine Rolle. 

Den Ruhm in der Nachwelt verdanken die großen Meister nicht oder kaum ihrer handwerklichen Fähigkeit. Die spielte beim zeitgenössischen Publikum eine Rolle, das auch bei einem Malerkollegen hätten kaufen können; der Nachruhm verdankt sich dem ästhetischen Genie, wobei die Originalität nicht immer in formaler Neuheit steckt. In der Porträtkunst zeigt sich ästhetisches Genie in der Lebhaftigkeit des Ausdrucks, in der die Individu-alität des Porträtierten sichtbar wird (und ob die Individualität durch Ähnlichkeit sichtbar gemacht wurde, kann der Nachgeborene gar nicht beurteilen). Doch bei der Lebhaftigleit der Darstellung hilft kein Spiegel, da muss der Künstler selber für aufkommen.

Mir andern Worten, wenn Leeuwenhoek, der den Freunden E.T.A. Hoffmanns aus Meister Floh bekannt ist, schon sein Nachbar war, hätte Rembrandt als Künstler sträflich gehandelt, wenn er dessen Gerätschaften nicht ausprobiert hätte.

Die stärksten Porträts Rembrandts sind die von sich selbst und von Titus (bei andern hätte er die Spiegel kaum einsetzen können). Doch anders als die dutzendfachen Selbstporträts van Goghs dienen die von Rembrandt, das ist längst bemerkt worden, nicht der Selbstergründung, sondern dem Studium... des Ausdrucks. Und hätte er dabei keine Spiegel eingesetzt, obwohl er es konnte, hätte er als Künstler nicht nur sträflich, sondern dumm gehandelt. 
JE

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