Der Dandy der Avantgarde
Der letzte alte Meister oder der Begründer der Moderne? Édouard Manet, der glänzende Wegbereiter des Impressionismus, wird zur Wiedereröffnung der Hamburger Kunsthalle nun mit einer großen Schau gefeiert
Drei Werke von Manet beherbergt die Hamburger Kunsthalle – in den nächsten drei Monaten sind es 60: Spitzenwerke aus Museen weltweit wurden für eine große Ausstellung zusammengetragen.
von Dorit Koch, dpa
Die Nana, der Rochefort und der Hamlet-Darsteller in der Hamburger Kunsthalle haben Gesellschaft bekommen - allesamt wie sie Mitglieder der Manet-Familie. In einer großen Ausstellung präsentiert das nach umfangreicher Sanierung gerade wiedereröffnete Haus Meisterwerke von Édouard Manet. Gezeigt werden bis 4. September 60 Arbeiten, darunter knapp 40 Gemälde, deren Entstehung vom Früh- bis zum Spätwerk des französischen Künstlers reicht. Sechs Jahre habe es gedauert, die Leihgaben aus rund 30 Museen weltweit zusammenzubekommen, berichtete Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner vor der Eröffnung der Ausstellung am Donnerstagabend.
"Viele Museen auf der Welt besitzen nur einen Manet", sagte Gaßner, die Kunsthalle immerhin drei. Die neue Schau "Manet - Sehen. Der Blick der Moderne" sei aber nicht "einfach eine Manet-Ausstellung". "Es geht im doppelten Sinne um das Sehen", betonte der Kunsthallenchef: um das Sehen der Bilder und um die Blicke bei Manet - "der Blick aus dem Bild heraus auf den Betrachter". Indem Manet dies vor einem geschlossenen Hintergrund darstellte, "sehen wir das Bild nicht mehr als eine Projektionsfläche, in die wir in eine andere Welt der Fantasie hineinsteigen, sondern das Bild schaut uns an".
Der Pfeifer, 1866
Diese bisweilen direkte Ansprache des Betrachters und die Wahl seiner Motive löste in den damaligen Pariser Salon-Ausstellungen wahre Proteststürme aus. Manet, selbst aus gutem Hause, holte Bettler, Prostituierte, Straßensänger oder Tänzerinnen ins Bild. Nicht, um sie zu bedauern, nicht, um sich über sie zu erheben, wie Gaßner betonte, sondern großformatig und gleichberechtigt wie Adelsporträts. "Das war sicherlich für die Gesellschaft damals die größte Provokation", meint der Experte, dass "Gestalten am Rande der Gesellschaft" plötzlich in der Bildwürdigkeit und in den Salons so geadelt wurden.
Die Pariser Salon-Ausstellungen waren ein Massenspektakel. "In dem Jahr, als Manet den "Balkon" und "Das Frühstück im Atelier" gemeinsam ausstellte, füllten insgesamt 4230 Werke die Säle und Galerien des Industriepalastes, darunter allein 2452 Gemälde", erfährt man in der Ausstellung, die beide Manet-Arbeiten ebenso wie andere Bildpaare zeigt, die der Maler für den Salon ausgewählt hatte. So hängen nun die Anstoß erregende und vom Salon abgelehnte "Nana" [s. o.], der er das Antlitz einer stadtbekannten Halbweltdame in Unterwäsche verlieh, und der vom Salon angenommene "Jean Baptiste Faure in der Rolle des Hamlet" beieinander.
Jean Baptiste Faure in der Rolle des Hamlet
Das Hamlet-Schauspieler-Motiv ist gleich in drei Versionen zu sehen: noch in kleinerem Format, entdeckt in der Privatsammlung auf einem englischen Schloss, sowie links und rechts daneben großformatig und in Öl auf Leinwand die Gemälde aus dem Essener Folkwang-Museum und der Kunsthalle. Ebenfalls zu den ausgestellten Spitzenwerken gehört "Der Philosoph" (Bettler mit Wintermantel) aus dem Art Institute of Chicago und die "Lola de Valence" aus dem Musée d'Orsay in Paris - beide aus Manets Frühwerk, das sich stark an spanischen Motiven und Meistern wie Velázquez und Goya orientierte.
Lola de Valence, 1862
"Mit Manets Spitzenwerken aus internationalen Museen bietet die Ausstellung die einmalige Gelegenheit, den ganzen Manet vom Frühwerk bis zum Spätwerk zu sehen - eine Chance, die es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gegeben hat", betonen die Veranstalter. "Manet ist einer der bedeutendsten Wegbereiter der modernen Malerei und hat die Kunst im 19. Jahrhundert wie kein Zweiter revolutioniert." In den Wandtexten, Kommentaren und Karikaturen erfährt der Besucher, wie Manet zum Skandalkünstler und Provokateur wurde.
Einer, der vom damaligen Publikum und der Kritik für seine "flüchtige, dilettantische Schmiererei und banale Wiedergabe der Realität" verspottet wurde. "Monsieur Manet, der darauf besteht, Pistolenschüsse im Gewölbe abzufeuern, ist mit zwei absolut schlechten Gemälden vertreten", wurde 1865 etwa in Frankreich über den Salon berichtet. Oder: "Monsieur Manet. Bislang hat er sich zum Apostel des Hässlichen und Abstoßenden gemacht. Glaubt Monsieur Manet, dass sich hinter seiner Exzentrik eine wahre Begabung zum Künstler verbirgt? Da täuscht er sich!"
Für Kunsthallenchef Gaßner ist die Manet-Schau nach mehr als zehn Jahren im Amt die letzte Ausstellung in der Kunsthalle. Gaßners Nachfolger wird Christoph Martin Vogtherr: Der Direktor der Wallace Collection in London übernimmt die Leitung vom 1. Oktober dieses Jahres an.
Manet – Sehen. Der Blick in die Moderne
Die große Schau zur Wiedereröffnung nach dem Umbau zeigt Meisterwerke des französischen Malers und Wegbereiters der Moderne und vereint Bildpaare, die Édouard Manet (1832–1883) für die Hängung im Pariser Salon ausgewählt hatte
bis zum 4. September
Ihren Blick fest im Blick: Das Ölgemälde Im Wintergarten von Édouard Manet
aus Die Welt, 27.05.2016
Kunsthalle zeigt Manet-Ausstellung der Superlative
Sehen und angestarrt werden: Der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Hubertus Gaßner, verabschiedet sich mit einer großen Manet-Ausstellung mit Durchblick in den Ruhestand.
Von Julika Pohle
Wer sich derzeit der Galerie der Gegenwart nähert, fühlt sich verfolgt: von dem Blick einer leicht bekleideten Dame, die von einem großen Werbeplakat herabblickt. Dass uns halbnackte Menschen von Reklametafeln aus direkt fixieren, ist heute eine Alltagserfahrung. In der Zeit allerdings, in der die erwähnte Dame lebte, die zudem noch eine Prostituierte war, galt der unverhohlene Blick aus einem Bild heraus als Provokation.
Der Provokateur hieß Édouard Manet, die von ihm porträtierte Dame hieß Henriette Hauser und sein Bild heißt "Nana" nach einem Roman von Émile Zola. Das Plakat indes wirbt mit der "Nana" für die Kunsthallen-Ausstellung "Manet – Sehen", die von heute an im Sockelgeschoss der Galerie der Gegenwart die Dualität von Sehen und Gesehenwerden in den Fokus rückt.
Knapp 40 Gemälde aus 30 Museen werden vereint
Kunsthallenchef Hubertus Gaßner, der im Oktober in den Ruhestand geht, gibt mit der Ausstellung, die knapp 40 Gemälde aus 30 Museen vereint, seine Abschiedsvorstellung. Mit Caspar David Friedrich habe er seine Amtszeit begonnen, sagt der Direktor, mit Manet beende er sie nun.
Der Balkon 1868
Das sei passend, weil die Hamburger Kunsthalle sowohl wegen ihrer Friedrichs als auch wegen ihrer drei Manets berühmt sei. Die "Nana", entstanden 1877, ist ein Prachtstück der Sammlung, in der sich außerdem die Ölvorstudie zu "Jean-Baptiste Faure in der Rolle des Hamlet" (1877) sowie das Gemälde "Henri Rochefort" (1881) befinden.
Die Dargestellten der drei Werke, bemerkte Gaßner, eint ihr durchdringender Blick. "Der Blick in den Bildern ist vielleicht ihr eigentliches Thema", lautet seine These, nach der er die Schau konzipierte. Entsprechend sind ausschließlich Porträts und Menschendarstellungen zu betrachten. Zu den gezeigten Meisterwerken gehören etwa "Der Balkon" (Musée d'Orsay, Paris), "Maskenball in der Oper" (National Gallery of Art, Washington) und "Das Frühstück im Atelier" (Neue Pinakothek, München).
Maskenball in der Oper
Der Blick der Porträtierten sei in vielen Fällen direkt auf den Betrachter gerichtet, sagt der Kurator. Das Neue daran, das einer Revolution in der Kunstgeschichte gleichkäme, sei die Tatsache, dass Édouard Manet (1832 – 1883) den Hintergrund hinter den Figuren schloss und ihn oft monochrom gestaltete. Er verzichtete auf den gewohnten illusionistischen Bildraum und damit auf die Projektionsfläche, die in eine andere Welt lockt.
Vielmehr entwickelt sich das Bild nach vorn, auf den Beschauer zu. Gaßner spricht von "umgekehrter Perspektive" und sieht Manets Innovation als Voraussetzung für die spätere Entwicklung der modernen Kunst bis hin zu Happening und Performance.
Le déjeuner dans l’atelier 1868
Wer sich also durch die Schauräume bewegt, wird von allen Seiten beobachtet. Im Fall des französischen Baritons Jean-Baptiste Faure, der den Hamlet gab, fühlen wir uns aber nicht gemeint: Hamlet sieht im Wahn den Geist seines ermordeten Vaters und reißt die Augen auf. Hier liegt die jenseitige Welt nicht mehr in der bildtiefen Ferne, die Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" (1818) wohl gewahrt, sondern diesseits der Leinwand, irgendwo hinter uns.
Die spezielle Darstellungsweise hat Manet bei dem großen spanischen Barockmaler Diego Velázquez (1599 – 1660) abgeguckt, den er als seinen Meister ansah. Zum Vergleich entlieh Gaßner aus dem Prado zu Madrid Velázquez' "Menippus" von 1640.
Velázquez Menippus
Manet ging es um gekonnte, auffällige Inszenierungen
Das Gesicht des altgriechischen Schriftstellers und Satirikers leuchtet vor einem dunklen Hintergrund über einem noch dunkleren Umhang, der etwas spöttische Blick wandert aus dem Bild hinaus. Um einiges offensiver tritt uns Manets "Philosoph (Bettler im Wintermantel)" (1865) entgegen, fast möchte man ihm einen Euro reichen.
Philosoph (Bettler mit Wintermantel), 1865-67
Denn anders als sein spanisches Vorbild versetzte der Richtersohn und Diplomatenenkel Édouard Manet keine Adligen und auch keine intellektuell hochstehenden Persönlichkeiten in die Lage, die Bürger mit ihren Blicken zu traktieren.
Er wählte sein Personal unter den Randgruppen der Gesellschaft, malte Clochards, Serviererinnen mit Bierhumpen, Musikanten, Schausteller oder eben Kurtisanen – wie die stadtbekannte Henriette Hauser alias "Nana", die jetzt in der Kunsthalle vor einer auberginefarbenen Wand prangt, was ihre hellblaue Wäsche schön zur Geltung bringt. Überhaupt sind alle Ausstellungswände ebenso kraftvoll gestrichen, wie die neugestalteten Räume der Sammlungspräsentation nebenan.
Eine Bar in den Folies-Bergère, 1882
So werden auch der Salon und Manets Kampf mit der Kunstkritik, die seine Bilder formal und thematisch ablehnte, zum Thema. Witzige Karikaturen von Honoré Daumier zeigen, wie das Publikum auf Manets Arbeiten reagierte und wie es sich insgesamt gebärdete. Die Grafiken stammen aus dem Kupferstichkabinett der Kunsthalle – wie auch viele andere Blätter, die den Gemälden gegenüber stehen und einzelne Aspekte vertiefen.
Wieso heißt die dicke rote Frau im Négligé Olympia?
- Vielleicht ist das der Name der Katze.
Daumier in Le Charivari, 19 Juin 1865.
Olympia, 1863
Nota. - Menippus schaut nicht den Betrachter an, sondern sonstwohin. Und auch Manets Protagonisten schauen nicht den Betrachter an oder gar einander, sondern (wie b ei Vermeer, der auch schon so gemalt hat) durch uns und sie hindurch ins Nichts.
Irgendwo las ich dieser Tage, Manet habe die Leere sichtbar gemacht; das hat Vermeer auch.
Aber das ist wiederum ein ganz einseitiges Bild von Manet. Darum hier dieses:
Schiffsdeck
Effet de neige à Petit Montrouge 1870
Das letzte Stück ist etwas Besonderes. Es ist unter freiem Himmel entstanden, als Manet während der Belagerung von Paris als Nationalgardist an den südlichen Wällen Dienst tat. Landschaftsbilder sind bei ihm - anders als Seestücke - eine Rarität, und plein-air kommt sonst wohl gar nicht vor.
JE
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