Mittwoch, 13. Juli 2016

"Der feine Riss" im Berliner Haus am Lützowplatz.

aus Tagesspiegel.de, 13. 7. 2016                                                                Nguyen Xuan Huy  Waiting until the Sun sets  2015.

Ein Realismus jenseits der Klarheit
Gegenständliche Malerei hat es in der Gegenwart schwer. Die Ausstellung „Der feine Riss“ im Haus am Lützowplatz beweist ihre Vitalität. 

von Christiane Meixner

Es hat nie aufgehört. Das Herz der realistischen Malerei pumpt kraftvoll wie auf dem Bild von Christoph Steinmeyer, der das Organ zum Zentrum eines chaotischen Universums macht. Umgeben ist das Bild „Troy“ [s. u.] im Haus am Lützowplatz von über einem Dutzend weiterer Motive: Akte, Porträts, Stillleben. Die Zusammenschau legt nahe, die gegenständliche Darstellung befände sich in voller Blüte ist. Was für ein Irrtum.

Keine andere Malerei hat es im zeitgenössischen Diskurs so schwer. Mit dem Aufkommen der Fotografie erlebte sie ihre erste große Krise. Nach 1945 etablierte sich die Abstraktion, während der sozialistische Realismus zur Staatsdoktrin wurde. Das machte die gegenständliche Darstellung auf Generationen hinaus suspekt. Malerei, ja schon, aber dann bitte mit Ironie getränkt wie bei Martin Kippenberger, konzeptuell gemeint oder in „Bad Painting“-Manier auf die Leinwand gebracht, wie es die Avantgarde seit Francis Picabia kennt. In der Ausstellung „Der feine Riss“ aber stellt man fest: Mit Axel Pahlavi oder Till Rabus, beide Jahrgang 1975, nehmen sich gegenwärtige Maler dieser klassischen Technik wieder an.


Till Rabus, Ikebana #4, 2008

Deborah Poynton führt dieses Prinzip bis an die Schmerzgrenze aus. Ihr Großformat „Morality Pla II“ von 2008 zeigt die Künstlerin selbst nackt auf dem Bett sitzend, mit angezogenen und leicht gespreizten Beinen. Das Zimmer wirkt perspektivisch verzerrt, Poyntons Selbststudium fällt umso gnadenloser aus: Unter der Haut an den Füßen zeichnen sich dicke Adern ab, den dunklen Schopf strähnt graues Haar. Im Vordergrund stemmt ein älterer Mann seine Hände auf die Tagesdecke und schaut auffordernd aus dem Bild. Auch die Künstlerin blickt fragend auf den Betrachter – als hätte er das ungleiche Paar gestört. Wohl kaum in einer erotischen Situation, die dem Motiv völlig fehlt. Und doch bleibt rätselhaft, was hier gespielt wird.


Deborah Poynton, Morality Play II, 2008

Dass selbst bei größtmöglichem Realismus keine Klarheit herrscht, ist der thematische Nukleus dieser Schau. Das klingt nicht neu, verblüfft jedoch, weil man von Eindeutigkeiten geradewegs umzingelt wird. Steinmeyers übergroßes Herz wirkt ebenso fotografisch exakt wie jene Fischabfälle und leere Margarineschachtel, aus denen Till Rabus malend „Ikebana“ macht. Ernie Luley Superstar hat mit „Madame Bourgois“ (2013) das Gesicht einer Frau auf die Leinwand gebracht, die sich auf den zweiten Blick als Domina-Fantasie entpuppt. Und Franziska Maderthaner, die in den achtziger Jahren eine Zeit lang als Martin Kippenbergers Assistentin arbeitete und heute Malerei an der Akademie in Wien lehrt, lässt in „Europa vor dem Regen“ (2016) diverse Hände aus einer ansonsten abstrakten Komposition ragen. Ein bisschen wirkt es, als habe jemand das eigentliche Zentrum ihres Bildes mit aller Kraft verwischt.


Franziska Maderthaner, Europa vor dem Regen, 2016

Illusionen sind demnach das Letzte, was diese Künstler erzeugen wollen. Vielmehr legen sie Spuren, locken mit dem Effekt der Wiedererkennung und irritieren dann doch mit Details, die sich nicht erklärend zusammenfügen. Pahlavis Porträt des „Melvin Neumann“ (2015) ist ein Paradebeispiel: ein Mann mit schütterem Haar, in blaugrünen Leggings, mit Nietenarmband und Farbspritzern auf dem geringelten Pullover. Ist er ebenfalls Maler? Weshalb trägt er dann weiße Paste im Gesicht wie ein Zirkusclown nach dem Abschminken? Und warum sitzt Melvin Neumann – der tatsächlich Eric heißt und als Modell kaum mehr als Kopf und Hände beisteuerte, alles andere hat Pahlavi auf der Leinwand konstruiert – im Kegellicht einer Manege?

Ein Realismus der Experimente wagt

Man kann darüber spekulieren. Klarheit bleibt aus, obwohl die Szene wie aus dem Alltag geschnitten scheint. Doch diese Hyperrealität täuscht, sie bildet nichts ab, sondern imaginiert bis zum Verwechseln. Hier wie im Fall von Deborah Poynton gibt der Begleittext zur Ausstellung einen wichtigen Hinweis. Die Nähe ihrer Porträts zum biblischen Motiv der Susanna im Bade und bei Pahlavi der Bezug zum Passionsmotiv „Christus im Elend“. Wer dies erkennt, dem fallen plötzlich auch die Metapher in David Nicholsons zuckersüßem Porträt der „Melancholia“ (2007) auf. Der Totenkopf auf einem Beistelltisch als Zeichen für Vergänglichkeit. Die achtlos geknüllten Rechnungen darunter als modernes Sinnbild der Ausschweifung und die weibliche Figur im Zentrum als Allegorie einer Luxusexistenz auf Pump.


David Nicholson, Melancolia, 2007,

Man muss die Sujets nicht alle mögen, um sich vom Ansatz der Ausstellung gefangen nehmen zu lassen. Die Strategien der beteiligten zehn Künstler sind so unterschiedlich wie ihre Stile. Klar wird schließlich auch, weshalb sie den mühsamen Weg der aufwendigen malerischen Technik wählen, wo doch jedes Foto ähnlich scharf zeichnen könnte, was man auf den Tableaus zu sehen bekommt. Pahlavi, Poynton und die anderen fügen dieser mechanisch erzeugten Sicht eine Facette hinzu, die aus der Beschäftigung mit jenem „feinen Riss“ resultiert: den Bruch zwischen Realität und individueller Wahrnehmung, realistischer Malerei und ihrer ideologischen Vereinnahmung. Hier verläuft der Graben, den die Avantgarde im 20. Jahrhundert aus gutem Grund zur Geschichte zog, mit dem sie zugleich das ikonografische Band gekappt hat. Der Realismus von heute ist weniger nostalgisch als experimentell gemeint – als Befragung und kritische Rückbesinnung. Auch wenn dieser Eingriff der Maler zumindest im Fall von Steinmeyer am offenen Herzen stattfindet.

Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, bis 4.9., Di bis So 11 bis 18 Uhr


Christoph Steinmeyer, Troy, 2014


Nota. - Bedeuten gegenständlich und realistisch dasselbe? Man wird kaum ein Bild von Max Ernst oder gar von Dalí finden, das ganz gegenstandslos wäre; aber realistisch schonmal gar nicht. 

Nach diesem Eingangsfehler kann eigentlich nur noch nichtssagendes dummes Zeug kommen. Na schön, ganz dumm nicht, ich glaube, sie tut nur so. Die gegenständliche Malerei habe es 'heute' besonders schwer! Wohl kein Vergleich zur ungegenständlichen: Die gibt es schon gar nicht mehr, seit Cy Twombly gegangen ist. Fast gleichzeitig übrigens mit Lucian Freud: Der hat realistisch gemalt, und zwar so entschieden, dass man ihm die Frage ersparte, was er uns damit sagen wollte. Man sieht - wenn man überhaupt was sieht - auf seinen Bildern, dass er es so machen musste, da gibt es nicht viel zu erklären. Schwer wird er es damit in den fünfziger, sechziger Jahren gehabt haben, aber danach bestimmt nicht mehr. Sein Freund Bacon konnte es so gerade nicht machen: gegenständlich zwar, und damit hat er es auch lange schwer gehabt, aber nicht realistisch (naiv, wie Schiller sagt), sondern tragisch-satirisch (wie Schiller gesagt hätte). Und der lebt nun auch nicht mehr.

Das einzige, was die Autorin im Ernst sagen konnte, aber nicht wollte, weil es banal ist: 'Heute' hat die Malerei es besonders schwer. Der Maler weiß nämlich nicht mehr, was er malen soll, es ist alles schonmal dagewesen, man kann keinem mehr die Augen öffnen, sie haben alles schon gesehen, man kann nicht mal mehr einen richtigen Skandal machen. Es ist demnächst hundert Jahre her, dass auf einer Ausstellung von zeitgenössischer Kunst ein Pissbecken präsentiert wurde. Heute kann man höchstens noch zitieren, verfremden, parodieren, hinterfragen, gegen den Strich bürsten, in all seiner Doppelbödigkeit aufzeigen u. dergl.: nämlich all die Sachen, die Andern lange vor einem eingefallen sind. 

Aber das geht nur mit gegenständlichen Sujets. Was wollte denn einer an Mondrian oder Malewitch parodieren? Oder gar an Cy Twombly! Der hat das gleich selber mitbesorgt. Daneben fällt nichtmal mehr ihre überragende handwerkliche Meisterschaft ins Gewicht; Caravaggio lässt sich nicht überbieten.
JE


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