Mittwoch, 31. Mai 2017

Wann ist ein Kunstwerk fertig?



Géricault, Entwurf zu Das Floß der Medusa
  
Vor einigen Tagen habe ich Ihnen ein Wandgemälde gezeigt, das Gustav Klimt für die medizinische Fakultät der Wiener Universität gemalt hat, und dazu die Kompositionsstudie dafür: Welches von beiden darf als der echtere Ausdruck von Klimts künstlerischer Absicht gelten - die mit großzügigem Schwung ausgeführte erste Ahnung oder die akribische Ausarbeitung in seiner erfolgreichen, ebenso repräsentativen wie dekorativen Jugenstilmanier?

In diesem Fall fiel die Entscheidung für den frischen freien Entwurf leicht. Obwohl man zweifeln darf, ob Klimt, wenn er statt für ein vornehmes Publikum nur für sich und seine Künstlerfreunde gemalt hätte, ein solches Sujet überhaupt gewählt haben würde...

Mit Géricaults Floß der Medusa steht es aber anders. Der erste Entwurf ist schon auf den ersten Blick schwächer als die emblematisch gewordene Ausarbeitung. Er hatte von Anfang an die klassizistisch-realistische Faktur im Auge, es gab nur beim ersten Entwurf keinen Grund für eine sorgfältige Pinselführung und all die kompositorischen Feinheiten des ausgeführten Werks: Es sollte ja Material sein zur weiteren Ausarbeitung. Das liegt nicht zuletzt am expressieven Sujet: Da durfte und musste man immer noch steigern.


 Géricault, Das Floß der Medusa

Es ist klar, dass das für den präsumtiven Käufer fertiggestellte Bild nicht in jedem Fall das 'vollständigere' Kunstwerk ist, als jedes frühere Stadium. Genauso klar konnte sein, dass nicht generell die Skizze oder der abgebrochene Versuch den höheren ästhetischen Wert beanspruchen kann als das vollendete Werk, das der Künstler selbst zu Markt getragen hat; eine Frage, die sich überhaupt erst stellt, seit die 'unfertigen' Stücke der Avantgardisten des neunzehnten Jahrhunderts beim Publikum die Bereitschaft geweckt haben, auch die unfertigen Hinterlassenschaften der älteren Meister als "richtige Kunst" zu bezahlen und anzuschauen.

Kandinsky, Komposition VII, 1913, sowie1. Entwurf dazu

Hier bei Kandinskis Komposition VII wirkt die sorgfältige Endfassung gegenüber dem unbefangenen ersten Einfall überladen, gezwungen und pedantisch; was doch gerade nicht in der anarchischen künstlerischen Absicht lag. Man möchte sagen, dass die erste Skizze formal und material so unvollendet wirkt, macht sie in ästhetischer Hinsicht 'fertiger'.  

Das ist ein Thema, das sich wohl durch die ganze Kunstgeschichte verfolgen lässt; ich werde noch einige Besipiele raussuchen. Der Verständnisgewinn, den der Vergleich von fertigen und unfertigen Bildern bringt, ist aber wohl immer nur ein individuel- ler, und wird zu begriffliche Verallgemeinerungen kaum Anlass bieten.

Bis auf diese: Ästhetische Fragestellungen und künstlerische Fragestellungen sind nicht dasselbe - es sei denn im Einzelfall.



Montag, 29. Mai 2017

Was ist echter?


Gustav Klimt, Medizin; Wandbild in der medizinischen Fakultät der Wiener Universität; oben eine Kompositionsskizze.

In welcher der beiden Ausführungen kommt die künstlerische Absicht authentischer zum Ausdruck?









Sonntag, 28. Mai 2017

Christian Rohlfs.


The Star Bridge in Weimar, 1888


Weiden in der Sonne (1878)
 Berg im Schnee 1935

Village Street (1915-1916 )

Freitag, 26. Mai 2017

Die Macht der Musik.

Orpheus
 aus scinexx

Die Macht der Musik 
Wie Musik auf unseren Geist und Körper wirkt 

Musik weckt Emotionen, bringt uns zum Tanzen und prägt in vielfältiger Form unser Leben. Doch sie kann noch mehr: Mediziner finden inzwischen immer mehr Hinweise darauf, dass Musik heilsam wirken kann – nicht nur für die Psyche, sondern auch für den Körper. Sie lindert Schmerzen und Ängste, stärkt das Immunsystem und hilft Herz und Gehirn.

Was unsere Vorfahren schon vor Jahrtausenden erspürten, entdeckt die moderne Medizin jetzt langsam wieder neu: Musik kann heilen helfen. Forscher finden immer mehr Bereiche der Medizin, in der eine gezielte Musiktherapie zur Genesung von Patienten beitragen kann. Und diese heilsame Wirkung geht teilweise weit über den etablierten Musikeinsatz in der Psychotherapie hinaus. Noch steht die Erforschung dieser sanften Heilhilfe ganz am Anfang, aber die ersten Ergebnisse sind durchaus vielversprechend.
 

Inhalt:
  1. Tiefe Wurzeln
    Musik als Urinstinkt?
  2. Komplex vernetzt
    Wie unser Gehirn Musik verarbeitet
  3. Große Gefühle
    Musik und Emotionen
  4. Musik als Heilmittel
    Wo Musiktherapie schon hilft
  5. Gut für Herz und Abwehr
    Musik gegen körperliche Leiden
  6. Keine "Pille für alle"
    Wie geht es weiter?

von Nadja Podbregar
Stand: 26.05.2017



Tiefe Wurzeln

Musik als Urinstinkt? 

Musik ist tief in unserer Geschichte und unserer Natur verankert. Weltweit gibt es kaum eine Kultur, die keine Musik kennt. Wahrscheinlich haben auch unsere frühen Vorfahren bei Ritualen, bei alltäglichen Arbeiten oder bei Festen gesungen oder getrommelt.

Die ersten Vertreter des Homo sapiens in Europa bastelten sich bereits Musikinstrumente, wie Funde von 40.000 Jahre alten Flöten aus Mammut-Elfenbein und Knochen in der Schwäbischen Alb belegen. Einige Forscher vermuten sogar, dass die Musik der Entwicklung der menschlichen Sprache vorausging.


Ab der 16. Schwangerschaftswoche reagiert der Fötus auf Musik.
Ab der 16. Schwangerschaftswoche reagiert der Fötus auf Musik.
Musiksinn schon im Mutterleib

Wie sehr Musik uns prägt, zeigt sich schon im frühesten Kindesalter: Selbst Ungeborene im Mutterleib reagieren schon auf Musik. Ab der 16. Schwangerschaftswoche reagieren Föten auf eine Beschallung beispielsweise mit Flötenmusik, wie Ultraschallaufnahmen zeigen. Hören die Kinder Musik, beginnen sie, ihre Körper zu bewegen, strecken ihre Glieder und reißen den Mund weit auf. Einige strecken sogar die Zunge heraus. Bei bloßen Geräuschen oder Brummtönen unterbleibt diese Reaktion.

"Musik steckt uns in den Genen", erklärt der Neurowissenschaftler Mark Tramo von der Harvard Medical School. "Alle Menschen kommen schon mit einem angeborenen Sinn für Musik auf die Welt." Kein Wunder, dass Musik schon bei den Kleinsten ihre Wirkung entfaltet: Wenn das Baby Bauchweh hat oder nicht einschlafen kann, dann hilft leises Vorsingen sogar besser als beruhigendes Zureden, wie ein Experiment belegt. Das Kind bleibt länger ruhig und weint deutlich weniger als beim bloßem Reden.


Der griechische Gott Apollo (vorne), war nicht nur der Herr der Musen, sondern galt auch als Heiler.
Der griechische Gott Apollo (vorne), war nicht nur der Herr der Musen, sondern galt auch als Heiler.
Von Schamanengesängen bis Apollo

In den frühen Kulturen und auch in vielen Naturvölkern war Musik meist eng mit der Heilkunst verknüpft. Schamanen stimmten wahrscheinlich schon in der Steinzeit Heilgesänge an, um ihren Patienten zu helfen. In den Kulturen der amerikanischen Ureinwohner und bei vielen afrikanischen Naturvölkern ist Singen und Trommeln noch heute fester Bestandteil der Heilrituale. Kein Zufall ist es wohl auch, dass sich das chinesische Schriftzeichen für Medizin vom Symbol für Musik ableitet.

Im antiken Griechenland setzen Ärzte gezielt Musik ein, um Stress zu mildern, Schlaf zu fördern oder Schmerzen zu lindern. Der griechische Gott Apollo galt nicht nur als Gott der Künste und "Chef" der neun Musen, als "Apollon Epikourios" wurde er auch als Gott der Heilkunst verehrt. Ihm ist auch einer der am besten erhaltenen griechischen Tempel geweiht, der Apollotempel im Norden des Peleponnes. Der Sage nach sollen dankbare Bewohner der nahen Stadt Figalia diesen Tempel errichtet haben, weil ihnen Apollon während einer Pestepidemie geholfen hatte.


Musik und moderne Medizin

Im Zeitalter der modernen Medizin jedoch ist die heilsame und positive Wirkung der Musik in Vergessenheit geraten. Gesänge oder Trommeln passten nicht mehr in die sachliche Welt der wissenschaftlichen Heilkunst. Die modernen Rituale umfassen nun stattdessen weiße Kittel, viele technische Geräte und ein ganzes Arsenal von Arzneimitteln.
Erst allmählich bahnt sich wieder ein Sinneswandel an: Mediziner beginn zu erkennen, dass sie möglicherweise das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben – und dass in der Wirkung der Musik mehr steckt als lange angenommen. Immer mehr Studien liefern inzwischen Hinweise darauf, dass ein gezielter Einsatz von Musik sehr wohl heilsam wirken kann. Denn Harmonien, Rhythmen und Melodien beeinflussen nicht nur die Stimmung und Psyche, sondern auch unseren Körper – und sogar unsere Genaktivität.


Komplex vernetzt
Wie unser Gehirn Musik verarbeitet 

Rein physikalisch gesehen ist Musik einfach nur Schall – ein Geräusch wie viele andere auch. Dennoch scheinen wir instinktiv zu erkennen, dass es sich bei diesen Lauten um Musik handelt. Unser Gehirn reagiert auf Melodien, bestimmte Rhythmen und Harmonien anders als auf zufällig Geräusche. "Es mehren sich die wissenschaftlichen Belege dafür, dass unser Gehirn auf ganz spezifische Weise auf Musik reagiert", erklärt Lisa Hartling von der University of Alberta.

Woran erkennt unser Gehirn, dass ein Schall kein bloßes Geräusch, sondern Musik ist?
Woran erkennt unser Gehirn, dass ein Schall kein bloßes Geräusch, sondern Musik ist?
Woran erkennt unser Gehirn Musik?

Warum das so ist und wie unser Gehirn Musik von bloßen Geräuschen unterscheidet, ist allerdings bis heute rätselhaft. Einige Forscher vermuten, dass Musik unabhängig von allen kulturellen Unterschieden bestimmte universelle Merkmale besitzen könnte – naheliegend sind beispielsweise wiederkehrende Rhythmen oder Tonfolgen.

Vor einigen Jahren stießen niederländische Wissenschaftler bei den Tonleitern verschiedener Musikkulturen auf Indizien einer solchen Universalität. Behandelten sie die mehr als 1.00 Tonleitern aus aller Welt als multidimensionale Objekte und platzierten sie in einem Koordinatensystem, dem sogenannten Euler-Gitter, entstanden einander sehr ähnliche Muster: Alle traditionellen Skalen – egal aus welchem Kulturkreis – erzeugten sternförmig-konvexe Muster.


In der primären Hörrinde wird unter anderem die Frequenz der Töne erkannt - und damit die Melodie.
In der primären Hörrinde wird unter anderem die Frequenz der Töne erkannt - und damit die Melodie.
Konzertierte Aktion der Hörrinde…

Was aber passiert in unserem Gehirn, wenn wir Musik hören? Der Schall kommt wie alle Geräusche in unserem Ohr an und wird in der Cochlea in elektrische Nervensignale umgewandelt. Über den Hörnerv gelange diese Signale in die primäre Hörrinde – Hirnareale, die auf beiden Kopfseiten knapp über unseren Ohren im Cortex liegen.

Hier findet eine erste Verarbeitung der Musiksignale statt: Funktionelle Hirnscans deuten darauf hin, dass bei den meisten Menschen die Tonhöhe, sowie bestimmte Aspekte der Harmonien vor allem vom rechten Hörzentrum verarbeitet werden. Das Hörzentrum der linken Seite scheint dagegen eher auf schnelle Wechsel in Frequenz und Intensität der Töne zu reagieren.


…und vieler weiterer Areale

Doch das allein reicht noch nicht: Das musikalische Hörerlebnis entsteht erst durch eine fein abgestimmte und vernetzte Interaktion ganz unterschiedlicher Hirnareale. Ob wir eine Geige oder eine Flöte hören oder ob jemand singt, erkennen wir beispielsweise erst, nachdem ein Hirnareal in der Nähe der rechten Hörrinde die Klangfarbe der Musik analysiert hat.

Im Frontallappen wiederum wird das Gehörte mit Erinnerungen abgeglichen – so erkennen wir beispielsweise eine uns bekannte Melodie wieder. Studien zeigen zudem, dass je nach Musikart der Schwerpunkt der Verarbeitung in ganz verschiedenen Arealen liegen kann. Ob wir gerade eine klassische Symphonie hören oder einen Popsong, lässt sich demnach sogar an unserer Hirnaktivität ablesen.


Warum uns Musik zum Tanzen bringt

Der Rhythmus der Musik aktiviert ebenfalls eine ganze Schar von Hirnbereichen: An seiner Dekodierung sind sowohl die primären Hörzentren beteiligt als auch das Kleinhirn und Teile der Frontallappen. Gemeinsam helfen sie uns dabei, beispielsweise einen Dreiviertel- von einem Viervierteltakt zu unterscheiden. 

Sogar unsere motorische Hirnrinde, der Bereich, der normalerweise Muskelbewegungen steuert, wird beim Musikhören aktiv. "Musik ist offenbar ebenso akustisch wie motorisch anregend", sagt Mark Tramo von der Harvard University. "Wenn wir nur daran denken, mit dem Fuß mitzuwippen, leuchten schon Teile der Bewegungssteuerung im Gehirn auf." Das uns einige Musikstücke geradezu "in die Beine gehen", geht auf diese enge Verknüpfung zurück.


Große Gefühle
Musik und Emotionen 

Musik bringt uns zum Weinen, macht uns froh oder weckt Erinnerungen – kaum ein äußerer Reiz kann unsere Stimmung so stark beeinflussen wie die Musik. Unabhängig vom kulturellen Kontext reagieren Menschen auf den emotionalen Gehalt der Musik. Forscher vermuten daher, dass diese Wirkung der Musik unwillkürlich und instinktiv erfolgt.

Musik kann starke Gefühle wecken - und das zeigt sich im Weiten der Pupillen.
Musik kann starke Gefühle wecken - und das zeigt sich im Weiten der Pupillen.
An den Augen ablesbar

Wie eng Emotionen und Musik verknüpft sind, lässt sich an unseren Augen ablesen. Typischerweise weiten sich unsere Pupillen unwillkürlich, wenn wir starke Gefühle empfinden oder sexuell erregt sind. Geweitete Pupillen gelten zudem als Zeichen des Vertrauens, verengte dagegen als Signal von Angst oder Aggression.

Welchen Effekt die Musik auf dieses unwillkürliche Pupillensignal hat, haben kürzlich österreichische Forscher untersucht. Sie spielten dafür 30 Probanden Klavierstücke aus der Romantik vor – einer für ihre dramatische, gefühlsbetonte Musik bekannten Epoche – und maßen dabei die Pupillenweite der Versuchspersonen. Das Ergebnis: Je emotionaler die Probanden die Musikstücke empfanden, desto stärker reagierten auch ihre Pupillen.


Hormonschwemme und Belohnungssystem
 
Was dabei in Körper und Gehirn passiert, ist bisher nur in Teilen geklärt. Studien zeigen beispielsweise, dass beim gemeinsamen Singen ein ganzer Cocktail von Glückshormonen ausgeschüttet werden kann. Neben Serotonin, Dopamin und Endorphinen ist oft auch der Pegel des "Kuschelhormons" Oxytocin erhöht. Diese Hormone sorgen für Euphorie, Zufriedenheit und ein tiefes Harmonieempfinden.


Der Nucleus accumbens (rot) ist entscheidend für das emotionale Lernen und das Belohnungssystem
Der Nucleus accumbens (rot) ist entscheidend für das emotionale Lernen und das Belohnungssystem
Im Gehirn dringt Musik bis tief in die Zentren der Gefühlsverarbeitung vor und aktiviert dabei auch unser Belohnungssystem, wie Forscher feststellten. Dieser Schaltkreis im Mittelhirn wird immer dann besonders aktiv, wenn wir fundamentale Bedürfnisse oder aber eine Sucht befriedigen. Durch Ausschüttung von Dopamin und intensives Feuern der Neuronen im sogenannten Nucleus accumbens empfinden wir intensives Wohlgefühl – wie beim Verzehr von Schokolade, im Drogenrausch, in religiöser Ekstase oder beim Sex. 

"Blinder Fleck" für Musik

Allerdings: Es gibt auch Menschen, die lässt Musik völlig kalt. Egal, ob fröhliche Tanzmusik oder eine traurige Ballade erklingt, löst dies bei solchen musikalischen Anhedonisten weder Freude, noch Wohlgefühl, Trauer oder andere Gefühle aus. Seltsamerweise liegt dies jedoch nicht daran, dass die Betroffenen tontaub wären und deshalb die Musik gar nicht erst richtig wahrnehmen.

Stattdessen können musikalische Anhedonisten die rein akustischen Merkmale der Musik durchaus erkennen und zuordnen, wie spanische Forscher herausgefunden haben. Die Betroffenen können auch angeben, ob die Musik traurig, fröhlich oder beruhigend klingt. Aber die emotionale Wirkung der Stücke kommt bei ihnen nicht an – für diese Seite der Musik sind sie taub.

Der Grund: Obwohl ihr Belohnungssystem in anderen Fällen völlig normal reagiert, bleibt es bei musikalischer Stimulation inaktiv. Die Forscher schließen daraus, dass es bei diesen Menschen eine Art "blinden Fleck" gibt, eine Lücke in der Verknüpfung von Hörerlebnis und Emotionsverarbeitung.

Musik als Heilmittel.

Wo Musiktherapie schon hilft. 

Weil die Musik tief in unser Empfinden und unsere unwillkürlichen Reaktionen eingreift, liegt es nahe, diesen Effekt auch therapeutisch zu nutzen. Denn Musik kann sogar dort wirken, wo konventionelle Medizin und Psychotherapie kaum Ansatzmöglichkeiten haben – in unserem Unbewussten.

Bei Tinnitus gehört eine Therapie mit spezieller Musik schon länger zum Standard
Bei Tinnitus gehört eine Therapie mit spezieller Musik schon länger zum Standard
Hilfe bei Angst, Depression und Tinnitus 

Gerade bei psychischen Leiden wird Musiktherapie schon länger eingesetzt, beispielsweise bei Patienten mit Angststörungen oder Depressionen. Studien belegen, dass durch eine maßgeschneiderte, regelmäßige Musikberieselung Angst und Niedergeschlagenheit nachlassen und weniger Stresshormone ausgeschüttet werden. Sogar Flugangst soll eine App mit maßgeschneiderter Musik lindern können. Auch gegen Schlafstörungen kann Musik helfen. Hören Betroffene vor dem Einschlafen regelmäßig eine speziell dafür zusammengestellte Musik, liegen sie weniger lange wach und erleben längere Tiefschlafphasen. 

Ebenfalls bewährt hat sich die Musiktherapie bei Tinnitus. Dabei wird meist Musik eingesetzt, deren Frequenzen auf bestimmte Weise manipuliert oder mit einem "weißen Rauschen" unterlegt wurde. Dies sorgt dafür, dass das Gehirn sich den von ihm selbst produzierten Störton quasi abtrainiert. Noch effektiver könnte sogar eine aktive Form der Musiktherapie sein, bei der die Tinnitus-Patienten selbst bestimmte Tonfolgen nachsummen. Schon nach wenigen Tagen führt dies dazu, dass sich funktionale Strukturen im Gehirn verändern und das Ohrgeräusch nachlässt, wie eine Studie ergab.

Musik kann bei ALzheimer-Patienten verschüttete Erinnerungen wecken und lindert Aggression und Depression.

Selbst unter Narkose oder im Koma reagiert der Körper auf Musik

Herz und Kreislauf lassen sich von Musik messbar positiv beeoinflussen.

Singen im Chor hat gleich mehrere positive Wirkungen auf die Gesundheit


Noch ist erst wenig zur komplexen Wirkung der Musik auf Geist und Körper bekannt.

Donnerstag, 25. Mai 2017

Rührende Dichtung.

Odilon Redon, Pégase et une muse
Die Macht der Poesie

Ina Wittmann 
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit 
Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik

23.05.2017 14:37  

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik untersuchen körperliche Reaktionen auf Gedichte: Grad des Bewegtseins in Redesituationen und bei Schlusspositionen besonders hoch

Frankfurt, 23.05.2017 – Als „gemischte Empfindung des Leidens und der Lust an dem Leiden“ beschrieb Friedrich Schiller vor 225 Jahren einen scheinbar widersprüchlichen Gefühlszustand bei der Rezeption bewegender Kunstwerke. Forscher des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik in Frankfurt fanden nun physiologische Evidenz für diese Definition.

In einer groß angelegten Studie untersuchten die Wissenschaftler körperliche, neuronale und verhaltensrelevante Reaktionen auf bewegende Gedichte. Als Indikator für den Grad des Bewegtseins diente die Entstehung von Gänsehaut, die mittels einer eigens dafür gebauten Kamera („Goosecam“) erfasst wurde. Die Forscher fanden heraus, dass Gänsehautmomente von Gesichtsausdrücken begleitet werden, die auf negative Emotionen schließen lassen. In denselben Momenten war jedoch auch das Belohnungssystem im Gehirn aktiv.

„Die Ergebnisse unserer Studie sollen auch dazu beitragen, eine Diskussion darüber anzuregen, wie Gedichte im schulischen und erzieherischen Kontext verwendet werden können, welche Rolle poetische Sprache in unserem Alltag spielt, und welches unerkannte Potenzial sie noch birgt“, so Studienleiter Eugen Wassiliwizky.

Denn die Verteilung der Gänsehautmomente verrät etwas über die Mechanismen der poetischen Sprache: So fanden die Forscher zum einen heraus, dass Gänsehaut bevorzugt in Redesituationen (z.B. in wörtlicher Rede) ausgelöst wurde. Zum anderen häuften sich die Gänsehautmomente am Ende einzelner Verse, Strophen und vor allem des ganzen Gedichts. 

Die Begründung hierfür findet sich in den Prinzipien der poetischen Sprache: Reim und poetische Metren erwecken starke Erwartungshaltungen beim Zuhörer. Das Vorhersagesystem im Gehirn prüft kontinuierlich, inwiefern ein Gedicht die Erwartungen, die es selbst aufbaut, erfüllt oder verletzt. Besonders stark sind diese Erwartungen an Schlusspositionen, da diese das Auftreten einer Pause oder gar des Gedichtendes antizipieren. Oft werden sie durch das Reimschema noch zusätzlich verstärkt.

Auch die inhaltliche Choreographie von Gedichten trägt zu Erwartungen an eine Zuspitzung oder finale Lösung bei. Offenbar wissen Dichter also sehr genau, wie sie uns – insbesondere am Ende von Spannungsbögen – einen Schauer über den Rücken laufen lassen können.


Originalpublikation (open access):
Wassiliwizky, E., Koelsch, S., Wagner, V., Jacobsen, T., & Menninghaus, W. (2017). The emotional power of poetry: neural circuitry, psychophysiology, compositional principles. Social cognitive and affective neuroscience. doi 10.1093/scan/nsx069

Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt am Main
Das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik wurde 2013 in Frankfurt am Main gegründet und beschäftigt derzeit über 130 Mitarbeiter. Das Institut erforscht interdisziplinär, was wem warum und unter welchen Bedingungen ästhetisch gefällt. Dabei widmen sich die Forschungen in den drei Abteilungen Sprache und Literatur, Musik sowie Neurowissenschaften insbesondere den Grundlagen ästhetisch wertenden Wahrnehmens und Erlebens. 

Das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik ist eines von 83 Instituten der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., einer der führenden Organisationen für Grundlagenforschung in Europa. Weitere Informationen unter https://www.ae.mpg.de

Kontakt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:

presse@ae.mpg.de
Dr. Anna Husemann, Tel.: +49 69 8300 479 650
Ina Wittmann, Tel.: +49 69 8300 479 651
Andrea Treber, Tel.: +49 8300 479 652

Kontakt Publikation:

Eugen Wassiliwizky
Tel.: +49 69 8300 479 114
eugen.wassiliwizky@ae.mpg.de 


Nota. - Forschung muss sich rechnen, daher interessiert die Drittmittelgeber vor allem, "wie Gedichte im schulischen und erzieherischen Kontext verwendet werden können", und so steht diese Frage auch bei Max Planck an erster Stelle.
JE